Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler gab dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Daniela Vates.
Frage: Herr Köhler, die Koalition soll noch in diesem Sommer ein Wirtschaftspaket beschließen. Die FDP hat schon Wünsche geäußert, was es enthalten soll: zum Beispiel mehr Bürokratieabbau, die vollständige Abschaffung des Soli und eine Reform der Grundsicherung. Was können Sie sich noch vorstellen?
Köhler: Um die Produktivität zu steigern, müssen wir die Menschen in ihrem Arbeitsalltag entlasten. Einer der größten Faktoren ist dabei die Flexibilität der Arbeitszeit. Der Acht-Stunden-Tag ist ein fossiles Dogma aus einer Zeit, in der die Sorge vor Ausbeutung massiv war. Aber die Zeiten haben sich geändert. Das Arbeitszeitgesetz kommt aus einer Welt, in der es kein Homeoffice gab. Kaum jemand hält dieses Acht-Stunden-Dogma in seinem Arbeitstag noch durch.
Frage: Es gibt durchaus Jobs, in denen die Arbeitszeiten sehr genau erfasst werden.
Köhler: Ja. Aber in vielen Jobs geht das an der Lebensrealität der Menschen vorbei. Da gibt es mal einen Tag, an dem mehr zu tun ist. Dafür gibt es mal einen anderen Tag, an dem man früher aus der Arbeit will, weil man die Kinder abholen möchte. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, Experimentierräume zu schaffen. Das sollten wir tun. Das würde die Wirtschaftswende beschleunigen.
Frage: Was schwebt Ihnen konkret vor?
Köhler: Wir sollten die Tageshöchstarbeitszeiten abschaffen und nur noch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit festschreiben. Dazu müssten wir das Arbeitszeitgesetz entsprechend modernisieren.
Frage: Gesetzlich festgeschrieben ist derzeit eine maximale Arbeitszeit von 48 Wochenstunden. Wollen Sie da auch ran?
Köhler: Darüber kann man nachdenken. Wir werden sehen, was sich in der Koalition erreichen lässt. Sinnvoll wäre es auch, Überstunden steuerfrei zu stellen. Aber jetzt sollten wir erst mal den ersten Schritt machen und uns von den starren Acht-Stunden-Arbeitstagen verabschieden.
Frage: Vorgeschrieben sind auch Pausen und eine Ruhephase von mindestens elf Stunden zwischen einem Arbeitseinsatz und dem nächsten. Wie sieht das die FDP?
Köhler: Wir sollten da keine starren Vorschriften mehr machen. Pausen- und Ruhezeiten sind wichtig. Aber viele Menschen arbeiten schon jetzt die Mittagspause durch, um früher nach Hause gehen zu können. Und andere setzen sich am späteren Abend noch mal vor den Computer, und gehen dafür nachmittags mit ihren Kindern auf den Spielplatz. Die haben dann natürlich keine elf Stunden mehr bis sie am nächsten Tag wieder im Büro sitzen. Viele Menschen brechen also faktisch schon das Arbeitszeitgesetz, weil dadurch ihr Leben entspannter ist. Diese Flexibilität sollte nicht mehr illegal sein.
Frage: Und wie ließe sich verhindern, dass die Leute nicht doch ausgebeutet werden – also: Mittagspausen durcharbeiten und länger bleiben?
Köhler: Die Gefahr sehe ich nicht. Es gibt so wenig Arbeitskräfte, dass in vielen Branchen mittlerweile die Arbeitnehmer bestimmen können, wie sie ihre Arbeit organisieren möchten. Und natürlich sollten die konkreten Modelle von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ausgehandelt werden. Aber der Gesetzgeber muss dafür einen flexiblen Rahmen geben. Wir sollten da keine starren staatlichen Vorgaben machen. Wir können schrittweise vorgehen und zunächst branchenspezifische Lösungen zulassen.
Frage: Für welche Branchen könnten Sie sich das vorstellen?
Köhler: Gut vorstellbar sind solche Öffnungen für Branchen, in denen wir starke Tarifverträge haben, etwa im Chemiebereich, oder im Post- und Paketmarkt und in der Logistikbranche. Und sinnvoll wäre es auch sicher dort, wo Homeoffice zum Alltag gehört, also etwa in der IT‑Branche, in der Wissensarbeit und bei den freien Berufen. In einer zweiten Phase ließe sich das dann für alle öffnen. Ich gehe davon aus, dass mehr Menschen sich zum Arbeiten entschließen, wenn alles flexibler wird – weil das dann zum Beispiel besser mit der Familie zu vereinbaren ist.
Frage: Es klingt, als ob eine genaue Arbeitszeiterfassung – auch die der Überstunden – dann zwingend wäre. Schreiben Sie das dann im Gegenzug auch ins Arbeitszeitgesetz?
Köhler: Natürlich lassen sich kluge Regeln zur Arbeitszeiterfassung finden. Aber das sollten wir den Sozialpartnern überlassen. Eine „One size fits all“-Lösung gibt es da nicht.
Frage: Die SPD geht beim Thema Arbeitszeit in eine andere Richtung und fordert die Einführung der Vier-Tage-Woche.
Köhler: Eine Vier-Tage-Woche wäre bei gleichbleibender Wochenarbeitszeit sicherlich in vielen Unternehmen möglich, wenn die tägliche Acht-Stunden-Schranke fällt. Wenn dafür die Wochenarbeitszeit reduziert werden soll, ist das in Zeiten des Fachkräftemangels der falsche Ansatz.