WISSING-Interview: An einem Linksruck werden wir uns nicht beteiligen

Der FDP-Generalsekretär Dr. Volker Wissing gab „tag24.de“ (Dresdner Morgenpost) das folgende Interview. Die Fragen stellten Sebastian Günther und Paul Hoffmann:

Dr. Volker Wissing
Dr. Volker Wissing

Frage: Herr Wissing, Ihr Parteichef kennt nach eigenen Aussagen schon die Antwort auf die K-Frage. Wer wird Ihrer Meinung nach Kanzler?

Wissing: Nach den aktuellen Umfragen liegt die Union vorne und wird auch den Regierungschef stellen. Das ist das, was uns die Wahrscheinlichkeit sagt. Aber wie wir alle wissen, haben Wahlen immer eine eigene Dynamik.

Frage: Also wird Armin Laschet der neue Bundeskanzler?

Wissing: Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, wissen können wir das nicht. Die Wählerinnen und Wähler entscheiden darüber am 26. September.

Frage: Die CDU war zuletzt in den Umfragen im freien Fall. Die FDP stagniert. Wie viel Prozent haben Sie für Ihre Partei als Ziel ausgelobt?

Wissing: Wir wollen ein deutlich zweistelliges Wahlergebnis, das uns auch alle Umfragen voraussagen. Wir sind seit Monaten sehr stabil und auch im Endspurt, indem die Mitbewerber ordentlich Gas geben, zeigt sich die FDP solide bei einem klaren zweistelligen Ergebnis. Das entspricht unseren Erwartungen und wir kämpfen dafür, dass das auch unser Wahlergebnis werden wird.

Frage: Alles ab zweistellig gilt also als Erfolg?

Wissing: Na klar!

Frage: Sie dienen höchstwahrscheinlich als Mehrheitsmacher. In welcher Konstellation wären Sie das am liebsten?

Wissing: Zunächst einmal geht es um unsere Inhalte. Wir kandidieren ja nicht für Koalitionen, sondern für unser Wahlprogramm. Wir wollen die Wählerinnen und Wähler davon überzeugen, dass Deutschland modernisiert werden muss, wir brauchen einen Digitalisierungsschub, wir müssen Bildung neu denken und wir müssen auch die Klimafrage marktwirtschaftlich lösen. Ansonsten werden wir nicht schnell genug sein, um den Klimawandel aufzuhalten. Darum geht es und wir haben eigene Vorschläge, mit denen wir uns von den anderen Parteien abgrenzen. Wir kämpfen also nicht für eine Koalition, sondern für unsere eigenen Inhalte, die wir dann am Ende in einer Regierung einbringen wollen.

Frage: Aber gebe es eine Wunschvorstellung?

Wissing: Es ist nicht so, dass wir unsere Inhalte mit der einen Partei zwangsläufig leichter umsetzen können als mit der anderen. Am besten umsetzen können wir sie aber dann, wenn wir eine entscheidende Kraft werden. Eine starke FDP steht für die Durchsetzung der Inhalte der FDP.

Frage: Welche Konstellation schließen Sie komplett aus?

Wissing: Wir schließen die Zusammenarbeit mit extremen Parteien aus – sowohl mit rechtsextremen als auch mit linksextremen. Auch an einem Linksruck in Deutschland werden wir uns nicht beteiligen.

Frage: Woher weiß der Wähler, dass Sie diesmal nicht wieder kneifen?

Wissing: Das weiß der Wähler deshalb, weil wir es klar sagen. Christian Lindner hat gesagt, dass er Regierungsverantwortung übernehmen möchte. Er hat sich auch sehr präzise hinsichtlich seiner Bereitschaft geäußert, das Bundesfinanzministerium zu übernehmen. Und ich selbst stehe ebenfalls für eine FDP, die bereit ist, in einer Regierung zu gestalten.

Frage: Sie waren in Rheinland-Pfalz Teil der ersten Ampelregierung in einem Flächenland. Ein Modell auch für den Bund?

