BuFDP-Präsidiumsmitglied und Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann gab der „Funke Mediengruppe“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Julia Emmrich und Christian Unger:
Frage: Herr Buschmann, halb Deutschland geht gerade gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Sie auch?
Buschmann: Diese Demonstrationen senden ein verfassungspatriotisches Signal: Die Teilnehmer versammeln sich hinter Demokratie, Menschenwürde, Grundrechten und dem Rechtsstaat. Ich wollte in meiner Heimat in Gelsenkirchen an einer Demo teilnehmen, das hat leider wegen der Vorbereitungsgremien unseres Europaparteitages nicht geklappt. Es dürfte aber auch niemanden überraschen, dass ich als Verfassungsminister wohl einer der glühendsten Verfechter der Werte des Grundgesetzes in unserem Land bin.
Frage: Kommen Verfassungsfeinde an die Macht, greifen sie oft die unabhängige Justiz an. Wo sehen Sie Schutzlücken?
Buschmann: In Polen hat die alte Regierung versucht, die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts einzuschränken. Auch in Ungarn oder Israel gibt es solche Versuche. Ich bin sehr froh, dass alle Fraktionen der seriösen Demokraten im Bundestag mit einer verfassungsrechtlichen Änderung das Bundesverfassungsgericht stärker absichern wollen. Es spricht vieles dafür, die jetzige Struktur des Verfassungsgerichts im Grundgesetz abzusichern. Das sollte kein Thema von Mehrheit und Minderheit, Regierung oder Opposition sein. Hier sollten die seriösen Demokraten lagerübergreifend einen gemeinsamen Vorschlag machen. Ich bin sehr optimistisch, dass das gelingen wird.
Frage: Wie sieht es bei anderen Gerichten aus?
Buschmann: Wir haben bereits das Dienstrecht verschärft, um zu verhindern, dass Extremisten gezielt den öffentlichen Dienst unterwandern. Auch bei ehrenamtlichen Richtern stellen wir gerade gesetzlich klar, dass sie mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen müssen. Mit Blick auf die Richter gibt es allerdings eine Schwierigkeit: Wenn wir es noch leichter machen würden, Richter aus dem Dienst zu entfernen, kann das zum Bumerang werden. Würden Extremisten an die Macht kommen, würden sie genau diese Option nutzen, um die Zusammensetzung der Gerichte zu manipulieren. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist ein hohes Gut!
Frage: Sollte eine Partei wie die AfD, die vom Verfassungsschutz in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, überhaupt Richter benennen können?
Buschmann: Persönlich habe ich ein Störgefühl, wenn ich höre, dass Richter auf Vorschlag einer Partei ins Amt kommen, die in Teilen als gesichert rechtsextrem gilt. Aber im Rechtsstaat müssen wir uns an die Regeln halten. Wenn Demokraten das nicht tun, dann werden es Extremisten erst recht nicht tun.
Frage: Im Moment sehen sie hier also keinen weiteren Handlungsbedarf?
Buschmann: Der Rechtsstaat ist wehrhaft. Und wir tun jederzeit das Notwendige, dass es so bleibt.
Frage: Etliche Staatsrechtler setzen sich aktuell dafür ein, die AfD juristisch zu bekämpfen – über ein Verbot der Gesamtpartei, einzelner Landesverbände oder der Jugendorganisation oder aber über ein Ende der Parteienfinanzierung. Was davon überzeugt Sie am meisten?
Buschmann: Das Überzeugendste ist, wenn es uns als Demokraten gelingt, die AfD politisch so zu bekämpfen, dass sie viel weniger Rückhalt hat als jetzt. Man sollte zu juristischen Mitteln gegen eine Partei nur dann greifen, wenn man sich sehr sicher ist, dass das Verfahren erfolgreich sein wird, wenn die äußerst strengen Maßstäbe an ein Verbot gerichtsfest erfüllt sind. Hinzu käme: Allen muss klar sein, dass Verbotsverfahren vier bis sechs Jahre dauern würden.
