Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner MdB hielt auf dem 75. Ord. Bundesparteitag der Freien Demokraten in Berlin die folgende Rede:
Liebe Parteifreundinnen, liebe Parteifreunde,
ich war vor einigen wenigen Wochen in Essen. Und in Essen habe ich ein Start-up-Unternehmen besucht. Dort hatten sich zwei junge Gründer zusammengetan, mit einem erfahrenen Wissenschaftler der Hochschule, der in den Ruhestand eingetreten ist. Dieses Start-up entwickelt ein chemisches Verfahren, mit dem aus der Umgebungsluft CO2 gesammelt und gespeichert wird. Gleichzeitig soll durch dieses Verfahren synthetischer, klimaneutraler Flüssigkraftstoff produziert werden. Also eine Innovation aus Deutschland, aus dem Ruhrgebiet, aus einem alten Industriebereich, einer alten Industrieregion. Eine Technologie, die möglicherweise den Gang der wirtschaftlichen Entwicklung verändern kann. Man kann nicht wissen, ob speziell dieses Unternehmen oder ob speziell dieses Verfahren am Ende erfolgreich sein wird. Aber eines ist doch klar: In Deutschland werden solche bahnbrechenden Entwicklungen vorangetrieben und das ist unser Leitbild für den Klimaschutz. Nicht Verbot, nicht Verzicht, sondern Technologie.
Ich erwähne das nicht nur aus der klimapolitischen Bewandtnis heraus, sondern weil ich natürlich mit den drei Gründern gesprochen habe: „Wo liegen eure Probleme?“ Und tatsächlich war es nicht das Kapital, die sind finanziert. Die haben im Übrigen auch Fach- und Arbeitskräfte gewonnen. Was sie berichtet haben, war: Die Genehmigungsverfahren dauern zu lange, um ihre Anlagen zu bauen. Woanders auf der Welt sind ihre Wettbewerber schneller am Markt. Das scheint mir symptomatisch für unser Land zu sein. Wir haben die Köpfe. Wir haben das Know-how. Wir haben das Kapital. Aber unser Land steht sich zu oft selbst im Weg. Wir müssen uns selbst den Weg freigeben, denn wir haben keine Zeit zu verlieren. Nicht für unser wirtschaftliches Wachstum und auch nicht, um weltweit Klimaschutz durch Technologie voranzutreiben. In meinem Ministerium habe ich neulich einen jungen Mann kennengelernt. Er hat eine Hospitation im Finanzministerium gemacht. Er studiert eigentlich in Frankfurt. Er kam 2015 als Flüchtling nach Deutschland. Und hat jetzt hier ein Studium aufgenommen. Er berichtete mir, dass viele, die er kennt, und andere, die gerne als Talente nach Deutschland kommen wollen, viel zu hohe Hürden empfinden. Sprachbarrieren, Mängel in der Willkommenskultur. Das bürokratische Dickicht ist für viele undurchschaubar. Deshalb hat er neben seinem Studium jetzt auch noch ein Unternehmen, eine Initiative ins Leben gerufen, mit der er die Startchancen für Menschen, die es in Deutschland schaffen wollen, verbessern will. Das ist eine Geschichte, die auch mir zeigt: In Deutschland haben wir Talente, die es schaffen wollen, aber wir machen es ihnen bisweilen zu schwer. Es geht also nicht nur darum, „Made in Germany“ zu erleichtern, sondern auch „Make It in Germany“ für die Talente leichter zu machen.
Es gibt sie also, die positiven Geschichten, die zeigen, wie viel Substanz und Qualität und Potenzial in unserem Land ist. Aber es gibt natürlich auch besorgniserregende Beobachtungen. Beispielsweise das bekannte Familienunternehmen Stihl, das Werkzeuge, insbesondere Sägen, produziert. Die haben nun entschieden, dass sie zunächst nichts in Deutschland investieren wollen. Die haben Gedankenspiele angestellt, ob sie nicht, statt zusätzlich in Baden-Württemberg zu investieren, besser in der Schweiz die Produktion ausweiten sollten. Ein baden-württembergisches Unternehmen muss erwägen, in der Schweiz zukünftig zu investieren. Und das, so sagte es der Aufsichtsratschef, weil die Schweiz wettbewerbsfähiger und günstiger sei. Nicht, weil die Löhne niedriger sind, sondern weil in der Schweiz die Beschäftigten im Jahr 375 Stunden mehr arbeiten als in Baden-Württemberg. Manche sagen ja, die Wirtschaft würde Klagelieder anstimmen. Ich sage, wir dürfen die Weckrufe zu unserer Wettbewerbsfähigkeit nicht überhören. Weil sonst verlieren wir Substanz. Wir haben also ein großes Potenzial. Das dürfen wir uns nicht kleinreden lassen. Die Schwarzseher haben ja oft genug kein Interesse daran, dass es dem Land besser geht, sondern sie verfolgen eigene, auch parteipolitische Interessen. Auf der anderen Seite hilft uns aber auch kein Gesundbeten, weil die Rahmenbedingungen eben nicht mehr so sind, wie sie sein sollten. Was wir benötigen, ist ein nüchterner Realismus, der beschreibt, wie die Lage ist und der dann den Mut zum Handeln aufbringt, damit die Lage sich verbessert. Das verstehen wir unter Wirtschaftswende.
Das ist keine anekdotische Evidenz, sondern das kann man mit Fakten untermauern. Das ist die mittelfristige Wachstumsperspektive unseres Landes, die vor wenigen Jahren noch bei 1,5 Prozent lag und die jetzt auf 0,5 Prozent gesunken ist. Nur zum Vergleich: In den USA liegt das Potenzialwachstum bei jährlich 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Ich war in der vergangenen Woche beim Internationalen Währungsfonds. Da treffen sich die Finanzministerinnen, Finanzminister und Notenbankchefs von 190 Nationen. Die Geschäftsführung des Internationalen Währungsfonds hat in der Plenarsitzung berichtet von ihrem Blick auf die globale Ökonomie. Und sie hat gesprochen über Asien, über Schuldenentwicklung und Inflation. Sie hat auch ein Kapitel ihres Vortrags verwendet auf die mittelfristigen Wachstumsaussichten der Weltwirtschaft. „Revitalisierung der Wachstumsperspektive der Weltwirtschaft“ hat sie dieses Kapitel überschrieben. Und dann begann das zweite Kapitel zum Wachstum. Da hat mich der neben mir sitzende französische Zentralbankchef angestoßen und sagte zu mir: „Schau mal, Christian, das ist doch Berlin.“ Und tatsächlich, die Eröffnungsfolie zum Kapitel über die Wachstumsschwäche der Weltwirtschaft bei einem Vortrag vor 190 Nationen, die wurde eröffnet mit einer Straßenszene aus Berlin. Ich sah, das ist die Friedrichstraße, die als Symbol gilt für globale Wachstumsschwäche. Ich habe darüber hinweg gelächelt. Ich bin Kummer gewohnt und habe Humor. Aber eines habe ich mir geschworen: Beim nächsten Mal, bei einem Vortrag zur globalen Ökonomie, da wird Deutschland nicht das Beispiel für Wachstumsschwäche sein. Da wird Deutschland das Beispiel für den Mut zur Veränderung sein.
