Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Johannes Vogel gab ntv.de das folgende Interview. Die Fragen stellte Volker Petersen.
Frage: Wie muss man sich bei so einer Klausur die Stimmung vorstellen? Klassenfahrt oder kühles Business-Meeting?
Vogel: Es ist eine gute Mischung. Wir sehen uns nach dem Sommer zum ersten Mal persönlich wieder, man kommt menschlich wieder zusammen. Und wir haben hier ein sehr wichtiges Thema in den Mittelpunkt gestellt. Wie steigern wir die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes? Da waren die Beschlüsse zum Wachstumschancengesetz und zum Bürokratieabbau in Meseberg ein sehr wichtiger Schritt. Aber wir müssen weiter vorankommen.
Frage: Zugleich haben wir diese Woche erfahren, dass das Bürgergeld um 12 Prozent erhöht werden soll. Der Mindestlohn steigt aber nur um weniger als 3,5 Prozent. Ist das gerecht?
Vogel: Die Erhöhung des Bürgergelds ist keine politische Entscheidung. Daher wird sich auch nicht der Bundestag damit befassen. Die Anpassung der Regelsätze des Bürgergelds erfolgt nach einer Formel, die es schon bei Hartz IV ganz genauso gab. Die wiederum geht zurück auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Demnach wird das Existenzminimum zu 70 Prozent aufgrund der Inflation und zu 30 Prozent auf Basis der Lohnentwicklung angepasst. Dem Gesetz hat übrigens auch die Union zugestimmt und das bis jetzt auch nie problematisiert. Es gibt also gar keinen politischen Handlungsspielraum. Es stimmt ja auch, dass Menschen, die am Existenzminimum leben, von Teuerung besonders betroffen sind.
Frage: Das gilt aber auch für Geringverdiener.
Vogel: Umso wichtiger ist es, dass sich Arbeit wieder mehr lohnt. Der Sozialstaat ist auf die Akzeptanz derjenigen angewiesen, die ihn finanzieren – daher müssen diese genauso entlastet werden. Insofern löst die Bürgergeldanpassung nach meiner Überzeugung schon einen politischen Handlungsbedarf aus.
Frage: Sie haben auf der Klausur beschlossen, sich für eine steuerliche Entlastung einzusetzen. Wie sieht die aus?
Vogel: Wir müssen hier konkret dafür sorgen, dass nicht nur Sozialleistungen jährlich an die Inflation angepasst werden, sondern auch die Steuersätze. Bislang passiert das aber nur alle zwei Jahre. Das jedes Jahr zu tun, wäre gerade in Zeiten hoher Inflation nur fair. Das würde kleine und mittlere Einkommen entlasten, weil höhere Steuern erst später als bisher greifen und der Staat nicht höhere Steuern kassiert, obwohl man gar nicht mehr Kaufkraft in der Tasche hat.
Frage: Und am Ende habe ich fünf Euro mehr im Monat?
Vogel: Wie viel es genau wird, hängt von der tatsächlichen Inflation und dem Gehalt ab. Dass es um relevante Summen geht, sehen Sie daran, dass es letztes Jahr, als wir eine Anpassung an die Inflation gemacht haben, ein milliardenschwerer Betrag dabei herauskam – eine echte Entlastung für die Menschen in unserem Land.
Frage: Es geht dabei um das Lohnabstandsgebot, also den Grundsatz, dass jemand, der arbeitet, am Ende immer mehr haben muss, als jemand der nicht arbeitet. Wäre in diesem Sinne nicht auch eine kräftige Erhöhung des Mindestlohns richtig? Der soll aber nur um 41 Cent auf 12,41 Euro steigen.
Vogel: Wer arbeitet, muss immer mehr haben als jemand, der das nicht oder weniger tut. Das muss sich natürlich auch in den Löhnen spiegeln, die wir aber nicht politisch festschreiben dürfen. Die Politik muss für gute Rahmenbedingungen sorgen, damit die Löhne kräftig steigen können. In Deutschland haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, Lohnverhandlungen strikt den Tarifpartnern zu überlassen.
Frage: Aber der Mindestlohn wird von einer Kommission bestimmt.
Vogel: Genau, aber in der sitzen wiederum allein die Tarifpartner. Das sind Arbeitgeber und Gewerkschaften, aber nicht die Politik. Es ist klug, dabei zu bleiben. Die Aufgabe der Politik ist es aber, dafür zu sorgen, dass der Staat sich nicht an der Inflation bereichert und wir die Bürger wie beschrieben entlasten. Wenn wir aber den absolut zentralen Grundsatz des Lohnabstandsgebotes stärken wollen, müssen wir noch etwas Zweites machen.
Frage: Und das wäre?
Vogel: Auch in den Grenzbereichen unseres Sozialstaates muss sich Leistung stärker lohnen. Ich rede von Menschen, die etwa Teilzeit arbeiten, aber trotzdem Bürgergeld beziehen, um ihre Familie zu ernähren. Dabei geht es um den erlaubten Zuverdienst. Das klingt technisch, ist aber unheimlich wichtig. Wenn man sich gerade aus der Bedürftigkeit herausarbeitet, muss sich Mehrarbeit stärker lohnen. Denn jede und jeder muss durch eigene Leistung vorankommen können.
