Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab „Focus Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Ulrich Reitz und Sara Sievert. Dies ist Teil 2 des Interviews:
Focus Online: Thema Steuererhöhungen: Sie haben auf dem Parteitag ziemlich klar gemacht: Mit der FDP gibt es keine höhere Belastung der Einkommen der Beschäftigten. Bedeutet das auch, dass die FDP keine Koalition, die Steuern auf Einkommen und für Unternehmen erhöht, eingehen wird?
Lindner: Es steht jeder Partei im Wahlkampf frei, für das zu werben, was sie für richtig hält. Nach der Wahl werden dann Mehrheiten gebildet. Wenn jemand unsere Partei zu einer Mehrheitsbildung einlädt, dann muss jeder wissen, was mit der FDP geht, was die FDP will, wo wir kompromissfähig sind und wo nicht.
Focus Online: Heißt: Die FDP hält ihr Wahlversprechen auch in möglichen Sondierungsgesprächen und lässt sich in keinem Szenario auf Steuererhöhungen ein? Auch nicht, wenn Grüne und SPD zu einer Ampel-Koalition einladen?
Lindner: Auf unser Wort ist Verlass. Wer das nicht glaubt, kann Frau Merkel nach den Erfahrungen der Jamaika-Sondierungen von 2017 befragen. Ich halte aber generell Formen der Ampel für ein höchst unwahrscheinliches Gesprächsformat nach der Wahl. Das ist ein Ablenkungsmanöver für Grün-Rot-Rot. Frau Baerbock sagt dazu ja nichts Klares. Ansonsten gehe ich davon aus, dass Grüne und SPD diese schädliche Symbolforderung gegenüber der FDP gar nicht erst erheben würden. Nach einer Wirtschaftskrise sollte man die Menschen nicht zusätzlich belasten, sondern private Investitionen und die Bildung von neuen Rücklagen eher stärken. Wir müssen doch dafür sorgen, dass die Wirtschaft neue Technologie für den Klimaschutz bezahlen kann und dass neue Jobs entstehen.
Focus Online: Was kann Armin Laschet, was Markus Söder nicht kann?
Lindner: Ich vergleiche die beiden nicht. Armin Laschet ist ein Integrator und hat bewiesen, dass er für eine faire Zusammenarbeit sorgen kann. Sowohl in einer Koalition als auch zwischen den unterschiedlichen Strömungen in einer Partei. Außerdem muss man bei Armin Laschet nicht mit 180-Grad-Wenden rechnen. Ich schätze ihn als Verhandlungspartner.
Focus Online: Braucht der Langweiler Laschet einen FDP-Turbo?
Lindner: Armin Laschet ist kein Langweiler. Das mit dem Turbo stimmt aber trotzdem.
Focus Online: Bis zum September kann sich noch einiges tun. Sonntag ist zunächst die Wahl in Sachsen-Anhalt. Für die FDP könnte es nach zehn Jahren außerparlamentarischer Opposition dieses Mal nicht nur für den Landtag, sondern gleich für die Regierung reichen. Lydia Hüskens spricht von einer Alternative zur AfD. Was meint sie damit?
Lindner: Es gibt einen harten Kern von AfD-Unterstützern, die anti-liberal sind, Ressentiments schüren und völkische wie rassistische Ideen vertreten. Die kann man nur bekämpfen. Ich weiß aber aus vielen Gesprächen mit Menschen aus Ostdeutschland, dass es auch viele Menschen gibt, die heimatlos geworden sind.
Focus Online: Was meinen Sie mit heimatlos?
Lindner: Das sind Menschen, die die Freiheitseinschränkungen während der Pandemie beklagt haben, die unter Bürokratismus ächzen oder sich fragen, warum der Staat bei wesentlichen Themen wie Infrastruktur und Sicherheit nicht so handlungsfähig ist, wie er sein müsste. Es sind Menschen, die Probleme bei der Integration beobachten und aber nicht erkennen, dass über diese Fragen in der Alltagspolitik diskutiert wird. Diese Menschen sehen dann ihr Heil darin, die AfD zu wählen.
Focus Online: Sie sind gerade auf dem Weg nach Sachsen-Anhalt. Was sagen Sie denen, wenn Sie gleich auf dem Marktplatz stehen?