Frage: Wie groß ist der Anteil der Ampel-Regierung am Erstarken der AfD?
Buschmann: Diese Regierung ist in ihren Ergebnissen oftmals besser als ihr Ruf. Aber klar, auch ich bin mit der Performance nicht zufrieden – vor allem mit Blick darauf, dass wir Konflikte zu lange austragen, ehe wir sie lösen. Da verschenken wir etwas. Wir sollten vor allem zwei Dinge beherzt angehen: Wenn die Leute das Gefühl haben, dass sie auf einem sinkenden Schiff sitzen, dann werden die Sitten rauer. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass der Konjunkturmotor wieder anspringt und ein gesunder Grundoptimismus zurückkehrt. Das andere ist die Bekämpfung der irregulären Migration. Wir haben Vieles auf den Weg gebracht. Denken Sie an die Einführung von Bezahlkarten statt Bargeldleistungen für Asylsuchende. Denken Sie an die Zurückweisung irregulärer Migranten an deutschen Grenzen. Die ersten Maßnahmen wirken bereits. Noch sind die Menschen skeptisch, aber ich bin sicher, dass wir noch in diesem Jahr klar sehen werden, dass sich da etwas Substanzielles bei den Zahlen bewegt. Dann werden viele, die jetzt die AfD im Sinne eines Denkzettels für die Ampel wählen würden, wieder zu den seriösen demokratischen Parteien zurückkehren.
Frage: Die Ampel will eine Fortschrittskoalition sein, verhakt sich aber sogar bei der gesellschaftlichen Modernisierung oft im Streit. Ihre Pläne für eine neue Form der Verantwortungsgemeinschaft als Alternative zur Ehe gibt es schon seit mehr als zwei Jahren. Ist der Widerstand so groß?
Buschmann: Ich finde, unser Tempo ist ziemlich sportlich – wenn man berücksichtigt, wie viel wir angehen. Wir bringen im Familienrecht gerade die größten Reformen seit Jahrzehnten auf den Weg. Wir modernisieren das Namensrecht, das Unterhaltsrecht, das Kindschaftsrecht und das Abstammungsrecht. Außerdem wollen wir mit der Verantwortungsgemeinschaft ein neues Rechtsinstitut einführen – wohlgemerkt: nicht als Alternative zur Ehe, sondern als Angebot für andere Nähebeziehungen. Das ist eine echte Innovation. Deshalb haben wir die Eckpunkte gründlich vorbereitet.
Frage: Welche Vorteile bringt die Verantwortungsgemeinschaft im Alltag?
Buschmann: Ein Beispiel: Zwei alleinstehende ältere Damen leben zusammen in einer Wohngemeinschaft. Sie sind kein Paar, sie wollen nicht heiraten. Sie wollen sich gegenseitig helfen, gerade auch im Notfall. Mit der notariell beurkundeten Verantwortungsgemeinschaft können sie eine rechtssichere Grundlage schaffen. Das macht vieles einfacher – zum Beispiel beim Auskunftsrecht gegenüber Ärzten oder bei anderen Vertretungsfragen. Ein anderes Beispiel wäre zwei Alleinerziehende, die sich gegenseitig unterstützen wollen.
Frage: Welche Folgen hat das für Kinder, Vermögen oder Versorgung?
Buschmann: Die Verantwortungsgemeinschaft ist keine „Ehe light“. Sie wird keine Auswirkungen auf das Eltern-Kind-Verhältnis haben. Es wird keine Steuererleichterungen geben, auch keine erbrechtlichen Folgen oder Unterhaltspflichten. Wer möchte, soll allerdings den Vermögensausgleich nach Beendigung einer Verantwortungsgemeinschaft regeln können.
Frage: Paare könnten heiraten, alle anderen eine Vorsorgevollmacht abschließen. Warum diese dritte Variante?