Wissing: Wir kämpfen im Bund nicht für eine bestimmte Koalition, sondern wir kämpfen für einen bestimmten politischen Kurs. Wir müssen als Partei der demokratischen Mitte grundsätzlich bündnisfähig sein, aber die FDP hat klar gesagt, dass sie sich an einem Kurs der Steuererhöhungen und an einer Schwächung der Marktwirtschaft nicht beteiligen wird. Deshalb müssen erst einmal andere sagen, ob sie bereit sind, auf ihre derartigen Vorschläge zu verzichten.

Frage: Die Mehrheit der deutschen sieht Angela Merkels Kanzlerschaft positiv. Wie bewerten Sie die 16 Jahre?

Wissing: In 16 Jahren sind viele wichtige Dinge liegen geblieben. Wir haben in Deutschland einen enormen Rückstand im Bereich der Digitalisierung, das haben wir in der Pandemie bitter erfahren. Selbst die Union gesteht nun reumütig ein, dass Deutschland dringend Reformen braucht. Damit zieht sie über ihre eigene Regierung und die der Kanzlerin eine sehr nüchterne Bilanz. Klar ist, Deutschland braucht eine Modernisierung. Die Bundesregierung hat die Digitalisierung nicht frühzeitig in Angriff genommen, die Kanzlerin selbst bewertet ihre Klimapolitik als unzureichend. Auch die großen Fragen, insbesondere zu Europa, aber auch zur Demografie in Deutschland, dem Rentensystem oder der Bildung sind in den letzten Jahren liegengeblieben. Es war allerdings auch nicht wirklich zu erwarten, dass eine dominierende konservative Partei, die vor allem bewahren möchte, unser Land modernisiert.

Frage: Das Eingestehen von Fehlern war typisch für Angela Merkel und hat ihr wahrscheinlich viel Sympathie eingebracht. Sind Frauen inzwischen die besseren Politiker?

Wissing: Ich glaube, dass die sachliche Art von Angela Merkel in Deutschland sehr gut ankam und ich bin davon überzeugt, dass ein sachlicher Ton in der Politik zeitgemäß ist. Der Stil der Bundeskanzlerin war durchaus beispielgebend und er liegt mir persönlich auch sehr.

Frage: Sind Frauen bessere Politiker?

Wissing: Es gibt sehr gute Politikerinnen und es gibt sehr gute Politiker. Ich glaube, dass Fähigkeit und Talent zur Politik nicht geschlechtsgebunden sind und deswegen ist es auch wichtig, dass wir Gleichstellung haben.

Frage: Kann Ihrer Meinung nach eine Frau Mutter und Kanzlerin sein?

Wissing: Ja, es gibt auch Männer, die sowohl Väter als auch gute Kanzler waren.

Frage: Ihre Heimat Rheinland-Pfalz erlebte eine der schlimmsten Katastrophen überhaupt, am Mittelmeer lodern die Flammen. Sind wir Ihrer Meinung nach in einer Epoche des Klima-Notstands?

Wissing: Inwieweit diese Ereignisse unmittelbar auf den Klimawandel zurückzuführen sind, muss die Wissenschaft bewerten. Fest steht aber, dass wir einen Klimawandel haben und dass er uns erhebliche Anstrengungen abverlangt. Wir sollten deshalb nicht zögern, beherzt für unsere Klimaziele zu kämpfen. Hier hat die FDP ein sehr ambitioniertes Programm vorgelegt, um diese zu erreichen. Dass die Wetterereignisse in den letzten Jahren massiv zugenommen haben, konnte ich auch in den letzten fünf Jahren als Landwirtschaftsminister von Rheinland-Pfalz beobachten. In eigentlich jedem Jahr habe ich mehr oder weniger große Katastrophen erlebt. Hier müssen wir unserer Verantwortung für künftige Generationen gerecht werden und gegensteuern. Dass die Jugend aufsteht und das einfordert, ist ein Alarmzeichen und ein Warnschuss für die politisch Verantwortlichen.

Frage: Das heißt Sie ziehen den Hut vor Bewegungen wie Fridays for Future?

