Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner hielt auf dem diesjährigen Dreikönigstreffen der Freien Demokraten in Stuttgart folgende Rede:
Ein gutes neues Jahr, meine Damen, meine Herren, ich wünsche Ihnen Glück und Gesundheit für Ihre Familien und für Sie selbst!
Die Pandemie hat vielen ein Gefühl von Ohnmacht vermittelt. Vielfach hat der Staat in unsere freien Lebensentscheidungen eingegriffen. Wir sind aber keine Objekte unseres Schicksals, sondern wir sind Gestalterinnen und Gestalter unseres Lebens. Und deshalb wünsche ich Ihnen und uns allen für dieses Jahr 2022 auch Zuversicht und Tatkraft. Sie sehen es, auch in diesem Jahr wieder ein leerer Saal. Auch in diesem Jahr wieder nur ein digitales Dreikönigstreffen. Ein liberaler Jahresauftakt ohne das Publikum, ohne die Bürgerinnen und Bürger, auf die wir uns immer zu Beginn eines Jahres so freuen.
Aber der erste Eindruck, dass in diesem Jahr wieder alles so wäre wie im vergangenen, würde täuschen. Es entscheiden jetzt über Grundrechtseingriffe zur Bekämpfung der Pandemie wieder die Parlamente in Bund und Ländern. Eine Veränderung, die sich übrigens in besonderer Weise auch mit dem Namen des neuen Justizministers Marco Buschmann verbindet. Es gibt, anders als im vergangenen Jahr, auch keine pauschalen, flächendeckenden Schließungen, keinen Lockdown in unserem Land. Es hat sich also etwas an der Krisenstrategie verändert.
Unmittelbar nach der Bundestagswahl kamen mit Blick auf den Winter Rufe, etwa aus der Union, nach neuen Lockdown-Maßnahmen auf. Der Ministerpräsident des Saarlandes hat Ausgangssperren ins Gespräch gebracht. Die neue Bundesregierung indessen hat eine andere Krisenstrategie geprägt. Wir haben die zuvor abgeschafften Bürgertests, die kostenfreien Testmöglichkeiten, wiedereingeführt. Wir haben im Alltag mit 3G- und 2G-Regeln den Hygieneschutz verbessert. Wir haben maßvolle Kontaktbeschränkungen eingeführt, die aber viel gesellschaftliches Leben erhalten. Wir haben einen Krisenstab mit einem General an der Spitze installiert, der einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass wir in Deutschland die erfolgreichste Booster-Kampagne Europas haben. Mit all diesen Maßnahmen ist es gelungen, die vierte Welle zu bewältigen, ohne unser Gesundheitssystem zu überfordern.
Ja, wir Freie Demokraten sind dafür auch kritisiert worden. Aber kann man eigentlich die Bedeutung einer liberalen Regierungspartei deutlicher unterstreichen, als wenn man ihr vorwirft, eine besondere Sensibilität für Freiheit und für die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen zu haben?
Nun steht uns mit Omikron eine neue Herausforderung bevor. Eine Herausforderung, von der wir noch nicht im Einzelnen wissen, welches Risiko von ihr ausgeht, welche Auswirkungen sie haben wird. Deshalb empfehlen sich jetzt weiter Vorsicht und Aufmerksamkeit. Es ist zu befürchten, dass auch in Deutschland, wie bei unseren europäischen Partnern und Freunden, sich binnen kurzem die Infektionszahlen drastisch erhöhen werden. Deshalb kann das Infektionsgeschehen und seine Gefährlichkeit auch nicht nur anhand der Neuinfektionen bewertet werden. Wir müssen im Blick behalten, was das eigentliche Ziel ist: Die Überforderung unseres Gesundheitssystems abzuwenden. Wiederum sind nun maßvolle Beschränkungen erforderlich.
Es gibt Veränderungen bei den Quarantäneregeln. Wir werden in unserem Alltag mehr Abstand halten müssen. Aber für uns Freie Demokraten bleibt das Ziel, an einer Strategie mit maßvollen Kontaktbeschränkungen, einer großen Anstrengung beim Impfen und bei der Auffrischung von Impfungen festzuhalten und Lockdowns, die Schließung von Schulen, von Betrieben weitgehend zu verhindern. Ich verstehe, dass es Stimmen gibt, etwa aus der Union, die vor der Pandemieentwicklung große Sorge haben. Diese Sorge teilen wir auch. Wir sehen auf der anderen Seite aber auch, wie viele Menschen Angst haben vor Vereinsamung. Wie viele Menschen Angst haben, ihr Grundrecht auf Bildung oder das ihrer Kinder nicht mehr verwirklicht zu sehen. Menschen, die Angst haben vor der Gefährdung oder dem Verlust ihrer wirtschaftlichen Existenz.
Weiterhin geht es uns Freien Demokraten deshalb darum, den konsequenten Gesundheitsschutz einerseits mit möglichst viel gesellschaftlicher Freiheit andererseits zu erhalten. Der Schutz der Gesundheit ist ein hohes Gut, aber das höchste Gut unserer Verfassung, das ist und bleibt die Freiheit. Für die Impfpflicht, die gegenwärtig diskutiert wird, gilt dasselbe: Sie ist ein empfindlicher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Menschen. Und deshalb ist es nur natürlich und nachvollziehbar, dass es innerhalb einer liberalen Partei, einer liberalen Fraktion, wie in der Gesellschaft insgesamt, unterschiedliche Abwägungen dazu gibt. Es ist eine Initiative der FDP gewesen, darauf zu achten, dass diese sehr grundlegende Abwägung nicht entlang von Partei- oder Fraktionslinien getroffen wird, sondern dass diese Abwägung im Deutschen Bundestag in einer offenen Debatte auf der Basis der individuellen Gewissensentscheidung getroffen wird. Ich halte das auch für einen Beitrag zur Versöhnung der Gesellschaft insgesamt.
