VOGEL-Interview: Wir können nun den Modernisierungsmotor anwerfen

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Johannes Vogel gab dem „Focus“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Antje Hildebrandt und Thomas Tuma:

Johannes Vogel
Johannes Vogel, Generalsekretaer der FDP in Nordrhein-Westfalen, im Portrait. Europa, Deutschland, Nordrhein-Westfalen, Koeln, 16.07.2017

Frage: Herr Vogel, wie schlecht geht’s der FDP aktuell auf einer Skala von Eins wie „Leicht verschnupft“ bis Zehn für „Anruf beim Notarzt“?

Vogel: Drei bis vier, würde ich sagen. Was ich aber gut finde und was uns auch antreiben muss: Wir kommen jetzt endlich ins Gestalten. Wir haben das Land gut durch den Winter gebracht. Aber Krisenreaktion reicht nicht, genau dieser Politikmodus der Merkel-Jahre hat uns ja gerade eingeholt. Nach einem wahrlich anstrengenden Krisenjahr können wir nun den Modernisierungsmotor anwerfen. Eine ureigenste Rolle der FDP…

Frage:  … die allerdings seit Ampel-Start fünf Landtagswahlen hintereinander verloren hat.

Vogel: Ich habe keine Lust, bei jeder Landtagswahl darum zu zittern, ob die FDP ins Parlament einzieht. Das kann nicht unser Anspruch sein – meiner ist es nicht. Umso wichtiger, dass wir unsere Handschrift in der Koalition jetzt noch sichtbarer machen.

Frage: Was lief bei all den Wahlen schief?

Vogel: Die Gründe sind vielfältig. Die CDU war zudem auf den Zielgeraden zuletzt sehr erfolgreich und hat auch Anteile der Wechselwähler für sich gewinnen können. Dazu kommt: Wir sind 2021 als erneuerte Partei zum zweiten Mal mit einem zweistelligen Ergebnis in den Bundestag eingezogen. Unsere langfristige Herausforderung ist nun, mehr Menschen dauerhaft an uns zu binden. Das ist ein Dauerlauf.

Frage: Der Anteil der Frauen an Ihrer Mitgliederbasis liegt bei nur gut 20 Prozent. Ist so ein Männerverein noch zeitgemäß?

Vogel: Natürlich kann uns das nicht zufriedenstellen. Zumal ich glaube, dass sich für eine moderne, liberale Partei langfristig viel mehr Menschen begeistern können als die momentan sieben, acht Prozent in den Umfragen. Der Frauenanteil ist jedenfalls ein großes Handlungsfeld. Seit einiger Zeit sehen wir erste Fortschritte. Der Fraktionsvorstand ist mittlerweile immerhin zu 40 Prozent weiblich besetzt, der Bundesvorstand auch.

Frage: Die sichtbarste FDP-Frau ist aktuell Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

Vogel: Eine großartige Kollegin mit einer ganz eigenen Art…

Frage: … was man auch öfter mal über Wolfgang Kubicki hört …

Vogel: … auf den das ja ebenso zutrifft.

Frage:  Jetzt wird’s für FDP-Verhältnisse aber sehr harmonisch.

Vogel: Das ist doch gerade das Tolle an einer liberalen Partei wie unserer, dass sie höchst unterschiedliche Köpfe und Temperamente vereint. Marie-Agnes ist rhetorisch auch mal hundert Meter vor der Front. Aber die Richtung stimmt immer.

Frage: Ihre Basis fremdelt derweil weiter mit den beiden eher linken Regierungspartnern. Was tun?

Vogel: Wir haben eine stolze Geschichte als Partei, die Verantwortung übernehmen will. Und das tun wir gerade. Glauben wir, Westbindung, RAF-Terror oder NATO-Doppelbeschluss waren leicht? Zudem wurden wir gewählt, um das Land zu modernisieren. „Nie gab es mehr zu tun“ war unser Motto. Dann müssen wir jetzt auch die Ärmel hochkrempeln.

Frage: War die FDP nicht immer auch ein Korrektiv in wechselnden Regierungs-Koalitionen?

Vogel: Früher ja. Sie war lange auch ein Scharnier in einem Drei-Parteien-System. Das ist Geschichte, die alten Lager gibt es nicht mehr. Die Schlussfolgerung ist: Wir Freie Demokraten können uns nur auf uns selbst, auf unsere eigene Stärke verlassen. Und wir alle müssen auch ein Stück weit unsere politische Kultur verändern, wenn unterschiedlichste Parteien koalieren müssen.

Frage: Wie kann das gelingen?

Vogel: Erstens: Die Unterschiedlichkeit der Parteien muss erkennbar sein, aber nicht jede Auseinandersetzung gleich als Krisensymptom interpretiert werden. Zweitens: Das heißt auch, dass innerhalb der Parteien nicht jeder Kompromiss gleich als Verrat gebrandmarkt wird. Und drittens: Wir müssen noch feiner unterscheiden, was gemeinsam getan wird und was nur Einzelne sagen oder wollen.

