Christopher Vogt zu TOP 1+2+3 „Regierungserklärung sowie Anträge zur aktuellen Lage der Pandemie“

In seiner Rede zu TOP 1+2+3 (Regierungserklärung sowie Anträge zur aktuellen Lage der Pandemie) erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:

Vogt
Christopher Vogt
Freie Demokraten FDP
Beisitzer im Bundesvorstand
Vorsitzender der FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag

„Die Omikron-Variante des Corona-Virus hat sich in Deutschland später ausgebreitet als in vielen anderen westlichen Staaten. Dafür ist hier dieses Mal der Norden erkennbar zuerst dran. Schleswig-Holstein ist durch Omikron nach Bremen und Berlin und neben Hamburg und Brandenburg zu einem der Bundesländer mit der höchsten Inzidenz geworden. Das ist mit Blick auf die Lage z.B. durch die Nähe zu Dänemark sicherlich auch nicht besonders überraschend.

Die Disko-Veranstaltungen rund um Weihnachten haben die Omikron-Ausbreitung in Schleswig-Holstein aber leider beschleunigt. Deshalb ist klar: Es war ein Fehler, diese nicht schon einige Tage vorher zu unterbinden. Ich bedaure dies sehr und es tut mir leid für die Betroffenen, die dadurch über den Jahreswechsel entsprechende Unannehmlichkeiten hatten. Das würde man mit dem Wissen von heute mit Sicherheit anders entscheiden. Den MPK-Beschluss hatte Schleswig-Holstein jedoch zum 28. Dezember 2021 umgesetzt. Der Lübecker Bürgermeister liegt hier also falsch. Es gab hier allerdings die rechtlichen Hürden zur Schließung der Diskotheken, so dass wir mit entsprechenden Auflagen lediglich eine De-facto-Schließung vornehmen konnten. In diesen Party-Settings schützt bei Omikron offensichtlich leider auch 2G+ nicht vor zahlreichen Ansteckungen, was vermutlich auch an der Zuverlässigkeit einiger Schnelltests bei dieser Variante liegen wird. Darüber muss jetzt auf Bundesebene sehr schnell Klarheit geschaffen werden. Diese Entwicklung haben leider auch unsere Experten unterschätzt. Dass Partys in einer Pandemie grundsätzlich das Risiko mit sich bringen, dass man sich ansteckt, war aber hoffentlich immer allen Beteiligten klar. Bei der Delta-Variante hatten die vielen Veranstaltungen mit 3G, später 2G und dann 2G+ jedoch noch gut funktioniert. Es war dort meines Wissens jedenfalls zu keinem nennenswerten Ausbruchsgeschehen in Schleswig-Holstein gekommen. Es war deshalb auch völlig richtig, im Sommer einen entsprechenden Modellversuch durchführen zu lassen. Jetzt steht die arg gebeutelte Branche allerdings vor ganz neuen Herausforderungen.

Wir sehen in anderen Ländern mittlerweile sehr deutlich, dass sich Omikron rasend schnell ausbreitet, aber auch im Durchschnitt eindeutig zu milderen Verläufen führt. Das bedeutet also eine ganz neue Phase in dieser Pandemie. Omikron lässt sich nicht aufhalten, sondern nur ausbremsen. Wir sind deshalb gut beraten, die verschiedenen Maßnahmen weiter darauf einzustellen, damit unser Gesundheitssystem auch diese Herausforderung bewältigen kann. Deshalb stellen wir heute – befristet auf drei Monate – die epidemische Lage für Schleswig-Holstein fest. Das hätten wir gerne vermieden, es ist aber leider notwendig, um zum Beispiel die Diskotheken rechtssicher schließen zu können. Ich halte es für richtig, dass die Bundesländer nach §28a des Infektionsschutzgesetzes diesen Schritt zur Ermöglichung bestimmter Maßnahmen gehen können, die Bund und Länder in den letzten Tagen gemeinsam angekündigt haben. Wer darüber hinaus immer wieder die Wiederfeststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite fordert, sollte auch offen sagen, welche Maßnahmen damit denn konkret umgesetzt werden sollen. Dabei geht es ja nicht um ein politisches Symbol, wie oft behauptet wird, sondern ganz konkret um die Ermächtigung der Regierungen, die Kitas und die Schulen, den Einzelhandel, die Restaurants, die Hotels oder auch Sportanlagen zu schließen. Zudem kann man damit Reisen und Versammlungen verbieten oder auch Ausgangssperren beschließen. Ich höre derzeit aber kaum jemanden, der ernsthaft etwas davon machen will. Solange dies nicht gewollt bzw. nicht mehrheitsfähig ist, macht es auch wenig Sinn, diese Notlage zu erklären, denn sie würde die Rückkehr zum pauschalen Lockdown bedeuten.

