Der FDP-Vize spricht im Interview über nächtliche Ausgangsbeschränkungen, mangelnden Impfstoff und sagt, warum eine Kandidatur von Markus Söder der FDP und den Grünen helfen würde.
Noch immer ist unklar, wer die Union bei der Bundestagswahl im kommenden Herbst anführen soll. Der Chef der Jungen Union Tilman Kuban hat den beiden Kandidaten nun ein Ultimatum bis zum Samstag gestellt, wie die „Bild“-Zeitung berichtet. Bis dahin soll entschieden sein, ob CSU-Chef Markus Söder oder CDU-Chef Armin Laschet antritt.
Ansonsten, so fordern es Medienberichten zufolge immer mehr Abgeordnete, soll die Fraktion am kommenden Dienstag auf ihrer regulären Sitzung über die Kandidatur abstimmen.
Derweil hat die Bundesrepublik ganz andere Sorgen. Nach wie vor läuft die Durchimpfung der Gesellschaft eher schleppend, während die Corona-Zahlen steigen. Bundesweit soll daher nun eine nächtliche Ausgangssperre verhängt werden, die ein Verlassen der Wohnung nach 21 Uhr nur noch bei dringenden Notfällen erlaubt.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki ärgert sich über solche Maßnahmen. Im Interview mit watson erneuert er seine Kritik an der Bundesregierung und gibt Angela Merkel und Jens Spahn die Verantwortung für die nun kommenden Corona-Toten. Auch Markus Söder kritisiert er scharf für seine Rhetorik während der Coronakrise.
watson: Bei unserem vergangenen Gespräch während des ersten Lockdowns hatten Sie gesagt, Markus Söder fühle sich aktuell wie der wiederauferstandene bayerische König Ludwig II. Anscheinend hat er damit Erfolg. Nun hat er sogar eine Chance auf die Kanzlerkandidatur der Union. Wird er jetzt sogar zu Kaiser Wilhelm II.?
Wolfgang Kubicki: Na ja, solche historischen Vergleiche sind nicht immer stimmig. Jedenfalls hat das doch sehr markante Auftreten von Markus Söder ihm trotz seiner ziemlich negativen Erfolgsbilanz in Bayern zu einer gewissen Popularität verholfen. Aber ich will auch darauf hinweisen, dass Popularität allein nicht weiterhilft. Die Bundeskanzlerin ist populär und trotzdem liegt die CDU bei 27 Prozent. Die damalige SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft war vor der letzten Wahl in Nordrhein-Westfalen die beliebteste Landespolitikerin und hat die Wahl gegen Armin Laschet verloren. Man sollte sich von so etwas nicht beeindrucken lassen.
Aber trotzdem scheint Söder irgendetwas richtigzumachen, wenn in der Bevölkerung so große Zustimmung für ihn herrscht.
Er ist ein gnadenloser Populist. Das waren schon andere vor ihm. Wichtig ist aber, was am Ende politisch umgesetzt wird – und dass Söder eine stringente Linie an den Tag legt, würde nicht mal er selbst ernsthaft behaupten. Bei aller Kritik an Laschet – bei dem weiß man wenigstens, woran man ist. Söder geht es um eines: nämlich Söder. Er nimmt dafür auch in Kauf, dass er die Union und die Gesellschaft spaltet.
Das klingt, als möchten Sie gerne Herrn Söder als Kanzlerkandidaten verhindern.
Ich könnte mir keinen besseren Kandidaten als Markus Söder wünschen, weil das der FDP im Wahlkampf nur helfen würde. Und den Grünen im Übrigen auch. Wenn Söder Kanzlerkandidat wird, stellen die ein Plakat auf: „Über Söder zur Macht“.
Also sollte die Union lieber Armin Laschet aufstellen?
Mich muss die Union ja nicht fragen. Ich konzentriere mich darauf, die Position der FDP zu stärken.