Frage: Aus jeder der letzten Wahlschlappen wurde als Konsequenz gezogen, noch klarer Kante zu zeigen gegenüber Rot-Grün. Das Kalkül ging nicht auf, oder?

Vogel: Kante zu zeigen ist ja auch richtig, wenn Koalitionspartner falsche Vorschläge machen. Wenn sie zum Beispiel nicht in erster Linie das Klima schützen wollen…

Frage: … sondern?

Vogel: …kleinteilig bestimmte Heizungstechniken vorschreiben möchten und funktionierende Heizungen mit einer Art Verschrottungsgebot belegen. Da machen wir dann nicht mit – und das werden wir auch künftig nicht. Viel wichtiger aber ist: ein konstruktiver Plan für eine moderne Gesellschaft. Das ist unsere Aufgabe als Freie Demokraten.

Frage: Sie haben schon nach der verlorenen Niedersachsen-Wahl erklärt, man müsse eine „Dafür-Partei“ werden. Festgesetzt hat sich der oft gehörte Vorwurf, die Liberalen seien „Bremser“.

Vogel: Ich will mich über das Bild mancher Medien nicht beschweren. Jammern ist nicht mündig. Dafür-Partei heißt auch nicht, für alles zu sein. Über manche Überschriften wundere ich mich aber doch, etwa wenn der Eindruck erzeugt wird, dass der FDP Kinder egal seien…

Frage: … weil Ihre Partei die rot-grüne Idee der Kindergrundsicherung nicht unterstützt?

Vogel: Natürlich wollen wir eine aufstiegsorientierte und endlich faire Unterstützung von Kindern und Jugendlichen. Chancengerechtigkeit unabhängig vom Elternhaus, das ist Kernthema der Freien Demokraten. Aber die zuständige grüne Familienministerin Lisa Paus muss schon ein schlüssiges Konzept liefern, wie der bisherige Wildwuchs da endlich    gelichtet und sinnvoll sortiert werden kann. Platt mehr Geld zu fordern, ohne sagen zu können, wofür – das geht mit uns eben nicht.

Frage: Was hat Frau Paus falsch gemacht?

Vogel: Kaum irgendwo im Sozialstaat herrscht ein solches Wirrwar wie bei den familienbezogenen Leistungen – ich weiß, wovon ich rede, ich habe viele Jahre Sozialpolitik gemacht. Dadurch haben viele Familien keinen Überblick, worauf sie einen Anspruch haben, Unterstützung bei der Bildung kommt nicht an, der Kinderzuschlag für Familien mit kleineren Einkommen wird von rund 70 Prozent der Berechtigten nicht abgerufen. Das schreit doch geradezu nach Entbürokratisierung und Digitalisierung. Das ist harte sozialpolitische Arbeit. Lisa Paus macht diese Hausaufgaben nicht, gibt dafür aber die Schuld Christian Lindner. So kommen wir nicht weiter.

Frage: Ist die Schuldenbremse der wichtigste Verbündete der FDP in der Ampel?

Vogel: Sie ist zunächst mal in der Verfassung verankert und ein Garant echter Generationengerechtigkeit. Wir brauchen umfassende Nachhaltigkeit – bei Klima, Sozialsystemen und öffentlichen Finanzen.  Sie zwingt zur Priorisierung, auch und gerade bei der Modernisierung unseres Landes. Es geht letztlich darum, wie wir die Rahmenbedingungen für Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft steigern. Das Land hat viel zu lange kurzatmig in Legislaturperioden gedacht. Prompt erodierte die Rolle Deutschlands bei vielen Parametern: Hiesige Konzerne spielen weltweit eine immer kleinere Rolle. Die Zahl der Unternehmensgründungen lässt zu wünschen übrig. Patentanmeldungen, Zukunftsinvestitionen – alles rückläufig. Und das alles wurde von unseren Vorgängerregierungen zugelassen in Zeiten, in denen es diesem Land eigentlich gut ging.

Frage:  Was also tun?

Vogel: Wir müssen überall aufs Tempo drücken, etwa beim Ausbau großer Infrastrukturprojekte bei Bahn, Straße, Stromtrassen, Erneuerbaren Energien, Ladesäulen-Netz, eFuels, CCS, Digitalisierung, aber auch der gezielten Einwanderung ausländischer Fachkräfte. Das machen wir jetzt, das war Ergebnis alleine der letzten zwei Wochen. Bisher ersticken wir in Langsamkeit. Ich will, dass wir nicht nur im Rekordtempo LNG-Terminals aufbauen, sondern unser Land auch insgesamt schneller machen. Wir können das. Davon bin ich überzeugt.

Frage: Ist beim jüngsten Koalitionsausschuss so eine Art Knoten für die FDP geplatzt?

Vogel: Es langweilt mich, wenn Politik wie ein Fußballspiel oder Pferderennen betrachtet wird. Wenn es also nicht mehr um die Sache geht, sondern nur noch um die Frage, wer sich wo durchgesetzt hat …

Frage: … was die FDP-Pressestelle sofort nach Ende der Verhandlungen in Meldungen ausgiebig erklärt hat.

Vogel: Man muss schon deutlich machen, wer für was steht. Trotzdem muss die Frage sein: Wie bringen wir das Land voran? Da haben wir jetzt den richtigen Modus erreicht.

Frage: Ist SPD-Kanzler Olaf Scholz nun dauerhaft auf die Seite der Liberalen gerutscht?

Vogel: Auch die Sozialdemokraten waren zurecht der Ansicht, dass wir beim Infrastruktur-Ausbau überall mehr Tempo brauchen. Bei drei Partnern in einer Koalition wechseln sich Nähe und Ferne in Einzelfragen immer ab. Beim Thema Waffen für die Ukraine waren sich etwa Grüne und FDP näher.

Frage: Welche Sollbruchstellen drohen in der Ampel als nächstes?

Vogel: Keine Sollbruchstellen, wohl aber Herausforderungen. Etwa bei der Ausgestaltung eines künftigen Rentenpakets haben wir mit Teilen von SPD und Grünen sicher noch harte Debatten vor uns. Oder denken Sie ans Thema Wettbewerbsfähigkeit: Da sind zumindest wir Liberalen der Ansicht, dass wir noch deutlich mehr in punkto Technologie-Freiheit tun müssen.

Frage:  Woran denken Sie da?

Vogel: Im Fall von Biontech kulminierte zuletzt alles, was den Standort Deutschland stark machen kann: Marktwirtschaft, Einwanderungsland, offene Gesellschaft, Unternehmertum und Nutzung neuer Technologien. Es muss uns wachrütteln, dass so eine Firma Teile ihrer Krebsforschung dann nach Großbritannien verlegt. Etwa im Bereich Gentechnik sollten wir zum Beispiel die Rahmenbedingungen weiter liberalisieren – zum Beispiel durch ein Technologiefreiheitsgesetz.

Frage: Sie selbst haben sich schon für mehr Radwege und weniger Autoverkehr in den Städten ausgesprochen. Sie fordern wie die Grünen vom Kanzler eine härtere Gangart gegenüber China und reisten mit Strack-Zimmermann schon nach Taiwan als „Geste der Solidarität“. Sind Sie eine Art Anti-Lindner?

Vogel: Quatsch. Ich bin einfach mein eigener Kopf und ja auch eine andere politische Generation in der FDP.

Frage: Sie liegen doch nur wenige Jahre auseinander.

Vogel: Aber Christian Lindner macht ja schon deutlich länger beruflich Politik als ich.

Frage: Hat Lindner einen Anteil an den zuletzt schlechten Umfragewerten?

Vogel: Wir haben hier als Gesamtpartei eine gemeinsame Aufgabe. Die FDP hat als Partei schon größere Herausforderungen gemeistert als in der Ampel. Und sie lernte daraus, dass es der richtige Weg ist, hier gemeinsam durch zu gehen.

Frage: Steht Lindners Doppelrolle als Finanzminister und Parteichef überhaupt zur Disposition?

Vogel: In der FDP hat es Tradition, die Ämter zusammenzuhalten und Christian Lindner hat meine Unterstützung dabei, das zu tun. In Personaldebatten zu verfallen, wäre der falsche Weg. Wir sollten den bevorstehenden Parteitag nutzen, um tolle programmatische Debatten zu führen, denn klar ist auch: Wir müssen unsere Themen weiterentwickeln und uns selbst fragen: Was sind unsere nächsten Projekte?

Frage: Es könnten CO2-Bepreisung und Zertifikatehandel sein.

Vogel: Zum Beispiel. Wir brauchen dieses Instrument so schnell wie möglich in allen Sektoren. In der Klimaschutzpolitik müssen wir nämlich noch besser darin werden, die Kräfte der Marktwirtschaft zu nutzen. Dass der Zertifikatehandel das wirksamste Klimaschutz-Instrument ist, sieht man auf EU-Ebene seit Jahren: Die erfassten Bereiche erreichen ihre Klimaziele.

Frage: Ist die von Ihnen skizzierte Technologie-Freiheit die Fortsetzung der viel diskutierten Technologie-Offenheit?

Vogel: Diese Freiheit ist getragen von der konsequenten Überzeugung, dass der Mensch nicht die Geißel des Planeten ist, sondern das Potenzial der Problemlösungen in sich trägt. Hannah Arendt hat mal so schön gesagt, dass mit jedem Kind Hoffnung in die Welt kommt. Das sehe ich genauso.

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