Wissing: Ja, weil ich glaube, dass das sehr mutig ist und dass es auch das ist, was unsere Gesellschaft braucht: Menschen, die ihre Interessen kundtun und ihre Rechte einfordern. Die jungen Menschen haben einen Anspruch darauf, dass wir, die in politischer Verantwortung stehen, ihre Lebensgrundlagen, auf deren Basis wir unseren Wohlstand erwirtschaften, auch für die Zukunft erhalten. Insofern – ja ganz klar.

Frage: Jetzt fordern Sie einen Sonderbeauftragten für das Katastrophenmanagement oder die Behebung der Schäden im Hochwassergebiet. Was genau soll dessen Aufgabe sein?

Wissing: Die Menschen in den entsprechenden Regionen sind extrem hart betroffen. Sie haben Angehörige und ihr Hab und Gut verloren, sind in Trauer und es ist sehr viel Infrastruktur zerstört worden. Alles muss so schnell wie möglich wieder aufgebaut werden. Dafür brauchen wir Sonderregelungen, unsere normalen Standards können wir hier nicht anwenden. Ein Ansprechpartner, der dafür sorgt, dass solche Sonderregelungen auch mit der notwendigen Priorität durchgesetzt werden, wird hier gebraucht.

Frage: Was ist mit den Abgeordneten, die für die entsprechenden Kreise im Bundestag verantwortlich sind?

Wissing: Jeder Abgeordnete vertritt für seinen Wahlkreis wichtige Anliegen, das ist auch richtig so. Vor dem Hintergrund des Ausmaßes dieser Katastrophe muss aber jemand – am besten ein Sonderbeauftragter – sagen, das Wichtigste ist jetzt diese Region, weil die Menschen dort in großer Not sind. Das muss auf einer hohen Entscheidungsebene kommuniziert werden, damit diese Dinge mit Priorität und schnell vorangetrieben werden.

Frage: Wo soll diese Funktion angedockt werden? Am Innenministerium, am Finanzministerium…?

Wissing: Letztlich ist es wichtig, dass die Information und der Dringlichkeitsbedarf an die entscheidenden Personen kommuniziert werden. Die Menschen vor Ort stehen vielfach vor dem Nichts. Im Augenblick sehen wir die Bilder und leiden alle mit – aber vor uns liegt eine Aufbauarbeit, die über Jahre andauern wird und daran muss ein Sonderbeauftragter immer wieder erinnern.

Frage: Im Osten Deutschlands gab es 2002 eine ganz ähnliche Situation. Warum hat man in Ihrer Heimat eigentlich so wenig aus dieser Flut gelernt – Stichwort Warnsysteme und ein wirkungsvoller Hochwasserschutz?

Wissing: Der historische Höchststand der Ahr lag bei 3,71 Meter, diesmal hat sie einen Wasserhöchststand von 8 Metern gehabt. Mit dieser dramatischen Hochwassersituation hat niemand gerechnet.

Frage: Das hat man im Osten damals auch nicht…

Wissing: Richtig. Die Frage, warum man nicht früher gewarnt hat, hat auch dazu geführt, dass die Staatsanwaltschaft strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet hat. Gleichzeitig wird der Landtag mutmaßlich einen Untersuchungsausschuss einsetzen, um die Dinge aufzuarbeiten. Sie haben völlig recht, die Frage muss man stellen, ich habe sie auch gestellt. Man muss nicht schnell Schuldige suchen, aber man muss die Dinge gründlich und restlos aufarbeiten. Genauso wie die Frage, warum wir in Deutschland kein Cell Broadcasting haben.

Frage: Wie bewerten Sie eigentlich das Krisenmanagement von Herrn Laschet?

Wissing: Er hat sich für dieses Lachen entschuldigt und es erklärt. Ich finde es anerkennenswert, wenn man sagt, ich habe mich da falsch verhalten und ich entschuldige mich dafür, dass das missverständlich ankam. Sicherlich war das von ihm nicht so gemeint, aber glücklich war die Situation sicher nicht.

Frage: Aber sonst haben Sie das Gefühl, dass er das gut macht? Die Umfragewerte aktuell belegen so ein bisschen das Gegenteil. Ist das nur das Lachen?

