DJIR-SARAI-Interview: Von einem dritten Entlastungspaket muss auch die arbeitende Mitte profitieren.

Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gab der „Berliner Zeitung Online“ (heute) das folgende Interview. Die Fragen stellte Christine Dankbar:

Bijan Djir-Sarai

Frage: Herr Djir-Sarai, warum ist die FDP so unbeliebt?

Djir-Sarai: Ich habe nicht das Gefühl, dass die FDP unbeliebt ist. Wie kommen Sie darauf?

Frage: Die Umfragewerte sind nicht gut, Ihre Partei hat Verluste bei den letzten Landtagswahlen eingefahren, und die Kommentare in den Medien sind auch sehr kritisch. Das zeigt doch einen Trend, oder?

Djir-Sarai: Nun, zum einen sind Umfragewerte immer nur Momentaufnahmen und zum anderen ist es natürlich eine Frage der Perspektive, ob eine Partei beliebt oder unbeliebt ist. Für Menschen, die nicht auf Eigenverantwortung und Freiheit setzen, die nicht die breite Mitte entlasten wollen, sondern die eine Umverteilungspolitik, Steuererhöhungen und zusätzliche Belastungen durchsetzen wollen, für die ist die FDP natürlich ein Störfaktor. Aber es gibt eine Menge Leute, die angesichts der zahlreichen Krisen heilfroh sind, dass die FDP in der Regierung ist und dafür Sorge trägt, dass sich unser Land nicht in die falsche Richtung bewegt.

Frage: Es gibt ja einen breiten Teil der Bevölkerung, der sich Sorgen macht, wie man die steigenden Energiepreise bezahlen soll. Was sagen Sie denen?

Djir-Sarai: Wir müssen jetzt alles dafür tun, damit wir es nicht mit einer ausgewachsenen Energiekrise zu tun bekommen. Um das zu verhindern, stehen dem Staat auch genügend Instrumente zur Verfügung. Wir sollten beispielsweise die drei noch vorhandenen Kernkraftwerke befristet über einen längeren Zeitraum laufen lassen, damit wir den Druck von den Preisen nehmen und kein teures Gas zur Stromerzeugung verfeuern müssen. Dafür aber müssten sich unsere Koalitionspartner von ihrer parteipolitischen oder ideologischen Betrachtungsweise lösen.

Frage: Den Gaspreis würde das aber nicht wesentlich mindern.

Djir-Sarai: Nein, nicht sofort. Aber unsere Aufgabe ist es, die Nutzung von Gas zu reduzieren, die Gasspeicher für den Herbst und Winter zu füllen und so schnell wie möglich damit aufzuhören, Gas zur Stromerzeugung einzusetzen. Je konsequenter wir das betreiben und beim Energiemix auch auf andere Technologien wie auf die Kernkraft, aber auch auf die erneuerbaren Energien setzen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Preise steigen. Die aktuellen hohen Preise sind eine große Belastung für die privaten Haushalte, für Betriebe und Unternehmen, und zu allem Überfluss heizen sie die Inflation noch weiter an.

Frage: Die Ampel macht gerade keine sehr gute Figur. Der Wirtschafsminister legt eine umstrittene Gasumlage auf, der Finanzminister setzt sich auf EU-Ebene dafür ein, dass keine Mehrwertsteuer anfällt, was illusorisch ist. Dann verfügt der Kanzler eine Mehrwertsteuersenkung. Das wirkt alles etwas konfus. Verstehen Sie, dass das viele Menschen verunsichert und auch verärgert?

Djir-Sarai: Wirtschaftsminister Robert Habeck ist dafür zuständig, eine Gasumlage ins Leben zu rufen, die der Situation angemessen ist. Die Ausgestaltung der Umlage, die der Minister vorgestellt hat, ist aus meiner Sicht eine Fehlkonstruktion. Da muss einiges dringend verbessert werden. Zwei Kriterien sind mir da außerordentlich wichtig: Erstens muss ein Unternehmen, das von der Umlage profitiert, systemrelevant sein. Zweitens muss es in einer wirtschaftlichen Schieflage sein. Und genau diese zwei essenziellen Kriterien sind im derzeitigen Habeck-Modell nicht enthalten. Ich kann die Reaktion in der Bevölkerung absolut nachvollziehen. Warum sollen die Menschen mit ihrem Steuergeld Unternehmen finanzieren, die das gar nicht brauchen? Es ist naiv, einfach zu erwarten, dass die entsprechenden Unternehmen freiwillig auf die Gasumlage verzichten. Hier muss also dringend nachgebessert werden. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass der Wirtschaftsminister seine Fehler korrigieren wird.

