Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab den „Stuttgarter Nachrichten” (Montagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Tobias Peter.
Frage: Herr Dürr, was ist wichtiger: mehr Geld für die Bundeswehr oder für die Kindergrundsicherung?
Dürr: Ich bin dagegen, die Debatte so zu führen, dass wir Kindergrundsicherung und mehr Geld für die Bundeswehr gegeneinander ausspielen.
Frage: Wir verstehen Ihren Parteichef, Finanzminister Christian Lindner, schon so, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann. Und dass er finanzielle Grenzen für die Kindergrundsicherung sieht.
Dürr: Das politische Ziel, um das es bei der Kindergrundsicherung geht, ist aus Sicht der FDP nicht, die bisherigen Leistungssätze stark zu erhöhen. Dafür gibt es auch den finanziellen Spielraum nicht. Die Idee ist vielmehr, dass das Geld, das bisher für Familien vorgesehen ist, tatsächlich bei ihnen ankommt. Das ist derzeit oft nicht der Fall, weil in dem bürokratischen Dickicht von Leistungen nicht alle Familien wissen, was ihnen zusteht.
Frage: Familienministerin Lisa Paus von den Grünen kämpft für generell höhere Leistungen. Sie will rund 10 Milliarden Euro im Jahr zusätzlich.
Dürr: Wir haben gerade das Kindergeld erhöht. Es geht aber nicht darum, immer neues Geld ins Schaufenster zu stellen. Wir wollen – ich sage es noch einmal – dafür sorgen, dass das vorhandene Geld bei den Familien ankommt. Insofern gibt es eine Gemeinsamkeit, wenn wir auf die Kindergrundsicherung und die Bundeswehr schauen. Auch bei den Verteidigungsausgaben ist es wichtig, dass das Geld bei der Truppe ankommt. Das war in der Vergangenheit wegen des langsamen Beschaffungswesens nicht ausreichend der Fall. Das wollen wir ändern.
Frage: Finanzminister Lindner hat gerade die Reißleine gezogen – und die Vorstellung der Eckwerte des Haushalts auf unbestimmte Zeit verschoben. Ist das nicht ein Offenbarungseid für die Ampel?
Dürr: Der Finanzminister weiß, was er will und was seine Aufgabe ist. Die Ressorts haben weit höhere Ausgaben angemeldet, als es vorher abgesprochen war. Das geht so nicht. Darüber muss jetzt im Kabinett gesprochen werden – in aller Deutlichkeit. Das hat Christian Lindner zurecht klargemacht.
Frage: Was bedeutet das?
Dürr: Ich appelliere an jede einzelne Ministerin und jeden einzelnen Minister, im eigenen Ressort genau zu prüfen, wo noch eingespart werden kann. Die Schuldenbremse muss eingehalten werden. Darauf besteht die FDP – jetzt und auch in kommenden Jahren. Hier geht es um unsere Verfassung und um einen fairen Umgang mit künftigen Generationen. In Zeiten der Inflation drohen uns für Schulden immer höhere Zinsbelastungen. Den Weg der Großen Koalition, über Schulden jeden Wunsch zu erfüllen, können wir nicht weitergehen. Wir müssen im Haushalt Prioritäten setzen. Anders geht es nicht.
Frage: Die FDP hat in der Opposition immer gesagt, man müsse nur überflüssige Subventionen abbauen, dann regelten sich ganz viele Haushaltsprobleme von selbst. In der Regierung ist es dann anscheinend doch schwieriger.
Dürr: Ich will das sehr ehrlich beantworten: In einer Koalitionsregierung gibt es, wenn es um den Abbau ganz konkreter Subventionen geht, oft Interessenunterschiede zwischen den Partnern. Es ist aber notwendig, dass wir da weiter vorankommen. Daran arbeiten wir.
Frage: Anders ausgedrückt: Irgendeiner will die Subvention immer behalten.
Dürr: Ich will ein Beispiel geben, worum es mir geht. Ist es wirklich klug, Gas- und Ölheizungen übereilt komplett zu verbieten, um dann mit Steuergeld die Folgen abzumildern? Nein, das ist der falsche Weg. Und deshalb wollen wir Klimaminister Robert Habeck helfen, einen besseren zu finden. Wir setzen auf technologische Fortschritte – beispielsweise, indem man CO2-freien Wasserstoff vermehrt für die Wärmenutzung einsetzt.
Frage: Müssen Sie angesichts gigantischer Krisenkosten sich nicht ehrlich machen und sagen: Das Versprechen, niemandem die Steuern zu erhöhen, ist nicht mehr haltbar?
Dürr: Es bleibt dabei: Mit der FDP gibt es keine Steuererhöhungen. Und auch eine Vermögensabgabe machen wir nicht mit. Denn das Vermögen steckt ja in Werkshallen und Anlagen. Diese zusätzlich zu besteuern gefährdet Arbeitsplätze. Deutschland ist bereits ein Höchststeuerland. Deshalb gilt: Wir dürfen nichts tun, was die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland gefährdet. Da werden wir die Koalition auf Kurs halten – und das gilt uneingeschränkt für die gesamte Legislaturperiode.
Frage: Sie teilen den Satz „Starke Schultern können mehr tragen“ nicht?
Dürr: Viele starke Schultern tragen schon viel. Und die Menschen, über die wir hier reden, schaffen oft auch viele Jobs in Deutschland. Das sind Arbeitsplätze, das ist Wachstum, auf das ich nicht verzichten möchte. Wir dürfen die Unternehmen nicht aus dem Land treiben.
Frage: Die FDP hat mehrere Landtagswahlen verloren. Müssen Sie nun in der Regierung mehr Profil zeigen? Oder ist es die bessere Strategie, zu einer geräuschlosen Zusammenarbeit beitragen, damit die gesamte Koalition, inklusive Ihnen, besser dasteht?
Dürr: Politik ist kein Theaterstück, bei dem man in die Rolle des lauten oder leisen Koalitionspartners schlüpft. Die Koalition muss konzentriert arbeiten. Es geht darum, dass wir die richtigen Entscheidungen in der Sache treffen – und das auch in einer hohen Geschwindigkeit tun. Dass in Deutschland in wenigen Monaten ein LNG-Terminal ans Netz gegangen ist, wäre vor der Ampel unvorstellbar gewesen. Das ist doch großartig. Wir wollen der ungeduldige Treiber in der Koalition sein.
Frage: Mit Kanzler Scholz und der SPD haben Sie offenbar einen Modus Vivendi gefunden. Warum schaffen FDP und Grüne es nicht, eine unkompliziertere Beziehung aufzubauen?
Dürr: Ich finde die Beziehung von FDP und Grünen überhaupt nicht kompliziert.
Frage: Nehmen Sie uns bitte nicht übel, dass wir da ein bisschen lachen müssen.
Dürr: FDP und Grüne sind unterschiedliche Parteien. In der Sache können wir hart miteinander streiten – und das gehört in der Demokratie auch dazu. Das gilt auch dann, wenn man in einer Regierung sitzt. Wir haben aber immer wieder bewiesen, dass wir das Land gemeinsam voranbringen können, beispielsweise bei den LNG-Terminals oder der steuerlichen Entlastung der hart arbeitenden Mitte von über 50 Milliarden Euro – und das in schwierigen Zeiten. Blicken Sie mal nach Europa: Wenn sie den Menschen in anderen Ländern sagen würden, das größte Problem in einer Regierung sind Themen wie die unterschiedlichen Auffassungen zu Gasheizungen, würden sie neidvoll auf Deutschland blicken.