Dr. Volker Wissing

WISSING-Interview: Ich habe alle Verkehrsteilnehmer im Blick.

FDP-Präsidiumsmitglied und Bundesminister für Verkehr Dr. Volker Wissing gab „Auto Motor und Sport“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Birgit Priemer, Michael Pfeiffer und Claudius Maintz:

 

Frage: Oft wird ein Verkehrsminister sicher nach dem Tempolimit gefragt. Wie wäre es zur Abwechslung mal mit 160 km/h?

 

Wissing: Ich kann nicht nachvollziehen, warum immer wieder über Themen diskutiert wird, die einen kleinen Effekt, dafür aber maximale Spaltungswirkung in der Gesellschaft haben. Ich finde, wir sollten uns in einer Zeit, in der sehr viel Verunsicherung herrscht, auf die Dinge konzentrieren, die uns große Schritte voranbringen und bei denen wir die Menschen mitnehmen können. Außerdem haben wir es im Koalitionsvertrag ausgeschlossen und dabei bleibt es.

 

Frage: Im Verkehrssektor verfehlt Deutschland die Klimaziele…

 

Wissing: …mit der Formulierung „der Verkehrssektor“ anonymisiert man das Thema und vor allem die handelnden Personen: Es geht um uns alle! Wir schaffen es als Gesellschaft noch nicht, im Verkehr kurzfristig klimaneutral zu werden. Wir können unsere Verbrennungsmotoren nicht über Nacht einfach stilllegen oder alle durch CO2-freie Antriebe ersetzen – auch weil es sie in diesem Maße erst nach und nach am Markt gibt. Das Beispiel zeigt, dass es sich nicht um einen anonymen Sektor handelt, der sich ein bisschen mehr anstrengen müsste, sondern dass wir alle adressiert sind. Aber natürlich arbeite ich mit aller Kraft daran, den Menschen schnell attraktive klimafreundliche Mobilitätsangebote zu machen.

 

Frage: Bei umweltfreundlichen Antrieben sind Sie für Technologieoffenheit: Namhafte Autohersteller wünschen sich das Gegenteil: Planungssicherheit. Weshalb kämpfen Sie so vehement für synthetische Kraftstoffe?

 

Wissing: Wenn wir uns auf nur eine Antriebsart verengen, dann haben wir weniger Wettbewerb. Wenn nur noch eine Technologie erlaubt ist, muss nur in diese eine investiert werden. Das nimmt zwar Wettbewerbsdruck von den Unternehmen, für den Verbraucher aber ist das schlechter. Denn nur mit mehr Wettbewerb wird man die beste Qualität zur einem attraktiveren Preis bekommen.

 

Frage: Ohne die staatliche Kaufprämie sind Elektroautos für viele Menschen unbezahlbar teuer. Soll das alleine der Markt regeln oder muss wieder eine hohe Prämie her?

 

Wissing: Für diese Fahrzeugförderung ist das Wirtschaftsministerium zuständig. Klar ist aber, dass es keine Dauersubventionsphase geben kann. Sonst werden die Kaufprämien schnell eingepreist. Das führt dann nicht dazu, dass die Marktpreise sinken, sondern dass sie sich auf einem hohen Niveau etablieren. Der Staat sollte deshalb mit Steuermitteln nicht dauerhaft eingreifen, sondern nur dort, wo der Markt einen Anschub braucht.

 

Frage: Wo zum Beispiel?

 

Wissing: Politik muss für gute Rahmenbedingungen sorgen, damit der Transformationsprozess ein Erfolg wird und die Milliarden, die investiert werden, nicht durch schlechte Regulierung neutralisiert werden. Deswegen darf Euro 7 beispielsweise nicht dazu führen, dass notwendige Investitionen in Zukunftstechnik nicht finanziert werden können, weil man die Unternehmen zwingt, mit hohen Summen kleinste Schritte zu finanzieren.

 

Frage: Heißt das, Euro 7 ist tot?

 

Wissing: Nein. Um für weniger Emissionen einen Anreiz zu setzen, ist Euro 7 der richtige Weg. Aber wenn von der Industrie verlangt wird, dass sie Grenzwerte einhält, die technisch nirgendwo auf der Welt eingehalten werden können, läuft etwas falsch. Wir dürfen Euro 7 nicht so gestalten, dass wir Unmögliches verlangen, dafür aber – bei nur marginalen Vorteilen – gigantische Summen verschlingen. Das Geld steht dann nicht für andere Zukunftstechnologien zur Verfügung. Man kann ein Bogen überspannen, dann reißt er. Man kann ihn aber auch optimal spannen, dann fliegen die Pfeile weiter.

