Christian Lindner

LINDNER-Rede auf dem Europaparteitag der Freien Demokraten 28.1.2024

Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesminister der Finanzen Christian Lindner hielt auf dem Europaparteitag der Freien Demokraten in Berlin folgende Rede:

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Parteifreundinnen und Parteifreunde, ich begrüße Sie zu unserem Europaparteitag. Ich begrüße die über 500 Delegierten. Ich grüße über 600 angemeldete Gäste. Ich begrüße die Vertreter anderer liberaler Parteien und ich begrüße die Vertreter des Diplomatischen Corps. Stellvertretend für unsere liberalen Freundinnen und Freunde in Europa begrüße ich den ALDE-Präsidenten Ilhan Küçük. Herzlich willkommen hier bei uns in Berlin!

Liebe Parteifreundinnen, liebe Parteifreunde, der 28. Januar – was für ein passendes Datum, um uns vorzubereiten auf die Wahl für das Europäische Parlament. Denn heute ist der Internationale Karlstag. Heute ist der Todestag Karls des Großen und an diesem Tag erinnern wir uns an unsere wechselvolle gemeinsame europäische Geschichte. Mag es in Europa in den vergangenen Jahrhunderten Phasen gegeben haben von Krieg, Verwüstung und Zerstörung, europäische Bruder- und Schwesterkriege, erinnern wir uns daran: Am Ende sind wir ein Europa, verbunden durch eine Geschichte und durch gemeinsame Werte. Was für ein großartiger historischer Fortschritt, dass wir als Europäerinnen und Europäer heute nicht nur auf einem Kontinent leben, dass wir nicht nur durch eine Geschichte verbunden sind, sondern auch durch das großartige und weltweit einmalige Einigungsprojekt der Europäischen Union. Man muss sich vorstellen, wir wählen ein gemeinsames Europäisches Parlament. Ein Parlament, das die Werte und Interessen von 27 Nationen vereinbaren und ausbalancieren soll. Was für ein großartiges Privileg. Und wie notwendig ist es im Übrigen auch, dass wir gemeinsame europäische Politik formulieren, vielleicht dringender denn je. Seit der letzten Wahl zum Europäischen Parlament haben wir eine Vielzahl von Epochenbrüchen erlebt, und der für uns tiefgreifendste und dramatischste ist fraglos der russische Angriff auf die Ukraine gewesen: Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa wieder Krieg zwischen zwei Staaten, zum ersten Mal wieder der Versuch, mit Gewalt Grenzen zu verschieben, zum ersten Mal also auch der Angriff auf die Friedens- und Freiheitsordnung in Europa selbst! Deshalb bin ich stolz, dass ich auch Kira Rudyk begrüßen darf als ALDE-Vizepräsidentin aus der Ukraine. Kira, unserer Solidarität könnt Ihr Euch sicher sein.

Wir sind alle beeindruckt und berührt von der Tapferkeit, mit der die Ukrainerinnen und Ukrainer ihre eigene Freiheit, Souveränität, aber eben auch unsere Werte und das Friedens- und Freiheitsprojekt Europas insgesamt verteidigen. Wie muss es sich anfühlen für diejenigen, die um ihr Land und seine Freiheit kämpfen, wenn es hier in Deutschland Politikerinnen und Politiker von ganz links und ganz rechts gibt – Weidel und Wagenknecht – die offen darüber sprechen, dass wegen der wirtschaftlichen Nachteile, die wir haben, wir ja auch über die Köpfe der Ukrainer hinweg mit Russland sprechen könnten, damit wir wieder normalisierte wirtschaftliche Beziehungen haben – egal, welchen weiteren Weg die Ukraine geht. Deren Freiheit wird dann einfach geopfert. Wer so denkt und entscheidet über die Freiheit eines Landes, das nach dem Völkerrecht selbst bestimmen darf, welchen Weg es geht, der wäre im Zweifel auch bereit, unsere Freiheit zu opfern, wenn es einmal unbequem wird. Deshalb stehen wir an der Seite der Ukraine, weil es auch um unsere Freiheit geht. Deutschland leistet viel Hilfe und Unterstützung für die Ukraine in militärischer, logistischer und politischer Hinsicht und auch in finanzieller Hinsicht. Wir lassen in unserem Engagement auch nicht nach. Insgesamt 28 Milliarden Euro haben wir bereits an Unterstützung für die Ukraine geleistet. Alleine in diesem Jahr stehen 8 Milliarden Euro für zusätzliche militärische Unterstützungsleistung zur Verfügung. Deutschland leistet damit gut die Hälfte der gesamten europäischen Unterstützung für die Ukraine.