Wissing: Ich glaube zum aktuellen Zeitpunkt ist es schwierig, eine Bilanz über ein Krisenmanagement zu ziehen. Noch immer werden vermisste Menschen gesucht. Wir sollten allen, die sich jetzt an den Maßnahmen beteiligen, unterstellen, dass sie sich bemühen, maximale Hilfe zu leisten. Das gilt auch für Herrn Laschet. Wichtiger wird die Frage sein: Hätte man die gravierenden Folgen vermeiden können? Wenn das der Fall ist, muss das Konsequenzen haben, vor allem in der Neuausrichtung der Sicherheits- und Katastrophenschutzsysteme.

Frage: Die FDP will Klimaschutz mit Innovationen anstatt Verboten vorantreiben. Wann kommen die? Wie lange muss der Planet noch warten?

Wissing: Innovationen entstehen selten aus politischer Planung, sondern immer aus Freiheit heraus. Biontech ist ein gutes Beispiel dafür. Zum Glück haben wir den Impfstoff und können mit dieser Innovation die Pandemie bekämpfen. Innovationen werden benötigt, um große Herausforderungen bewältigen zu können – mit Verbot und Verzicht kommt man nicht lange gut aus. Die Techniken, die wir heute haben, sind zwar dazu geeignet, den Klimawandel zu bekämpfen, sie spalten aber die Gesellschaft, insbesondere Stadt und Land. Ein Beispiel: Der Verzicht auf den Individualverkehr ist dort kein Problem, wo ich ein ÖPNV-Angebot habe. In der Fläche ist das schwierig. Wir können dieses Problem nicht einfach ignorieren. Wir brauchen neue Antriebstechnologien, wir brauchen die Möglichkeit, Individualverkehr mit synthetischen Kraftstoffen zu sichern, und wir brauchen klimaneutrale Angebote auch fürs Fliegen. Den Leuten zu sagen, schaut euch die Welt nicht an, der Jugend zu sagen, bleibt einfach in Deutschland – es reicht ja, wenn ältere Generationen die Welt gesehen haben, das ist kein attraktives Angebot.

Frage: Aber haben wir die Zeit, auf diese Innovation zu warten, wenn der Weltklimarat doch jetzt sagt, wir leben längst weit über unsere Verhältnisse?

Wissing: Nachdem wir dringend neue Technologien brauchen, um die gesamte Gesellschaft auf dem Weg zur Nachhaltigkeit mitzunehmen, haben wir jedenfalls enormen Handlungsbedarf, mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren. Wenn wir schnell sein wollen bei der Bekämpfung des Klimawandels, brauchen wir stabile Mehrheiten und müssen aufhören, die Lösung immer nur beim Staat zu suchen. Die Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft kann nicht der Staat organisieren, dass muss die Wirtschaft schon selbst leisten. Und diejenigen, die nach Steuererhöhungen rufen, müssen sich fragen, verlangsamt es den Klimaschutz, wenn die Wirtschaft weniger Geld für Forschung und Entwicklung zur Verfügung hat oder nicht? Ich bin der Meinung, wenn wir den Firmen weniger Geld wegnehmen, wird der Klimaschutz beschleunigt. Der Glaube, dass die Politik die Auswahl von Technologien besonders gut treffen kann, ist in manchen politischen Kreisen erschreckend weit ausgeprägt. Es gibt aber viele Beispiele dafür, wie ineffizient staatliche Planung sein kann. Deshalb rate ich dringend dazu, dass der Staat sich hier weiter zurücknimmt und stattdessen die Forschungs- und Entwicklungsqualitäten der Wirtschaft ankurbelt – durch Steueranreize und durch Wettbewerbsanreize. Beispielsweise könnten wir klare CO2-Reduktionsziele vorgeben, aber die Technologieauswahl dem Markt überlassen. Das können doch die Anbieter mit den Verbrauchern ausmachen. Die Möglichkeiten, die wir heute haben, sind noch nicht überzeugend. Vielfach sind sie auch zu teuer. Die beste Leistung bei niedrigsten Preisen bietet uns immer noch die Wettbewerbswirtschaft und nicht die staatliche Planwirtschaft.