Das hier sagt ja nur etwas über uns aus, unser Potenzialwachstum, könnte man sagen. Ja gut, so ist das eben. Aber wir müssen uns ja auch vergleichen, nicht nur mit uns selbst historisch, sondern wir müssen uns auch vergleichen in der Weltwirtschaft, wie sich andere entwickelt haben und wir im weltweiten Standortranking stehen. 2014 standen wir auf Platz sechs. Zehn Jahre später stehen wir auf Platz 22. Das ist nichts, was ich jetzt kurzfristig erreicht hätte. Das ist nicht die Folge aktueller Regierungspolitik. Ja, man sieht am aktuellen Rand eine Auswirkung des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und der Konsequenzen für unseren Standort. Aber es ist eine Entwicklung, die über zehn Jahre angedauert hat. Von Platz sechs bis Platz 22. Während der längsten Zeit von 2014 an haben CDU, CSU und SPD regiert. Wenn Markus Söder heute sagt, die Zukunftsperspektive für Deutschland ist eine neue große Koalition, dann erinnere ich an die Ergebnisse der letzten großen Koalition, die unseren Wohlstand nicht gemehrt, sondern nur verwaltet und verteilt hat. Und wenn gefragt wird: Ja, was meint ihr denn mit Wirtschaftswende? Dann meinen wir genau das. Wenn ein Land in zehn Jahren von Platz sechs der Wettbewerbsfähigkeit auf Platz 22 zurückfällt, was ist dann dringlicher als eine Wende? Denn in den nächsten Jahren muss unser Ehrgeiz sein, von 22 wieder in die Weltspitze zurückzukehren.
Wachstum ist für uns ja kein Selbstzweck. Sondern er hat einen tieferen Sinn, unser Einsatz für ein Wirtschaftswunder. Die Welt hat sich verändert. Die Geopolitik hat sich in dramatischer Weise verändert. Russland hat die Ukraine angegriffen und damit zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa wieder den Versuch unternommen, politische Grenzen mit militärischer Gewalt zu verschieben. Wir haben es vielfach gesagt, aber es ist unverändert notwendig, es zu unterstreichen, damit es im Kreml gehört wird: Die Durchhaltefähigkeit der Ukraine bei der Verteidigung ihres Rechts auf Selbstbestimmung, die Verteidigung der eigenen territorialen Integrität ist auch eine Aufgabe von uns. Wir unterstützen die Ukraine, weil sie unsere First Line of Defence gegen Putin ist. Geben wir uns doch keiner Illusion hin, Putin hat die Ukraine angegriffen. Er meint aber uns alle und unsere Lebensweise. Er will nicht nur die Ukraine unterwerfen und von der Landkarte entfernen. Er will auch Europa spalten. Er will die NATO spalten. Er will, dass die Vereinigten Staaten von Amerika sich aus Europa zurückziehen. Putins Ziel ist nicht die Ukraine. Putins Ziel ist es, Macht über uns ausüben zu können. Und das darf ihm niemals gelingen. Deshalb unterstützen wir die Ukraine so stark. Deshalb leistet Deutschland gut die Hälfte der gesamten europäischen Hilfe. Und wir werden das weiter fortsetzen. Eine große Erleichterung ist, dass die Vereinigten Staaten von Amerika ebenfalls ihre Verantwortung für die regelbasierte internationale Ordnung weiter wahrnehmen, auch in Europa. Wir werden auch unsere eigene Befähigung zur Landes- und Bündnisverteidigung verbessern müssen. In einigen Jahren wird das von mir auf den Weg gebrachte Sonderprogramm zur Stärkung der Bundeswehr verbraucht sein. Dann werden wir aus den regulären Mitteln unsere Streitkräfte ertüchtigen und finanzieren müssen. Das wird nicht gehen auf Dauer mit immer neuen Schulden, wie manche nahelegen. Manche sagen, ja gut, wenn wir mehr tun müssen für die äußere Sicherheit, dann müssen wir höhere Schulden in Kauf nehmen. Die Aufgabe, die vor uns steht, Frieden und Freiheit in Deutschland, Europa und der Welt zu verteidigen, diese Aufgabe ist nicht limitiert auf wenige Quartale oder Jahre. Potenziell ist es eine Aufgabe für Jahrzehnte und Generationen und deshalb kann das nicht auf Pump erfolgen. Wir brauchen dafür unsere Wirtschaftskraft. Das ist in Wahrheit doch der Kern der Auseinandersetzung. Putin setzt auf seine Kriegswirtschaft, um zu rüsten. In der Vergangenheit, zur Zeit des Kalten Krieges, vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, haben wir auf Marktwirtschaft und Produktivität gesetzt. Wir waren wirtschaftlich erfolgreicher und innovativer als die Sowjetunion. Deshalb konnte sie sich die Blockkonfrontation nicht auf Dauer leisten. Und so ist es auch in der Gegenwart und Zukunft. Wir brauchen die Wirtschaftswende, weil am Ende wirtschaftliche Stärke auch ein Faktor der Geopolitik ist. Wenn wir in unserem internationalen Engagement nur auf die Kraft des moralisch erhobenen Zeigefingers bauen, wird niemand beeindruckt sein. Unsere Stärke ist der geopolitische Faktor dieses Landes.