Deutschland hat eine große Verantwortung in Europa und wir nehmen diese große Verantwortung auch wahr. Gerade auf die USA schauen nun viele – auch ich selbst – mit der Sorge, ob gegenwärtig angesichts des polarisierten Kongresses und zukünftig nach einer Präsidentschaftswahl, die USA weiter ihre Beiträge leisten werden. Es ist unsere Aufgabe als Europäerinnen und Europäer – übrigens auch als Deutsche – dafür zu sorgen, dass die transatlantischen Beziehungen intakt bleiben. Egal, wer im Weißen Haus regiert, egal, wie die Mehrheiten im Kongress sind. Die Polarisierung in der amerikanischen Demokratie, egal wer auch immer regiert, darf nicht das zerstören, was als Partnerschaft und Freundschaft über den Atlantik über Jahrzehnte aufgebaut worden ist. Aber wir sind zugleich auch Realisten und müssen auch in Szenarien denken. Wir dürfen nicht unvorbereitet sein. Und deshalb will ich klar sagen: Deutschland wird und muss weiter seine Beiträge leisten. Wenn es erforderlich ist, ist dieses Land auch in der Lage, noch mehr an militärischer und finanzieller Hilfe zu mobilisieren. Was aber nicht sein darf und nicht sein wird, ist, dass Deutschland, das schon die Hälfte aller Unterstützungsleistungen für die Ukraine aufbringt, noch mehr tut, damit andere weiter zu wenig tun können. Europa ist eine Wertegemeinschaft und das muss sich auch in dieser Stunde beweisen.

Überhaupt hat sich seit der vergangenen Europawahl die Sicherheitslage und damit auch die politische Prioritätensetzung in Europa fundamental verändert. Ja, wir haben als Freie Demokraten schon in der Vergangenheit darüber gesprochen, dass wir mehr gemeinsame europäische Befähigung in der Verteidigung haben wollen. Wir haben in der Vergangenheit auch darüber gesprochen, dass unsere Vision eine europäische Armee ist. Diese Vision ist nun aber aktueller und dringlicher denn je. Wir sind bedroht durch einen Krieg in Europa und durch ein Russland, von dem wir nicht wissen, wer der Nächste wäre. Und deshalb müssen wir als Europäerinnen und Europäer unter dem Dach der NATO unsere verteidigungspolitischen, unsere militärischen Befähigungen verbessern. Nicht gegen die NATO, nicht ohne Washington. Aber wir müssen in der Lage sein, die Europäische Union, unsere Werte und Interessen im Zweifel auch selbst verteidigen zu können. Weil wir gemeinsame Werte haben, müssen wir auch in der Lage sein, sie gemeinsam zu vertreten und zu verteidigen.

Liebe Marie-Agnes Strack-Zimmermann, als Eurofighterin bist du auch in dieser Frage die richtige Frau an der richtigen Stelle im Europäischen Parlament. Es ist nämlich nicht nur eine Frage von strategischen Konzepten, die erarbeitet werden müssen. Wenn wir tatsächlich gemeinsame europäische Befähigungen erreichen wollen, dann geht dies weit darüber hinaus. Blicken wir der Wahrheit ins Auge: Wir geben zu wenig unserer finanziellen Mittel für den Verteidigungsbereich aus. Aber im Vergleich zu anderen bekommen wir auch nochmal weniger heraus, weil unsere europäische Rüstungsindustrie zersplittert ist, weil jeder glaubt, alle Projekte selbst machen zu können. Deshalb ist die Perspektive mehr gemeinschaftlich zu tun. Nicht nur als Zeichen der Stärke und als Signal, dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen von Kräften wie Putin. Nein, es geht auch um den effektiven Mitteleinsatz. Wenn wir mehr gemeinsam in Europa tun und wenn wir unsere Befähigungen auch gemeinsam nutzen, dann bekommen wir von jedem Euro der Bürgerinnen und Bürger am Ende auch mehr Verteidigungsmöglichkeiten heraus. Es ist also nicht nur eine Frage der Sicherheit, es ist auch eine Frage des effektiven Umgangs mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger, dass nicht mehr jeder alles allein macht, sondern dass wir zu neuer Gemeinsamkeit finden.