Frage: Viele Energieunternehmen machen gerade in der Krise überproportionale Gewinne. Sie haben gesagt, man würde die Marktwirtschaft gefährden, wenn man eine Übergewinnsteuer einführen würde. Italien, Spanien, Großbritannien, Rumänien und Ungarn haben Übergewinnsteuern eingeführt, die unterschiedlich funktionieren, aber bisher noch nirgendwo die Marktwirtschaft zum Kippen brachten.

Djir-Sarai: Ich kenne in ganz Europa kein Modell, das der in Deutschland diskutierten Ausgestaltung einer Übergewinnsteuer entspricht. In Italien etwa gibt es keine Gewinnsteuer, dort werden die Umsätze besteuert.

Frage: Das könnten wir auch machen. Wäre das eine Lösung?

Djir-Sarai: Theoretisch ja, aber in Italien zeigt sich schon jetzt ein sehr großes Problem. Dort werden die Kosten an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben. Das ist natürlich das genaue Gegenteil von dem, was wir erreichen wollen. Wir wollen die Menschen ja entlasten. Wir sollten kein System ins Leben rufen, bei dem am Ende des Tages der Schaden größer ist als der Nutzen.

Frage: Die Debatte über die Gewinnsteuer hat auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun.

Djir-Sarai: Das verstehe ich sehr gut. Viele Menschen haben das Gefühl, dass sich einige wenige in der Krise die Taschen vollmachen und sich nicht angemessen beteiligen. Trotzdem wäre eine Übergewinnsteuer in der derzeit diskutierten Form keine Lösung des Problems. In Deutschland werden Gewinne bereits sehr hoch besteuert. Eine Übergewinnsteuer würde Tür und Tor öffnen für willkürliche Besteuerungsmaßnahmen des Staates.

Frage: Könnte das der Staat nicht so regeln, dass es eindeutig um die Energieunternehmen geht?

Djir-Sarai: Ein Staat, der eine Übergewinnsteuer einführen will, muss auch erklären können, was ein Übergewinn eigentlich ist. Ich halte das für außerordentlich problematisch und glaube, dass die Konsequenzen einer Übergewinnsteuer, wie sie die SPD und die Grünen seit Monaten fordern, verheerend sind. Eine solche Steuer würde aus meiner Sicht dem Wirtschaftsstandort Deutschland massiv schaden und Arbeitsplätze gefährden.

Frage: Bei Ihren Koalitionspartnern gibt es aber immer mehr Sympathien für die Übergewinnsteuer. Was glauben Sie, wie lange wird diese Diskussion noch dauern – und werden Sie da vielleicht überstimmt?

Djir-Sarai: Die Koalition muss sich schon insgesamt einig sein, wenn sie etwas durchsetzen will. Auch der Bundeskanzler hat sich ja zu dem Thema geäußert und deutlich gemacht: Eine Übergewinnsteuer wird es nicht geben. Ich glaube nicht, dass Herr Scholz das aus Liebe zur FDP sagt. Er sagt das, weil er als ehemaliger Finanzminister ganz genau weiß, wie problematisch so ein Vorhaben ist.

Frage: Es soll jetzt ein drittes Entlastungpaket geben. Wer braucht Ihrer Meinung nach jetzt vor allem Hilfe?

Djir-Sarai: Von einem dritten Entlastungspaket sollten vor allem drei Gruppen profitieren. Zum einen natürlich diejenigen, die kaum etwas haben und auf die Hilfe des Staates angewiesen sind. Eine Wohngeldreform, die den Kreis der berechtigten Haushalte unter anderem auf Rentnerinnen und Rentner sowie auf Studierende ausweitet, wurde ja bereits angekündigt. Zum zweiten muss es um die arbeitende Mitte gehen. Hier hat der Finanzminister einen Vorschlag zum Abbau der kalten Progression gemacht, der nun unbedingt in die Tat umgesetzt werden muss. Und die dritte Gruppe, die bei den Entlastungen berücksichtigt werden muss, sind die energieintensiven mittelständischen Betriebe. Denn ihre Existenzen – und damit auch zahlreiche Arbeitsplätze – stehen angesichts der hohen Energiepreise auf dem Spiel.

Frage: Wenn es um die arbeitende Mitte geht und um Besserverdienende, die eher weniger entlastet werden müssen: Wo ziehen Sie da die Grenze? Ab welchem Bruttolohn ist man Ihrer Meinung nach Gutverdiener?

Djir-Sarai: Das kann man nicht einfach anhand einer Zahl festlegen, denn hier spielen ja viele verschiedene Faktoren eine Rolle.

Frage: Aber wäre es nicht interessant zu wissen, wo die Grenze liegt?