Wenn deutlich wird, dass die Politik es sich nicht zu leicht macht, dass nicht parteipolitische Erwägungen eine Rolle spielen, sondern dass die ethische Abwägung im Zentrum steht. Und dass auch neue Erkenntnisse und Veränderungen der Lage eine Rolle bei der Entscheidung spielen. Ich habe heute Morgen gehört, dass aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gefordert wird, die Ampelkoalition müsse nun einen eigenen Gesetzesentwurf für eine allgemeine Impfpflicht vorlegen. Ich habe verschiedentlich gesagt, dass die FDP als gegenwärtig einzige handlungsfähige Partei der bürgerlichen Mitte auch Anliegen der CDU/CSU und ihrer Wählerinnen und Wähler mit berücksichtigen wird. Dieses Anliegen aber können wir nicht erfüllen. Es bleibt bei einer offenen Debatte im Deutschen Bundestag und einer Entscheidung auf der Basis von Gruppenanträgen. Die FAZ hat dazu am gestrigen Tag geschrieben, mit ihrer Nachdenklichkeit erweise die FDP der Demokratie insgesamt einen Dienst. Denn diese Offenheit des Meinungsaustausches steht ja auch stellvertretend für die Gesellschaft insgesamt. Und wer weiß, vielleicht ist am Ende auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankbar, dass eben nicht anhand von Fraktionslinien entschieden wird, sondern auf der Basis von Gruppenanträgen? Denn wer kann wissen, ob es nicht auch innerhalb der CDU CSU-Bundestagsfraktion dieselbe Nachdenklichkeit gibt, wie bei den Freien Demokraten?
Hier hat eben mein Freund Bijan Djir-Sarai seine erste Rede als Generalsekretär unserer Freien Demokratischen Partei gehalten. Lieber Bijan, es ist ein herausforderndes, aber natürlich auch ein großartiges Amt, das du übernimmst. Unsere Partei weiterentwickeln zu können einerseits, aber andererseits mitzuwirken daran, dass die FDP als eigenständiger Faktor der politischen Landschaft in Deutschland erkennbar bleibt, auch in einer im Bund begründeten Ampel-Koalition. Du hast selbst gerade auf deine Biografie hingewiesen. Darauf, dass du in Teheran geboren worden bist und dass man dir nichts erzählen müsste über die existenzielle Bedeutung des Werts der Freiheit. Meine Damen und Herren, ich bin stolz darauf, dass mit Bijan Djir-Sarai eine weitere Persönlichkeit sichtbar wird, die die Bandbreite der Freien Demokraten, ihrer Themen und Werte repräsentiert.
Ich bin stolz darauf, dass eine Persönlichkeit, die diesen Weg gegangen ist, nun mit an der Spitze unserer Freien Demokratischen Partei steht. Uns verbindet die Liebe zur Freiheit. Lieber Bijan, der Weg in die Mitte der Gesellschaft und in unsere politischen Aufgaben, der könnte bei uns beiden nicht unterschiedlicher sein. Vielleicht ist das Ausdruck der Vielfalt der FDP. Ganz sicher ist es aber Ausdruck der Vielfalt unserer Gesellschaft. Deshalb ist dein Impuls richtig. Dass wir in diesem Jahrzehnt mit einer neuen gestalterischen Bundesregierung die Gesellschaftspolitik zu einem Modernisierungsschwerpunkt machen: Da geht es um Fragen der bürgerlichen Freiheitsrechte, da geht es um die Frage unseres Zusammenlebens, da geht es um Fragen des Familienrechts.
Aber es geht auch, Bijan hat das zu Recht angesprochen, um die Frage, wie wir mit Einwanderung in unsere Gesellschaft umgehen. Wir können bereichert werden durch Menschen, die zu uns kommen. Bei denen wir nicht danach fragen, wo ihre Herkunft ist, sondern welchen Platz im Leben sie einnehmen wollen. Ob sie unsere Werte teilen. Viel zu lange hat Deutschland sich der Realität einer Einwanderungsgesellschaft nicht gestellt. Das, was frühere Regierungen der Ampel als politisches Erbe übertragen, das ist ein Rudiment der Gestaltung von Einwanderung nach Deutschland.
Auf der einen Seite schieben wir bisweilen die Falschen ab. Nämlich gerade diejenigen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben, integriert zu werden, die erste Schritte bei Qualifikation oder auch in den Arbeitsmarkt gegangen sind. Auf der anderen Seite können wir aber jene, die Straftäter oder Gefährder sind, die also unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Regeln des Miteinanders nicht achten, oft eben nicht nach Hause senden. Das ist der Status quo. Deshalb brauchen wir eine neue Einwanderungspolitik in Deutschland, die sich öffnet für die qualifizierte Einwanderung. Die auch die humanitäre Verantwortung unseres Landes im Blick behält.
Das ist ein Projekt dieser neuen Ampel-Koalition: Eine offene, tolerante Gesellschaft, die sich bereichert fühlt, wenn Menschen, die unsere Werte teilen, bei uns ihr Glück suchen wollen. Als Verantwortungsethiker wissen wir Freie Demokraten aber eines: Die Voraussetzung für eine neue Offenheit ist die Kontrolle über den Zugang nach Deutschland. Eine neue, auch liberal geprägte Einwanderungspolitik, muss also auf der einen Seite die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Menschen unbürokratisch zu uns kommen können. Auf der anderen Seite muss sie aber stärker darauf setzen, dass jene, die keinen Platz bei uns haben, auch wieder in ihre alte Heimat zurückgeführt werden können.