Liebe Freundinnen und Freunde, das zweite große Thema, was sich seit der letzten Europawahl verändert hat, ist unsere Wettbewerbssituation in der Welt. Spätestens in diesem Jahr kann niemand die Augen davor verschließen, dass sich etwas verschiebt, dass sich die Gewichte der Weltwirtschaft in Bewegung gesetzt haben. Nicht nur die protektionistischen Neigungen der USA besorgen uns, sondern auch das Dominanzstreben der Volksrepublik China. Es gibt neue, starke Kräfte auf der Welt, die ihren Wohlstand, aber auch ihre politische Durchsetzungsfähigkeit vergrößern wollen. Ich denke an Indien und die BRICS-Staaten. Europa hat in den vergangenen Jahren an Wettbewerbsfähigkeit und Dynamik verloren. Wir schauen immer auf uns, auf Deutschland, und sorgen uns hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung, dass wir kein Wachstum haben. Aber Europa insgesamt hat nicht die Dynamik und Prosperität, die wir brauchen, um unsere ehrgeizigen Ziele im sozialen und ökologischen Bereich auch tatsächlich umzusetzen. Wir brauchen deshalb so etwas wie eine Wachstums- und Modernisierungsagenda in Europa, in deren Zentrum die Wiederherstellung von Wettbewerbsfähigkeit steht. Wir können nicht immer nur nach Washington schauen und beklagen, dass die USA sich in immer stärkerer Weise auch in den pazifischen Raum orientieren. Unser Klagen wird nichts ändern. Wenn wir dafür Sorge tragen wollen, dass man weiter auf Europa schaut, dass wir Einfluss haben, dass andere die Zusammenarbeit mit uns suchen, dann müssen wir auch attraktiv sein. Eine Europäische Union als großer, zusammenhängender Wirtschaftsraum ist für andere dann attraktiv, wenn man in der Welt das Gefühl hat, dass Europa etwas will und dass mit Europa auch wirtschaftlich in diesem Jahrhundert zu rechnen ist. Deshalb geht es nicht nur darum, das schon Erreichte neu zu verteilen. Es geht auch darum, neue Wachstumschancen für diesen Kontinent und seine Menschen zu eröffnen. Und zwar nicht durch immer neue Subventionen. Nicht nur, wenn ich in Deutschland oder im Bundeskabinett über wirtschaftliche Perspektiven spreche, sondern auch in Brüssel, wenn es um die Erneuerung der Wirtschaft geht. Zumeist geht es um die Frage: Wo bekommen wir neue Subventionen her? Da unterscheiden sich Ursula von der Leyen und Robert Habeck nicht. Fragt man die: Wie erneuern wir unsere wirtschaftliche Substanz? Dann ist die Antwort: Staatliche Subventionen  im Zweifel mit Schulden finanziert. Wir werden aber unseren Wohlstand nicht auf Dauer dadurch sichern, dass wir einfach neue Schulden machen und das Geld an die Wirtschaft verteilen. Um es klar zu sagen: Es ist nicht so, dass der Staat mit Subventionen die Wirtschaft finanziert. Es ist umgekehrt. Eine starke, wettbewerbsfähige Wirtschaft stellt dem Staat die Mittel zur Verfügung, die er braucht, um seine Aufgaben zu erledigen. Deshalb geht es um die Stärkung privater Initiativen und nicht um immer neue Subventionen.