Auch bei den Grünen wird demnächst entschieden, wer kandidiert. Sie haben eine relativ gute Beziehung zu Robert Habeck. Zusammen haben Sie in Schleswig-Holstein eine Jamaika-Regierung gebildet.
Ich schätze Annalena Baerbock ebenso, aber Robert Habeck kenne ich schon deutlich länger.
Das heißt, Sie würden ihn auch favorisieren als grünen Kanzlerkandidaten?
Nein, die Grünen sollen sich da auch so entscheiden, wie sie wollen. Ich kann nur sagen: Robert Habeck ist der einzige von den beiden, der schon mal ein Ministerium geführt hat.
Das Umweltministerium in Schleswig-Holstein. Ist das vergleichbar mit dem Kanzleramt?
Das ist eher klein im Vergleich zu einem Bundesministerium. Aber Robert Habeck kennt die Verwaltungsabläufe. Das hilft, ist aber auch nicht entscheidend, denn diese Abläufe zu verstehen, ist auch keine Raketenwissenschaft. Alles in allem vermute ich aber, dass es am Ende doch auf Annalena Baerbock hinauslaufen wird.
Ein beträchtlicher Teil der aktuellen Popularität von Markus Söder hat mit der Lage der Corona-Pandemie zu tun. Es werden jetzt bundesweit die Stimmen lauter, die einen harten Lockdown fordern. Was haben diese Leute aus Ihrer Sicht nicht verstanden?
Dass härtere Maßnahmen zu nichts führen. Ein kurzer harter Lockdown wird das Virus auch nicht besiegen. Zusätzlich kommen diese Forderungen nach härteren Maßnahmen häufig von denen, die selbst kein Geld verdienen müssen, sondern es aus staatlichen oder öffentlichen Quellen regelmäßig überwiesen bekommen. Ich bin sehr gespannt, ob dieselben Leute, die härtere Maßnahmen fordern, das auch fordern würden, wenn man ihr Gehalt um 25 Prozent kürzen oder komplett aussetzen würde.
Was wäre Ihrer Meinung nach die richtige Herangehensweise bei der aktuellen Situation?
Wir müssen endlich mal versuchen, uns vernünftigen und differenzierteren Lösungen zuzuwenden. Die Bayerische Staatsoper hat zum Beispiel vor Monaten ein Konzept erstellt, bei dem der Betrieb unter besonderen Hygiene- und Zugangsbestimmungen wieder anlaufen könnte. Von diesen Beispielen gibt es mittlerweile etliche. Und besonders ärgert mich dabei, dass kaum mehr darüber gesprochen wird, dass die Bundesregierung bei der Impfstoff-Beschaffung massiv versagt hat. Wenn jetzt gemeldet wird, dass Brandenburg die Erstimpfungen einstellt, weil kein Impfstoff da ist, dann ist das ein Skandal ohne Gleichen. In Großbritannien sind die Todeszahlen rapide gesunken. Und bei uns? Die Corona-Toten, die jetzt kommen, haben Angela Merkel und Jens Spahn auf dem Gewissen.
Aber in Sachen Impfstoff-Knappheit geht es den meisten europäischen Ländern ja ähnlich.
Aber auch nicht allen: Die Briten werden im Juni wieder ihr altes Leben zurückbekommen. Wir nicht. Außerdem unterscheidet sich der Umgang mit Geimpften. Ich komme aus Schleswig-Holstein. In Dänemark wird ab dem 1. Mai wieder alles geöffnet, wenn man nachweisen kann, dass man geimpft ist oder getestet wurde. Das ist ein Modell, das wir auch in Deutschland brauchen. Impfschutz ist Gefahrenabwehr. Überall dort, wo von Menschen keine Gefahr mehr ausgeht, darf man ihnen die Ausübung ihrer Rechte auch nicht mehr verwehren. Das ist verfassungsrechtlich zwingend.
Sind Sie denn inzwischen geimpft?
Ja, ich habe mich vergangenen Mittwoch mit Astrazeneca erstimpfen lassen. Wobei noch nicht klar ist, wie das mit der Zweitimpfung weitergeht, wenn die Impfungen mit Astrazeneca nun gestoppt werden könnten.