Ich weiß, dass viele die Erwartungen haben, dass sich insbesondere bei der humanitären Zuwanderung nach Deutschland viel tut. Ich weiß, dass das ein Anliegen unserer Freunde von Bündnis 90/Die Grünen ist. Aber klar muss sein, dass diese Bereitschaft zu mehr humanitärer Verantwortung untrennbar verbunden bleiben muss damit, dass Deutschland tragfähige und in der Praxis funktionierende Rückführungs- und Migrationsabkommen mit anderen Staaten schließt. Wer also jetzt schnell Fortschritte erzielen will bei qualifizierter Einwanderung und humanitärer Zuwanderung, muss in gleicher Weise jetzt Tempo machen bei der Frage, wie wir zu diesen tragfähigen Migrationsabkommen kommen können. Mein Vorschlag ist, dass wir sehr rasch in den nächsten Wochen den im Koalitionsvertrag vorgesehenen Sonderbeauftragten für die Abschließung solcher Migrationsabkommen benennen, als wichtigen Baustein einer neuen Einwanderungspolitik für unser Land.
Bei deiner Rede, Bijan, habe ich mich daran erinnert, dass ich hier vor 12 Jahren meine erste Rede als Generalsekretär gehalten habe. Mein Schwerpunktthema damals war die Erneuerung des sozialen Aufstiegsversprechens unserer Gesellschaft. Wir Liberale haben großen Respekt vor den Menschen, die es im Leben schon zu etwas gebracht haben. Großen Respekt vor den Menschen, die sich etwas erarbeitet haben, die ihre Frau, ihren Mann im Leben stehen können. Aber unser Herz und unsere Leidenschaft, die gelten denen, die überhaupt noch etwas erreichen wollen, die sich erst noch auf den Weg machen wollen, die ihre Chance suchen. Für die Starken und Etablierten haben wir Anerkennung, aber die brauchen nicht zwingend die Unterstützung von uns Freien Demokraten, die sind ja bereits etabliert. Aber diejenigen, die sich erst auf den Weg machen, jene brauchen eine Lobby. Die Einsteiger, die Aufbrecher, die Außenseiter, die Newcomer, die Start-ups, für die machen wir uns stark.
Und wenn ich jetzt zurückdenke an die Rede vor 12 Jahren, da ging es um die Ungerechtigkeiten im Hartz-IV-System bei denjenigen, die sich etwas hinzuverdienen wollen. Da ging es um das Bildungssystem, dass in Deutschland leider so stark wie nahezu nirgendwo im Bereich der entwickelten Gesellschaften die Herkunft aus dem Elternhaus, also der Zufall der Geburt, über den Platz entscheidet, den man im Leben einnimmt. Für mich sind das die eigentlichen Gerechtigkeitsskandale in Deutschland: Dass jemand, der bedürftig ist, sich aber nicht nur auf die Solidarität der Gesellschaft verlassen will, sondern etwas erarbeiten möchte, dass der durch unseren Sozialstaat teils demotiviert wird. Für mich ist eine der größten Herausforderungen sozial gerechter Politik, dafür zu sorgen, dass die Herkunft aus dem Elternhaus eben nicht mehr entscheidend ist für den Platz, den man im Leben einnimmt, sondern Talent und Fleiß und Risikobereitschaft, also Leistungsorientierung.
Jetzt, 12 Jahre später, darf ich als Vertreter einer Regierung sprechen, die sich genau diese Themen zu einem Schwerpunkt gewählt hat. Mit Bettina Stark-Watzinger, unserer liberalen Bildungs- und Forschungsministerin, die als eine der ersten Initiativen eine Reform des Bafög angekündigt hat, weil das Einkommen der Eltern nicht mehr entscheidend sein soll für die Möglichkeit der Kinder, ein Studium aufzunehmen. Die sich vorgenommen hat, Talentschulen einzurichten, dort, wo die sozialen Herausforderungen besonders groß sind. Die die Digitalisierung der Schulen vorantreiben will. Ich glaube, die beste soziale Politik ist nicht die, die dann interveniert, wenn Menschen bedürftig geworden sind, sondern die beste soziale Politik ist jene, die in die Chancen und Köpfe der Menschen investiert. Das ist die sozialste Politik, die wir machen können. Das ist eine Bildungspolitik, die Menschen befähigt, die Souveränität über ihren eigenen Lebenslauf auch tatsächlich auszuüben.
Seit vielen Jahren sprechen wir auch über ein Konzept, das wir Bürgergeld nennen. Eine Reform unseres Sozialtransfersystems. Auch das ist nun im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Freien Demokraten angelegt. Es geht uns darum, die Lebenssituation im Falle der Bedürftigkeit angemessen abzusichern. Aber vor allen Dingen wollen wir wertschätzen, wenn Menschen sich aus der Situation der Bedürftigkeit durch eigene Anstrengungen befreien wollen.
Wir wollen erleichtern, dass Menschen sich qualifizieren. Jeden von uns kann ein Schicksalsschlag treffen. Ein Arbeitsplatz fällt weg, eine Qualifikation ist nicht mehr aktuell nachgefragt. Eine solche Situation darf aber für niemanden eine Sackgasse werden, aus der man sich nicht mit Einsatz und gutem Willen befreien kann. Und deshalb ist dieses Modell, das Bürgergeld, eine große Chance für unser Land, für die Erneuerung des sozialen Aufstiegsversprechens. Den Menschen Mut zu Machen, sich Schritt für Schritt aus der Bedürftigkeit herauszuarbeiten durch Veränderungen etwa von Zuverdienstgrenze bei Midi- und bei Minijobs, durch passgenaue Qualifikationsangebote für jene, deren Ausbildung nicht mehr einen Arbeitsplatz in Gegenwart und Zukunft sichert.