Im Übrigen ist es ja auch nicht so, als gäbe es überhaupt gar keine Subventionen. Die einen rufen immer nach mehr, mehr, mehr. Aber wir haben schon viele Subventionen. Ich erwähne nur mal das Aufbauinstrument „NextGenerationEU“ in Höhe von 800 Milliarden Euro, das während der Pandemie gebildet worden ist, um investiert zu werden in transformative Aufgaben, in die Erneuerung unserer Wirtschaftsstruktur. 800 Milliarden Euro als ein Sonderfonds. Dazu kommt aus dem regulären Haushalt auch noch die eine oder andere Milliarde, zum Beispiel im Agrarbereich. Wer also jetzt immer neue Subventionen fordert und als Begründung den Vergleich mit den USA und deren Inflation Reduction Act anführt, der lässt völlig außer Betracht, dass wir bereits enorm viele Subventionen haben. Unser Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen, zum Beispiel den USA, ist nicht die Höhe der Subventionen und der Staatsverschuldung. Da sind wir bereits ganz gut. Unser Problem im Verhältnis zu den USA, unser Wettbewerbsnachteil ist, dass die den leistungsfähigsten privaten Kapitalmarkt der Welt haben. Da müssen Start-Ups, die wachsen wollen, sich nicht die Hacken ablaufen für eine Finanzierung. Da müssen neue Technologien nicht lange warten, bis sie finanziert werden. Dort gibt es privates Kapital, das auch für Innovation, Unternehmensneugründung, für Wachstum zur Verfügung steht. Unser Wettbewerbsnachteil zu den USA ist, dass wir 27 kleine Kapitalmärkte haben. Deshalb brauchen wir nicht mehr Subventionen, sondern wir müssen die nächsten Schritte unseres gemeinsamen Marktes jetzt im Kapitalmarktbereich gehen, damit wir Zukunft privat finanzieren können.

Neben dem Kapital fehlt vielen in Europa für die Zukunft auch eines: schlicht Freiheit. Heute ist nicht nur der Karlstag, heute wurde auch zum ersten Mal, im Jahr 1897, ein Dieselmotor betrieben. Eine Technologie, die es bald, wenn es nach der Europäischen Kommission geht, ja überhaupt gar nicht mehr gäbe. Wir wissen aber, dass auch der Verbrennungsmotor klimafreundlich mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden könnte. Ich erwähne jetzt den Dieselmotor nicht nur wegen des Datums und wegen der besonderen Anhänglichkeit zum Verbrennungsmotor, die man den Freien Demokraten nachsagt. Ich erwähne es als ein Beispiel für die Art und Weise, wie die Kommission von Ursula von der Leyen zu oft Politik gemacht hat: mit detaillierten Einzelentscheidungen aus Brüssel, mit detaillierten Vorgaben für Technologien oder mit dem Verbot bestimmter Technologien, von denen wir gar nicht wissen, ob sie noch eine klimaneutrale Zukunft haben können. Jetzt, mit Blick auf die Bauern, sagt Frau von der Leyen, man müsste auch über den Bürokratieabbau sprechen. Es hätten sich möglicherweise zu viele und zu teure Fesseln und Regularien angesammelt. Sie hat Recht. Aber wer ist dafür verantwortlich? Sie selbst. Und deshalb brauchen wir, wie Marie-Agnes gesagt hat, nicht mehr von der Leyen, sondern mehr von der Freiheit.

Gerade mit Blick auf den Agrarbereich, haben wir eine große Chance. Wir haben in Deutschland ja die Landwirtinnen und Landwirte bei den Protesten gesehen, auch ich selbst habe persönliche Erfahrungen im Austausch gesammelt. Es war ein Auswärtsspiel. Wir haben die gleiche Situation in Frankreich aufgrund einer etwas anderen Entscheidungslage. Aber auch dort gibt es die Proteste. Wir müssen jetzt in dieser Situation erkennen, dass man die Wettbewerbsfähigkeit auch der europäischen Landwirtschaft nicht auf Dauer mit Subventionen aus Brüssel oder Berlin sicherstellen kann. Wir haben uns ja über Jahre an eine Politik gewöhnt, die immer stärker reguliert und die Profitabilität der Betriebe immer weiter einschränkt. Ich nehme mal das Beispiel einer vierprozentigen, jährlichen Flächenstilllegung. Jedes Jahr werden einem Betrieb seine Hektar – von denen eine Familie lebt, von denen sie ihre Ergebnisse erzielen, ihren Gewinn erwirtschaften muss – aufgrund einer politischen Vorgabe der EU um vier Prozent reduziert. Das ist das eigene Eigentum, das teilweise über Generationen bewirtschaftet worden ist. Und auf der anderen Seite gibt es dann den Wunsch und auch die Notwendigkeit finanzieller Hilfen und Subventionen, die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aufbringen müssen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Und deshalb, liebe Freundinnen und Freunde, ist das Einsehen von Frau von der Leyen jetzt vielleicht auf die Situation in Frankreich und auf den Protest in Deutschland zurückzuführen. Vielleicht ist das jetzt eine Art Wendepunkt, der über den Agrarbereich noch hinausreicht. Wir können nicht auf Dauer Wirtschaftsförderung immer nur mit Steuergeld machen. Es gibt auch eine Wirtschaftsförderung, die darauf basiert, den Betrieben Freiheit zu geben und dadurch die Profitabilität zu stärken. Das dürfen dann keine Lippenbekenntnisse sein. Das haben nämlich die Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland zu oft gehört. Und deshalb muss es jetzt ganz konkrete Schritte geben. Und ich bin froh, dass die FDP-Bundestagsfraktion hier ja auch intensiv drängt, damit wir wirklich aus dieser schwierigen Situation, aus den Protesten in unserem Land, die viele Menschen beschäftigen, eine Verbesserung erreichen können.