Auch in unserer Gesellschaft selbst ist Wachstum doch kein Selbstzweck. Es geht doch nicht jeder und jedem in unserem Land gut. Verschließen wir doch nicht die Augen davor. Im Gegenteil: Wir sehen doch die Menschen, die zu uns gekommen sind. Der Hospitant in meinem Ministerium, den ich eben erwähnt habe, der als Geflüchteter gekommen ist, der sich jetzt hier etwas aufbauen will. Viele andere Menschen, die ins Berufsleben einsteigen, ohne begütert aus dem Elternhaus zu sein, oder die nach einem Schicksalsschlag neu anfangen müssen. Es gibt doch Millionen Menschen in unserem Land, die nicht zufrieden sind mit ihrer Lebenssituation und sie verbessern wollen. Die Frage ist: Wie verbessern Menschen ihre Lebenssituation eigentlich in einer stagnierenden Gesellschaft? Keine neue Wohlfahrt, wo kein neuer Wohlstand dazu kommt. In der stagnierenden Gesellschaft kann die Einzelne, kann der Einzelne die eigene Situation nur verbessern, wenn jemand anderem etwas weggenommen wird. Die stagnierende Gesellschaft führt zu einem hart ausgefochten Ellbogenwettbewerb. Weil wir aber den Menschen das individuelle Vorankommen erleichtern wollen, wissen wir, dass die Gesellschaft insgesamt wieder eine Wachstumsperspektive braucht. Anders gewendet: Wirtschafts- und wachstumsfreundliche Politik ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit. Die Leute vergleichen sich doch auch, wenn wir eine mittelfristige Wachstumsperspektive von 0,5 Prozentpunkten haben und die USA eine Perspektive von 2 Prozent haben. Und da kommen dann Zins und Weltkonjunktur noch obendrauf. Dann hat das über einige Jahre eine Auswirkung mit dem Zins- und Zinseszins-Effekt. Das lernt man in der Schule. Und dann wird es irgendwann so sein, dass die Menschen sich vergleichen, wenn sie in einigen Jahren in amerikanischen Serien den Lebensstandard der Mittelschicht in den USA sehen. Wie die leben, was sie sich erlauben können, welche Alltagstechnologien und Unterhaltungselektronik sie nutzen. Dann stellen sie sich die Frage: Warum ist das eigentlich bei uns so unerschwinglich und teuer? Die Menschen werden sich vergleichen und werden sich die Frage stellen: Warum liefert in Deutschland die Demokratie keine wirtschaftlichen Chancen? Gerade ist eine Studie veröffentlicht worden, wie junge Menschen die Politik sehen. Da waren alle erschüttert, wie viele junge Menschen in den vergangenen zwei Jahren sich plötzlich vorstellen können, die AfD zu wählen. Schaut man sich die Themen an, die die jungen Menschen bewegen, dann stehen ganz oben wirtschaftliche Fragen: Inflation, also die Angst um das eigene wirtschaftliche Vorankommen. Ob das Leben bezahlbar bleibt. Und auch deshalb brauchen wir eine Wirtschaftswende. Weil, wenn Menschen das Gefühl haben, sie sind von individuellem Abstieg bedroht oder andere kommen leichter im Leben voran als sie selbst, dann werden sie die Frage danach stellen: Welche demokratischen Rahmenbedingungen haben dazu geführt? Es ist also auch eine Investition in die politische Legitimierung unseres Wirtschafts-, Gesellschafts- und Regierungsmodells, dafür zu sorgen, dass die Demokratie liefert. Anders gesagt: Die Wirtschaftswende ist das beste Demokratiefördergesetz, das man haben kann.
Es sind ja nicht nur wir allein, die sagen, wir brauchen eine Wende in der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern es gibt ja auch andere, die dazu raten. Bei den Wegen indessen gibt es Unterschiede. Und es gibt zwei Denkschulen in der Wirtschaftswissenschaft, in der öffentlichen Debatte, ja auch in der Politik. Sogar im Bundeskabinett. Die eine Denkschule sagt, wir brauchen mehr öffentliche Mittel. Wir müssen zusätzliche Verschuldung organisieren, das Grundgesetz ändern, die Schuldenbremse aufheben oder auch neue Sonderprogramme beschließen. Wir brauchen diese zusätzlichen Schulden, um auf der anderen Seite dann Subventionen an einzelne Branchen, Technologien, Unternehmen zu zahlen. Das ist die eine Denkschule. Die ist übrigens inspiriert vom internationalen didaktischen Recht der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Biden-Administration macht es ja so ähnlich. Große Defizite im Staatshaushalt, die genutzt werden, um Subventionen zu zahlen. Der Vergleich verkennt aber eins. Wir haben in Europa einen CO2-Handel, mit dem wir unsere Klimaziele erreichen. Die USA haben keinen CO2-Preis und haben keinen CO2-Handel. Und deshalb gehen sie den Weg über steuerliche Anreize und Subventionen. Wir haben also in Europa ein viel effektiveres marktwirtschaftliches Mittel als die Vereinigten Staaten und müssen uns aus diesem Grund kein Beispiel an ihnen nehmen. Und wir sollten uns erst recht kein Beispiel an den USA nehmen, weil sie genau das nämlich nicht erreicht haben, die Inflation zu reduzieren. Durch die ganzen Schulden getriebenen Ausgabeprogramme in den USA ist die Inflation ja wieder gestiegen. Während bei uns die moderate Fiskalpolitik dazu geführt hat, dass wir bald die Inflation besiegt haben. Anders gesagt: Die Schuldenbremse ist eine Inflationsbremse, und deshalb sollten wir sie nicht ohne Not aufgeben. Aber ich bin gegen diese erste Denkschule nicht nur skeptisch eingestellt, weil wir mit dem CO2-Handel ein besseres Instrument haben, als Subventionen zu zahlen. Ich bin nicht nur aus fiskalischen Gründen dagegen skeptisch eingestellt, sondern ich bin auch aus ordnungspolitischen Gründen skeptisch. Wir können doch nicht wissen, welche Technologie, welche Branche, welches Unternehmen bahnbrechenden Erfolg haben wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Vielleicht setzen sich ja chemische Verfahren durch, um CO2 zu speichern und synthetische Kraftstoffe zu produzieren. Welche Auswirkungen wird die künstliche Intelligenz haben auf Industrie und Dienstleistungen? Möglicherweise wird in den 30er-Jahren ja die Kernfusion unsere Energieerzeugung und damit auch die darauf basierenden Wirtschaftsstrukturen revolutionieren. Wir können es schlicht nicht wissen und deshalb sollten wir nicht politisch entscheiden, welche Branche, welche Technologie, welches Unternehmen Zukunft haben soll. Wir können es nämlich schlicht nicht wissen. Wir könnten das Falsche subventionieren und deshalb ist unser ordnungspolitischer Ansatz nicht, Politikerinnen und Beamte sollten die zukünftige Wirtschaftsstruktur bestimmen. Es sollte der marktwirtschaftliche Wettbewerb, die Bereitschaft zu unternehmerischem Risiko, der Erfindungsreichtum von Ingenieuren und Technikern sein und die Entscheidungen der Menschen, die die Wirtschaftsstruktur bestimmen. Denn nur eine solche, im Wettbewerb gewachsene Wirtschaftsstruktur hat nachhaltige Zukunft. Man nennt das Marktwirtschaft. In der Marktwirtschaft setzen wir Anreize, dass sich Privatinitiative lohnt und die Menschen Freude daran haben, Verantwortung zu übernehmen für Mitarbeiter, Produkte und Dienstleistungen.
