VOGEL-Interview: Ich habe den Ehrgeiz, so zuzulegen, dass Rot-Rot-Grün rechnerisch ausgeschlossen ist

VOGEL-Interview: Ich habe den Ehrgeiz, so zuzulegen, dass Rot-Rot-Grün rechnerisch ausgeschlossen ist

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Johannes Vogel gab der „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Montag) und „Rhein-Neckar-Zeitung Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Klaus Welzel:

Johannes Vogel
Johannes Vogel, Generalsekretaer der FDP in Nordrhein-Westfalen, im Portrait. Europa, Deutschland, Nordrhein-Westfalen, Koeln, 16.07.2017

Frage: Herr Vogel, Sie haben einst für Joschka Fischer Plakate geklebt. Was hat Ihnen am ehemaligen Bundesaußenminister denn imponiert?

Vogel: Es ging mir nicht um Joschka Fischer. Das war in der Endzeit Helmut Kohls. Ich hatte damals – als Jugendlicher mit 15 – das Gefühl, dass sich etwas in der Politik ändern muss. FDP und Grünen gefielen mir beide in der Gesellschaftspolitik. Aber da die FDP damals den Stillstand als Teil der Koalition mitverantwortete, ging ich zuerst zu den Grünen und unterstützte diese für kurze Zeit. Wir erleben ja gerade erneut eine solche Phase des Stillstands am Ende einer langen Kanzlerschaft. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass Angela Merkel nicht mehr antritt – anders als Helmut Kohl damals.

Frage: Keine Reue?

Vogel: Ich bin absolut im Reinen mit mir, auch rückblickend. Es folgten ja ein gesellschaftspolitischer Aufbruch etwa bei Staatsbürgerschaftsrecht und Gleichstellung und später mutige wirtschaftliche Reformen mit der Agenda 2010. Die Grünen haben mich mit ihren wirtschaftspolitischen Einstellungen allerdings schnell nicht mehr überzeugt – beim Blick auf soziale Marktwirtschaft, Erfindergeist und Unternehmertum sind sie sehr links und das ist bis heute so geblieben. Deshalb habe ich mich dann intensiver mit Julis und FDP befasst und dort wiedergefunden.

Frage: Der FDP wird immer vorgeworfen, sie sei eine Ein-Mann-Partei. Telefonieren Sie denn täglich mit Christian Lindner und sprechen sich ab?

Vogel:  (lacht) Nein. Wir stimmen uns natürlich eng ab, aber täglich telefonieren wir nicht.

Frage: Gibt es eine WhatsApp-Gruppe des Bundesvorstandes – oder etwas Vergleichbares?

Vogel: Also, ich will den Hackern dieser Welt natürlich nicht unsere Plattformen verraten. Aber wir haben natürlich Messenger-Kommunikation sowohl in der Partei als auch in der Fraktion.

Frage: Kann ich davon ausgehen, dass Sie US-amerikanische Server meiden?

Vogel: Sie können davon ausgehen, dass unser Datenschutzexperte Manuel Höferlin aus Rheinland-Pfalz uns einen sehr sicheren Anbieter gesucht hat, der keine amerikanischen Server nutzt. Es wäre natürlich schön, wenn wir in der Politik in den letzten Jahren die Rahmenbedingungen geschaffen hätten, um hier eine größere Auswahl zu haben. Aber sichere Messenger gibt es in Europa allemal …

Frage: … eigentlich nur zwei, die auf US-Server verzichten und als zuverlässig gelten.

Vogel: …. Einer mit T und einer mit W.

Frage: Sie lebten 2014 für mehrere Monate in China. Was hat China uns denn voraus?

Vogel: Strategischen Langmut – und das fordert uns heraus. Ich war dort in der Frühphase von Xi Jinping, da war noch nicht absehbar, wie sehr er noch einmal die Natur des Regimes verändern und die Unfreiheit im Land vergrößern würde. In China funktioniert im Moment noch Top-Down-Innovation, bei der die Vorgaben von oben kommen – bei KI, also bei Künstlicher Intelligenz, kommen die voran. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass trotzdem auf lange Sicht die Bottom-Up-Kreativität, die eine freie Gesellschaft und Wirtschaft von unten antreibt, überlegen ist. Ich glaube, dass das Klima der Angst und der Parteieinfluss auf Unternehmen dort am Ende Innovationskraft kosten wird. Aber den Langmut, den müssen wir als Herausforderung sehr ernst nehmen.

Frage: Ein Beispiel?

Vogel: Wir hatten am Sonntag ein TV-Triell und die drei Mega-Trends, die uns über Jahrzehnte herausfordern, lauten Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demographie. Bei zwei von dreien wurde nicht eine Minute für Lösungsgedanken verwendet.

Frage: Das liegt ja auch an den Moderatoren.

Vogel: Das stimmt, aber Kandidatinnen und Kandidaten können auch selbst Themen einbringen. Im Grunde gilt die Kritik aber nicht den Kandidierenden, sondern dem bisherigen Modus der Politik. In der Ära Merkel wurde immer nur bis zum Ende der Legislaturperiode gedacht und nicht in Jahrzehnten. Aktuell haben uns genau das die Chinesen voraus. Wir können das auch, müssen diesen Mut zu neuem Denken aber aufbringen. Bemerkenswerterweise inszeniert sich Olaf Scholz ja mit der Raute habituell als das Gegenteil.

Frage: Mussten Sie damals an der Grenze Ihr Smartphone dem chinesischen Grenzbeamten geben?

Damals war das noch nicht so. Aber wenn ich dort reise, lasse ich meine digitalen Geräte nie irgendwo liegen, ich habe sie immer am Mann.