Und ich will noch ein drittes Thema nennen, das wir europäisch angehen. Das ist die Frage der Migration. Europa ist ein Kontinent, die Europäische Union ist eine Gemeinschaft, die Schutz verspricht und soziale Absicherung. Und deshalb ist die Europäische Union, zumal auch Deutschland, enorm attraktiv für Menschen in Not oder Menschen, die für sich eine bessere Zukunft wollen. Über lange Zeit gab es keinen Handlungsdruck in Europa und keine Möglichkeit, in der Migrationspolitik Fortschritte zu erzielen. Wir müssen sehr offen sagen, das lag auch und gerade an Deutschland. Seit 2015 haben die Menschen nicht nur in Deutschland, sondern auch darüber hinaus, gewartet, dass die Europäische Union die Herausforderung, die mit der Migration verbunden ist, annimmt. Eine Herausforderung, die darin besteht, weiter offen zu sein für die Menschen, die ihr Glück in unseren Arbeitsmärkten suchen. Solidarisch zu sein mit den Menschen, die zu Recht Schutz verlangen, den wir gewähren wollen. Aber eben auch deutlich zu machen, dass es kein Menschenrecht gibt, seinen Standort selbst zu wählen, dass also Kontrolle und Ordnung auch in der Migrationspolitik hergestellt werden müssen. In Deutschland haben wir eine neue Realpolitik in der Migration in der Bundesregierung erreicht. Und das hat erlaubt, auch auf der europäischen Ebene zu einer neuen Realpolitik in der Migration zu kommen. Wir bleiben solidarisch mit denen, die in Not sind. Wir bleiben offen für diejenigen, die mit uns gemeinsam etwas aufbauen wollen. Aber wir wissen: Es ist immer das Recht der aufnehmenden Gesellschaften, zu entscheiden, mit wem man solidarisch ist, wen man in den Arbeitsmarkt einlädt und für wen es kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht geben kann. Diese verantwortungsethische Einsicht können wir jetzt in Politik umsetzen.

Liebe Freundinnen und Freunde, die Frage unserer Sicherheit, die Frage unserer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, die Ordnung der Migration und viele andere Fragen sind inzwischen so groß geworden, dass keines der 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union sie alleine lösen könnte. Ich will so weit gehen zu sagen, die Probleme sind so groß, dass man sie entweder europäisch löst oder sie bleiben ungelöst. Und deshalb steht am 9. Juni so viel auf dem Spiel. Die Europawahl ist keine Wahl zweiter Ordnung, wo man hingeht, wenn man einer Regierung oder irgendwelchen Parteien einfach einen Denkzettel verpassen will. Bei der Europawahl geht es nun wirklich um unsere gemeinsame Zukunft. Es geht darum, ob das Europäische Parlament handlungsfähig ist. Es geht darum, welche nächste Europäische Kommission es gibt. Es ist ja gut und schön, dass wir als Freie Demokraten und die Bundesregierung regelmäßig versuchen, bei bestimmten Rechtsmaterien korrigierend oder verhindernd oder gestaltend einzugreifen. Viel besser wäre es aber doch, es gäbe gar nicht erst eine Europäische Kommission, die problematische Vorschläge macht. Deshalb geht es am 9. Juni um viel. Es ist keine Protest-, sondern eine Gestaltungswahl am 9. Juni. Und aus dem Grund sind wir ja auch tatendurstig und kampfeslustig mit dem Beginn des Wahlkampfs heute. Unsere designierte Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist nun wirklich eine profilierte und streitbare Persönlichkeit. Und genau eine solche profilierte und streitbare Persönlichkeit führt uns nicht nur in den Wahlkampf. Eine solche Persönlichkeit brauchen wir auch in Brüssel und Straßburg, um deutsche Interessen zu vertreten. Ursula von der Leyen ist als Verteidigungsministerin in die Kommission geflüchtet. Jetzt schicken wir Marie-Agnes hinterher. Von der Leyen wird sie nicht los. Insofern ist sie unsere Kampfansage an all diejenigen, die aus dem faszinierenden europäischen Gemeinschafts- und Freiheitsprojekt eine Bürokratiedrohung machen.