 

Frage: Auf dem Land nützt einem das 49-Euro-Ticket wenig, wenn der Bus nur zweimal am Tag fährt.

 

Wissing: Das stimmt so nicht. Wenn jemand mit dem Auto 100 Kilometer zur Arbeit hin- und zurückfährt, dann ist das kostspielig. Wenn er aber zum Beispiel 30 Kilometer zum nächsten Bahnhof fährt, umsteigt und mit dem Deutschland-Ticket 70 Kilometer mit der Bahn zurücklegt, dann hat er eine enorme Ersparnis. Ich habe das anhand eines Beispiels aus meiner Heimatregion mal genau ausgerechnet: Ein klassischer Berufspendler kann auf diese Weise bis zu 4000 Euro im Jahr sparen, wenn er das Auto mit dem ÖPNV kombiniert. Das ist eine Menge Geld. Auf dem Land werden Sie den ÖPNV nicht in der Dichte ausbauen können, wie Sie ihn in städtischen Gebieten haben, so dass sie dort gänzlich auf das Auto verzichten können. Deshalb ist die Kombination von Bahn und Auto so wichtig. Das ist ein viel realistischeres Angebot. Das Auto schafft die Flexibilität und die Bahn spart Kosten, wo sie gut ausgebaut ist.

 

Frage: Lastenfahrrad, Sammeltaxi, E-Scooter, Sharing-Auto. Haben Politiker und Journalisten zu oft die Großstadt-Brille auf der Nase?

 

Wissing: Ich habe alle Verkehrsteilnehmer im Blick! Das Automobil spielt auf dem Land eine enorme Rolle. Es bietet dort extrem viel Flexibilität. Die benötigen wir z.B. für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie für Menschen, die im medizinischen oder im Pflegebereich arbeiten. Hier ist das Auto auf dem Land oft unverzichtbar. Ich habe den Eindruck, viele fordern gerne den Verzicht auf Mobilitätsformen, die sie selbst nicht benötigen. Wir müssen aber aneinander denken in der Gesellschaft, damit wir einen fairen Umgang miteinander haben. Dazu zählt, dass wir im Blick haben müssen, dass sich Mobilitätsbedürfnisse auf dem Land von denen in der Stadt unterscheiden. Oder dass für ältere oder in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen das Auto die einzig realistische Form der Teilhabe an der Gesellschaft sein kann und Selbstständigkeit bedeutet. Deshalb finde ich diese Dämonisierung des Autos völlig unangebracht – zumal wir in Europa in absehbarer Zeit auch auf der Straße klimafreundlich unterwegs sein werden. Das Auto bietet eben viele Vorteile, die die Menschen sehr schätzen.

 

Frage: Was halten Sie von verpflichtenden Gesundheitschecks ab einem bestimmten Alter?

 

Wissing: Es sind eher die Jüngeren, die Unfälle verursachen und nicht die erfahrenen älteren Autofahrer. Deswegen ist die Versicherung auch bei Fahreinsteigern teurer. Man kann als älterer Verkehrsteilnehmer zum Beispiel eine freiwillige Selbsteinschätzung machen. Von einer anlasslosen verbindlichen staatlichen Untersuchung und Fahreignungsprüfung für Senioren halte ich nichts.

 

Frage: Die Unfallforschung der Versicherer schlägt eine verpflichtende Rückmeldefahrt vor. Das Ergebnis bleibt unter vier Augen und hat keine Auswirkungen auf den Führerschein. Was spricht dagegen?

 

Wissing: Man muss doch die Frage stellen: Haben wir eine Daten- und Faktenlage, die uns veranlasst, mit einer Vorschrift oder Verpflichtung einzugreifen. Das sehe ich nicht.

 

Frage: Der Ladesäulenausbau kam zuletzt schneller voran. Aber muss sich nicht auch bei der Ladegeschwindigkeit was tun, damit sich mehr E-Autos eine Säule teilen können?