Buschmann: In der Tat: Man könnte durch einzelne Vollmachten so etwas Ähnliches nachbauen wie eine Verantwortungsgemeinschaft. Viele Menschen machen von diesen Möglichkeiten allerdings keinen Gebrauch. Die Verantwortungsgemeinschaft hat zwei große Vorteile. Erstens kann man alles in einem Durchgang erledigen und sich beim Notar genau das passende Modell zusammenbauen. Außerdem hat die Verantwortungsgemeinschaft einen symbolischen Mehrwert. Wer sie eingeht, gibt einem sozialen Verhältnis eine Struktur und einen positiven Namen. Ich denke, das ist attraktiv – gerade für Menschen, die sich mit heiklen Fragen wie der Vertretung im Fall von Krankheit oder Pflegebedürftigkeit eigentlich lieber nicht beschäftigen.
Frage: Jedes Jahr werden knapp 400.000 Ehen geschlossen. Wie viele Menschen werden sich auf diese Weise binden?
Buschmann: Wir haben immer mehr Alleinerziehende, wir haben immer mehr alleinstehende Ältere: Ich glaube, es gibt einen Bedarf für die Verantwortungsgemeinschaft. Wichtiger als eine konkrete Zahl von geschlossenen Verantwortungsgemeinschaften ist mir, dass wir allen Menschen diese neue Möglichkeit und Freiheit schaffen. Denn das Spannende ist doch: Die Verantwortungsgemeinschaft nimmt niemandem etwas weg – und kann Menschen das Leben einfacher machen. Mir ist wichtig, dass die Menschen dieses Angebot bekommen. Deshalb wollen wir das Vorhaben zügig ins Gesetzblatt bringen. Schon im Herbst will ich einen Gesetzesentwurf ins Kabinett bringen, im nächsten Jahr könnte das Gesetz in Kraft treten.
Frage: SPD und Grüne wünschen sich mehr Tempo bei einem anderen Gesetz: 2025 läuft die Mietpreisbremse aus. Die Ampel wollte sie verlängern. Wann kommt der Gesetzentwurf?
Buschmann: Die Mietpreisbremse gilt bis zum 31. Dezember 2025. Wir haben also durchaus noch Zeit, ohne dass sich für Menschen irgendetwas zu ihrem Nachteil ändert. Und ich bleibe dabei: Wenn es zügig vorangehen soll, dann müssen sich alle anderen auch in gleichem Tempo an Verabredungen aus dem Koalitionsvertrag halten.
Frage: Sie spielen auf den Konflikt mit SPD-Innenministerin Nancy Faeser um die Zukunft der Vorratsdatenspeicherung an.
Buschmann: Ich habe schon im vorletzten Jahr einen konkreten Gesetzentwurf vorgelegt, der Ermittlern bei der anlassbezogenen Sicherung von Daten hilft, das Quick-Freeze-Verfahren. Ich werbe dafür, dass wir gemeinsam konzentriert und zügig die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag abarbeiten.
Frage: Streit gibt es in der Ampel auch über die Frage, ob Abtreibungen künftig außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt werden können. Die Expertenkommission dazu hatte jetzt ein Jahr Zeit. Wie geht es weiter?
Buschmann: Die Kommission wird ihre Ergebnisse im April vorstellen. Ich bin darauf sehr gespannt. Wir sollten sie dann auswerten und im politischen Raum mit größter fachlicher und politischer Achtsamkeit besprechen. Die Räume, die das Bundesverfassungsgericht in der Frage des Lebensschutzes lässt, sind sehr eng. Was keinesfalls passieren darf, ist, dass eine Regelung gefunden wird, die zwei Jahre später in Karlsruhe für verfassungswidrig erklärt wird. Das hätte unzumutbare Folgen für die betroffenen Frauen, die Ärzte und die Beratungsstellen. Diese Fragen werden mit höchster Sensibilität und Präzision besprochen werden müssen.