Könnten Sie notfalls auf Biontech umsatteln?
Ich gehöre der Gruppe drei an und die bekommt aktuell nur Astrazeneca. Aber ich würde mich auch mit Biontech impfen lassen.
Besonders vernachlässigt fühlen sich aktuell junge Erwachsene und Studierende, für die es weder eine klare Teststrategie gibt noch Präsenzveranstaltungen an den Universitäten. Können Sie den Ärger nachvollziehen?
Nicht nur dort. Sie wurden auch finanziell im Stich gelassen. Ich erinnere mich noch an meine Studienzeit, als ich eine Kneipe besessen hatte. Da haben viele Studierende im Nebenjob gearbeitet. Das fällt jetzt alles weg, und von der Forschungsministerin kam erst einmal nichts. Das soll nun anders geregelt werden, aber für viele ist die Lage ernst und einige müssen einen Kredit aufnehmen, um die Miete zu finanzieren.
Halten Sie die Ansprachen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Forschungsministerin Anja Karliczek diese Woche für einen guten Umgang mit dem Ärger der Studierenden?
Na ja, dass es nach über einem Jahr endlich auch ein politisches Signal gibt, ist schon einmal ein Fortschritt. Bisher hatte ich von der Bundesregierung immer noch heldenhafte Aufrufe an die Studierenden wahrgenommen, zu Hause auf dem Sofa zu gammeln. Insofern konnte sich die Bundesregierung in dieser Frage nur steigern.
Zu Beginn der Pandemie haben Sie bei watson recht scharfe Kritik an SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach geäußert. Er hat oft gemahnt und oft hatte er recht. Hat sich Ihr Bild von ihm im vergangenen Jahr gewandelt?
Nein. Ich finde, Karl Lauterbach hat seine Rolle gefunden. Er ist der Hauptdarsteller in der Serie „Apocalypse Now“. Das kann ich auch akzeptieren, aber ich bin Jurist und muss immer wieder fragen, ob das, was wir machen, alles überhaupt verhältnismäßig ist und mit unserer Verfassung in Übereinstimmung zu bringen.
Und ist es das?
Nicht immer. Eine Ausgangssperre nach 21 Uhr ergibt zum Beispiel keinen Sinn. Es ist tagsüber deutlich leichter, sich auf der Straße anzustecken als nachts, einfach, weil sich tagsüber mehr Menschen auf der Straße tummeln. Der eigentliche Grund ist ein ganz anderer: Es geht darum, dass die Kontaktbeschränkungen nachts nicht kontrolliert werden können. Also wird hier eine Kontaktsperre durch eine Ausgangssperre initiiert. Dadurch soll das Staatsversagen bei der Impfstoffbeschaffung ausgeglichen werden. Das ist aber keine konforme Begründung nach dem Infektionsschutzgesetz.
Sie halten das also für rechtlich anfechtbar?
Ich halte das nicht nur für rechtlich anfechtbar, ich kann Ihnen sagen, dass einige Geimpfte aus meiner Fraktion dagegen beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde einreichen werden.
Sie haben 2017 in einem Interview erklärt, dass es die Bürger „einen Scheißdreck angeht, was wir hier noch wechselseitig verdienen“. Gemeint war Ihre Tätigkeit als Abgeordneter des Kieler Landtags, für den damals zumindest keine Offenlegung der Nebeneinkünfte galt. Das Interview wurde jetzt im Zuge der Maskenaffäre in der Union wieder herausgekramt und eifrig in den sozialen Netzwerken geteilt. Bereuen Sie den Satz?
