Johannes Vogel

VOGEL: Wir müssen massiv in KI investieren

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Johannes Vogel gab der „Westfalenpost“ (Montagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Martin Korte.

Frage:  Die FDP wirkt derzeit eher nicht wie ein Koalitionspartner, sondern wie eine Oppositionspartei. Richtig?

Vogel: Nein. In Wahrheit erleben wir gerade die Notwendigkeit einer veränderten politischen Kultur. Das alte System mit zwei großen Volksparteien und kleineren Parteien, wobei jeweils eine größere Partei mit einer kleineren koaliert, kommt an ein Ende. Und damit kommt auch die Vorstellung von politischen Lagern, die sich näher stehen, an ein Ende. Jetzt bilden zum ersten Mal drei konkurrierende und sehr unterschiedliche Parteien eine Koalition, weil der Wählerwille es ihnen so aufgegeben hat. Das wird in den nächsten Jahren zum Normalfall werden.

Frage: Mit welchen Folgen?

Vogel: In der politischen Kultur müssen sich zwei Dinge verändern. Erstens: Nicht jede öffentliche Debatte ist gleich Streit. Wenn der Weg zum demokratischen Kompromiss offen ausgetragen wird, dürfen wir das nicht gleich als negativ empfinden. Zweitens: Nicht jeder Kompromiss ist Verrat. Die Parteien dürfen sich nicht in Kompromissunfähigkeit manövrieren und einmauern. Der Modus früherer Koalitionen, zunächst hinter den Kulissen um eine Lösung zu ringen und dann an die Öffentlichkeit zu gehen, funktioniert in dieser Welt nicht mehr. Es muss okay sein, dass die Unterschiede zwischen den Parteien auch in der Debatte sichtbar werden, wenn am Ende ein Ergebnis folgt, das unser Land nach vorne bringt. In diesem Prozess befinden wir uns gerade bei sehr vielen Gestaltungsthemen, die in den Jahren der Merkel-Kanzlerschaft liegen geblieben sind.

Frage: Welche meinen Sie?

Vogel: Mein Ehrgeiz ist, dass wir am Ende des Gestaltungsjahres 2023 mindestens Folgendes erreicht haben werden: die Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung bei Infrastrukturprojekten, Stichwort Rahmedetalbrücke, endlich ein modernes Einwanderungsgesetz à la Kanada mit Punktesystem für Fachkräfte, mehr Ordnung in der Migration insgesamt, der Einstieg in eine Kapitaldeckung bei der gesetzlichen Rente, ein technologieoffenes Gebäudeenergiegesetz, das die Bürger nicht überfordert und nicht in ihr Eigentum eingreift und ein mit der Schuldenbremse konformer Haushalt. Das wäre eine Menge.

Frage: Moment mal. Das Jahr ist schon halb rum.

Vogel: Trotzdem. Erreichbar ist das, alles ist gesetzlich auf dem Weg oder in Vorbereitung. Ich bin Realist, aber auch Optimist der Tat. Wir haben das Land besser durch die Krise des letzten Winters gebracht, als viele glaubten. Jetzt müssen wir zeigen, dass wir bei den großen Herausforderungen in den Gestaltungsmodus kommen.

Frage: Mag sein, aber im Moment wirkt die Koalitionsarbeit eher wie Dauerstreit. Das hilft der AfD.

Vogel: Die Umfragewerte der AfD fordern uns heraus. Sie waren 2018 schon mal in derselben Größenordnung, und es ist gelungen, sie zu reduzieren. Das muss jetzt wieder gelingen. Ich glaube, dass das Wesen von Populisten ist, dass sie Probleme gar nicht lösen wollen, sondern dass sie sich daran mästen. Deshalb ist es Teil der Lösung, die Herausforderungen wirklich anzugehen und uns dafür auch Zeit zu nehmen. Beispiel Gebäudeenergiegesetz. So wie Robert Habeck das vorgelegt hat, war es keine gute Lösung. Jetzt arbeiten wir gemeinsam an einer besseren Lösung. Wir konnten ja nicht als Freie Demokraten unsere Überzeugungen verraten oder ein schlechtes Gesetz mitmachen, nur um Streit zu vermeiden.

Frage:  Wie lautet Ihr Vorschlag in diesem konkreten Fall?

Vogel: Jede Heizung, die künftig neu eingebaut wird, muss das Potenzial haben, klimaneutral betrieben werden zu können. Aber technologieoffen. Jede Bürgerin, jeder Bürger muss je nach Wohnsituation selbstbestimmt den besten Weg wählen können. Und Eingriffe in bestehendes Eigentum dürfen es gar nicht geben.

Frage:  Trügt der Eindruck, dass in Deutschland gerade eine Schönwetter-Klimapolitik betrieben wird? Nach dem Motto: Macht mal langsamer, wir haben noch Zeit.

