Martin Hagen

Bayern: Parteitagsrede Martin Hagen

Am Samstag veranstaltet die FDP Bayern ihren 87. Ordentlichen Landesparteitag. Hierzu haben sich über 400 Delegierte im Stadttheater Ingolstadt eingefunden. Im Mittelpunkt steht die Aussprache zur künftigen Positionierung der Partei. Am Vormittag hielt der Landesvorsitzende Martin Hagen folgende Rede:

„Liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde, vor 3 Wochen hat unsere Partei eine ihrer bittersten Stunden erlebt. Zum zweiten Mal in ihrer Geschichte hat sie den Einzug in den Deutschen Bundestag verpasst. Es waren zweifellos eigene Fehler, die dazu geführt haben. Wenn eine Partei binnen drei Jahren von über 11 auf unter 5 Prozent abstürzt, dann hat sie offenbar zu viel falsch gemacht.

Aber ich sage auch eines sehr deutlich, liebe Freundinnen und Freunde: Der Bundestag ist ärmer ohne eine liberale Fraktion. Die politische Debatte ist ärmer ohne eine liberale Stimme im Parlament. Das Ausscheiden der Freien Demokraten ist eine schwere Niederlage für uns als Partei, aber es ist auch ein großer Verlust für die Politik in Deutschland.

Wer geglaubt hat, ohne FDP werde irgendetwas besser. Wer gar geglaubt hat, die Merz-CDU sei die bessere FDP, der hatte in den vergangenen Tagen ein schmerzhaftes Rendezvous mit der Wirklichkeit. Friedrich Merz hatte im Wahlkampf erklärt, 4 Prozent für die FDP seien 4 Prozent zu viel. Aus der CSU hieß es, Stimmen für die FDP seien verschenkt.

Heute erkennen viele Wählerinnen und Wähler: Ihre Stimme für die CDU/CSU war verschenkt. Sie wollten eine marktwirtschaftliche Politik und solide Finanzen, und bekommen nun eine lupenreine rot-grüne Wirtschafts- und Finanzpolitik. Was hat Friedrich Merz mit SPD und Grünen ausgehandelt? 500 Milliarden Euro Sondervermögen – das entspricht einem Drittel sämtlicher Schulden, die der Bund in den 76 Jahren seit Gründung der BRD angehäuft hat. Eine Geldsegen auf Pump, den sich Robert Habeck und Saskia Esken in ihren kühnsten Träumen nicht vorzustellen gewagt hätten.

100 Milliarden davon will Merz in den Klima- und Transformationsfonds stecken – also den Topf, aus dem die Union in der vergangenen Legislaturperiode noch 60 Milliarden Euro herausgeklagt hat. Zusätzlich dazu kommt jetzt eine Ausnahme von der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben oberhalb von 1 Prozent des BIP. Da der Etat für die Bundeswehr im Haushalt aktuell bei 1,5 Prozent des BIP liegt, heißt das: Wir investieren künftig weniger Geld aus dem regulären Haushalt in die äußere Sicherheit, schaffen in diesem Haushalt also mittelbar durch neue Schulden in Milliardenhöhe Spielräume für schwarz-rote Wahlgeschenke.

Was bedeutet das alles? Es bedeutet weniger Druck zu sparen, zu priorisieren, zu reformieren und zu verschlanken. Es bedeutet eine höhere Staatsquote und höhere Lasten für kommende Generationen. Es bedeutet höhere Zinsen, die bereits jetzt das Bauen und Wohnen teurer machen. Es bedeutet absehbar eine höhere Inflation und damit schrumpfender Wohlstand für die Menschen im Land. Und es bedeutet ein höheres Risiko einer neuen europäischen Schuldenkrise.

Drei Wochen ohne FDP und schon brechen in Deutschland alle finanzpolitischen Dämme. Das ist eine Entwicklung, die mich nicht nur als Politiker, sondern vor allem als Staatsbürger und Vater zweier Kinder mit allergrößter Sorge erfüllt.

Natürlich muss Deutschland auf die veränderte weltpolitische Lage reagieren. Deshalb ist es vernünftig, dass die FDP-Fraktion einen Vorschlag unterbreitet hat, das Sondervermögen für die Bundeswehr um 200 Milliarden Euro zu erhöhen – aber zusätzlich zu den 2 Prozent des BIP, die dauerhaft aus dem Haushalt zu finanzieren sind, und nicht anstatt.