Die nächsten Wochen werden uns alle noch einmal erheblich herausfordern. Ich denke dabei vor allem an die Kritische Infrastruktur, an die Familien mit Kindern in Kitas und Schulen, aber auch an die vielen kleinen und mittleren Unternehmen oder auch an die älteren Menschen. Krankenhäuser und auch die Organisationen des Katastrophenschutzes arbeiten längst an Notfallplänen oder haben diese bereits in der Umsetzung. Die aktuelle Situation erinnert einige Menschen ja zumindest teilweise an den Beginn der Pandemie, aber wir fangen zum Glück nicht mehr bei Null an. Bei weitem nicht. Die Sterblichkeitsrate bei Covid-19 sinkt immer weiter – gerade bei den besonders gefährdeten Hochbetagten. Die Impfungen helfen massiv. Und auch die Behandlungsmethoden sind deutlich besser geworden. Das sind richtig gute Nachrichten! Bald werden sicherlich auch Medikamente zum Einsatz kommen, um bei besonders gefährdeten Infizierten schwere Verläufe zu verhindern – auch wenn der Kollege Dr. Dolgner davor im Dezember-Plenum noch gewarnt hat. Die Bundesregierung hat jedenfalls entsprechende Bestellungen vorgenommen.

Es muss jetzt einmal mehr vor allem um den Schutz der besonders gefährdeten Menschen, z.B. in den Pflegeheimen, gehen. Schleswig-Holstein hat dazu bereits wieder sehr umfassende Schutzmaßnahmen getroffen und das ist auch genau richtig so. Es muss aber auch um unsere Kinder und Jugendlichen gehen, die trotz sehr geringer Gefährdung leider immer wieder eine Hauptlast bei der Pandemiebekämpfung tragen mussten. Das sollten wir auch in dieser Phase nicht vergessen und Schulen und Kitas mit guten Sicherheitskonzepten möglichst geöffnet lassen. Das wird in den nächsten Wochen während der Omikron-Ausbreitung eine große Herausforderung werden, aber in meinen Augen eben notwendig sein. Es geht hier aber auch um das Recht auf Bildung. Und Kinder brauchen andere Kinder. Das Thema der psychischen Gesundheit wurde uns ja gerade erst wieder durch eine Studie vor Augen geführt, nach der die Suizidversuche bei Kindern im Lockdown erschreckend zugenommen haben. Mich lässt das jedenfalls nicht kalt. Was man bei den Testungen ggf. weiter verbessern kann, sollte man tun. Ich bin auch nach wie vor für den Einsatz von Luftfiltern, die auch nach der Pandemie der Luftqualität nicht schaden würden.

Die Hochschulen haben überwiegend wieder auf digitale Lehrveranstaltungen umgestellt. Das ist natürlich deutlich einfacher als an den Schulen und hat in den letzten Semestern auch besser geklappt als befürchtet. Ideal ist es natürlich trotzdem nicht. Deshalb sollte dieses Semester wieder ein Freisemester mit entsprechenden Freiversuchen bei den Prüfungen sein. Das wäre nur fair gegenüber den Studierenden, die während der Pandemie nicht allzu sehr im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit standen, die aber auch viel Verantwortung übernommen haben und diese Flexibilität absolut verdient haben.

Wenn wir derzeit ins Ausland schauen, dann gibt es Grund zur Hoffnung, dass die Omikron-Ausbreitung unser Gesundheitssystem stark belasten, aber nicht überlasten wird. Zumal wir hier strengere Maßnahmen haben als z.B. in Großbritannien oder Dänemark. In Dänemark ist die Impfquote höher, in Großbritannien die der Genesenen. Insofern bleibt natürlich auch die Frage, was passieren wird, wenn Omikron deutsche Regionen mit weniger Geimpften stärker erreichen wird, was ja nur eine Frage der Zeit ist. Das betrifft ja vor allem den Osten und den Süden der Republik. Ich finde es vor diesem Hintergrund auch bemerkenswert, dass die Union die MPK-Vereinbarungen als unzureichend kritisiert, gleichzeitig aber Unions-geführte Bundesländer wie Sachsen-Anhalt und auch Bayern nicht alle Maßnahmen umsetzen wollen. Herr Söder meint, er bliebe ‚im Team Vorsicht mit Augenmaß‘. Das Augenmaß ist bei Herrn Söder jedoch neu. Hier will sich wieder jemand an die Spitze der Bewegung setzen, ohne zuzugeben, dass er dafür die Richtung gewechselt hat. Ich halte Söders Verhalten zunehmend für ein Problem bei der Pandemiebekämpfung. Wie Hamburg hat auch Bayern nachweislich mit falschen Zahlen – nämlich bei den Inzidenzwerten für Geimpfte und Ungeimpfte – argumentiert und damit leider für einen massiven Vertrauensverlust in der Bevölkerung gesorgt. Noch schlimmer finde ich, dass dieser Fehler bisher auf öffentlichen Druck hin sehr kleinlaut von den zuständigen Behörden korrigiert wurde und von Herrn Söder und Herrn Tschentscher nicht öffentlich erklärt wird.