Die Schuldenbremse aber ist ja sehr umstritten. Und ich nehme auch Absetzbewegungen in der CDU wahr. Man muss das so ganz offen sagen. Ich denke zum Beispiel an den Regierenden Bürgermeister von Berlin. Da ist ja unlängst gesagt worden, die Schuldenbremse ist ein Investitionshemmnis. Und deshalb müsste die Schuldenbremse im Grundgesetz geändert werden. Das ist übrigens der gleiche Regierende Bürgermeister, der die Schuldenbremse aufheben will für Investitionen, der ein 29-Euro-Ticket hier in Berlin einführt. Herr Wegner hat ja recht, wenn man die Situation der Schulen und der Bildungseinrichtungen hier in der Bundeshauptstadt sieht. Da besteht wirklich Anlass zu investieren. Aber wenn man diesen Anlass, zu investieren in Schulen, ernst nimmt und Kinder und Jugendliche aus den Containern raus holen will, wie kann man dann gleichzeitig ein 29-Euro-Ticket einführen? Das entwertet die Debatte. Es gibt den Bedarf in den Schulen. Stattdessen gibt es ein 29-Euro-Ticket, das bis zu 250 Millionen Euro Steuergeld im Jahr kosten könnte. Diese Viertelmilliarde, die kaum in die Schulen investiert wird in Berlin, dafür muss nicht die Schuldenbremse aufgehoben werden. Da braucht man nur Mut zu klaren Prioritäten und nicht mehr.
Damit wir auf einen Wachstumspfad zurückkehren, müssen wir an den unterschiedlichen Rahmenbedingungen arbeiten. Wenn man die Wirtschaft fragt, wo der Schuh drückt, wie zum Beispiel auch bei unserem Wirtschaftskongress in diesem Monat, dann rangiert die Bürokratiebelastung ganz oben. Wir haben in unserer Regierungsverantwortung bereits Bausteine einer Wirtschaftswende auf den Weg gebracht. Mit den Bürokratieabbau-Beschlüssen von Meseberg, maßgeblich vorangetragen von meinem Freund Marco Buschmann, werden wir bei der Bürokratiebelastung aus nationalem deutschen Recht auf dem niedrigsten Stand seit 2012 sein. Aber in der gleichen Sekunde, wo wir nationales Recht entbürokratisieren, kommt aus Brüssel wieder neues Recht, das umgesetzt werden muss. Marco Buschmann hat das vierte Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg gebracht. Alleine das hat eine Milliarde Euro weniger lästigen Erfüllungsaufwand für die Bürgerinnen und Bürger gebracht. Aber in der gleichen Sekunde kommt die Nachhaltigkeitsberichterstattung aus Brüssel. Und die verursacht 1,4 Milliarden Euro Bürokratiekosten. Es hat einen Grund, warum die CDU ihre Europa-Spitzenkandidatin auf den Plakaten verbirgt. Denn der Bürokratiestress in unserem Land hat einen Vornamen. Und der ist Ursula. Es sind ja nicht nur diese Dokumentationsverpflichtungen, sondern es geht ja sehr oft auch um gesetzliche Standards, um Verbote von bestimmten Technologien oder Produktgruppen. Das allfällige Stichwort hier ist das Verbot des Verbrennungsmotors. Hinter diesem Bürokratiestress versteckt sie auch eine gesellschaftspolitische Vorstellung. Nehmen wir alleine diese Lieferketten-Richtlinie aus Brüssel, gegen die wir uns ja gewehrt haben. Immerhin haben wir einiges entschärfen können. Aber gleichwohl: Die Lieferketten-Richtlinie von Ursula von der Leyen wird zu erheblicher bürokratischer Belastung führen. Und in ihr steckt der Geist des Misstrauens. Bei jeder Form von Bürokratie oder Verbot wird doch implizit gesagt, dass die ehrlichen Kaufleute, dass die Menschen in Freiheit keine vernünftige und verantwortungsbewusste Entscheidung treffen, sondern dass sie Beamte und Politik und Gesetze und Richtlinien, Erlasse und Satzungen brauchen, damit sie vernünftig, verantwortlich und nachhaltig agieren. Und kein Zweifel, es gibt überall schwarze Schafe. Aber das generelle Urteilen über Mittelstand, Handwerk und Industrie ist eben falsch. Die nehmen auch auf internationalen Märkten keine Ausbeutung und Kinderarbeit in Kauf. Das sind keine, die Umweltstandards nur in Deutschland befolgen, sondern im Gegenteil. Ich bin überzeugt: Gerade die deutsche Wirtschaft, die exportiert nicht nur Produkte und die importiert nicht nur Produkte, die exportiert auch die Werte der deutschen Sozialen Marktwirtschaft in die Welt. Und deshalb verdienen sie Respekt und Vertrauen.
Nebenbei gesagt, wenn ich bei internationalen Veranstaltungen im Gespräch bin, ist gerade diese Europäische Lieferketten-Richtlinie verschiedentlich angesprochen worden. Die Begeisterung hält sich – ich drücke mich diplomatisch aus – in Grenzen. Denn die Befürchtung ist in den Schwellen- und Niedrigeinkommensländern, die ja überhaupt noch wirtschaftlich vorankommen möchten, dass aufgrund der bürokratischen Vorgaben, der Dokumentationsverpflichtung und des drohenden Reputationsschadens, wenn man wegen etwas verklagt wird, was man als europäisches Unternehmen gar nicht im Blick haben kann, sich diese Unternehmen aus den Märkten zurückziehen könnten, nicht mehr investieren könnten und so keine Arbeitsplätze entstehen. Deshalb ist meine Befürchtung, dass die Lieferketten-Richtlinie aus Brüssel genauso wie das deutsche Lieferkettengesetz in die Kategorie fallen: Gut gemeint, schlecht gemacht. Und das ist eben der Unterschied zwischen einer Politik, die auf Gesinnung setzt und die im Alltag praktisch zu beobachtenden Ergebnisse zu oft ignoriert.
So wie die deutsche Klimaschutzpolitik das zu lange getan hat. Gott sei Dank seit dieser Woche nicht mehr. Wir haben gestern ein neues Klimaschutzgesetz beschlossen. Die Klimaziele für unser Land bleiben unverändert. Aber wir gehen einen anderen Weg als bisher. Die frühere schwarz-rote Bundesregierung hat ein Klimaschutzgesetz beschlossen, das für jeden Bereich unseres Lebens jährliche, auf die Tonne genau berechnete Einsparvorgaben gemacht hat. Für die Industrie und Energie, für das Wohnen und für den Verkehr. Und wenn diese Ziele in einem Jahr nicht erreicht werden, dann hat dieses Gesetz der großen Koalition ein Sofortprogramm, einen Maßnahmenkatalog gefordert, damit ganz schnell diese Ziele erreicht werden können. Für den Verkehr sind sie enorm ehrgeizig, denn wir haben ja 48 Millionen Fahrzeuge auf der Straße. Die Menschen haben Mobilitätsbedürfnisse. Da ist eine Trägheit in diesem Sektor, weil man sich nicht jedes Jahr ein neues Auto kaufen kann. Allenfalls nur die Menschen mit viel Geld. Man kann auch nicht überall auf den öffentlichen Personennahverkehr zurückgreifen. In vielen Gegenden in Sachsen, Brandenburg und Thüringen beispielsweise gibt es schlicht im ländlichen Raum die Option „wenn du das Auto nicht nutzt, steigt doch in die Bahn oder in den Bus“ nicht.