Frage: Reden wir über die Energiepolitik, da streitet die Ampelkoalition um einen vergünstigten Industriestrompreis. Die FDP ist dagegen. Sind Sie keine wirtschaftsfreundliche Partei mehr?
Vogel: Wir sind keine Partei weniger großer Unternehmen, wir sind die Partei der Marktwirtschaft. Das heißt, wir müssen die Rahmenbedingungen für alle verbessern. Mir bereiten die hohen Strompreise auch große Sorgen. Das vorgeschlagene Modell des Industriestrompreises ist aber aus zwei Gründen unklug: Erstens soll er über Schulden finanziert werden und das Geld haben wir schlicht nicht. Zweitens kann es doch nicht sinnvoll sein, dass wir einerseits das Energieangebot künstlich verknappen, weil die Koalitionspartner nicht bereit waren, 30 Terrawatt aus sicheren und klimaneutralen Kernkraftwerken noch länger laufen zu lassen, um andererseits den Strompreis für Wenige heruntersubventionieren. Es ist unfair, wenn wenige Betriebe von einem niedrigen Strompreis profitieren, andere Betriebe im Handwerk oder im Mittelstand und auch die Bürger aber nicht – und das dafür dann finanzieren sollen.
Frage: Aber an dieser Industrie hängen viele Arbeitsplätze und die wollen wir doch nicht verlieren.
Vogel: Absolut. Deswegen brauchen wir einen Weg, der sowohl der Industrie als auch Handwerk und Mittelstand hilft. Die Lösung ist: Energieangebot ausweiten und die Stromsteuer für alle senken. Das ist sinnvoller, als erst Steuern zu erheben, um danach für wenige zu subventionieren.
Frage: Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang sagt, die großen Unternehmen seien ohnehin von der Stromsteuer ausgenommen und hätten gar nichts davon.
Vogel: Das stimmt nicht, der Spitzenausgleich läuft aus. Senken wir die Stromsteuer, zahlen aber alle weniger. Sinkt der Strompreis um zwei Cent pro Kilowattstunde, würde das vielen energieintensiven Unternehmen schon sehr helfen. Das wäre genau der Effekt, wenn wir die Stromsteuer auf das europarechtliche Minimum von 0,05 Cent senken.
Frage: Herr Lindner sagt doch immer, es gibt keinen Spielraum mehr im Haushalt. Aber diese Steuersenkung würde rund sechs Milliarden Euro kosten. Wo soll das Geld herkommen?
Vogel: Das wäre erstens sehr viel weniger als das, was beim Industriestrompreis vorgeschlagen wird. Und das ist doch zweitens dann die Debatte, die wir führen müssen. Wenn auch die Koalitionspartner sagen, dass der Strompreis zu hoch ist, müssen wir gemeinsam überlegen, wie wir uns Spielräume im Haushalt erarbeiten. Eine andere Alternative könnte sein, den Klima- und Transformationsfonds mit den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung dafür nutzen. Dort ist viel für Subventionen für künftige Industrieansiedlungen verplant. Stattdessen könnte man die Rahmenbedingungen für alle verbessern, indem man die Stromsteuer senkt. Das hilft auch bei Industrieansiedlungen.
Frage: Sie haben in diesem Interview schon die Atomkraftwerke erwähnt. Die FDP fordert nun auch, den Rückbau der drei letzten AKW zu stoppen. Können wir uns auf eine neue Atomdebatte freuen?
Vogel: Das geht es um Vernunft in der Energiepolitik. Wir müssen das Energieangebot ausweiten, um die Preise runterzubringen. Der wichtigste Weg dahin ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Wirtschafts- und Energieminister ist aber in der Pflicht, eine Kraftwerksstrategie vorzulegen. Dabei geht es um die Frage, mit welchen Kraftwerken die Erneuerbaren ergänzt werden. Diese Strategie fehlt bis heute und damit der Nachweis, dass wir ohne Atomenergie bei der Grundlast auskommen und dass die Energieversorgung trotzdem klimaneutral und dauerhaft bezahlbar ist. Erst wenn es diese Strategie gibt, kann man seriös beurteilen, ob wir in Deutschland wirklich auf die Kernkraftwerke verzichten können. Deshalb fordern wir, dass mindestens der Rückbau gestoppt wird, bis diese Strategie vorliegt.
Frage: Oder wurde es Ihnen nach Meseberg zu harmonisch und jetzt wollten Sie sich wieder etwas streiten?
Vogel: Nein. Meseberg war sehr gut und hat einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit geleistet. Aber das reicht noch nicht. Wir müssen schauen, was wir alles darüber hinaus tun müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft unseres Landes zu stärken. Dafür legen wir Ideen vor. Es ist okay, dass unterschiedliche Parteien und Fraktionen unterschiedliche Ideen vorlegen, solange am Ende vernünftige Lösungen stehen.