Auch bei der Pandemiebekämpfung passieren Fehler und ich habe den Eindruck, dass die Bürgerinnen und Bürger dafür auch nach wie vor Verständnis haben, wenn diese erkannt, erklärt und abgestellt werden. Der Frust und das Unverständnis in der Bevölkerung nehmen allerdings spürbar zu. Deshalb ist es nach rund zwei Jahren Pandemie umso wichtiger, die Maßnahmen sinnvoll zu gestalten und entsprechend verständlich zu begründen. Es mangelt in Deutschland ja nun wahrlich nicht an Bürokratie. Das ist auch durch die Pandemie nicht besser geworden – eher im Gegenteil. Es werden zwar so viele Daten gesammelt wie wohl noch nie, aber diese werden dann bei uns leider nicht so verarbeitet, dass wir einen richtig guten Überblick über das Geschehen haben, um möglichst zielgenau reagieren zu können. Es werden meines Erachtens auch bundesweit noch immer zu wenig Studien durchgeführt, so dass allzu oft auf Erkenntnisse aus anderen Staaten zurückgegriffen werden muss. Das ist also weiterhin verbesserungsbedürftig. Jetzt wird ja offenkundig wohl wieder stärker auf die Hospitalisierungsrate geachtet werden. Auch hier gilt: Wenn diese aussagekräftig sein soll, sollte klar getrennt werden nach Covid-19 als Hauptdiagnose und als Nebendiagnose.

Die pandemiebedingten Belastungen sind für viele Menschen sehr hoch und ich höre immer öfter, dass sich nicht Wenige die permanent schlechten Nachrichten gar nicht mehr richtig anhören, weil sie es kaum noch ertragen können. Das muss uns als Vertreterinnen und Vertreter der demokratischen Parteien bewegen und es macht auch wenig Sinn, ständig neue Maßnahmen anzukündigen, bevor die verabredeten überhaupt beschlossen sind. So wie aktuell wieder. Viele Menschen z.B. in der Gastronomie oder im Kulturbereich bangen erneut um ihre wirtschaftliche Existenz. Aber auch in anderen Bereichen sind viele Menschen stark belastet – auch psychisch. Es ist wirklich beeindruckend, was viele Menschen dennoch jeden Tag für unsere Gesellschaft leisten. Als Beschäftigte im Gesundheits- und im Bildungswesen, aber auch bei den Ordnungsämtern oder bei der Polizei, die sich auf den zahlreichen Demonstrationen oft ganz schön was bieten lassen müssen. Das gilt aber z.B. auch für Menschen, die in den Testzentren arbeiten. Wir müssen deshalb meines Erachtens sehr aufpassen, dass wir nicht in eine Art gesellschaftlichen Burnout schlittern. Deshalb ist aus meiner Sicht ganz wichtig, dass wir den Menschen, die den Laden hier am Laufen halten – so gut es geht – den Rücken stärken. Denjenigen, die gezielt Unsinn verbreiten, Hass schüren und Gewalt anwenden, müssen wir entschieden entgegentreten. Und mit denjenigen, die verunsichert, genervt oder schlichtweg nicht einverstanden sind mit verschiedenen Maßnahmen, sollten wir unbedingt im Dialog bleiben.

Und wir dürfen uns den Diskurs nicht weiter vergiften lassen. Das ist in diesen Zeiten nicht ganz einfach. Auch unsere Parteien können ja leider seit zwei Jahren nicht mehr so arbeiten, wie sie es gewohnt sind. Videokonferenzen können eben nicht alle Veranstaltungsformen ersetzen und das hat natürlich – neben dem hohen Tempo der Entscheidungen – auch negative Auswirkungen auf den Prozess der politischen Willensbildung. Es nützt aber nichts. Wir müssen uns stets um Verhältnismäßigkeit bemühen, für Akzeptanz werben und dazu beitragen, dass sich die demokratische Diskussionskultur in unserem Land wieder verbessert. Dazu gehört natürlich auch eine entsprechende Rhetorik. Und in einem Land, in dem Zuckerkügelchen von der Krankenkasse bezahlt werden, darf man sich auch nicht allzu sehr über weit verbreitete Esoterik und Wissenschaftsskepsis wundern. Schließlich ist diese ja auch in der etablierten Politik nicht ganz unbekannt.