Das alte, von einem CDU-Minister vorangetriebene Klimaschutzgesetz, mit seinen ambitionierten und nicht realistischen Zielen im Bereich der Mobilität, hat dazu geführt, dass Volker Wissing verklagt worden ist. Auf der Basis des alten Gesetzes hätte er ein Sofortprogramm vorlegen müssen. Ein Programm, darauf hat er hingewiesen, das möglicherweise zu Fahrverboten für Verbrennungsmotoren geführt hätte. Liebe Freundinnen und Freunde, die Klimaziele stehen. Aber wir müssen doch Wege finden, wie sie möglichst effizient und möglichst kostengünstig erreicht werden können. Durch Spitzentechnologien in der Industrie geht es möglicherweise, nein, ganz sicher besser als durch drakonische Freiheitseingriffe. Sagen wir all denjenigen, denen der Klimaschutz so am Herzen liegt wie uns: Wer die Akzeptanz des Klimaschutzes durch drakonische Freiheitseinschränkungen gefährdet, der hat am Ende nichts gewonnen, sondern nur die AfD gestärkt. Das Bemerkenswerte – und ich freue mich, gerade in den ostdeutschen Landtagswahlkämpfen darauf hinzuweisen – ist, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen die Novelle des Klimaschutzgesetzes gestimmt hat. Die Union hat gegen ein marktwirtschaftliches, freiheitsfreundliches Klimaschutzgesetz gestimmt. Die Union würde also billigend in Kauf nehmen, dass es Freiheitseingriffe bis zum Fahrverbot gibt. Man kann also ruhigen Gewissens sagen: Die Klimakleber wollen durch Blockaden die Menschen behindern, die CDU hätte es per Gesetz getan, und das sollten die Menschen wissen.
Unser Arbeitsmarkt bremst gegenwärtig das Wachstum. Das ist keine Überraschung. Wenn Menschen fehlen als Fach-, Führungs- und Arbeitskräfte, dann können Aufträge nicht abgearbeitet, gar nicht angenommen werden. Wenn es Personalnot gibt, dann kann die Gaststätte nicht öffnen oder sie hat eben kürzere Öffnungszeiten, als man sich eigentlich wünscht und als die Gäste auch nutzen würden. Eine nicht geleistete Arbeitsstunde fehlt für Wachstum übrigens aber auch als Steuereinnahme und als Beitrag zur Stabilisierung unserer Sozialversicherung. Deshalb müssen wir bei unserem Arbeitsmarkt den Blick darauf richten, den grassierenden Fach-, Führungs- und Arbeitskräftemangel zu schließen. Schritte sind gemacht. Ein Baustein der Wirtschaftswende ist bereits unser Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Seine Bedeutung kann man im Übrigen nicht überschätzen. Es ist nicht nur ein Baustein der Wirtschaftswende, sondern es ist auch ein Markierungspunkt einer Zäsur in der deutschen Einwanderungspolitik insgesamt. Viel zu lange haben wir es in Deutschland denjenigen schwer gemacht zu kommen, die wir in unserem Arbeitsmarkt dringend brauchen. Aber viel zu lange haben wir es denjenigen leicht gemacht zu bleiben, die nicht in den Arbeitsmarkt einwandern wollten, sondern nur in unseren Sozialstaat. Genau das haben wir umgedreht. Das ist die neue Realpolitik im Bereich der Einwanderung. Nach ihrem Leitbild müssen wir den Arbeitsmarkt insgesamt in den Blick nehmen. Schauen wir auf das Bürgergeld. Die Mehrheit der Deutschen stimmt uns zu: Ein Schicksalsschlag darf nicht dazu führen, dass Menschen ins Bodenlose fallen. Ein Schicksalsschlag, weil man zeitweilig nicht in der Lage ist zu arbeiten oder einen Arbeitsplatz verliert, das darf nicht zum Verlust der Existenz oder der Teilhabe am Leben führen. Diese Meinung teilt eine Mehrheit der Menschen in Deutschland. Aber eine Mehrheit der Deutschen teilt auch unsere Überzeugung, dass das Bürgergeld eben kein bedingungsloses Grundeinkommen ist, sondern dass eine Gegenleistung zu erwarten ist. Die Gegenleistung für Solidarität ist, sie nur so lange und so weit wie nötig in Anspruch zu nehmen.
Die Mehrheit der Deutschen teilt auch unsere Überzeugung, dass nach einem arbeitsreichen Leben, die Menschen auch möglichst einen weitgehend sorgenfreien Ruhestand haben sollen. Deshalb ist das Rentensystem enorm bedeutsam. Wir müssen es allerdings auch im Interesse der jungen Generation reformieren, damit aus dem Generationenvertrag keine einseitige Verabredung nur für eine Generation wird. Aber gleichzeitig sehen wir doch, dass durch die Rente mit 63 oft genug diejenigen mit den höchsten Renten, gesunde Menschen ohne Abschläge in den Ruhestand eintreten können. Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn Menschen, die gesundheitlich beeinträchtigt sind und nicht mehr können, in den Ruhestand gehen. Aber oft genug sind es zehntausende, hunderttausende Menschen jedes Jahr, die gut verdient haben, hohe Rentenbezüge haben, die gesund sind und die wir dringend noch im Erwerbsleben bräuchten. Deshalb, egal ob bei Bürgergeld oder Rente, sollten wir nicht mehr bezahlen, wenn Menschen nicht arbeiten, sondern wir sollten belohnen, wenn Menschen im Arbeitsleben verbleiben wollen.