Dass die Union lieber auf den Vorschlag der Grünen eingeht, und dafür sogar bereit ist, den aberwitzigen deutschen Sonderweg in der Klimapolitik in die Verfassung zu schreiben, lässt für die Zukunft unseres Landes Schlimmstes befürchten, liebe Freundinnen und Freunde. All das zeigt: Die Liberalen fehlen, schon jetzt. Aber, wie gesagt, wir sind gut beraten, die Gründe dafür, die Gründe für das Ausscheiden aus dem Bundestag selbstkritisch bei uns selbst zu suchen.

Ich bin immer skeptisch, wenn Leute schon am Wahlsonntag um 18 Uhr mit einer fertigen Wahlanalyse aufwarten können – die dann in der Regel das bestätigt, was man sowieso schon immer gesagt hat. Ich glaube, da lohnt sich ein differenzierterer Blick. Der Prozess der Fehleranalyse ist ja in vollem Gange und ich glaube, wir sollten uns für ihn auch Zeit nehmen. Von manchen in unserer Partei liest man, wir hätten in der Ampel weniger streiten und die eigenen Regierungserfolge besser verkaufen müssen. Von anderen heißt es, wir hätten klarere liberale Kante zeigen und die Ampel früher verlassen sollen.

Ich glaube, auch wenn die Sichtweisen gegensätzlich klingen, ist an beiden etwas dran. Unser größtes Problem war wahrscheinlich, dass wir das Kunststück fertiggebracht haben, Wähler nach beiden Seiten zu vergrätzen:

Die einen haben wir vergrätzt, weil wir wie ein Koalitionspartner der Ampel gehandelt haben, und die anderen, weil wir wie eine Oppositionspartei zur Ampel geredet haben. Am Ende haben wir sowohl denen, die die Regierungspolitik schlecht fanden, als auch der – zugegebenermaßen immer kleiner werdenden – Gruppe deren, die sie gut fanden, Gründe geliefert, die FDP nicht zu wählen.

Natürlich sind auch im Wahlkampf Fehler gemacht worden. Aber für mich steht fest: Die Wahl haben wir nicht zwischen Anfang Januar und Ende Februar verloren, sondern in den drei Jahren zuvor. Drei Jahre, die von einem stetigen Abstieg in den Umfragen und von einer langen Serie verlorener Landtagswahlen geprägt waren – wir in Bayern waren ja selbst Opfer dessen. Was ich besonders bedaure, denn ich bin unverändert überzeugt: Die FDP gehört ins Maximilianeum.

Für unsere Partei steht jetzt, wieder einmal, ein steiniger Wiederaufstieg an. Ein Selbstläufer wird das sicher nicht – diejenigen, die die letzte Zeit in der APO mitgemacht haben, wissen, was für ein Kraftakt das war.

Aber unmöglich ist es auch nicht, wenn wir es richtig anstellen. Wir müssen uns jetzt auf unsere Stärken besinnen. Und unsere größte Stärke, das sind unsere liberalen Überzeugungen, das ist die Idee der Freiheit. Denn nicht der Liberalismus wurde von den Bürgerinnen und Bürgern abgewählt. Die Partei, die ihn verkörpert, wurde abgewählt, ja. Aber nicht der Liberalismus an sich.

Ich glaube, dass wir in den kommenden Monaten einen Prozess der inhaltlichen Selbstvergewisserung brauchen und eine Weiterentwicklung unserer liberalen Grundsätze. Keinen neuen Anstrich, keine Oberflächlichkeiten, keine PR-Gags, sondern ernsthafte programmatische Arbeit am Fundament unserer Partei.

Warum machen wir Politik? Was bedeutet Liberalismus angesichts der neuen Herausforderungen und einer veränderten weltpolitischen Lage? Was unterscheidet uns von anderen? Von Linken, SPD und Grünen, von CDU /CSU und AfD? Wie erneuern wir das Geschäftsmodell Deutschlands, um Wohlstand und sozialen Aufstieg für alle auch in Zukunft zu ermöglichen? Wie verteidigen wir das Konzept der offenen Gesellschaft und des freien, selbstbestimmten Individuums gegen woke, bevormundende, kollektivistische Politik von links und gegen die reaktionäre Vorstellung einer homogenen Volksgemeinschaft von rechts? Wie können wir autoritären  Bedrohungen begegnen, wie können wir Freiheit und Eigenverantwortung in allen Bereichen stärken?