Wissen Sie, meine Damen und Herren, so verstehen wir auch den Gedanken des Respekts, der in der neuen Regierungspolitik angelegt ist. Dazu hat jeder der Partner einen eigenen Zugang. Unser Zugang wird vielleicht am besten mit meiner Lieblingsanekdote von John F. Kennedy beschrieben: Es trug sich zu, dass John F. Kennedy einst den Weltraum-Flughafen von Cape Canaveral besuchte, und Kennedy ging mit einer großen Delegation von Astronauten, Wissenschaftlern und Spitzenbeamten über das Gelände. Dann kam er in einem Hangar vorbei, eine riesenhaften Halle mit einem Boden, in dem man sich spiegeln konnte, in der Mitte dieser menschenleeren großen Halle. Da war ein einzelner Mann, der offenbar den Boden bohnerte. Und der damalige amerikanische Präsident Kennedy löste sich von seiner Delegation und ging zu diesem Mann, der den Boden bohnerte, der kein Astronaut, kein Wissenschaftler war, kein Spitzenbeamter, und Kennedy fragte diesen Mann, was er denn dort tue. Den Mann, der bohnerte. Und dieser Mann sagte daraufhin: “Mister President, einen Mann auf den Mond bringen.” Weil er sich als Teil eines größeren Ganzen verstanden hat. Der seinen im Rahmen seiner Möglichkeiten stehenden Beitrag leistet, zu einem großen Ziel. Und das ist eben unser Verständnis von Respekt in einer vielfältigen Gesellschaft. Der Respekt, wie wir Freie Demokraten ihn verstehen, bemisst sich nicht an Subventionen oder Umverteilungsmaschinerien, sondern an der Anerkennung jedes Bemühens. Der bemisst sich an der Anerkennung des individuellen Beitrags, den jemand zum Gelingen unserer Gesellschaft beitragen möchte. Das ist eine große Aufgabe für uns. Die Erneuerung des Aufstiegsversprechens unserer Gesellschaft wäre auch ein Weg in eine Gesellschaft, die über mehr Liberalität verfügt.
Wir stehen an der Schwelle zu einer wirtschaftlichen Erneuerung. Die Technologien, die uns heute den Wohlstand garantieren, sind alle deutlich mehr als 100 Jahre alt. Wir stehen vor einer grundlegenden Veränderung auf der Weltbühne. Wir merken es bei der Fragilität der Lieferketten in technologischer Hinsicht. Die disruptiven Technologien wie die Künstliche Intelligenz und die Digitalisierung sind bekannt. Aber diese Veränderungen sieht man auch hinsichtlich der Notwendigkeit des Klimaschutzes. Ich habe in den letzten Tagen in meiner neuen Aufgabe bereits viele Gespräche führen können. Sie wissen, und es ist schon erwähnt worden, Deutschland übernimmt ja in diesem Jahr die Präsidentschaft der G7-Staaten, also der entwickelten Industrienationen. Viele Gespräche habe ich geführt mit Kolleginnen und Kollegen in Regierungsämtern. Aber auch mit Spitzenvertretern der internationalen Wirtschaft und des Kapitalmarktes. Mehr denn je bin ich davon überzeugt, dass der Klimaschutz kein Nischenthema ist, sondern ein Wohlstands- und Wachstumsthema. Ein Thema, das nicht in die Nische gehört, sondern ins Zentrum unserer Anstrengungen. Ich gehe so weit zu sagen, dass unser Tempo und die Qualität der Technologie beim Klimaschutz über unsere zukünftige Wettbewerbsfähigkeit und unseren Wohlstand entscheidet. Wenn wir saubere Technologien schneller und besser als andere in die Praxis bringen, ist das die Quelle neuer Exportchancen, neuer Beschäftigung und des zukünftigen Wohlstands bei uns.
Wir haben viel private Initiative, private Kenntnisse und privates Kapital in unserem Land. Das wussten wir auch schon vor der Bundestagswahl. Aber was uns hindert, sind oft wir selbst. Weil sehr schnell Bedenken geäußert werden. Weil es sehr schnell Widerstände auch vor Ort gegen neue Anlagen, neue Technologie gibt. Weil wir uns in den vergangenen Jahren ein Gemeinwesen zugelegt haben, das bis ins Hundertste und Tausendste bürokratisch verästelt ist. Eine unserer Schlüsselaufgaben als neue Bundesregierung wird und muss deshalb sein, das vorhandene Kapital, Know-how und die Initiative, den Erfinder- und Unternehmergeist in unserem Land für diese Zukunftsaufgabe zu mobilisieren. Es muss gelingen, mit Tempo und mit Kreativität innovative, saubere Technologien auf die Straße zu bringen und in die Praxis zu bekommen. Das ist die Wohlstandsfrage unserer Gesellschaft. Dessen bin ich mir sicherer denn je.
In Deutschland hat es übrigens eine Transformation in diesem Zusammenhang bereits gegeben seit der Bundestagswahl. Vielleicht ein Schlüssel zum zukünftigen Erfolg. Wenn ich mich an die letzten Monate und Jahre zurückerinnere, wie wurde da über Klimaschutz gesprochen? Mit welcher Konnotation? Mit welchen Maßnahmen, Vorschlägen und Schwerpunkten? Ich weiß nicht, wie Ihr Eindruck ist, meine Damen und Herren. Die Debatte hat sich vollständig verändert. Wer spricht noch vom Tempolimit? Wer spricht noch von kleinteiligen Verboten im Alltag, wie wir das vor wenigen Monaten und Jahren gemacht haben? Heute geht es um Milliardeninvestitionen in unsere technische Infrastruktur. Es geht um Investitionen in innovative Technologie, in Forschung und Entwicklung. Und hier hat sich bereits etwas in der Debatte verändert. Die erste Transformation, die stattgefunden hat, ist die Haltung gegenüber dem Klimaschutz. Aus der Klimadebatte vor der Bundestagswahl, die stark kulturell geprägt gewesen ist, die stark geprägt gewesen ist vom Blick auf individuelle Lebensstile, ist eine Debatte geworden über das Niveau der technologischen und finanziellen Ambitionen beim Klimaschutz. Damit ist es gelungen, wie ich glaube, das Fundament für eine erfolgreiche Bewältigung dieser ökonomischen, technologischen und gesellschaftlichen Herausforderung zu legen.