Vogel: Wir haben nur noch wenig Zeit, weil wir im Jahr 2045 klimaneutral wirtschaften und leben müssen. Dazu haben wir uns verpflichtet – und mir ist das ernst. Deshalb sollten wir uns jetzt auf die großen Fragen der Klimapolitik konzentrieren. Damit meine ich beispielsweise den Handel mit Emissionsrechten. Wir sollten in Deutschland den Zertifikatehandel für alle Lebensbereiche früher nutzen und so den CO2-Ausstoß dicht abdecken. Dort, wo wir dieses Instrument in Europa bereits nutzen, übertreffen wir die Klimaziele sogar. So nutzen wir die Kraft der Marktwirtschaft und fördern den Umstieg auf die jeweils klimaneutralen Techniken.

Frage:  Lassen Sie uns gedanklich über die A 45 nach Südwestfalen fahren. Bis die neue Rahmedetalbrücke steht, dürfte noch ein paar Jahre vergehen. Wie wollen Sie der Region helfen? 

Vogel: Diese Katastrophe ist aufgrund einer jahrelangen Vernachlässigung unserer Infrastruktur entstanden. Das Leiden unserer Region zeigt, wie wichtig eine zukunftsfähige Infrastruktur ist. Ich habe persönlich das aktuelle Planungsbeschleunigungsgesetz mit betrieben, welches auch dem beschleunigten Verfahren bei der Rahmedetalbrücke noch mehr Rechtssicherheit bei etwaigen Klagen gibt. Die Ausschreibung des Neubaus sieht außerdem vor, dass nicht der günstigste Anbieter, sondern der schnellste den Zuschlag bekommen soll. Ich bin sehr gespannt, was die deutsche Bauwirtschaft nun an Tempo bieten wird. Trotzdem wird der Neubau ein paar Jahre dauern. Die Region hat ja selbst sehr gute Vorschläge für die Übergangszeit gemacht, um den wirtschaftlichen Nachteilen zumindest einer anderen Stelle etwas entgegenzustellen. Etwa das Tumo-Center für digital-kreative Bildung in Lüdenscheid, für dessen Förderung ich mich persönlich erfolgreich eingesetzt habe. Außerdem werde ich mir sehr genau anschauen, wie die neue Deutsche Agentur für Transfer und Innovation helfen kann. Sie haben ja die Aufgabe, neues Wissen aus der Forschung und innovative schneller in die Anwendung zu bringen – genau, wo unsere Region ohnehin Stärken hat. Mittelfristig, also noch für diese Legislaturperiode, finde ich ein weiteres Projekt sehr spannend, nämlich das einer Freiheitszone Sauerland. Neues Wissen aus der Forschung und innovative Ideen schneller in die Anwendung zu bringen – genau, wo unsere Region ohnehin Stärken hat. Mittelfristig, also noch für diese Legislaturperiode, finde ich ein weiteres Projekt sehr spannend, nämlich das einer Freiheitszone Sauerland. Neues Wissen aus der Forschung und innovative Ideen schneller in die Anwendung zu bringen – genau, wo unsere Region ohnehin Stärken hat. Mittelfristig, also noch für diese Legislaturperiode, finde ich ein weiteres Projekt sehr spannend, nämlich das einer Freiheitszone Sauerland.

Frage:  Was bedeutet das?

Vogel: Der Aufbau von Freiheitszonen steht auf Betreiben der FDP im Koalitionsvertrag. Es geht darum, in bestimmten Regionen Experimentierräume zu schaffen, in denen innovative Technologien, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle erprobt werden können. Das soll durch weniger Regulierung, weniger Bürokratie ermöglicht werden. Wir brauchen mehr Freiraum, mehr Spielraum für unternehmerische Tätigkeit. Der Bundeswirtschaftsminister steht jetzt in der Pflicht, das zügig konkret auszuarbeiten. Darauf warten wir. Für das Sauerland mit der Sondersituation A 45 kann ich mir eine Umsetzung gut vorstellen. Ich werde das weiter vorantreiben. Das wäre auf jeden Fall ein großer Wurf.

Frage:  Stichwort Innovation. Ist Künstliche Intelligenz eher Chance oder Bedrohung?

Vogel: Beides. Aber als Zukunftsoptimist und Technikbegeisterter sage ich: Die Chancen überwiegen. KI bedarf jedoch einer Regulierung; Der Rechtsstaat muss einen Rahmen definieren. Sonst drohen Gefahren für die Demokratie, etwa durch Falschinformationen. Gleichzeitig müssen wir massiv in KI investieren, sonst läuft China uns den Rang ab. Wir wachen bei diesem Thema gerade erst auf, aber wir sind noch nicht zu spät dran.

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