Ich glaube, 13 Jahre nach der Verabschiedung der ‚Karlsruher Freiheitsthesen‘ ist es wieder Zeit für ein neues Grundsatzprogramm der FDP. Programmprozesse mögen abstrakt und theoretisch anmuten, sie bringen keine Schlagzeilen und wirken nicht unmittelbar nach außen. Aber sie schaffen Orientierung nach innen. Und ich glaube, die braucht unsere Partei aktuell.

Für viele ältere Parteifreunde waren die Freiburger Thesen von 1971 das prägende Grundsatzprogramm der FDP. Ich persönlich finde, nicht alle Kapitel sind gleich gut gealtert, aber speziell die Einleitung zur liberalen Gesellschaftspolitik ist von so einer fantastischen und zeitlosen Qualität, dass sich die Lektüre immer wieder lohnt.

Das Programm, das mich als junges Mitglied der FDP geprägt hat, waren die Wiesbadener Grundsätze von 1997. Ein Manifest für marktwirtschaftliche Reformen und für die liberale Bürgergesellschaft, federführend erarbeitet vom damaligen Generalsekretär Guido Westerwelle.

Darin habe ich dieser Tage ein Absatz gefunden, der heute wieder ganz wunderbar passt:

‚Zur offenen Gesellschaft in einer pluralen Demokratie gehört der Irrtum und die Fähigkeit, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Parteien mit Anspruch auf Unfehlbarkeit sind undemokratisch. Auch wir haben zu oft mitgemacht bei der Gefälligkeitspolitik. Auch wir haben zu wenig Widerstand geleistet. Wir Liberalen stehen zu unserer Verantwortung für das, was bisher war. Aber wir lassen uns nicht das Recht nehmen, für die Zukunft das Umdenken zu verlangen, das jetzt gefordert ist. Wir Liberale setzen der Gefälligkeitspolitik die Verantwortungsgesellschaft entgegen.‘

In diesem Sinne, liebe Freunde, lasst uns aus Irrtümern lernen. Lasst uns Fehlentwicklungen benennen und korrigieren. Lasst uns daran arbeiten, so bald wie möglich wieder Einfluss auf den Kurs unseres Landes nehmen zu können, die Richtung der Politik zu verändern.

Der Weg wird steinig, aber wenn wir ihn gemeinsam gehen, werden wir ihn erfolgreich bewältigen. Dafür müssen Sektierertum, Grüppchenbildung und destruktives Gegeneinander, wie wir es im letzten Jahr in unserem Landesverband leider teilweise erleben mussten, ein Ende finden. Auch hier gilt: Irrwege erkennen und korrigieren. Wann wäre dafür ein besserer Zeitpunkt, als jetzt?

Vor uns liegen große Herausforderungen, die wir am besten gemeinsam meistern können. In einem Jahr ist in Bayern Kommunalwahl. Theodor Heuss hat mal gesagt: ‚Die Gemeinde ist wichtiger als der Staat und das Wichtigste in der Gemeinde sind die Bürger.‘ Lasst uns die Wahl am 8. März 2026 in diesem Sinne angehen und zum ersten Meilenstein beim Wiederaufstieg unserer FDP machen. Lasst uns die Partei von der kommunalen Basis aus wiederaufbauen.

Mit Peter von der Grün haben wir zum ersten Mal seit 28 Jahren wieder einen Landrat in unseren Reihen. Ich wünsche mir, dass unsere liberalen Kommunalpolitiker in den Gemeinderäten, den Stadträten und Kreistagen ganz viel Zuwachs erhalten. Dass wir die Zahl unserer Landräte halten und die unserer Bürgermeister ausbauen können. Ich selber möchte in meiner Heimatgemeinde Vaterstetten meinen Beitrag zu einer erfolgreichen Kommunalwahl leisten.

Liebe Freundinnen und Freunde, Liberale können mal hinfallen. Aber Liberale stehen auch immer wieder auf und kämpfen weiter. Für die Freiheit. Weil es nämlich sonst keiner tut.“

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