Aber noch viel stärker ist sie auch eine Kampfansage an die, die das europäische Gemeinschaftsprojekt selbst zerstören wollen. Die sogenannte Alternative für Deutschland ist inzwischen so radikal, dass selbst Marine Le Pen in Frankreich sich distanziert von der AfD. Welchen Weckruf brauchen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland noch, um zu verstehen, dass sie keine Alternative ist? Sie wollen die Europäische Union zu einem Steinbruch machen. Die fabulieren über das Ausscheiden Deutschlands aus der Europäischen Union. Man braucht ja nur die Situation im Vereinigten Königreich zu sehen und wie sehr die profitiert haben vom Brexit. Die deutsche Volkswirtschaft ist noch um Längen stärker europäisch integriert. Der Binnenmarkt ist mit die wichtigste Quelle für unseren Wohlstand. Und davon möchte die AfD unser Land, unsere Wirtschaft, unsere Menschen abkoppeln. Das Programm der AfD, sprechen wir es offen aus, würde Deutschland wirtschaftlich ruinieren. Und deshalb darf dieses Programm auf keinen Fall umgesetzt werden. Mehr noch: Wir wissen inzwischen, wie die denken. Die haben ja versucht, sich gelegentlich bürgerlich zu tarnen, moderat aufzutreten. Das ist keine bürgerliche, demokratische Alternative, sondern das ist eine Gefahr für alle bürgerlichen Werte, zu denen ja auch Rücksichtnahme, Toleranz, Weltoffenheit, Leistungsbereitschaft sowie Respekt gehören. Sie ist eine Gefahr für die Demokratie. Manche verharmlosen das und glauben, man kann jetzt mit einer Stimme für die den anderen einen Denkzettel geben. Manche glauben sogar, vielleicht wäre es ganz gut, die AfD würde einmal auch mitregieren. Vielleicht entzaubern sie sich ja dann. Liebe Freundinnen und Freunde, es gibt eine Lehre aus der deutschen Geschichte: Wenn diejenigen, die die Demokratie selbst ablehnen, in Verantwortung kommen, dann zeigen die ihr wahres Gesicht und die zögern nicht. 1933 dachte man im Januar, dass die NSDAP sich in Regierungsverantwortung schon selbst relativiert. Zwei Monate hat es 1933 gedauert, da war das erste Konzentrationslager errichtet und das Ermächtigungsgesetz beschlossen. Nie wieder! Das ist nicht nur mit Blick auf die Vergangenheit ein Appell. Nie wieder ist ein Auftrag für Gegenwart und Zukunft, den wir annehmen.

Und deshalb, liebe Freundinnen und Freunde, geht es am 9. Juni nicht um die Karriere von Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Am 9. Juni geht es auch nicht um die FDP. Nicht um eine Testwahl: Wie geht es der FDP? Und kann die FDP angesichts der Umfragen jetzt endlich einen neuen Erfolg erkämpfen? Darum geht es am 9. Juni bestenfalls nebenbei. Es geht darum, dass wir eine Europäische Union haben, die wieder in strategischer Hinsicht in der Lage ist, unsere Werte und Interessen zu vertreten. Und es geht darum, dafür zu sorgen, dass im nächsten Europäischen Parlament die Stimme der Freiheit gestärkt wird und nicht die Rechts- und Linkspopulisten seine Funktionsfähigkeit gefährden. Es geht um wesentlich mehr als uns. Es geht um Freiheit und Demokratie in Europa.

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