Der Schlüssel wird jetzt liegen in der Veränderung unserer Energieerzeugung. Wir wollen langfristig den Anteil Erneuerbarer Energien am Mix des Stroms nachhaltig gestalten. Aber wir müssen realistisch sein. Aus einer Vielzahl von Gründen wird dies nicht von heute auf morgen gelingen. Erst recht nicht, wenn Deutschland auf die Kernenergie und die Erzeugung von Energie aus Kohle verzichtet. Wir werden Übergangs- und Zwischentechnologien brauchen. Insbesondere Erdgas wird eine Rolle spielen. Erdgas ist nicht CO2-frei. Aber klimafreundlicher als etwa die Kohle. Deshalb müssen wir uns auf den Weg machen, eine Infrastruktur für Gaskraftwerke, die dereinst auf Wasserstoff umgestellt werden können, zu schaffen. Es wird keine Dauerlösung bleiben können auf unabsehbare Zeit, da auch mit Erdgas die Klimaneutralität nicht zu erreichen ist. Die gegenwärtig sehr hohen Gaspreise sind übrigens eine weitere Indikation dafür, dass eine reine Orientierung auf Erdgas in der Zukunft auch nicht wirtschaftlich wettbewerbsfähig sein könnte. Deshalb kann Erdgas nur eine Brückentechnologie sein.
Übrigens, die hohen Gas- und Energiepreise belasten natürlich auch viele Familien. Gerade für Menschen, die über ein geringes Einkommen verfügen oder auch Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen müssen, obwohl sie arbeiten, ist die Entwicklung der Energiepreise eine echte Belastung. Langfristig haben wir andere Vorstellungen davon, wie wir die Bürgerinnen und Bürger entlasten. Etwa im Bereich der EEG-Umlage, die ab 2023 entfallen soll. Wir sprechen auch über Kompensationen wie ein Klimageld, eine Klimadividende. Aber wir müssen auch kurzfristiger handeln. Deshalb prüft die Bundesregierung, wie wir sehr kurzfristig den Menschen helfen können, bei denen etwa die gestiegenen Heizkosten einen überproportionalen Anteil ihres verfügbaren Einkommens ausmachen. Und ich sage zu, mit den Möglichkeiten, die ich habe, dass wir eine solche solidarische Unterstützung der Menschen, die besonders betroffen sind von den gestiegenen Kosten beim Heizen, dass wir die auch finanzieren werden. Die wir anderen, die das leisten können, wir sind aufgerufen, gerade auch in dieser Zeit, zu dieser Solidarität mit denjenigen, die jetzt in besonderer Weise betroffen sind.
Zurück zur Energiepolitik. Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass der Vorschlag der Europäischen Kommission über die sogenannte Taxonomie die Möglichkeit privater Investitionen in die Gasinfrastruktur offenhält. Mein Wunsch wäre und ich werbe dafür, dass wir die Rahmenbedingungen für Investitionen in die Gasinfrastruktur noch weiter verbessern. Denn wir brauchen dort privates Kapital. Es kann nicht alles nur die öffentliche Hand leisten. Auf der anderen Seite gibt es ja eine scharfe Diskussion über die Bedeutung der Kernenergie. Auch dazu gibt es in diesem Vorschlag der Europäischen Kommission Ausführungen. Für mich ist klar, für uns ist klar: Jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union entscheidet über die Fragen seiner eigenen Energieerzeugung. Und das verdient Respekt. Es gibt Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die sich für die Kernenergie entscheiden. Bei der Bewertung dieser Investitionen aber darf nicht verkannt werden, dass Kernenergie CO2 frei sein mag, aber alles andere als nachhaltig ist. Würde also die nicht nachhaltige Kernenergie nicht auch in den Blick genommen werden hinsichtlich ihrer langfristigen Folgen für die Generation der Enkel, Urenkel, Ururenkel, dann gäbe es eine Wettbewerbsverzerrung gegenüber jenen, die auf klimafreundlich nachhaltige Energiequellen setzen. Deshalb müssen wir darauf achten, dass sich eine solche Wettbewerbsverzerrung aufgrund der Ungleichbehandlung der Nachhaltigkeitsfrage eben nicht ereignet. Wenn Staaten dann in Kenntnis dieser Rahmenbedingungen ihre Investitionsentscheidungen treffen, private Akteure Entscheidungen treffen, dann verdient das Respekt in einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Aber dieses „level playing field“, wie man sagt, das muss bestehen bleiben.
Für Deutschland ist die Kernenergie ohnehin keine Option. Manche träumen davon. Wo aber gibt es eine Bereitschaft für neue Anlagen, wo gibt es private Betreiber? Wo gibt es privates Kapital? Wo gäbe es einen privaten Versicherer, der das Risiko der Kernenergie im Markt versichern würde? Das gelingt nur mit Staatshaftung. Für einen Marktwirtschaftler ist das bereits ein Anzeichen, dass Kernenergie auch ordnungspolitisch nicht vertretbar ist. Eine Energiequelle, die nur etabliert werden kann, wenn der Staat in die Haftung geht, zeigt schon marktwirtschaftlich an, dass es sich nicht um eine nachhaltig verantwortbare Energiequelle handeln kann.