So war übrigens auch die Verabredung bei der schon angesprochenen Kindergrundsicherung. Da haben wir ja zugestimmt. Aber unter zwei Bedingungen. Die erste Bedingung war: Eine Kindergrundsicherung muss möglichst bürokratiearm sein. Sie soll nicht zu zusätzlichem Aufwand bei den Menschen, aber auch nicht beim Staat führen. Jetzt sagt die Kollegin im Bundeskabinett, Frau Paus, die Kindergrundsicherung sei die Verwirklichung einer Bringschuld des Staates. Also der Staat sei verpflichtet dafür zu sorgen, dass seine Sozialleistungen wirklich bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen. Er trage die Verantwortung, er habe eine Bringschuld. Das teile ich schon weltanschaulich nicht. Ich finde, dass es durchaus eine Verantwortung auch bei den Bürgerinnen und Bürgern gibt und weiterhin geben muss. Die zweite Vorbedingung für die Kindergrundsicherung war, keinen Anreiz für die Eltern zu schaffen, nicht zu arbeiten. Denn die Armut der Kinder ist ja nicht zu trennen von der Armut der Eltern. Die Armut der Kinder liegt ja darin begründet, dass die Eltern nicht berufstätig sind, oder nicht in dem Umfang, wie sie es vielleicht auch möchten. Die Armut der Kinder liegt begründet in ungewollter Teilzeit, weil es keine Kinderbetreuung gibt. Die Armut der Kinder liegt darin begründet, dass es vielleicht Sprach- und Integrationsmängel bei den Eltern gibt, weshalb sie keine Arbeit aufnehmen können. Deshalb war die Vorbedingung: Kindergrundsicherung ja, aber kein zusätzlicher Anreiz, auf die Aufnahme von Arbeit zu verzichten. Nun liegt ein Gesetzentwurf im Parlament vor und wird diskutiert und wir sehen die erwartbare Realität. Es ist die Rede davon, dass bis zu 5.000 zusätzliche Staatsdiener eingestellt werden müssten. Es gibt eine Studie im Auftrag des Familienministeriums zum Arbeitsanreiz bei der Kindergrundsicherung, mit dem Ergebnis, dass mit dem Modell, wie es jetzt vorliegt, bis zu 70.000 Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden werden, weil sie keinen Arbeitsanreiz mehr haben. Ich fasse das mal zusammen: Wir stellen 5.000 neue Staatsdiener ein, die zwei Milliarden Euro verteilen, damit danach die gesamte Stadt Aschaffenburg sich aus der Arbeit abmeldet. Ein solches Modell hat den Status der Absurdität erreicht und erfordert dringend eine Wende. Aber wenn die gemeinsam verabredeten Bedingungen erfüllt sind, dann spricht nichts dagegen. Aber wir bestehen auf sie. Wenn sich herausstellen sollte, dass es nicht ohne Reduzierung von Arbeitsanreizen gelingt, wenn sich herausstellen sollte, dass es nicht ohne Tausende zusätzliche Staatsbedienstete geht, dann sind wir als Freie Demokraten dagegen. Wenn es die Bereitschaft zum neuen Denken gibt, dann ist hier unser Angebot: Wäre es nicht besser, diese Milliarden einzusetzen, in mehr und qualitätsvolle Kinderbetreuung, damit niemand gegen den eigenen Willen in Teilzeit verbleibt, weil man weiß, die Kinder sind gut untergebracht? Das ist unser Angebot.
Wir werden, damit der Arbeitsmarkt mobilisiert ist, auch innovative Ansätze erwägen und vielleicht einmal einführen müssen. Beispielsweise die Diskussion über die Überstunden und unter welchen Bedingungen bezahlte Überstunden möglicherweise steuerlich befreit werden können. Das ist nicht aus der Luft gegriffen. Wir hatten unlängst als Präsidium ein Gespräch mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks. Da wurde uns berichtet, dass es sehr gut bezahlte Handwerksmitarbeiter gibt, die nach ihrer vollen Wochenarbeitszeit im Nachbarbetrieb noch einen Minijob annehmen. Nicht, weil sie prekär beschäftigt sind. Jeder, der weiß, wie gegenwärtig im Handwerk verdient wird, weiß, wovon ich rede. Sondern weil es Menschen gibt, die sagen: „Ja, ich verdiene schon gut, aber ich habe zusätzliche Ziele im Leben. Ich will etwas erreichen. Auch nach 40 Stunden habe ich Lust und Freude daran, mich noch zusätzlich einzubringen. Und dann übernehme ich einen Minijob.“ Um diese Menschen geht es mir. Und da sagt die DGB-Vorsitzende, das sei eine verrückte Idee, dass man Anreize für Überstunden geben soll. Es mag Menschen geben, die von der Vier-Tage-Woche träumen. Aber es gibt auf der anderen Seite auch Menschen, die haben zusätzlichen Ehrgeiz und die freuen sich darüber, wenn sie sich zusätzlich einbringen können und auch an der eigenen wirtschaftlichen Situation dadurch etwas verbessern können. Deshalb ist nicht die Idee verrückt, zu glauben, dass es Menschen gibt, die gerne arbeiten und auch sogar mehr zu arbeiten bereit sind. Verrückt ist zu glauben, es sei verrückt, dass es Menschen gibt, die gerne arbeiten. Vielleicht muss man einmal mit dem Gedanken arbeiten, dass auch die Arbeit selbst im Jahr 2024 rehabilitiert werden muss. Denn Arbeit ist ja nicht nur eine lästige Quelle von Einkommen. Ich weiß sehr wohl, dass es schwierige Jobs gibt, die keinen Spaß machen. Selbst meiner macht minutenweise manchmal nicht vollkommene Freude. Ich weiß das wohl. Ich weiß auch, dass nicht alle Menschen zufrieden sind mit ihrem jetzigen Beschäftigungsverhältnis und vielleicht ein anderes wollen, brauchen und verdient haben. Das weiß ich alles wohl. Aber im Kern ist Arbeit Teil unseres Lebens, und zwar nicht der lästige Teil. Arbeit sollte nicht der lästige Teil unseres Lebens sein. Arbeit strukturiert den Alltag. Arbeit sorgt für soziale Teilhabe. Arbeit vermittelt Sinn. Arbeit gibt den Menschen das Gefühl, gebraucht zu werden. Deshalb ist Arbeit von hohem Wert. Sozial ist nicht, dafür zu sorgen, dass Menschen sich Arbeitslosigkeit leisten können. Sozial ist, dafür zu sorgen, dass mehr Menschen Freude daran haben, sich einzubringen in unserer Gesellschaft.
