In seiner Rede zu TOP 1 (Anhaltender Abwärtstrend im Bildungswesen: Konsequenzen aus der PISA-Studie ziehen) erklärt der bildungspolitische Sprecher und Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:
„Die Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie haben wohl niemanden mehr so richtig überrascht, aber der seit Jahren anhaltende Abwärtstrend im Bildungssystem, der durch verschiedene Studien belegt wird, ist dennoch katastrophal. Für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, aber auch für unsere Gesellschaft insgesamt.
Wenn die verschiedenen Studien zur Bildungssituation aufzeigen, dass ein Fünftel bis zu einem Drittel der Kinder und Jugendlichen die definierten Mindeststandards nicht mehr erfüllen, gibt es da auch wirklich nichts mehr schönzureden. Die Ergebnisse sind übrigens nicht nur bei den leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern abgerutscht, sondern auch ganz erheblich bei den leistungsstärkeren.
Die ermittelten Ergebnisse für das Jahr 2022 liegen sogar unter denen der ersten PISA-Studie aus dem Jahr 2000. Dieser ,PISA-Schock‘ sorgte damals für einen öffentlichen Aufschrei und löste eine bildungspolitische Debatte aus, die unser Land monatelang beschäftigte und schließlich den Anstoß für verschiedene Reformen gab. Wir sind der Meinung, dass es jetzt wieder höchste Zeit ist, eine umfassende Debatte darüber zu führen, was zu tun ist, damit es eine bildungspolitische Trendwende geben kann. Bildung muss einfach wieder oberste Priorität haben.
Es wird jetzt immer wieder betont, dass die Auswirkungen der Pandemie und die verstärkte Migration nach Deutschland die negative Entwicklung erklären würden. Diese beiden Phänomene spielen mit Sicherheit eine große Rolle, aber sie können doch keine Ausrede dafür sein, jetzt einfach die Hände in den Schoß zu legen. Es darf nicht sein, dass die negativen Folgen der Pandemie auf den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler einfach hingenommen werden – und die Zuwanderung nach Deutschland ist ja auch nichts Überraschendes, sondern eine Tatsache, auf die man das Bildungssystem endlich viel besser vorbereiten muss. Wir sind schon lange ein Einwanderungsland, aber unsere Schulen sind darauf noch immer nicht ausreichend vorbereitet worden.
Bildungsministerin Prien hat angesichts der Ergebnisse der PISA-Studie in der vergangenen Woche mehr Geld für die Bildung gefordert. Das teile ich in der Sache absolut. Ich frage mich nur, wie das damit zusammenpassen soll, dass die Landesregierung dann nur wenige Tage später verkündet, dass man selbst erneut bei der Bildung kürzen will.
Es ist eine ganz schlechte Nachricht für die junge Generation, dass die Unterrichtsversorgung im kommenden Jahr in Schleswig-Holstein schlechter werden soll und dass zudem ausgerechnet im DaZ-Bereich gekürzt werden soll. Sie schließen Ihr Haushaltsloch ja vor allem durch neue Schulden und kaum durch Einsparungen. Dass Sie dann ausgerechnet in diesen wichtigen Bereichen einsparen wollen, macht mich schon ziemlich fassungslos. Reden und Handeln fallen auch hier völlig auseinander.
Und gleichzeitig ,droht‘ die Bildungsministerin auch noch dem Bund, der – obwohl er bisher ja für die Schulbildung gar nicht zuständig ist – trotz ebenfalls sehr klammer Kassen den Ländern eine Milliarde Euro pro Jahr dafür geben will, allen Ernstes damit, das dringend notwendige Startchancen-Programm abzulehnen, wenn dieser nicht ihre Forderungen zum neuen Digitalpakt erfüllt. Das ist in solchen Zeiten schon ziemlich irre, meine Damen und Herren!