Meine Damen und Herren, wir haben große Ambitionen im Bereich der Transformation. Welch‘ ein gutes Zeichen, dass unser Minister für Digitales und Verkehr, Volker Wissing, als eine der ersten Maßnahmen jetzt nicht gesprochen hat über das Ende von bestimmten Technologien wie dem Verbrennungsmotor. Sondern dass er gesprochen hat über die Alternativen, wie etwa eine flächendeckende Ladesäulen-Infrastruktur und darüber, dass unser Schienennetz und das Angebot, sich mit der Bahn zu bewegen, komfortabler und besser werden soll. Ich finde es gut, dass die FDP sich einsetzt für die Schiene, im Übrigen auch für das Rad, aber eben auch für das Auto. Das unterscheidet eine liberale Mobilitätspolitik vielleicht von dem, was andere vorgetragen haben. Uns geht es nicht um die Privilegierung eines einzelnen Verkehrsträgers. Aber genauso wenig wollen wir die Entscheidungen der Menschen über ihr individuelles Mobilitätskonzept politisch in einen zu engen Rahmen führen. Gerade im ländlichen Raum sind die Menschen auf das Auto angewiesen. Deshalb geht es darum, den Menschen die Freiheit zu geben, sich das individuelle Mobilitätskonzept zu wählen, das zu ihnen passt. Mitunter wechseln die Mobilitätsbedürfnisse ja auch von Tag zu Tag, abhängig davon, was man sich für den Tag vorgenommen hat oder welche Wetteraussichten es gibt. Das macht liberale Verkehrspolitik, liberale Mobilitätspolitik aus. Die Wahlfreiheit zu gewährleisten und den Wettbewerb der unterschiedlichen Angebote zu erhalten.
Wir haben also, verehrte Anwesende hier im Saal, große Ambitionen. Und all diese Ambitionen müssen auf einem soliden wirtschaftlichen Fundament realisiert werden. Heute habe ich im Handelsblatt gelesen, die FDP sei so etwas wie Gold in einem Depot. Also ein Wertgegenstand zur Absicherung gegenüber Risiken. Mit der FDP gibt es beispielsweise keine Steuererhöhungen und es gibt keine zu starken Eingriffe in die bürgerlichen Freiheitsrechte. Ich finde diese Metapher anerkennend. Aber wir wollen schon darüber hinausgehen. Wir sind nicht nur das Gold im Depot. Ich sehe uns als einen Wachstumswert. Weil wir unseren Ehrgeiz nicht auf das konzentrieren, was wir zu Recht verhindern. Sondern darauf, was wir gestalten wollen. Eine der ersten Maßnahmen der neuen Koalition und auch von mir in meiner neuen Ressortverantwortung war, ein Nachtragshaushalt von 60 Milliarden Euro vorzulegen. Ein kraftvolles Signal der Handlungsfähigkeit. Die Erholung der Wirtschaft ist noch nicht so, wie wir sie uns wünschen. Aufgrund der Pandemie sind viele notwendige Investitionen nicht oder nicht so erfolgt, wie sie es sein müssten. Nicht nur wir als Menschen brauchen einen Booster, sondern die wirtschaftliche Entwicklung, die durch die Pandemie gebremst wurde, benötigt ebenfalls einen Booster. Das genau ist dieser Nachtragshaushalt. Er dient nicht der Finanzierung allgemeiner politischer Vorhaben. Sondern es geht darum, gezielte Impulse zu setzen, um die wirtschaftliche Erholung und das Wachstum zu verstärken und darum, nicht vorgenommenen Investitionen vorzunehmen. Er baut gewissermaßen auch die Brücke in die nähere Zukunft.
2023 wollen wir zurück zur Normalität der Schuldenbremse des Grundgesetzes. Aber die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie? Die werden dann trotzdem noch nicht restlos überwunden sein. Wir sichern für diesen Zeitpunkt Handlungsfähigkeit, um auf die dort bestehenden Herausforderungen der wirtschaftlichen Pandemiebewältigung reagieren zu können. Zugleich ist mir wichtig, dass Deutschland weiterhin Anwalt von Stabilität bleibt. Ja, wir senden ein kraftvolles Signal auch der fiskalischen Handlungsfähigkeit. Aber es wird trotzdem gelingen, die geplante Kreditaufnahme unseres Landes zu reduzieren. Es wird – wir haben noch nicht den endgültigen Abschluss des Haushaltsjahres 2021 – möglich sein, mehr als mehr als 10 Milliarden Euro weniger an neuen Krediten aufzunehmen, als die alte Koalition es vorgesehen hat. Das ist ein Signal der Stabilität. Dafür, dass wir die Krisenfolgen bewältigen. Dass wir aber zugleich zurückkehren wollen zur Solidität der öffentlichen Finanzen. Dazu gäbe es Alternativen. Natürlich. Eine Alternative haben CDU und CSU ins Gespräch gebracht. Auch vor der Bundestagswahl schon haben Vertreterinnen und Vertreter der Union, zum Beispiel der frühere Kanzleramtsminister, gesagt, man müsse die Schuldenbremse des Grundgesetzes dauerhaft oder für einen längeren Zeitraum außer Kraft setzen. Das wäre die Alternative gewesen. Dieser Alternative kann ich nicht nähertreten, denn wir müssen den Ausnahmecharakter erkennen. Ja, wir müssen auch noch einige Jahre mit Pandemiefolgen umgehen und dafür treffen wir Vorsorge und sichern Handlungsfähigkeit. Aber wir müssen auch schnellstmöglich wieder zu den bewährten Regeln des Grundgesetzes zurückkehren. Wer dauerhaft die Schuldenbremse aufhebt, der lädt doch dazu ein, dass in Wahrheit nicht investiert wird, sondern dass Möglichkeiten gesucht werden, Maßnahmen der Umverteilung oder des Staatskonsums zu begründen und zu finanzieren. Unser Anliegen ist das nicht. Mit der Rückkehr zur Schuldenbremse, zur Normalität des Grundgesetzes, im Jahr 2023 sind große Herausforderungen verbunden. Investitionen finanzieren werden wir können, um das, was während der Pandemie nicht erfolgt ist, nachzuholen. Aber die dann geltende Normalität des Grundgesetzes wird die Möglichkeiten begrenzen, für Maßnahmen des Staatskonsums oder der Umverteilung Finanzierungen zu finden. Und ich halte das für richtig.