Djir-Sarai: Aus meiner Sicht ist es weltfremd zu sagen, dass jemand, der 40.000 Euro verdient, Besserverdiener ist. Einige, die gegen den dringend gebotenen Abbau der kalten Progression sind, argumentieren ja so. Das ist absurd. Wenn wir die kalte Progression abbauen, dann profitieren auch Menschen mit einem Einkommen von 30.000 oder 35.000 Euro. Das sind keine Besserverdiener – das sind beispielsweise Facharbeiterinnen und Facharbeiter. Das sind Menschen, die hart arbeiten und sich über eine Lohnerhöhung freuen, von der sie aufgrund der hohen Inflationsrate aber gar nichts haben, wenn wir nichts gegen die kalte Progression tun. Deswegen ist die Abschaffung der kalten Progression dringend geboten und ein echter Beitrag zur Gerechtigkeit in Deutschland.

Frage: Noch mal kurz zu den Gruppen, die entlastet werden. Wen sie nicht erwähnt haben, sind die Hartz-IV-Empfänger. Sie bekommen zwar vom Staat die Heizkosten erstattet, aber die Preiserhöhung beim Strom trifft sie voll, auch die Inflation. Wie helfen Sie da?

Djir-Sarai: Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf die Einführung eines Bürgergeldes geeinigt, das diese Menschen gezielt in den Blick nimmt. Außerdem wird es Anfang nächsten Jahres eine Anpassung der Regelsätze an die Inflation geben. Was es nicht geben wird, ist eine darüber hinausgehende Erhöhung. In diesem Land gibt es sehr viele Menschen, die hart arbeiten, die viel arbeiten, gerade im Bereich der Geringverdiener. Und eines kann aus meiner Sicht definitiv nicht sein: dass jemand, der arbeitet, genauso viel oder nur ein kleines bisschen mehr Geld zur Verfügung hat als jemand, der nicht arbeitet. Das ist nicht gerecht.

Frage: Bei den Entlastungen ist vor allem das 9-Euro-Ticket ein voller Erfolg. Finanzminister Christian Lindner, Ihr Parteichef, hat die Forderungen nach Verlängerung jüngst als „Gratismentalität“ abgekanzelt. Was sagen Sie dazu?

Djir-Sarai: Ich kann mich erinnern, dass Verkehrsminister Volker Wissing mit dem 9-Euro-Ticket an die Öffentlichkeit ging. Woran ich mich nicht erinnern kann, ist, dass er dafür viel Lob bekommen hat. Nun werden die Stimmen immer lauter, die eine Verlängerung des Tickets fordern. Das 9-Euro-Ticket als solches wird nun auslaufen, das war von vornherein klar. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass wir über ein anders ausgestaltetes Nachfolgemodell sprechen, wenn die Kriterien stimmen. Beispielsweise muss klar sein, dass die Länder sich angemessen an einer Finanzierung beteiligen und Tarifstrukturen vereinfacht werden.

Frage: War das nicht die Idee der Grünen, die dann in Ergänzung zum Tankrabatt noch aufgenommen wurde?

Djir-Sarai: Es ist bemerkenswert, dass alles, was als gut empfunden wird, angeblich eine Idee der Grünen ist. Ich will das richtig einordnen: Den Vorschlag für ein 9-Euro-Ticket hat damals Volker Wissing gemacht. Die ersten Reaktionen aus den Bundesländern waren durch die Bank kritisch. Gleiches Spiel beim Tankrabatt – was mussten wir uns da in den letzten Monaten an Kritik anhören. Und nun gibt es mehrere Studien, die zeigen, dass der Tankrabatt als Instrument zur Inflationsbekämpfung erfolgreich ist und darüber hinaus in der Bevölkerung geschätzt wird.

Frage: Also ein voller Erfolg?

Djir-Sarai: In der Tat. Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang übrigens auch, dass sich nun der SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen, Herr Weil, zum Tankrabatt bekannt hat und eine Verlängerung fordert. Es ist schon interessant, dass außer der FDP und der Breite der Bevölkerung nun auch Sozialdemokraten den Tankrabatt für sich entdecken.

Frage: Ist es nicht deprimierend, dass sich die Regierung in diesen Krisenzeiten so zerstritten präsentiert?

Djir-Sarai: Entscheidend ist, dass man als Koalition in der Lage ist, gemeinsam gute Lösungen für das Land zu finden. Bis jetzt ist uns das gelungen. Wir streiten, wir diskutieren, aber am Ende des Tages einigen wir uns. Das ist aus meiner Sicht richtig, denn hier geht es um nichts Geringeres als um die besten Lösungen für unser Land. Neben uns als FDP besteht die Regierung aus zwei linken Parteien. Das ist natürlich kommunikationsintensiv. Trotzdem glaube ich, dass man, wenn man in zehn Jahren auf diese Zeit zurückschaut, sagen wird: Das war genau die richtige Koalition zum richtigen Zeitpunkt. Keine andere Koalition könnte die Zeitenwende gesellschaftspolitisch mehrheitsfähig machen.

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