 

Wissing: Ich mache mir weniger Sorgen über die Anzahl der Ladesäulen, die wir in Deutschland haben – wir kommen da sehr gut voran. Ich mache mir mehr Sorgen um die Netzkapazität. Denn wenn wir einen signifikanten Anstieg der Anzahl von Elektrofahrzeugen haben und diese schnell gleichzeitig laden, kommt es zu hohen Netzbelastungen. Wir brauchen deshalb intelligente Netze, die das gut steuern, mehr Leistung im Netz und einen vorausschauenden Netzausbau und keinen, der dem Bedarf nachfolgt.

 

Frage: Momentan ist der Absatz von E-Autos im Vergleich zum Vorjahr deutlich schwächer. Haben wir vielleicht bald zu viele Ladesäulen und zu wenige Elektrofahrzeuge?

 

Wissing: Wir brauchen auf jeden Fall das initiale Deutschland-Netz mit mehr Schnellladesäulen, damit zuverlässig auch über lange Strecken gefahren werden kann. Wichtig ist dabei auch, dass man dann von der Autobahn oder von der Bundesfernstraße nicht zum Laden abfahren muss. Aber dass wir zu viele Ladesäulen gemessen an der Zahl der Elektroautos haben, diese Sorge teile ich nicht. Wichtig beim Aufbau der Ladeinfrastruktur ist auch, dass sich ein echter Markt etabliert und nicht ein rein staatlich geplantes Ladenetz.

 

Frage: Ist es aus Ihrer Sicht realistisch, dass 2030 auf deutschen Straßen mindestens 15 Millionen Elektroautos fahren werden?

 

Wissing: Das ist das Ziel aus dem Koalitionsvertrag. Klar ist: Wir werden einen massiven Anstieg der Elektromobile erleben. Ob es bis 2030 punktgenau 15 Millionen sind, das weiß ich nicht. Ich halte in unserer Marktwirtschaft, in der Bürger frei darüber entscheiden, ob und was sie kaufen, wenig von solchen staatlichen Vorgaben. Meine Aufgabe liegt darin, dafür zu sorgen, dass ein gekauftes Auto klimaneutral und gut einsetzbar ist. Deshalb ist es gut, dass wir uns ambitionierte Ziele setzen und diese konsequent verfolgen.

 

Frage: Züge in Deutschland gelten als unpünktlich und unzuverlässig. Wann bekommt unsere Bahn endlich mehr Bums?

 

Wissing: In Frankreich verkehren die TGV auf eigenen Trassen, bei uns sind Regional- und Güterzüge auf den gleichen Strecken wie ICE unterwegs. Zudem wurde das Schienennetz über Jahre vernachlässigt und ist deshalb an vielen Stellen marode. Das ändern wir jetzt konsequent. Wir sanieren und modernisieren die hochfrequentierten Strecken, also die Hauptkorridore. Vieles erneuern wir komplett. Wir flicken also nicht mehr lediglich die kaputten Stellen, wie es in der Vergangenheit der Fall war, sondern sperren die Strecke einmal über einen überschaubaren Zeitraum und erneuern die Strecke in dieser Zeit grundlegend. Die Hauptkorridore werden danach nicht nur störungsfrei sein, sie können auch mehr Züge aufnehmen. Das wirkt sich dann im gesamten Netz gleich positiv aus. Außerdem planen wir bis 2027 trotz angespannter Haushaltslage rund 40 Milliarden Euro zusätzlich für die Bahn zur Verfügung zu stellen. In den Beratungen über den Haushalt und über den Klima- und Transformationsfonds habe ich bereits für rund 27 Milliarden zusätzliches Geld gesorgt und wir wollen noch einmal weitere gut 12 Milliarden über eine Eigenkapitalerhöhung dazugeben, sofern die EU-Kommission zustimmt. Das sind historische Rekordsummen und ein echter Paradigmenwechsel für die Bahn.

 

Frage: Und dann sollen alle auf die Bahn umsteigen?

 

Wissing: Wir wollen, dass die Bahn zu einer echten Option für Fahrgäste und Logistiker wird. Wir wissen aber auch aufgrund unserer Verkehrsprognose, dass der Verkehr auf der Straße weiter zunehmen wird. Es erstaunt mich immer wieder, wenn Menschen zu dem Ergebnis kommen, das Auto wäre nicht mehr so beliebt. Da empfehle ich einen Blick auf die Zulassungszahlen beim Kraftfahrtbundesamt, die zeigen, wie die Deutschen über das Auto abstimmen. Viele Menschen wollen und können nicht auf das Auto verzichten. Das muss in einer Demokratie jeder zur Kenntnis nehmen. Ich finde es nicht in Ordnung, diese Leute ständig zu diffamieren. Stattdessen sollten wir an guten Rahmenbedingungen für klimafreundliche Alternativen und Antriebe arbeiten. Genau das tun wir.