Frage: Tempolimit, Benzinpreise, Fleisch-Verzicht. Sollte Klimaschutz dem Einzelnen weh tun?

Wissing: Ich habe noch nie Politik gemacht, um den Menschen wehzutun. Ich habe mehr Freude am Erfinden als am Verbieten und deshalb sollten wir immer Wege suchen, die den Menschen Dinge ermöglichen und sie voranbringen. Das heißt auch, dass wir aufklären oder den Leuten sagen, Lebensmittelverschwendung ist nicht in Ordnung. Ich habe beispielsweise auch sehr große ethische Anforderungen an die Tierhaltung.

Frage: Aber Sie sagen, die Verantwortung dafür liegt bei der Wirtschaft. Das hat aber in den letzten Jahren offensichtlich nicht funktioniert. Fleischkonsum und -herstellung sind ja wahrscheinlich auch alles andere als ihren Vorstellungen entsprechend….

Wissing: Wer Tiere schützen will, muss klare Regen für konsequenten Tierschutz schaffen. Beim Tierschutz geht es um Werte unserer Gesellschaft und in einer Marktwirtschaft ist es die ureigenste Aufgabe der Politik, auf der Grundlage dieser Werte einen Ordnungsrahmen vorzugeben. Unsere Marktwirtschaft braucht klare Vorgaben, deren Einhaltung der Staat sicherstellen muss. Die Politik kann und darf sich diesem Auftrag nicht verweigern. Sie muss hier stärker Verantwortung übernehmen. Wenn Politiker sich nicht auf klare Regeln verständigen, kann man von der Wirtschaft nicht verlangen, dass sie den staatlichen Rahmen ersetzt.

Frage: Wie stehen Sie zu einem Tempolimit?

Wissing: Ich lehne ein generelles Tempolimit ab. Ein häufig genannter Grund für ein Tempolimit ist die angebliche Reduzierung von Verkehrsunfällen. Ein Trugschluss, denn die Autobahnen in Deutschland zählen zu unseren sichersten Straßen. Wir haben eher ein Sicherheitsproblem auf Landesstraßen als auf Autobahnen und dort gibt es ein Tempolimit von 100 km/h. Neben der Verkehrssicherheit wird auch häufig behauptet, das Tempolimit habe positive Auswirkungen auf den Klimaschutz. Das stimmt so nicht, denn wir haben gerade durch Staus auf Autobahnen, durch das viele Anfahren und durch Stop-and-go-Verkehr hohe CO2-Emissionen. Hier müssten wir die Lücken in unserem Autobahnnetz schließen, um den Verkehrsfluss zu verbessern. Ich halte daher nichts von weiteren Restriktionen auf Autobahnen und sehe auch nicht, wie wir mit einer solchen Symbolregulierung einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz leisten könnten.

Frage: Benzin, Wasserstoff, Strom – was ist ihrer Meinung nach der richtige Antrieb für Autos?

Wissing: Ein CO2-freier Antrieb.

Frage: Egal welcher?

Wissing: Ja, denn die unterschiedlichen Antriebsarten haben alle Vor- und Nachteile. In der Stadt ist der Elektroantrieb sehr gut, weil er sehr leise ist. Nachteile sind Reichweite und Ladedauer. Da kann beispielsweise ein Wasserstoffantrieb oder ein mit synthetischen Kraftstoffen betriebenes Fahrzeug wieder Vorteile haben. Die Antriebsart sollte für uns als Gesellschaft keine Rolle spielen, solange wir vorgeben, dass die Fortbewegung CO2-frei sein muss. Auch kennen wir die Technologien von Morgen noch gar nicht, wir wissen überhaupt nicht, was für ein Potenzial in neuen Antriebsarten steckt. Der Verbrennungsmotor von heute hat nicht viel mit dem ersten Motor in den Kutschenwagen von Carl Benz zu tun. Warum sollten wir solche Technologiesprünge nicht auch bei anderen Antriebsarten zulassen?

Frage: Die FDP will die Bahn privatisieren. Ist ein Preiskampf auf der Schiene die richtige Idee für eine bessere Bahn?