Lindner: Man sollte nicht die Partei von Björn Höcke stärken, sondern die Partei von Hans-Dietrich Genscher. Der Austritt aus der Europäischen Union oder Ressentiments gegenüber Minderheiten und anderen Kulturen schadet nicht nur der Liberalität, sondern auch der wirtschaftlichen Entwicklung in ihrem Bundesland.
Focus Online: Können Sie sich erklären, warum die AfD gerade dort so stark ist?
Lindner: Wir sollten uns im politischen Berlin hüten, herablassend auf Ostdeutschland zu schauen. Dort hat es oft genug Vernachlässigungen des ländlichen Raums gegeben. Die wirtschaftlichen Perspektiven sind längst nicht so, wie sie sein sollten. Natürlich gibt es einen eingemauerten Teil an AfD-Wählern, die wir nicht mehr erreichen. Aber es so zu machen wie Herr Wanderwitz von der CDU und einen großen Teil der ostdeutschen Bevölkerung einfach aufzugeben, halte ich für falsch. Man muss die Diskussion mit den Menschen suchen und ihnen Alternativen zur AfD bieten.
Focus Online: Ist Rainer Haseloff ein guter Ministerpräsident?
Lindner: Rainer Haseloff hat sinngemäß gesagt, dass in der Politik Charakter und Überzeugung keine Rolle spielen, sondern Umfragen. Ich finde, es ist genau umgekehrt.
Focus Online: Dementsprechend ein schwieriger Koalitionspartner für die FDP?
Lindner: Es gibt niemals einfache Koalitionspartner.
Focus Online: Teile der CDU beklagen, die Kenia-Koalition mit SPD und Grünen zwinge die CDU zu linker Politik und stärke so die AfD. Was sagen Sie dazu?
Lindner: In Sachsen-Anhalt könnte es jetzt ein Modell geben, in dem die Union stärkste Partei ist und die FDP die Grünen als Koalitionspartner ersetzt. Ich habe den Eindruck, das könnte viele Menschen in Sachsen-Anhalt motivieren, uns zu wählen.
Focus Online: Sie selbst haben sich außerordentlich im Wahlkampf, auch vor Ort, engagiert. Könnte Sachsen-Anhalt für die Bundestagswahl wegweisend sein?
Lindner: So wichtig ich die Wahl in Sachsen-Anhalt finde, glaube ich nicht, dass das eine Testwahl für den Bund ist.
Focus Online: Damit sind wir wieder bei der Bundestagswahl. Jetzt heißt es oft: Wir würden Angela Merkel noch vermissen? Werden Sie sie auch vermissen?
Lindner: Wir haben uns 16 Jahre an Frau Merkel gewöhnt. Das wird für uns alle ein Neuanfang sein. Historiker werden die Verdienste von Frau Merkel beurteilen. Diese Gesamtbilanz ziehe ich aber nicht. Dafür bin ich gar nicht objektiv genug.
Focus Online: Darauf würden wir wetten. Frau Merkel hat die FDP doch im Unterschied zu Armin Laschet nie verstanden.
Lindner: Ich weiß nicht, ob nie. Es gab unterschiedliche Phasen. 2005 etwa hat Frau Merkel eine Wahl mit einem sehr liberalen Programm bestritten. Daraus hat sie wohl mitgenommen, dass ein Reformwille auch immer angreifbar macht. Dementsprechend hat sich ihr politisches Handeln verändert.
Focus Online: Drei schnelle Fragen zum Schluss. Wenn die Union endlich ein Wahlprogramm hat, dann prüft die FDP dieses auf…?
Lindner: … den Reformwillen und die Frage, welche klaren Zusagen es enthält und wo es wachsweich ist.
Focus Online: Wenn die SPD den Mindestlohn nochmal erhöhen will, dann antworten Sie…?
Lindner: … dass wir am besten das Verfahren bei den unabhängigen Experten einer Kommission lassen. Der Lohn sollte keine Wahlkampffrage sein. Es geht darum, den Menschen Jobs zu verschaffen und nicht der SPD Stimmen.
Focus Online: Wenn die Grünen die Kurzstreckenflüge abschaffen wollen, dann sagen Sie…?
Lindner: … dass wir eher über emissionsarmes Fliegen sprechen sollten, weil man nach Mallorca schlecht laufen kann.
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Teil 1 des Interview: