LINDNER-Interview: Es muss eine Wende in der Migrationspolitik geben

Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesminister der Finanzen Christian Lindner gab dem „Weser-Kurier“ das folgende Interview. Die Fragen stelle Jörg Helge Wagner.

Christian Lindner
Christian Lindner

Frage: Herr Lindner, Länder und Kommunen stöhnen unter den Lasten für die höchsten Asylbewerberzahlen seit Langem und einer Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Was können sie vom Gipfeltreffen im Kanzleramt am Mittwoch erwarten?

Lindner: Endlich eine Wende in der Migrationspolitik, wie ich hoffe. Die Probleme kann man nicht dauerhaft nur mit Geld lösen. Der Bund gibt bereits Milliardensummen an die Länder. So übernimmt er beispielsweise bei den Geflüchteten aus der Ukraine den Lebensunterhalt, das Bürgergeld – obwohl hier die Länder zuständig wären. Wir müssen also vielmehr darüber sprechen, wie wir die Zahlen unter Kontrolle bekommen.

Frage: Nämlich?

Lindner: Deutschland hat es über Jahre hinweg den Menschen zu schwer gemacht, die wir als fleißige Hände und kluge Köpfe brauchen. Das ändern wir. Zugleich machen wir es denen zu leicht zu bleiben, die zur Ausreise verpflichtet sind. Wir brauchen daher einen wirksamen Schutz der Außengrenze der EU, notfalls mit Zäunen, und mehr sichere Herkunftsländer, in die wir erleichtert abschieben können. Hier müssen die Grünen über ihren Schatten springen. Ein Land wie Bremen könnte zudem erwägen, Asylbewerbern statt Geld nur Sachleistungen zu gewähren.

Frage: Was spricht dagegen, zur Regelung von 2016 zurückzukehren, als die Belastung ähnlich groß war? Damals erhielten die Länder vom Bund 670 Euro monatlich pro Geflüchteten, die Unterstützung richtete sich also nach dem tatsächlichen Bedarf.

Lindner: Das wäre auch für die Länder ein Rückschritt, weil der Bund inzwischen ja komplett das Bürgergeld für die Geflüchteten aus der Ukraine übernimmt. Hinzu kommt ein höherer Anteil für die Kosten der Unterkunft. Man darf nicht vergessen, dass der Bund auch eigene Aufgaben hat, die seit 2016 in ihrer Bedeutung gewachsen sind. Ich denke beispielsweise an die Stärkung der lange vernachlässigten Bundeswehr. Das nimmt den Bundeshaushalt stark in Anspruch.

Frage: Und davon wollen Sie die geschlossene Phalanx der Ministerpräsidenten der Länder überzeugen?

Lindner: Es sind Realitäten, die vorgetragen werden. Der Bund ist an seine Grenze gekommen. Ich weiß, dass etwa Herr Bovenschulte nie zögert, zur Finanzierung die Aussetzung der Schuldenbremse im Bund zu fordern. So macht er es ja auch in Bremen. Aber den Kapitalmärkten ist egal, für welchen Zweck der Staat Schulden aufnimmt. Zins und Tilgung müssen dennoch gezahlt werden. Das stranguliert auf Dauer die Staatsfinanzen. Und Staatsausgaben auf Pump treiben noch die Inflation, die wir bekämpfen müssen.

Frage: Ihr Kabinettskollege Hubertus Heil brüstete sich jüngst im Interview mit dem Weser-Kurier, wir hätten „heute den höchsten Stand von Beschäftigten, den wir je hatten“. Da müssen die Steuerquellen doch nur so sprudeln.

Lindner: Der Staat wird tatsächlich mehr als eine Billion Euro einnehmen. Aber die Ansprüche an den Staat und die in der Vergangenheit insbesondere von der CDU/CSU beschlossenen Leistungen und Subventionen sind schneller gestiegen, als unsere Wirtschaft wächst. Die Einnahmen reichen nicht für die Ausgaben.

Frage: Also braucht es zusätzliche Einnahmequellen?

Lindner: Nein, wir müssen lernen, mit dem auszukommen, was die Bürgerinnen und Bürger erwirtschaften können. Herr Bovenschulte ist ja ebenfalls nie verlegen, eine noch höhere Besteuerung zu fordern. Deutschland ist aber bereits ein Höchststeuerland. Wir sehen beim Wirtschaftswachstum, dass wir hinter andere Länder zurückfallen. Steuererhöhungen würden die wirtschaftliche Erholung beschädigen – und am Ende zulasten von Arbeitsplätzen im Mittelstand gehen.

Frage: Die OECD empfiehlt jetzt, Arbeit geringer zu besteuern und stattdessen Kapitalertrag-, Grund-, Erbschaft- und Verbrauchsteuern anzuheben, damit der Ausbau der Infrastruktur und die Energiewende gelingen. Doch nicht mit Ihnen, oder?

Lindner: Dieser Rat ist sehr diskussionswürdig. Es scheint mir zum Beispiel übersehen zu werden, dass wir in Deutschland eine Grunderwerbsteuer haben. Bei uns wird die Vermögensklasse Immobilie also anders als anderswo bereits beim Kauf besteuert. Ich schließe jedenfalls für die Ampelkoalition Steuererhöhungen aus. Wir brauchen eher in der ganzen Breite eine steuerliche Entlastung, insbesondere bei kleinen und mittleren Einkommen. Damit haben wir ja schon begonnen.

Frage: Aber das reicht Ihnen nicht.

Lindner: Ich wünsche mir, dass mehr Menschen die Chance haben, Wohneigentum zu erwerben. Wenn ich in Bremen mitsprechen könnte, würde ich dafür sorgen, dass der Kauf einer selbst genutzten Wohnung von der Grunderwerbsteuer befreit wird. Die Käufer haben mit den hohen Zinsen genug zu tun, und Eigentum darf kein Luxus werden.

Frage: Umfragen sehen die Liberalen in Bremen trotzdem gerade bei nur sechs Prozent. Chancen auf Regierungsbeteiligung: null. Warum ist Ihre Partei ausgerechnet in einer alten, weltoffenen Handelsstadt so schwach?

Lindner: Die FDP wird gerade stärker. Umfragen sehen uns ja bei bis zu sieben Prozent. In der Bürgerschaft haben die Liberalen eine wichtige Rolle als Partei der Mitte. Mit Bedauern sehe ich ja, dass die Union nach links rückt, da inzwischen auch sie mit Steuererhöhungen liebäugelt. Auch in Bremen macht die CDU leider eine Politik, die von SPD und Grünen kaum unterscheidbar ist.

Frage: Die denken eben an künftige Koalitionspartner.

Lindner: Mag sein. Aber wer vor der Wahl schon an Koalitionspartner denkt, der macht sich doch klein. Die Frage ist doch, wer in der Bürgerschaft für den Wert der Freiheit streitet und das Parlament daran erinnert, dass Wohlstand nicht nur verteilt, sondern erst einmal erwirtschaftet werden will. Oder dass soziale Gerechtigkeit nicht nur eine Frage von Sozialausgaben ist, sondern vor allem abhängt von der Verbesserung des Bildungssystems und der gesellschaftlichen Teilhabe. Wir als FDP übernehmen diese Aufgaben gerne.

Frage: In Bremen hat die FDP aber auch noch Konkurrenz durch die Bürger in Wut, die aktuell bei neun Prozent liegen. Müsste die FDP nicht eher in deren Wählerschaft wildern – und nicht umgekehrt?

Lindner: Eine liberale Partei kann nicht mit Kräften im Wettbewerb stehen, die „Wut“ im Namen führen.

Frage: Die benennen sich ja demnächst um.

Lindner: Also ein trojanisches Pferd?

Frage: Die neun Prozent interessieren die FDP also gar nicht?

Lindner: Wir interessieren uns für Sachfragen. Wer eine Partei will, die Ideen hat, wie Bremen und Bremerhaven vorankommen, kann konkret die FDP wählen. Wir haben während der Pandemie gezeigt, dass bei der Wahrung von Bürgerrechten auf uns Verlass ist. Ebenso jetzt in der Bundesregierung, wenn es darum geht, Experimente bei Heizungen und Verbrennungsmotoren abzuwehren.

Frage: Bitte vervollständigen Sie zum Abschluss noch folgenden Satz: Verglichen mit der CSU ist Regieren mit den Grünen …

Lindner: … immerhin verlässlicher: Die Grünen haben zwar oft eine andere Meinung als wir, ändern sie aber nicht zwischen Vormittag und Abend.

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