Wissing: Konkurrenz führt immer dazu, dass das beste Angebot zum niedrigsten Preis gewinnt. Dieser Wettbewerb existiert natürlich nur dann, wenn man unterschiedliche Anbieter auf der Strecke hat. Deswegen ist unser Vorschlag: das Netz in eine Hand, den Netzbetrieb in den Wettbewerb.

Frage: Beispielsweise im medizinischen Bereich, wo ganz viel privatisiert wurde, klappt das aber nicht so gut. Der medizinische Sektor war nach Ausbruch der Pandemie kurz vor dem Kollaps. Aber bei der Bahn wird das funktionieren?

Wissing: Die Bahn ist jedenfalls ein Unternehmen, dessen Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit sehr zu wünschen übriglässt und es ist für viele sehr unattraktiv, wenn sie nur vielleicht pünktlich zu ihrem Termin kommen. Da muss die Bahn besser werden und das weiß sie auch.

Frage: Wann gibt es eigentlich flächendeckend Handyempfang in Deutschland?

Wissing: Das Problem beim Mobilfunk ist, dass man die Lizenzen versteigert, die Erlöse für den Staat vereinnahmt und dadurch einen sehr langsamen Netzausbau in Kauf genommen hat. In anderen Ländern funktioniert das viel besser. Da hat der Staat gesagt, ihr bekommt die Lizenzen verbunden mit einer Ausbauverpflichtung. Im deutschen Modell aber entziehen sie dem Unternehmen erst einmal viel Geld, das sie nicht für Investitionen zur Verfügung haben. Die Probleme beim Mobilfunkausbau hat der Staat organisiert.

Frage: Das Problem mit der verschlafenen Digitalisierung ändert sich mit der FDP an der Regierung künftig?

Wissing: Ja! Wir können so nicht weitermachen. Wir brauchen eine moderne Verwaltung, die den Anforderungen entspricht, die die Bürger heute haben. Wir haben das zuletzt bei den Wirtschaftshilfen in der Pandemie gesehen. Die Länder konnten wählen zwischen schnell und rechtswidrig oder rechtskonform und langsam. So gab es beispielsweise Probleme bei der Auszahlung der Hilfen, weil es nicht möglich war, in kurzer Zeit rechtssicher die Identität des Antragstellers zu prüfen. Das kann nicht der richtige Weg sein. Ein gutes Beispiel ist hier auch Fernunterricht. Den könnten wir dauerhaft nutzen, um Unterrichtsausfall an Schulen zu bekämpfen oder im Bereich der beruflichen Bildung flächendeckend ein Angebot für seltene Ausbildungsberufe zu unterbreiten. Leider gibt es aber jede Menge Probleme mit den Serverkapazitäten, dem Datenschutz, untauglichen staatlichen Online-Angeboten und mit vielem mehr. Obwohl wir momentan im Bildungsbereich wirklich schwierigste Zustände haben, eine Generation mit riesigen Bildungslücken produzieren, hört man von unserer Bundesbildungsministerin exakt nichts.

Frage: Herr Wissing, sind Sie geimpft?

Wissing: Ja.

Frage: Sie sind hier im Land der niedrigsten Impfquote. Was sagen Sie Impfkritikern?

Wissing: Ich kann allen nur raten, sich zu informieren und auch Vertrauen zu haben in die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Wir können dankbar sein, dass wir einen so fortgeschrittenen Stand der medizinischen Wissenschaft haben und dass die Impfung für uns Freiheit und Schutz bietet. Meines Erachtens gibt es sehr gute Gründe für die Impfung, wenn nicht ein Arzt im Einzelfall davon abrät. Weiter müssen wir auch stärker auf das Urteil von Wissenschaft und Fachleuten vertrauen. Wenn jeder jedem misstraut, können wir unser Wissen nicht teilen. Aber ich finde auch, dass der Impfstoff viel zu spät nah und unkompliziert an die Menschen herangebracht wurde.

Frage: Ungeimpften drohen ab Herbst Nachteile. Steuern wir auf eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zu?