Während der Pandemie hat sich mancher daran gewöhnt, dass der Staat mit enormen finanziellen Möglichkeiten gesellschaftliches Leben und Wirtschaft am Leben erhält. Die Wünsche und Ansprüche gegenüber dem Staat sind immer weiter gestiegen. Meine Damen und Herren, daran dürfen wir uns nicht gewöhnen. Die Rückkehr zur Schuldenbremse, wie wir sie wollen und wie Teile der Union sie in Frage gestellt haben, die sichert, dass zukünftig bei Fragen des Staatskonsums und der Umverteilung Grenzen aufgezeigt werden und wir als politische Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger wieder gezwungen sind, Prioritäten zu setzen. Dann aber auch Nachrangigkeiten zu definieren. Es ist und bleibt eine Realität: Zuerst muss der Wohlstand erwirtschaftet werden. Dann wird er von den Menschen sehr hoch versteuert. Und erst danach kann die Politik mit dem Geld arbeiten. Erst kommt das Erwirtschaften, danach das Verteilen und wir müssen uns daran wieder erinnern und dorthin zurückkehren, dass das die ökonomische Basis unseres Landes ist.
Von dieser Doppelbotschaft – Handlungsfähigkeit in und für die unmittelbare Bewältigung von Folgen nach der Pandemie und Rückkehr zur Normalität von Fiskalregeln – mit dieser doppelten Botschaft senden wir auch ein Signal nach Europa. Sie wissen es, Sie verfolgen es. Es gibt eine Diskussion in Europa über beispielsweise den Stabilitäts- und Wachstumspakt und seine Fiskalregeln. Sie haben sich bewährt, auch hinsichtlich der Flexibilität ihrer Anwendung in der Krise. Und vielleicht kann unser deutsches Vorhaben auch eine Anregung sein wie Europa umgeht mit dieser Debatte. Wir haben auf der einen Seite das Programm „Next Generation EU“. 750 Milliarden in einem Aufbaufonds – ein einmaliger historischer Kraftakt, der genutzt werden kann, um Europa auf einen anderen Wachstumspfad zu bringen. Gezielt eingesetzt für Investitionen, gezielt eingesetzt um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu überwinden. Und auf der anderen Seite haben wir einen Stabilitäts- und Wachstumspakt, der Sorge dafür trägt, dass die öffentlichen Finanzen nachhaltig bleiben. Wir beobachten ja genau die Inflation. Die Regierungen können einen Beitrag zur Stabilität leisten, indem sie nicht die öffentliche Verschuldung dauerhaft immer weiter erhöhen und damit auch Auswirkungen provozieren könnten auf die Handlungsfähigkeit unserer Notenbank. Es ist also als ein Gebot der ökonomischen Klugheit, wie der Generationengerechtigkeit und der Stabilität der öffentlichen Finanzen sowie der finanzpolitischen Eigenverantwortung der Mitglieder der Europäischen Währungsunion festzuhalten.
Meine Damen und Herren, wir als Freie Demokraten wollen eine andere Balance zwischen privaten und öffentlichen Finanzen. Sie wissen das. Das Thema der Entlastung ist für uns auch ein gesellschaftspolitisches und nicht allein ein finanzpolitisches. Bei der finanziellen Schwerpunktsetzung zwischen den privaten Haushalten und dem Staatshaushalt drückt sich ja auch etwas aus über die Bedeutung des Bereichs, des Sektors. Wir haben in der Ampelkoalition Entlastungen verabredet. Beim Bereich der Energiekosten, bei der EEG-Umlage, bei bestimmten Bereiche bei der Steuer. Aber die Freien Demokraten als Partei werden darüber nicht arbeitslos. Denn viel konnte eben nicht verabredet werden. Beispielsweise haben wir immer noch einen Solidaritätszuschlag, von dem ich glaube, dass wir besser darin täten, ihn abzuschaffen. Das wäre auch ein Impuls für die wirtschaftliche Tätigkeit und ein klares Signal, dass die Politik sich an ihre eigenen Zusagen hält. Eine Ergänzungsabgabe nach dem Wegfall ihres Anlasses auch abzuschaffen. 2017 gab es dafür keine Mehrheit mit CDU und CSU. 2021 gab es für diese Position keine Mehrheit mit SPD und Grünen. Dennoch halten wir daran fest, das Richtige zu vertreten, wenngleich wir uns in Regierungsverantwortung an politischen Realitäten von Koalitionen orientieren.