Unsere steuerlichen Rahmenbedingungen stimmen nicht mehr. Wir sind aus weltanschaulichen, gesellschaftspolitischen Gründen ja grundsätzlich dafür, mehr von dem bei den Bürgerinnen und Bürgern zu belassen, was sie sich mit der eigenen Schaffenskraft erarbeitet haben. Aber inzwischen ist das auch ein negativer Faktor für unseren Standort. Wir konnten uns in der Vergangenheit mit den Babyboomern im Erwerbsleben, weniger Bürokratielast und günstigen fossilen Energieimporten aus Russland einen hohen Preis dafür leisten, in Deutschland wirtschaftlich tätig zu sein. Diese Rahmenbedingungen stimmen so nicht mehr. Aber unser Steuerpreis, der bleibt gleich hoch. Im internationalen Vergleich ist er sehr hoch mit 30 Prozent effektiver Steuerbelastung. Der erste Baustein der Wirtschaftsende, das war das Wachstumschancengesetz. Mit Anreizen für Forschung, mit steuerlichen Investitionsanreizen, insbesondere im Bereich des Bauens. Aber dabei darf es nicht bleiben. Unsere Standortbedingungen sind insgesamt so, dass wir auch den Preis dafür, in Deutschland unternehmerisch tätig sein zu dürfen, Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen, dass wir diesen Preis reduzieren müssen. Über Abschreibungsfragen, über den Solidaritätszuschlag und über anderes mehr müssen wir sprechen. Wir müssen wieder den Menschen und Unternehmen Freude daran machen, in Deutschland wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Ich werde nie verstehen, warum manche kein Problem damit haben, hochprofitablen Unternehmen, wie Intel, Milliardensubventionen zu zahlen. Aber den Handwerksbetrieben und dem Mittelstand die Belastungen zu reduzieren soll ein No-Go sein. Damit wir uns nicht missverstehen – freundliche Grüße an den Landesverband Sachsen-Anhalt – natürlich ist die Intel-Förderung vor dem Hintergrund der Resilienz der Lieferkette verantwortbar. Wir brauchen Halbleiter, sonst werden andere Glieder unserer Wertschöpfungskette entfallen. Andere Branchen in Deutschland brauchen einen solchen Resilienzbonus nicht, weil sie nicht diese Bedeutung in der Wertschöpfungskette haben. Worum es mir geht, ist, was man auf der einen Seite für wenige tut, das soll man auf der anderen Seite dem Mittelstand, dem Rückgrat unserer Wirtschaft nicht vorenthalten. Es wäre nämlich nicht nur ökonomisch klug, sondern es wäre möglicherweise auch rechtlich geboten. Ich muss mir jetzt aus beruflichen Gründen sehr vorsichtig ausdrücken. Aber es gab ja Mitglieder der früheren FDP-Bundestagsfraktion, die gegen den Solidaritätszuschlag vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt haben. Wenn man die inzwischen ergangenen Rechtsprechungen zum Solidaritätszuschlag verfolgt, so ist – wie gesagt, ich drücke mich aus beruflichen Gründen vorsichtig aus – die Erfolgswahrscheinlichkeit dieser Klage jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Bevor also die Bundesregierung sich von Karlsruhe rechtlich dazu zwingen lässt, komplett und sofort auf den Soli ohne Plan zu verzichten – denn mit der verfassungsrechtlichen Expertise der SPD habe ich als Finanzminister schon Erfahrung gemacht – sollten wir lieber die klare politische Entscheidung treffen, planvoll Schritt für Schritt auf ihn zu verzichten. Denn er ist inzwischen für Mittelstand, Handwerk und Industrie eine Sondersteuer auf wirtschaftlichen Erfolg geworden, die wir uns schlicht nicht mehr leisten können.
Wir müssen auch über unsere Energiepolitik nachdenken. Ein Baustein unserer Wirtschaftswende war, dass wir zum 1. Januar dieses Jahres ja die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe auf das europäische Minimum gesenkt haben. Übrigens eine alte Forderung von uns Freien Demokraten seit vielen Jahren. Auch die Union hatte es lange gefordert, aber zu ihrer eigenen Regierungszeit nie umgesetzt. Davon profitiert jetzt in der ganzen Breite unserer Wirtschaft der kleine bis zum großen Betrieb, übrigens auch Land- und Forstwirtschaft und das Handwerk. Aber wir müssen darüber hinaus weiter denken. Wir haben bereits verabredet, dass der zukünftige Strommarkt marktwirtschaftlich organisiert werden wird. Dass wir auch einen Kapazitätsmarkt erhalten werden, der dafür sorgt, dass der Zubau der Reservekraftwerke, die wir brauchen, weil nicht immer Sonne und Wind zur Verfügung stehen, in einem marktwirtschaftlichen Modell stattfindet. So weit, so gut. Ich bin aber überzeugt davon, wir müssen weitergehen. Jedes Jahr wenden wir Milliarden Euro auf an Subventionen für erneuerbare Energie, insbesondere Solar und Wind. Milliarden. Wenn ich es richtig aus dem Kopf weiß, müssen wir in diesem Jahr von 19 Milliarden Euro ausgehen, die wir für Solar und Wind an Subventionen zahlen. Übrigens immer mehr Milliarden, je günstiger der Börsenstrompreis ist. Also je günstiger der Preis wird, desto höher ist das, was auf der Grundlage des alten Gesetzes dann an Entschädigung, an Subventionen gezahlt werden soll. In diesem Jahr 19 Milliarden Euro, die wir nicht einsetzen können für Investitionen in Technologie oder Steuerentlastung, die nur als sehr hohe Rendite an Investoren gezahlt werden, die einen Solarpark oder einen Windpark haben. Ich habe einmal die erneuerbaren Energien Freiheitsenergien genannt, weil sie uns schrittweise zumindest über eine lange Zeit des Tages, der Woche und des Jahres unabhängig machen von Energieimporten. Das sind Freiheitsenergien, aber sie sind inzwischen wettbewerbsfähig im Markt. Die Freiheitsenergien brauchen keine Subventionen mehr. Deshalb, liebe Freundinnen und Freunde, in die Vergangenheit können wir nicht eingreifen, weil wir ein Rechtsstaat sind. Aber zukünftig dürfen keine neuen Subventionen mehr für Photovoltaik und Wind gezahlt werden, weil sie sich heute bereits rechnen.
Einen letzten Punkt will ich nennen, gerade im Vergleich zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich hatte schon den Inflation Reduction Act der USA erwähnt, also jenes schuldenfinanzierte Subventionsprogramm. Subventionen haben wir in Deutschland und Europa aber zur Genüge. Gemessen an der Größe unserer Volkswirtschaft haben wir hierzulande sogar mehr Subventionen als die USA. Also gibt es keinen Mangel an öffentlichem Geld, das auf dem Tisch liegt. Unser Wettbewerbsnachteil gegenüber den USA liegt woanders. Unser Wettbewerbsnachteil ist der private Kapitalmarkt. In Deutschland haben viele Menschen ihre Rücklage auf dem Girokonto. In Deutschland vertrauen viele exklusiv auf das umlagefinanzierte Rentensystem. Als wir jetzt neulich das Generationenkapital vorgestellt haben, also eine kapitalmarktbasierte Stützung für unsere gesetzliche Rente, da haben das manche kritisiert und gesagt, das sei Zockerei mit der Rente. Das wurde dann auf Facebook bebildert mit einem Automaten-Casino. Das ist unser Wettbewerbsnachteil, den wir gegenüber den USA haben. Dort gibt es eine Kapitalmarktkultur. In der Breite der Gesellschaft investieren die Menschen in die Unternehmen. Die Altersvorsorge ist aufgebaut auf der Stärke der eigenen Wirtschaft. In diese Richtung müssen wir auch gehen. Nicht der Kapitalmarkt ist das Risiko. Das Risiko ist, auf ihn zu verzichten. Das muss sich in unserer Mentalität verändern. Das Generationenkapital in der gesetzlichen Rente ist ein Baustein dieser Wirtschaftswende, den wir auf den Weg bringen wollen. Aber wir müssen darüber hinausgehen mit einem weiteren Zukunftsfinanzierungsgesetz, mit dem wir die Rahmenbedingungen für Banken, Versicherungen und Kapitalsammelstellen verbessern. Damit man mit einem Altersvorsorgedepot in den Kapitalmarkt hinein auch steuerlich gefördert, wie bei Riester, sparen kann. Das ist gerade ein Wunsch vieler junger Menschen, die über die Pandemie eine größere Affinität zum Kapitalmarkt entwickelt haben. Darin liegt eine doppelte Chance. Es wird nicht möglich sein – es ist im Übrigen auch nicht sinnvoll – mit immer neuem öffentlichen Geld die Wirtschaft anzukurbeln. Noch nicht einmal jedes im öffentlichen Interesse stehende Infrastrukturprojekt werden wir nur mit öffentlichem Geld realisieren können. Ich denke etwa an die neuen Wasserstoffnetze oder die Ertüchtigung unserer Stromnetze für das Zeitalter der erneuerbaren Energie. Dort liegt aber eine Chance. Was wir schaffen müssen, ist ein Umfeld, dass Versicherungen und Pensionskassen, die wir in Deutschland haben, nicht mehr nur in Staatsanleihen, nicht mehr nur in Steine, also Immobilien, investieren, sondern dass sie auch in Infrastruktur und unternehmerische Vorhaben investieren können. Der doppelte Nutzen ist Wachstumschancen für unsere Wirtschaft und individuell bessere Absicherung für die Menschen.