Frage: Die Liberalen haben in den Umfragen einen Lauf – und den ganz sicher zu Lasten der CDU. Was macht Unionskanzlerkandidat Armin Lachet aus Ihrer Perspektive denn falsch?

Vogel: Ich verstehe die journalistische Frage, aber ich werde der Versuchung nicht erliegen, dem politischen Wettbewerber Hinweise zugeben. Im Übrigen werben wir um Wählerinnen und Wähler im Wettbewerb mit Union, SPD und Grünen. Unsere Kampagne läuft jedenfalls. Ich finde, dass bei dem Triell deutlich wurde, welche Stimme fehlt – nämlich die der Freien Demokraten. Ich denke etwa an das Thema Demografie und Rente, dazu will die CDU nix und SPD und Grüne das falsche. Die Union hat eine einzige Seite im Wahlprogramm mit drei Prüfaufträgen, SPD und Grüne wollen hingegen die Rentenpolitik der GroKo fortsetzen. Da lohnt es, unsere Konzepte im Wahlkampf deutlich sichtbar zu machen.

Frage: Laut Forschungsgruppe Wahlen haben Sie drei Koalitionsmöglichkeiten. Sind die aus Ihrer Sicht alle drei realistisch?

Vogel: Ich freue mich natürlich über diese Entwicklung. Und ich stelle fest, dass Schwarz-Grün aktuell keine Mehrheit mehr hat. Vor etwas mehr als drei Wochen, das ist in etwa die Zeitspanne, die wir jetzt noch bis zur Wahl haben, war das noch anders. Das zeigt, dass alles noch in Bewegung ist und wir noch jede Menge Chancen haben bis zum Wahltag. Aktuell hat Rot-Rot-Gün ja auch eine Mehrheit. Ich habe den Ehrgeiz, mindestens noch so zuzulegen, dass auch Rot-Rot-Grün rechnerisch ausgeschlossen ist.

Frage: Ist die Union der ideale Koalitionspartner im Bund oder reicht Ihre Fantasie auch für eine Ampel-Koalition aus?

Vogel: Bei der Union stellt sich die Frage, wie groß der Mut zur Modernisierung ist. Bei SPD und Grünen droht im Hochsteuerland Deutschland hingegen eine weitere Erhöhung der Steuern, sogar in der Substanz bei den Unternehmen, statt diese für Aufschwung und Investitionen zu entlasten. Die SPD kann sich außenpolitisch nicht einmal dazu durchringen, bewaffnete Drohnen zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten zu beschaffen – deswegen trat ja auch deren verteidigungspolitischer Sprecher zurück. Die Grünen lehnen CETA, das Freihandelsabkommen mit Kanada, ab, obwohl wir freien Handels brauchen. Also, es gibt Unterschiede zu allen Parteien. Ich kümmere mich erstmal darum, dass wir jetzt möglichst stark werden und da macht es schon einen Unterschied, ob wir am Ende mit 10, 12 oder 14 Prozent in Koalitionsverhandlungen gehen. Dass wir nur in eine Regierung gehen, wenn Richtung und liberale Handschrift stimmen, haben wir ja 2017 bewiesen.

Frage: Damals sagte Christian Lindner, lieber nicht regieren, als falsch regieren. Welches sind denn die Essential, damit Sie aus ihrer Sicht nicht falsch regieren müssen?

Vogel: Eines hat Christian Lindern schon benannt: Mehrbelastungen der Bürgerinnen und Bürger sind mit uns nicht drin, schon gar nicht, die Substanz von Unternehmen zu besteuern. Ansonsten beschäftigen uns die Megatrends, über die wir eben sprachen. Hier müssen wir langfristig denken, planen und echte Reformen vorantreiben!

Frage: Sie arbeiteten drei Jahre lang bei der Agentur für Arbeit in Wuppertal – eine Gemeinsamkeit mit Dirk Niebel, dem einstigen Entwicklungsminister, der für den Wahlkreis Heidelberg im Bundestag saß. Welche weiteren Gemeinsamkeiten sehen Sie zwischen sich und Niebel?

Vogel: Die Bewertung überlasse ich Ihnen. Einen Unterschied gibt es allerdings: Er wollte die BA abschaffen, ich nicht (lacht).

Er steht ja für eine andere FDP. Er war Fallschirmspringer, Sie machten Ihren Zivildienst als Rettungssanitäter – beschreibt das den Umbruch von der alten zur neuen FDP ganz gut?

Vogel: Ich beschreibe mal die FDP, für die ich stehe: Aufstiegsversprechen, Chancengerechtigkeit und gesellschaftliche Freiheit, Marktwirtschaft, Unternehmertum und Offenheit für Neues – das macht uns stark und ist sehr attraktiv für viele Menschen. Wir bewegen uns ja gerade auf ein neues Parteiensystem zu mit drei bis vier mittelgroßen Parteien und da glaube ich, dass wir als FDP große Chancen haben. Das bedingt natürlich auch, dass man strategisch unabhängig in Wahlen geht und sich allein über Inhalte definiert – und das ist dann vielleicht auch ein Unterschied zu der Zeit, als Dirk Niebel Verantwortung getragen hat. Das heißt natürlich trotzdem, dass uns die Union bei vielen Themen auf Bundesebene programmatisch nähersteht als SPD oder Grüne.

Frage: Werden Sie Angela Merkel vermissen?

Vogel: Ihren Humor, ihre enorme geistige Schnelligkeit, auch ihre Souveränität auf dem internationalen Parkett – ja. Ihr Politikmodus? Nein. Denn genau das, was die Ära Merkel ausmacht, Politik nur als Krisenreaktion zu begreifen, immer nur auf Sicht zu fahren, ist das, was zu den aktuellen Problemen geführt hat. Denn die großen Fragen der Zukunft sind von ihr nie richtig angepackt worden.

 

 

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