Interessant in diesem Zusammenhang aber war, dass der Finanzminister von Baden-Württemberg in einem Interview gestern die Forderung erhoben hat, kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Der geschätzte Kollege der Grünen hat recht und ich unterstütze das. Er sagte dann in diesem Interview, er gebe die Hoffnung nicht auf. Ich zitiere jetzt nicht wörtlich, sondern aus dem Gedächtnis. Er gebe die Hoffnung nicht auf, dass es vielleicht doch noch in dieser Legislaturperiode in dieser Frage zu einer Entwicklung kommen könnte, die kleinen und mittleren Einkommen zu entlasten. Denn vielleicht käme der Bundesfinanzminister, käme die FDP auf die Idee, man könnte ja doch höhere Einkommen stärker belasten, um dann an anderer Stelle entlasten zu können. Ich finde es großartig, dass das ein Gesprächsangebot ist und ich möchte es von meiner Seite gerne erwidern. Der Kollege, den ich schätze aus Baden-Württemberg, sagt, er wolle versuchen, die FDP zu überzeugen davon, man könne nur kleinere und mittlere Einkommen entlasten, wenn die höheren belastet werden. So möchte ich im Gegenzug den Versuch unternehmen, ihn und andere davon zu überzeugen, dass es töricht wäre, nach einer Wirtschaftskrise den Mittelstand stärker zu belasten. Dass wir aber nicht dafür jede Ambition opfern müssten, auch etwas bei kleinen und mittleren Einkommen zu tun. Das Angebot des Kollegen aus Baden-Württemberg von den Grünen nehmen wir also gerne an. Wissend, was im Koalitionsvertrag steht und da sind wir vertragstreu und berechenbar.
Meine Damen und Herren, das, was ich hier skizziert habe, das ist die Politik einer aufbruchbereiten Mitte. Die die Zukunft gestalten will und die nicht von der Vergangenheit träumt. Die neue Opposition im Deutschen Bundestag spricht dagegen oft von der links-gelben Koalition. Also wenn alles, wo SPD und Grüne dabei sind, automatisch eine Linkskoalition wäre, dann würde ja hier in Baden-Württemberg links-schwarz regieren. Für mich sind das Atavismen aus einer früheren Phase unseres Parteiensystems. Solche Lager wie früher, die gibt es in dieser Form nicht mehr. Die Menschen haben ein unabhängiges eigenes Urteil über politische Positionen und Persönlichkeiten und Parteien. Wir jedenfalls sind nicht Teil irgendeines Lagers, sondern bleiben eine eigenständige politische Partei. Man muss Verständnis haben, wir waren selbst schon einmal in einer solchen Situation, wenn eine neue Opposition sich jetzt auch in eine neue Rolle einfinden muss. Spannend ist die Frage, wie sich das in der Zukunft entwickelt. Noch – bei einer christdemokratischen Partei muss man das wohl so nennen – noch ist es ja die Phase der Sedisvakanz. Ich setze meine Hoffnungen darauf, dass der Platz des Parteivorsitzenden ja bald besetzt ist. Ich setze Hoffnung in Friedrich Merz. Da wird sich entscheiden, welchen Weg die Union geht.
Wird sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit die in einer Koalition notwendigen Kompromisse der FDP zum Thema machen? In Kenntnis dessen, dass es eine Ampelkoalition ja auch deshalb gibt, weil die Union ja gar nicht regierungsfähig war. Wird sie die reine Lehre dessen im Bundestag vertreten, was sie selbst 16 Jahre nicht umgesetzt hat. Oder ist ein echtes Zukunftsgespräch mit der zukünftigen Opposition oder mit der gegenwärtigen Opposition und dem zukünftigen Vorsitzenden möglich. Wir haben kein Interesse daran, als Freie Demokraten uns von CDU und CSU zu entfremden. Ganz im Gegenteil. Eine Belebung des politischen Gesprächs und eine vielfältige politische Landschaft ist eine Bereicherung für unsere Demokratie.
Wir haben auch viel in diesem Jahr 2022 vor. Wir haben Herausforderungen, natürlich, Bijan hat es angesprochen, mit Gesellschaften und Staaten, die andere Werte als wir vertreten, aber wir unsere Werte und Interessen mit Selbstbewusstsein vertreten müssen. Wir haben gesundheitspolitische und wirtschaftspolitische Herausforderungen, die ich angedeutet habe, aber wir haben eben als Partei auch Wahlkämpfe vor uns.
Wir wollen in Nordrhein-Westfalen mit Joachim Stamp an der Spitze die erfolgreiche schwarz-gelbe Koalition fortsetzen. Wir wollen in Schleswig-Holstein mit Bernd Buchholz an der Spitze die erfolgreiche Jamaika-Koalition fortsetzen. Wir wollen im Land Niedersachsen die Regierungsverantwortung erringen. Wir wollen im Saarland mit Angelika Hießerich-Peter zurückkehren ins Parlament und setzen auch dort auf die Möglichkeit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. In dieser Auseinandersetzung sind Christdemokraten gleichzeitig Wettbewerber wie auch Sozialdemokraten und Grüne. Aber es sind auch potenzielle Partner. Deshalb pflegen wir als Regierungspartei FDP einen sachpolitischen Stil. Wir haben Respekt vor unseren Mitbewerberinnen und Mitbewerbern. Gerade weil wir mit Union, SPD und Grünen in unterschiedlichen Koalitionen zusammenarbeiten, wissen wir, dass sie auch berechtigte Positionen und Anliegen haben. Weil wir mit CDU und SPD und Grünen in Ländern koalieren, wissen wir aber auch, wir sollten sie in der Regierungsverantwortung nicht alleine lassen.
Es macht einen Unterschied, ob Freie Demokraten Mitverantwortung tragen oder nicht. Deshalb werben wir in diesem Jahr für die Freien Demokraten wieder einmal um Ihr Vertrauen. Wir werben um Ihr Vertrauen in uns als eine eigenständige liberale Kraft. Als eine Kraft, die Ihre Freiheit ins Zentrum ihrer Bemühungen stellt und die alles in ihrer Macht Stehende tut, nach bestem Wissen und Gewissen aus dem Mandat, das Sie uns geben, möglichst viele liberale Politik zu gewinnen. Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben alles Gute zum Neuen Jahr und sage auf bald!