Ich bin seit 30 Jahren in Parlamenten und war neunmal Spitzenkandidat bei verschiedenen Wahlen. Die Wähler der FDP wählen mich trotzdem oder vielleicht gerade, weil ich beruflich unabhängig bin und damit auch ehrlich Geld verdiene. Es ist nicht Sinn der Sache, dass wir ein Parlament voll mit abgebrochenen Studenten und Beamten haben. Da sollen auch Menschen sitzen, die selbst Geld erwirtschaftet haben. Das Parlament soll möglichst viele verschiedene Teile unserer Bevölkerung widerspiegeln und dazu gehören eben auch Selbstständige.
Es waren aber auch Selbstständige, die jetzt bei der aktuellen Maskenaffäre mutmaßlich die Hand aufgehalten und über ihre Firmen anscheinend „Vermittlungsgebühren“ einkassiert haben.
Aber das ist eine andere Sache. Sollte sich herausstellen, dass sich der Verdacht bestätigt, wäre das kriminell. Bei über 700 Abgeordneten gibt es eben auch ein paar, die kriminell sind. Das ist bei der Gesamtbevölkerung ja auch nicht anders. Ganz abgesehen davon, dass das ja noch laufende Verfahren sind und bisher nur ein Verdacht besteht. Sollte es aber stimmen, hat das nichts mit der Nebentätigkeit an sich zu tun, sondern mit der Persönlichkeit des jeweiligen Menschen und dessen Moralvorstellungen.
Oder auch dem Parteibuch?
Sie sind jetzt seit 2017 im Bundestag. Damals ist die FDP nach vier Jahren wieder in den Bundestag eingezogen, mit einem sensationellen Ergebnis von zehn Prozent. Nach vier Jahren Opposition konnten Sie ihr Ergebnis nicht ausbauen und liegen laut Umfragen nun immer noch bei zehn Prozent. Was ist los?
Also wenn ich mir die Linken anschaue oder die Union, dann ging es denen in den vergangenen vier Jahren deutlich schlechter als der FDP. Ganz zu schweigen von der SPD, um die ich mir wirklich Sorgen mache.
Den Grünen scheint es hingegen ganz prächtig zu gehen.
Die Grünen haben einen Höhenflug, aber das kann auch schnell vorbei sein. Ich gönne ihnen alles Gute, aber wie es am Wahltag dann aussieht, ist immer nochmal eine andere Frage. Für mich ist vor allem wichtig, dass die Freien Demokraten jetzt mit guten Umfrageergebnissen in den Wahlkampf starten. Zehn Prozent sind besser, als sich Sorgen zu machen, ob wir die Fünf-Prozent-Hürde nehmen.
Das ist alles, was Sie sich für den Herbst wünschen?
Nein, ich will, dass wir vier Abgeordnete aus Schleswig-Holstein im Bundestag sitzen haben, aktuell sind es drei. Nicht minder wichtig ist es, dass wir so stark werden, dass nur mit der FDP eine seriöse Regierung zustande kommen kann.
Das wäre aber mal etwas Neues: Nach der letzten Bundestagswahl kam gerade wegen der FDP keine Regierung zustande.
Da muss ich Ihnen widersprechen. Numerisch ist das zwar richtig, aber die Regierungsbildung ist letztlich an Angela Merkel gescheitert. Merkel wollte ein ambitionsloses „Weiter so“, wir aber nicht. Das „Weiter so“ hat Merkel dann mit den Sozialdemokraten bekommen.
Angela Merkel wird beim nächsten Mal, sollte es das geben, nicht mehr dabei sein.
Das stimmt. Auch bei den anderen Parteien sind neue Persönlichkeiten an der Spitze, außer bei uns. Wir sind in dieser Frage stabil geblieben.
Macht es das einfacher?
Wir haben uns alle in Berlin in den letzten Jahren gut kennengelernt. Auch mit den Führungskräften bei den Grünen haben wir inzwischen gute persönliche Beziehungen. Schauen wir mal, was passiert. Aber ich halte es für sehr gut möglich, dass wir da in – welcher Konstellation auch immer – zu guten Lösungen kommen. Wir müssen aus dem Dauerschlaf der Merkel-Ära raus und Deutschland zu einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft machen, die mit Freude mutig in die Zukunft schreitet.