Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner schrieb für „FOCUS Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Heute ist Steuerzahlergedenktag. Dieser Tag hat sich in Deutschland noch weiter nach hinten verschoben – vom 9. Juli auf den 13. Juli. Bis heute haben die Erwerbstätigen im Durchschnitt also nicht für sich, sondern für den Staat gearbeitet. Aufs Jahr gerechnet fließt das Einkommen erst jetzt auf das eigene Konto. Dass dieser Tag mittlerweile erst in der zweiten Jahreshälfte liegt, zeigt eines: Im Verhältnis zwischen Bürgerinnen bzw. Bürgern und Staat ist etwas aus dem Lot geraten.
Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten im internationalen Vergleich zu einem Hochsteuerland geworden. Die Steuerquote stieg in den vergangenen 16 Jahren von rund 21 auf 24 Prozent – ein Wert, der in Deutschland zum letzten Mal Ende der 1970er Jahre erreicht wurde. In Ländern wie Kanada, Neuseeland oder der Schweiz arbeiten die Menschen schon einige Wochen früher nicht mehr nur ausschließlich für die Steuer.
Dennoch werden die Rufe nach zusätzlichen Steuerbelastungen bei uns nicht weniger, sondern mehr: Grüne und SPD eint die Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz, einer Einführung der Vermögensteuer und der Beibehaltung des Solis. Auch in Zeiten der höchsten Steuerbelastung muss sich nicht der rechtfertigen, der neue Belastungen fordert, sondern der, der sie abbauen möchte. Das ist nicht nur respektlos gegenüber denen, die die Hauptsteuerlast tragen, es ist auch Gift für die wirtschaftliche Erholung nach Corona. Die Union wiederum schreibt Entlastungen in ihr Wahlprogramm, doch Armin Laschet schließt diese im ARD-Sommerinterview aus. Man kann sich gut vorstellen, in welche Richtung eine schwarz-grüne Bundesregierung steuerpolitisch driften würde.
Nach der Krise brauchen wir aber neue Impulse für wirtschaftliches Wachstum und Innovationen. Neue Steuern liefern dies nicht – im Gegenteil, sie würgen den Aufschwung im Keim ab. Erstes Ziel der neuen Bundesregierung muss es deswegen sein, neuen Belastungen einen Riegel vorzuschieben. Doch das allein wäre nicht ambitioniert genug. Eine künftige Regierung muss Spielräume erarbeiten, um Entlastungen zu schaffen.
Ansatzpunkte gibt es dafür viele: Der Soli ist nicht in erster Linie eine Steuer für Topmanager und Fußballprofis, wie oft insinuiert wird, sondern er belastet vor allem die Facharbeiterin, den Soloselbständigen oder die mittelständische Handwerkerin, der Arbeitsplätze schafft. Der Mittelstandsbauch sorgt dafür, dass von Gehaltserhöhungen gerade bei kleinen und mittleren Einkommen wenig übrigbleibt. Die kalte Progression ist Enteignung über Zeit.
Der Steuerzahlergedenktag ist ein wichtiges Symbol. Er macht deutlich: Bürgerinnen und Bürgern wird nichts geschenkt, wenn sie mehr von ihrem Einkommen behalten. Es ist der Staat, der begründungspflichtig ist, wenn er bei den Einkommen zugreift. Wer glaubt, dass jede staatliche Ausgabe unverzichtbar ist, der oder die hat allein in dieser Legislaturperiode das Maut-Desaster, die Grundrente nach dem Gießkannenprinzip und die Entschädigungen an Energiekonzerne beim Kohle-Ausstieg verpasst.
Viele kritisieren den Steuerzahlergedenktag und verweisen darauf, dass in unserem Staat vieles nicht in Ordnung ist. In der Tat haben wir Nachholbedarf – ob bei der Ausstattung der Schulen, der digitalen Infrastruktur oder im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Oft fehlt es aber nicht am Geld. Es wird nur falsch eingesetzt und versickert in einem Dreieck aus Bürokratismus, Subventionen und Umverteilung.
Auch in den Jahren der Rekord-Steuereinnahmen wurden oft genug Ausgaben nicht für staatliche Kernaufgaben verwendet. Nach der Corona-Krise, aber auch angesichts des demografischen Wandels wird sich der Staat nun neu fokussieren müssen: Kommende Regierungen werden lernen müssen, Politik ohne immer neue, zusätzliche Steuereinnahmen zu machen. Für Wahlgeschenke wird kein Platz sein – stattdessen ist die Konzentration auf Bildung und Forschung, die Schaffung einer modernen Infrastruktur, sind Investitionen in gute Rahmenbedingungen für Digitalisierung und Klimaschutz notwendig. Wirtschaftspolitische Detailsteuerung durch Subventionen aus dem Bundeshaushalt gehört nicht dazu.
Das Argument, der Staat müsse die Steuern erhöhen, um über genügend Einnahmen zu verfügen, verfängt aber auch ökonomisch nicht. Natürlich braucht Deutschland dringend mehr Innovationen. Erst Entlastungen aber schaffen das Klima für neue Entwicklungen, nicht eine immer höhere Steuerquote. Denn nie ist es der Staat, der mit seinem Geld die spannendsten neuen Technologien und Geschäftsmodelle hervorbringt.
Der Staat soll gute Bedingungen schaffen – überall auf der Welt sind es dann aber Initiativen aus dem privaten Sektor, die am Ende neue Ideen entwickeln und in die Tat umsetzen. Wenn wir Entlastungen klug einsetzen, wird unsere Volkswirtschaft somit an Stärke gewinnen, was am Ende dann auch für stabile Staatshaushalte sorgt. Nicht Steuererhöhungen hatten vor Corona für steigende Staatseinnahmen gesorgt, sondern wirtschaftliches Wachstum, das nicht zuletzt eine Folge der Agenda 2010 war.
Steuern sind niemals Selbstzweck. Der Staat muss maßvoll bleiben. Ein früherer Steuerzahlergedenktag im Jahr 2022 würde aber bedeuten, dass Millionen Bürgerinnen und Bürgern mehr Möglichkeiten für die Verwirklichung ihrer Träume bleiben, dass unsere Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs gehen kann. Diesem Ziel muss sich die nächste Bundesregierung dringend verschreiben.