Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Link schrieb für das „Handelsblatt“ (Mittwochsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Der NATO-Jubiläumsgipfel in der nächsten Woche (9. bis 11. Juli) steht ganz im Zeichen des russischen Angriffskrieges. Nur mit einer starken NATO können wir die Unterstützung der Ukraine dauerhaft sicherstellen und eine glaubhafte Abschreckung aufrechterhalten. Für die Zukunft des Bündnisses müssen auf dem Gipfel wichtige Weichen gestellt werden. Wir Europäer sind am Zug.
Die USA pochen zu Recht seit langem auf eine gerechte Lastenverteilung. Insbesondere seit dem amerikanischen „Pivot to Asia“ unter US-Präsident Barack Obama ist klar, dass wir Europäer selbst mehr für unsere eigene Sicherheit tun müssen. Dennoch tragen die USA bis heute fast 70 Prozent der kumulierten NATO-Verteidigungsausgaben.
Die USA sind und bleiben unser engster Verbündeter. Gerade deshalb zwingt uns die Neuausrichtung der amerikanischen Sicherheitsinteressen, die europäische Sicherheitsarchitektur weiterzuentwickeln – unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt. Neben Russlands Angriffskrieg sind auch das nordkoreanische Raketen und Irans Atomprogramm sowie Chinas aggressives Auftreten eine Gefahr für uns. Diese Länder beobachten genau, wie wir agieren.
Demokraten und Republikaner in den USA verstehen das besser als viele Europäer und erwarten von uns zu Recht ein echtes De-Risking von China. Deshalb brauchen wir eine Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO und der Europäischen Union (EU), aber nicht mit separaten, doppelten Militärstrukturen, sondern stets NATO-kompatibel.
Das Ziel sollte sein, dass sich in flexiblen Formaten der Zusammenarbeit jeder auf seine Stärken konzentrieren kann. Dafür müssen wir auch außerhalb der EU-Strukturen und unter gezielter Einbeziehung europäischer Non-EU NATO-Partner Koalitionen des Handelns bilden. Hierzu bietet die von sechs europäischen Staaten gegründete Gemeinsame Organisation für Rüstungskooperation (OCCAR) für gemeinsame Beschaffung erfolgreiche Skalierungsmodelle an. Gleiches muss für die Fähigkeitsentwicklung gelingen.
Die EU kann insbesondere an der zivil-militärischen Schnittstelle wirken. Ein erfolgreiches Beispiel dafür ist das sogenannte PESCO-Projekt Military Mobility. Die mit diesem Projekt angestrebte schnellere Verlegung von Truppen innerhalb des EU-Gebiets kommt grundsätzlich auch der NATO zugute. Weitere zivil-militärische Sicherheitsbereiche, in denen die EU einen Mehrwert schaffen kann, sind der Schutz unserer kritischen Infrastrukturen an Land und unter Wasser, gesellschaftliche Resilienz sowie Cyber- und Weltraumsicherheit.
Die Wahlen in Großbritannien bieten mit einer möglichen neuen Regierung ein neues Verhandlungsfenster für den Abschluss eines EU-UK-Abkommens zur konkreten Ausgestaltung unserer Sicherheitsbeziehungen. Dem europäischen Pfeiler der NATO kommt auch eine besondere Verantwortung zu, den Weg der Ukraine in die NATO konkret zu gestalten, um keine Zweifel an einer zukünftigen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine aufkommen zu lassen.
Der europäische Pfeiler muss auch seiner finanziellen Verantwortung gerecht werden. Das Mindestens-Zwei-Prozent-Ziel ist Grundlage unserer NATO-Verpflichtungen und unersetzlich für die Garantie der nuklearen Abschreckung.
Die Finanzierung der Ukraine-Hilfe – auch mit Hilfe von EU-Mitteln und der Nutzung abgeschöpfter Zinsgewinne aus eingefrorenen russischen Geldern – ist absolut notwendig. Auch die Investition und Hebelung privaten Kapitals über die Europäische Investitionsbank sollte zukünftig ebenfalls zur besseren Finanzierung von Rüstungsprojekten herangezogen werden.
Spekulationen über ein Drei-Prozent-Ziel sind nicht zielführend. Wir müssen mittelfristig weg von konjunkturanfälligen Prozentzielen und hin zur Definition konkreter militärischer Fähigkeiten.
Gleichwohl sollten wir in den Gesprächen mit unseren amerikanischen Partnern darauf hinweisen, dass die europäischen Staaten mittlerweile ihre finanziellen und militärischen Beiträge zur NATO in einem nie dagewesenen Tempo erhöht haben. Wir müssen auch deutlich machen, dass die NATO – anders als von Donald Trump behauptet – keine Sicherheitsfirma ist, sondern ein erfolgreiches Bündnis der Gegenseitigkeit. Die Stärkung des europäischen Pfeilers ist daher auch eine Stärkung der NATO insgesamt, was immer im Interesse der USA sein wird.
Nur eine starke NATO kann kriegerischen Grenzverschiebungen entgegenwirken – in Europa und darüber hinaus. Wenn wir Europäer besonders im Falle einer Amtszeit Trump 2.0 robust und verhandlungsstark auftreten wollen, dann ist ein starker europäischer und EU-Pfeiler innerhalb der NATO die Voraussetzung dafür.