Am Ende des Tages geht es bei der Wirtschaft also auch um eine Mentalitätsfrage in unserem Land. Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir hierzulande spitzenmäßige Sozialleistungen haben. Das ist auch gut und richtig. Im Übrigen ist uns das auch lieb und teuer. Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir einen spitzenmäßigen Lebensstandard in Deutschland grosso modo haben. Das ist auch richtig so, da möchte man niemandem etwas von abschneiden. Wir haben spitzenmäßige moralische Ansprüche, wenn es beispielsweise um die Ökologie und den Klimaschutz geht. Wir haben im Übrigen auch große internationale Verantwortung, die wir wahrnehmen wollen. Ich hatte das Stichwort Ukraine und Bundeswehr ja schon erwähnt. Wenn man aber spitzenmäßige Verantwortung in der Welt tragen will, wenn man spitzenmäßige Standards für den Lebensstandard, die soziale Absicherung und die Ökologie haben will, dann muss man auf der anderen Seite aber auch bereit sein, wieder spitzenmäßige Leistung zu zeigen, die die Voraussetzung für alles andere ist. Eben die Leistungsbereitschaft, die Bereitschaft zum unternehmerischen Risiko und die Veränderungsbereitschaft unserer Gesellschaft. Man kann zwar unsere Vorschläge, die wir unterbreiten, diskutieren in der Öffentlichkeit, in der Wirtschaftswissenschaft, in der Koalition. Und wir hören übrigens gerne auch die Vorschläge von anderen an. Wir nehmen sie gerne entgegen und erwähnen sie. Damit zähle ich die Koalition, die Opposition, die Wirtschaftsverbände und die Gewerkschaften mit ein, die Vorschläge machen können. Denn die Wirtschaftswende ist nicht ein Projekt der Freien Demokraten. Die Wirtschaftswende muss ein Projekt dieses Landes sein. Und deshalb muss jede und jeder, jede politische, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Kraft ihren Beitrag leisten. Wir sind bereit zu diskutieren. Wir sind offen für andere Vorschläge. Für eines aber sind wir nicht offen: Dass sich nichts ändert. Denn das wäre unverantwortbar.
Wir stehen jetzt vor wichtigen Wahlen auf kommunaler Ebene. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen werden die Landtage gewählt und wir haben eine Europawahl mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann als unserer großartigen Spitzenkandidatin. Marie, Du hast eine große Verantwortung für uns Freie Demokraten in diesem Wahlkampf. Denn die FDP ist eine doppelte Kampfansage. Wir sind einerseits die Kampfansage an die Bürokraten à la Ursula von der Leyen. Aber wir sind eben auch eine Kampfansage an die AfD, die allen Ernstes damit liebäugelt, Deutschland aus der Europäischen Union und der Währungsunion hinauszuführen. Die Politik der AfD würde unser Land politisch isolieren und wirtschaftlich ruinieren. Die Freien Demokraten werden nicht zulassen, dass man aus dem europäischen Einigungsprojekt einen Steinbruch macht, eine Ruine. Wir werden aber auch nicht zulassen, dass man das faszinierende Freiheitsversprechen eines Raums ohne Grenzen, der den Menschen jeden Tag neue Chancen eröffnet, dass wir daraus ein kleinteiliges Gespinst bürokratischer Vorschriften machen. Europa ist ein Projekt der Freiheit und deshalb der Freien Demokraten. Und wir sind eine gesamtdeutsche Partei mit einem gesamtdeutschen Anspruch. Wir sind die Partei von Hans-Dietrich Genscher, der in jeder Phase seiner politischen Tätigkeit in Zeiten der deutschen Geschichte, als manche den Glauben an die deutsche Einheit aufgegeben hatte, daran festgehalten hat. Und deshalb ist es selbstverständlich unser Anspruch, auch in den ostdeutschen Parlamenten vertreten zu sein. Und deshalb wünschen wir von Herzen Zyon, Robert und Thomas allen Erfolg auf ihrem jeweiligen Weg. Parlamente mit Freien Demokraten sind bessere Parlamente.
Mir ist bewusst, dass manche die Frage stellen: Wie geht es mit den Freien Demokraten weiter? Auch Menschen, die sagen: Ja, wie ist eure Perspektive? Vor Weihnachten habe ich einen Brief bekommen. Meine Frau und ich haben uns einen neuen Tisch gekauft in einem Betrieb. Irgendwie bekam der Inhaber, auch ein Start-up, Wind davon, dass es keine zufällige Namensähnlichkeit ist. Er hat einen Brief beigelegt. Zwei Seiten hat er geschrieben. Auf der ersten Seite: Wie sehr er als Selbständiger sich etwas aufbauen will und wo die Probleme im Land liegen. Und dass er ein überzeugter Wähler der Freien Demokraten sei. Dann habe ich umgeschlagen: Er sei zwar ein überzeugter Wähler der Freien Demokraten. Aber er habe eine Frage an mich. Wann wolle die FDP sich eigentlich wieder für Freiheit und den Respekt vor Leistung und Eigentum einsetzen? Und mich hat dieser Brief durchaus betroffen gemacht, geradezu in dieser vorweihnachtlichen Stimmung. Liebe Freundinnen und Freunde, ich habe dem Mann geantwortet. Jeden Tag setzen wir uns ein für Freiheit, für den Respekt vor Leistung und Eigentum. Die politischen Umstände sind von Krisen geprägt, von Wahlentscheidungen, die nicht immer klare Mehrheiten hervorbringen. Aber wir zumindest wissen in Zeiten der Krise und auch in unübersichtlichen politischen Zeiten, wofür wir stehen. Wir haben kein Problem damit, für unsere Identität und Werte zu kämpfen. Wir müssen sie erklären. Jedes Mal aufs Neue. Und zu wenige sind auch dabei, die unseren Ruf, unseren Appell und unsere Position verstärken. Umso mehr kommt es auf jede und jeden bei uns an, deutlich zu machen, dass wir nichts aufgegeben haben von unseren Überzeugungen, sondern dass wir weiter die einzige Kraft der Freiheit in Deutschland sind.