Trotz der Herausforderungen müssen wir die Belastungen für unsere Wirtschaft möglichst gering halten. Deshalb ist es richtig, dass bei den Wirtschaftshilfen für die betroffenen Unternehmen noch einmal nachgebessert wurde – wir sind ja bei der Überbrückungshilfe IV angekommen – und dass auch die Quarantäne-Regeln sinnvoll an die Erkenntnisse über Omikron angepasst werden. Dies muss bundesweit so schnell wie möglich umgesetzt werden. Wir dürfen uns aber auch nichts vormachen: Für viele gastronomische Betriebe werden die kommenden Wochen existenzgefährdend, weil auch die Fachkräfte zunehmend in andere Bereiche wechseln, wenn sie können. Ansonsten ist die Ausweitung der Maskenpflicht als mildestes Mittel der richtige Weg für die kommenden Wochen. Die Booster-Kampagne war in Deutschland – und vor allem auch in Schleswig-Holstein – bisher ziemlich erfolgreich. Dies gilt es fortzusetzen. Dafür wäre es auch hilfreich, mehr Klarheit über die Impfstofflieferungen zu bekommen, denn das hat für unnötige Verunsicherung gesorgt. Und es ist natürlich wichtig, dass trotz der aktuellen Situation alle Parteien in den nächsten Wochen ihre Bewerberinnen und Bewerber für den kommenden Landtag rechtssicher aufstellen können.

Einige Experten haben vorausgesagt, dass die Omikron-Welle den Übergang in die endemische Lage bringen wird. Das hoffe ich auch, wobei ich einräumen muss, dass ich da noch gewisse Zweifel habe. Klar ist aber, dass wir auf den nächsten Winter besser vorbereitet sein sollten. Wir müssen jedenfalls aus dieser Dauerschleife raus und wir werden lernen müssen, mit diesem Virus zu leben. Deshalb brauchen wir so oder so eine Strategie auf dem Weg in die endemische Lage. Die Debatte über eine mögliche allgemeine Impfpflicht bewegt viele Bürgerinnen und Bürger und natürlich auch die Politik. Das liegt nicht nur daran, dass sie lange Zeit von nahezu allen Parteien ausgeschlossen wurde, sondern auch an den schwierigen Fragestellungen, die damit verbunden sind.

Anders als Herr Söder finde es richtig, dass der Bundestag bald in einer ersten Runde offen darüber debattieren wird und dass dabei alle Argumente Pro und Contra auf den Tisch kommen werden. Es ist in meinen Augen ganz klar eine ethische Frage. Und es ist eben epidemiologisch und juristisch ziemlich komplex. Deshalb tun sich ja auch viele Staaten bisher schwer damit. Die Impfstoffe werden sicherlich – so oder so – erst einmal an die neue Variante angepasst werden müssen und die Umsetzung würde auf jeden Fall alles andere als einfach werden. Es wird sich meines Erachtens auch die Frage stellen, welcher Personenkreis überhaupt in Frage kommen könnte. Italien hat jetzt ja eine Impfpflicht für alle Menschen über 50 Jahre beschlossen. Insofern dürfen wir hier gespannt bleiben.

Anders als eine Jury von Sprachkritikern kürzlich meinte, ist Eigenverantwortung keine Floskel, sondern nach unserer Auffassung nach wie vor ein entscheidender Bestandteil des Fundaments unserer Gesellschaft. Ohne den großen Sinn der Bürgerinnen und Bürger für die Eigenverantwortung wären wir bisher nicht so glimpflich durch diese Pandemie gekommen. Auch das große Wort der Freiheit dürfen wir nicht denen überlassen, die diese in Wahrheit mit Füßen treten. Wir werden zunehmend lernen müssen, mit diesem Virus, das sich weiter verändern wird, zu leben. Das wird uns noch einiges abverlangen. Es gibt keinen Grund zur Panik, aber zur Vorsicht und es gibt auch Anlass für Optimismus, dass wir in diesem Jahr das Schlimmste hinter uns haben werden.

Wir sollten aber auch nicht vergessen, dass eine Pandemie ein globales Ereignis ist, das eben auch global bekämpft werden muss. Deutschland hat nach den USA bisher am meisten Impfdosen gespendet, aber vor allem für die Menschen in Afrika müssen die Industrienationen meines Erachtens noch viel mehr Unterstützung leisten, auch weil die chinesischen Impfstoffe offenbar nicht mehr weiterhelfen.

Behalten wir weiterhin die Nerven, bleiben wir konzentriert, konsequent, offen und dialogbereit. Dann werden wir gemeinsam auch diese Krise absehbar bewältigen.“

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