Die grüne Landtagsfraktion hat in der vergangenen Woche erklärt, dass es ,super‘ wäre, wenn wir uns als FDP-Fraktion bei der Bundesbildungsministerin dafür einsetzen würden, wenn das Startchancen-Programm des Bundes endlich kommen würde. Liebe Grüne, das machen wir natürlich immer gern – auch wenn es eigentlich gar nicht nötig ist. Ich würde es wiederum ,super‘ finden, wenn Sie Ihre Bildungsministerin nicht mehr dabei unterstützen würden, hier weiter munter Sand ins Getriebe zu streuen. Man kann ja nicht den Bremsklotz spielen und dann kritisieren, dass es zu langsam vorangeht – das passt nicht zusammen.
Wir haben die Perspektivschulen in der Jamaika-Koalition gemeinsam geschaffen. Sie sind ein anerkanntes Erfolgsmodell, das weiter gestärkt werden muss. Wenn der Bund jetzt ein freiwilliges Programm auflegt, das optimal geeignet ist, um die Perspektivschulen weiter zu stärken, sollten wir dies begrüßen und unterstützen und keinen unsinnigen Kleinkrieg mit dem Bund führen. Dieser merkwürdige Streit macht aus meiner Sicht auch noch einmal deutlich, dass es nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, am Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern bei der Bildung festzuhalten – und sich von Bundesprogramm zu Bundesprogramm zu hangeln. Der Bildungsföderalismus ist mindestens reformbedürftig, wenn nicht sogar ein Anachronismus, den sich unsere Gesellschaft nicht mehr länger leisten kann.
Deutschland liegt bei den Bildungsausgaben – in Relation zur Wirtschaftskraft – mittlerweile sehr deutlich unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Das ist eine Fehlentwicklung, die wir dringend stoppen und umkehren sollten. Und das wird man meines Erachtens nur dann schaffen, wenn Bund, Länder und Kommunen die Bildung endlich als gesamtstaatliche Aufgabe definieren und sich entsprechend dauerhaft gemeinsam darum kümmern.
Es ist ein politisch völlig naiver Irrglaube, dass der Bund den Ländern und Kommunen ständig neues Geld geben wird, ohne dass er bei der Verwendung mitreden will. Und wir konkurrieren doch in Wahrheit auch nicht mehr vorrangig mit Bayern, Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen, sondern mit den Staaten in Asien oder Nord- und Südamerika.
Deshalb muss es mehr Tempo bei sinnvollen gemeinsamen Standards geben, die dann auch dauerhaft gemeinsam finanziert werden müssen. Deshalb ist unser Vorschlag, das Grundgesetz entsprechend anzupassen und ich würde mich sehr freuen, wenn wir auch diese Debatte jetzt in großer Ernsthaftigkeit führen würden.
Die Grünen hatten auch festgestellt, dass es ,parlamentarisch das Recht der Opposition (sei), eine ‚Aktuelle Stunde‘ zu beantragen, wenn sie dies für notwendig‘ hielte. Das ist sehr großzügig von Ihnen, dass Sie dies noch einmal festgestellt haben. Dieses Recht steht Ihnen übrigens genauso zu. Wir wollten einfach nicht, dass in der Plenarwoche nach Bekanntwerden der PISA-Ergebnisse der einzige bildungspolitische Impuls seitens der Landesregierung vom Landwirtschaftsminister kommt. Insofern wollten wir auch Gelegenheiten schaffen…
Wie auch immer: Die Grünen halten es offenbar für sinnvoller, den anerkannten Bildungsforscher Prof. Köller von der Kieler Universität in den Bildungsausschuss einzuladen, um mit ihm die Entwicklung zu erörtern. Da sind wir natürlich auch sehr gern dabei. Man kann aber das eine tun, ohne das andere zu lassen.
Herr Prof. Köller war ja übrigens auch schon mal – auf unseren Vorschlag hin – im Bildungsausschuss zu Gast, um mit uns die Probleme im Bildungssystem zu erörtern und Lösungsvorschläge zu machen. Deshalb wissen wir doch auch schon ziemlich genau, was er uns sagen wird. Er wird unter anderem darauf aufmerksam machen, wie wichtig und sinnvoll es wäre, mit den Viereinhalbjährigen einen Sprachtest zu machen und bei festgestellten Defiziten verbindliche Fördermaßnahmen zu ergreifen. Andere Bundesländer machen dies bereits, weil man dadurch Defizite bei der Sprachentwicklung noch sehr gezielt vor der Einschulung beheben kann.