Wissing: Die Politik hat den Auftrag, das zu vermeiden. Wir müssen jedem ein niederschwelliges Impfangebot machen. Dort, wo die Skepsis zu groß ist, müssen wir mehr aufklären. Da muss sich die Politik in der Verantwortung sehen und deshalb appelliere ich auch für mehr Werbung, mehr Motivation. Man könnte in Testzentren beispielsweise auch als Alternative eine Impfung anbieten. Natürlich ist es so, dass wir nicht auf Dauer die Tests finanzieren können, aber ich halte es jetzt noch für zu früh, auf kostenlose Tests zu verzichten, weil sie auch ein Beitrag sind, dass Infektionsgeschehen transparent zu machen und es unter Kontrolle zu halten. Am Ende brauchen wir eine ausreichend hohe Impfquote, um sicher sagen zu können, dass die Gesellschaft nicht durch eine Überlastung des Gesundheitssystems an ihre Grenzen geführt wird.

Frage: Stadien, Konzerte, Reisen: Sollte Ihrer Meinung nach für Geimpfte die volle Normalität zurückkehren?

Wissing: Wenn es keinen Grund gibt, Grundrechte einzuschränken, dürfen sie nicht eingeschränkt werden. Wenn die Impfung ausreichenden Schutz bietet, müssen die Grundrechte auch uneingeschränkt wieder ausgeübt werden können.

Frage: Kommt ein neuer Lockdown auf uns zu?

Wissing: Ich war etwas irritiert darüber, zu erfahren, dass die Bundesregierung gar keine sicheren Erkenntnisse über die genaue Impfquote hat. Wir müssen so schnell wie möglich eine ausreichende Durchimpfung haben, damit der Lockdown nicht nötig wird. Ich glaube, dass wir angesichts der derzeitigen Infektionszahlen und der Hospitalisierungsquote keinen neuen Lockdown brauchen. Der Staat hat nicht die Aufgabe, jede Virusinfektion zu vermeiden, das kann er auch gar nicht. Es geht immer um die Vermeidung einer Situation, in der Menschen, die medizinische Unterstützung brauchen, diese nicht bekommen können. Deshalb muss man auch immer die Hospitalisierung und die Auslastung der Intensivbetten mit berücksichtigen.

Frage: Die FDP will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusammenkürzen. Muss der Deutsche bald auf den ZDF-Fernsehgarten oder den Tatort verzichten?

Wissing: Nein, das muss er nicht. Die FDP sagt, wir müssen alle staatlichen Strukturen und alle öffentlichen Einrichtungen immer auf ihre Effizienz hin überprüfen und die Gespräche, die ich mit den Verantwortlichen vom öfftl.-rechtl. Rundfunk geführt habe, waren sehr konstruktiv. Viele sehen auch, dass der Reformdruck der FDP auch ein Schutz der Öffentlich-Rechtlichen sein kann. Die Frage, ob der Kernauftrag noch ausreichend im Vordergrund steht, ist doch berechtigt. Auch die Frage, ob der Unterhaltungsbereich nicht eine viel zu große Rolle spielt, muss man stellen. Bei der Unterhaltung ist die Zwangsfinanzierung über Gebühren vielen ein Dorn im Auge.

Frage: Den öffentlich-rechtlichen Sendern wird in Social-Media-Kommentarspalten oft eine linke Tendenz unterstellt. Wie sehen Sie das?

Wissing: Ich finde es gut, dass es in den Sozialen Medien und der öffentlichen Debatte auch eine kritische Betrachtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ob seiner politischen Neutralität gibt. Ich glaube, dass genauso wie Politiker, die einen öffentlichen Auftrag erfüllen, auch Journalistinnen und Journalisten sich dieser Debatte stellen müssen. Aber als Parteipolitiker bin ich nicht in der Position, dass ich darüber urteilen sollte, wer letztlich politisch neutral ist.

Frage: Zum Schluss zurück zur Wahl. Welchen Ministerposten streben Sie an?

Wissing: Ich habe sehr großen Respekt vor politischen Ämtern. Ich ruhe in dieser Frage deshalb in mir selbst und gehöre nicht zu denjenigen, die sich vor Wahlen mit solchen Fragen beschäftigen.

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