 

Frage: Umweltschützer verhindern wichtige Verkehrsprojekte oft nicht dadurch, dass sie in der Sache recht bekommen, sondern durch ewige Klageverfahren. Ist das gerecht?

 

Wissing: Ich möchte mit einem Genehmigungsbeschleunigungsgesetz deutlich mehr Tempo machen. Wenn in den Parlamenten entschieden wurde, zu bauen, dann sollten diese parlamentarischen Entscheidungen schnell umgesetzt werden. Wir haben bereits die Raumordnungsverfahren auf sieben Monate verkürzt und wir setzen gezielt Digitalisierung ein, um schneller zu werden. Ein Beispiel ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz bei Planfeststellungsverfahren. Massenweise Einwendungen können dadurch deutlich kürzer beantwortet werden. So entstehen Beschleunigungseffekte.

 

Frage: Oft heißt es, wir hätten genug Straßen und bräuchten keine neuen mehr zu bauen …

 

Wissing: … diese Aussage verwundert mich immer wieder. Wir leben im größten Transformationsprozess der letzten hundert Jahre. Es ist doch unrealistisch, den Hauptverkehrsträger Straße da völlig unangepasst zu lassen. Das heißt nicht, dass wir jetzt unendlich viele neue Autobahnen durch Deutschland bauen. Das ist gar nicht geplant. Aber es gibt erforderliche Autobahn-Lückenschlüsse wie etwa bei der A1 in der Eifel. Wir haben zudem über 140 Engpässe in unserem Autobahnnetz, die wir im überragenden Interesse jetzt vorrangig und prioritär angehen können. Außerdem haben wir uns in unserem Genehmigungsbeschleunigungsgesetz darauf verständigt, dass marode Autobahnbrücken ohne Umweltverträglichkeitsprüfung ausgebaut werden können.

 

Frage: Immer wieder sterben Radfahrer durch rechts abbiegende Lkw. Erst im Juli nächsten Jahres werden Abbiegeassistenten Pflicht – und das auch nur in neu zugelassenen Lastwagen. Die staatlichen Förderprogramme für Nachrüstsysteme bereits zugelassener Lkw laufen nur schleppend.

 

Wissing: Es stimmt, dass die Unternehmen die Mittel, die wir zur Verfügung stellen, noch nicht vollständig abgerufen haben. Wir haben deshalb die Antragsfrist auf November verlängert. Ich kann das nicht nachvollziehen, denn Abbiegeassistenzsysteme sind mehr als sinnvoll. Ich finde es richtig, dass sie jetzt endlich vorgeschrieben werden, weil es keine Sicherheitslücken im Verkehr geben sollte, die man technisch schließen kann. Die meisten dieser Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Daher ist Technik erforderlich, die unsere Reaktionsschwächen überwindet. Da diese Systeme international geregelt sind, war leider kein früheres Einführungsdatum möglich, weil es dafür bei den anderen Ländern keine Mehrheiten gab. In Deutschland hatten wir uns für ein früheres Datum eingesetzt. Deshalb unterstützen wir den freiwilligen Einbau der Technik mit unseren Förderprogrammen.

 

Frage: Die Städte beklagen sich über zu viele und zu große Autos auf den Straßen. Halten Sie diese Kritik für berechtigt?

 

Wissing: Die Städte müssen Lösungen anbieten. Da gibt es viele Möglichkeiten wie zum Beispiel Park and Ride-Parkplätze mit Straßenbahnlinie, die in kurzer Frequenz in die Innenstadt fährt. Das kann man dann auch mit dem Deutschland-Ticket gut kombinieren. Aber einfach nur zu sagen, bleibt draußen, ist schwierig. Der Handel braucht auch Kunden von außerhalb. Aufgabe der Politik ist es, für attraktive Mobilitätsangebote zu sorgen, die die Menschen überzeugen. Ich wohne z.B. im ländlichen Raum. Da gibt es das Beispiel einer Stadt, die gegen einen Gewerbepark geklagt hat, weil die Leute in dieser Stadt einkaufen sollen. Oft sind das die gleichen Städte, die Autos aus der City haben wollen. Wie sollen Kunden denn dann in die Läden kommen? Das ist häufig einfach nicht zu Ende gedacht.

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