Das ist ungemein wichtig, weil wir aus verschiedenen Studien wissen, dass Schülerinnen und Schüler, die mit Sprachdefiziten eingeschult werden, dies oft nur sehr schwer in ihrer Schullaufbahn aufholen können. Aber leider können sich die Ministerinnen Prien und Touré seit einem Jahr nicht darauf einigen. Sie wollen jetzt ja einige Perspektiv-Kitas schaffen und dort soll das dann stattfinden. Das reicht aber bei weitem nicht aus, deshalb fordern wir Sie auf, hier endlich für eine Einigung zu sorgen. Wir haben hier doch kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit.
Man kann die bisherige bildungspolitische Bilanz von Schwarz-Grün insgesamt unter ,too little too late‘ zusammenfassen: Es passiert insgesamt viel zu wenig und es kommt dann meistens auch noch zu spät. Die Ministerin ist mittlerweile über sechseinhalb Jahre im Amt, da kann man nicht ständig auf den Bund oder auf den Kita-Bereich zeigen, denn das überzeugt niemanden mehr.
Es gibt in unserem Bildungssystem viele strukturelle Probleme, um die sich die Landesregierung endlich intensiver kümmern sollte: Unsere Grundschulen, die für die Vermittlung der Basiskompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen elementar sind, müssen weiter gestärkt werden – durch mehr Unterrichtsstunden und durch mehr Konzentration auf die Kernfächer.
Unsere Lehrkräfte müssen sich insgesamt wieder stärker auf ihr Kerngeschäft – die Erteilung des Fachunterrichts – konzentrieren können. Dafür müssen sie von unterrichtsfremden Aufgaben bestmöglich entlastet werden, vor allem durch mehr Unterstützung bei der Inklusion und bei der Integration.
Wenn sich Schulleiterinnen mittlerweile sogar mutig im Fernsehen hinstellen und erklären, dass die Inklusion in Schleswig-Holstein gescheitert sei, dann muss das dazu führen, dass wir endlich offener und ehrlicher darüber debattieren, was die Probleme bei der Inklusion sind.
Mein Eindruck ist, dass es bei der Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit körperlichen Einschränkungen in den letzten 20 Jahren große und sehr erfreuliche Fortschritte gegeben hat, die unsere Gesellschaft sehr bereichern. In anderen Bereichen scheint mir die Inklusion aber tatsächlich gescheitert zu sein, weil die dafür notwendigen personellen Ressourcen vielerorts schlichtweg nicht vorhanden sind. Das geht dann zu Lasten aller Beteiligten und der Unterrichtsqualität.
Die Lehrkräftegewinnung ist eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre. Die Landesregierung sollte den Ganztagsausbau als große bildungspolitische Chance sehen und mehr Tempo machen und mehr Engagement zeigen. Jungs sollten besser und gezielter gefördert werden, weil sie immer weiter ins Hintertreffen geraten. Mobbing und Gewalt sind ein großes Problem, wodurch sich viele Schülerinnen und Schüler nicht wohl fühlen. Die Stärkung des MINT-Bereichs muss besonders in den Fokus genommen werden.
Es braucht eine gesunde Leistungsbereitschaft: Die Diskussion über die Bundesjugendspiele an den Grundschulen hat viele Menschen sehr irritiert – auch mich und zwar ganz besonders die Tatsache, dass die CDU darüber lauthals geschimpft hat, während Schleswig-Holstein dies in der Kultusministerkonferenz mitgetragen hat. Ein bisschen mehr Ehrlichkeit an der Stelle wäre wichtig gewesen. Gesunde Leistungsbereitschaft schadet den Kindern mit Sicherheit nicht.“