Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Rheinischen Post“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Mey Dudin und Jan Drebes.
Frage: Herr Dürr, Ihr Parteivorsitzender hat einmal gesagt, lieber nicht regieren als schlecht regieren. Regiert die Ampel aus Ihrer Sicht noch gut?
Dürr: Die Koalition steht vor enormen Herausforderungen. Als wir 2021 in die Regierung gegangen sind, war die Welt noch eine andere. Die Koalition musste sich in den vergangenen Jahren den neuen Gegebenheiten anpassen und hat das getan.
Frage: Mit dem aktuellen Gebaren der FDP machen Sie es doch aber sowohl den Ampel-Gegnern nicht recht, indem Sie drinbleiben, als auch den Ampel-Befürwortern nicht, weil die FDP ständig mit dem Bruch droht…
Dürr: Menschen interessieren sich nicht dafür, wenn Politik sich über Politik unterhält. Entscheidend für die Leute ist doch, dass wir ihre Probleme lösen und dafür Entscheidungen treffen. Die FDP ist in die Regierung gegangen, um etwas zu verändern und das ist uns auch an vielen Stellen schon gelungen. Diese Verantwortung haben wir und nehmen sie wahr.
Frage: Aber es geht ja darum, dass die ständigen Androhungen eines möglichen Regierungsbruchs auch aus Ihrer Partei Verunsicherungen schaffen bei Menschen und Unternehmen.
Dürr: Nein, es geht uns um inhaltliche Richtungsentscheidungen. Wir wollen Dinge zum Besseren ändern. Solange das möglich ist, sollten wir auch gemeinsam Entscheidungen treffen.
Frage: Was muss die Ampel aus Ihrer Sicht bis zum Ende des Jahres noch schaffen?
Dürr: Jetzt im Herbst stehen auf drei Ebenen ganz zentrale Entscheidungen an. Da ist zum einen die Migrationspolitik, die seit 2015 nicht richtig gelöst war und die die Regierung auch auf Druck der FDP nun mit zuvor kaum denkbaren Schritten endlich ordnet. Zweitens müssen wir eine Wirtschaftswende hinkriegen mit den Investitionen im Haushalt und dem großen Wachstumspaket. Und drittens besteht in Brüssel die Chance, etwas fundamental zu ändern und bürokratische Vorgaben abzubauen.
Frage: Wird es mit der FDP zusätzliche staatliche Unterstützung für die Autoindustrie geben im Bereich der Elektromobilität?
Dürr: Wenn wir in die Vergangenheit schauen, haben Subventionen und Verbote nichts gebracht. Die Branche wurde zu Tode reguliert mit immer neuen Vorgaben, die dann durch staatliche Unterstützung ausgeglichen wurden. Das Ergebnis sehen wir heute, die Automobilindustrie steht vor massiven Problemen. Als Niedersachse kann ich sagen, dass wir Volkswagen vor allem dadurch helfen würden, wenn wir immer neue Regeln wie das Verbrennerverbot in die Tonne treten. Strohfeuer wie die Abwrackprämie sind keine Option.
Frage: Kann der Rentenstreit zu einem Koalitionsbruch führen?
Dürr: Nein. Alle drei Koalitionspartner wollen stabile Renten und eine Öffnung des Kapitalmarkts für alle, damit auch Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen von der Dynamik von Aktien für ihre Altersvorsorge profitieren können.
Frage: Warum blockiert Ihre Partei dann das Rentenpaket II, das bekanntlich der SPD besonders wichtig ist?
Dürr: Wir blockieren das Rentenpaket nicht. Im Gegenteil, es hat doch gerade die erste Lesung im Deutschen Bundestag dazu stattgefunden…
Frage: Sie wollen doch nicht abstreiten, dass es in der Koalition Differenzen bei der Finanzierung gibt und die FDP das Gesetz als nicht zustimmungsfähig bezeichnet, oder?
Dürr: Über Jahrzehnte hat die Politik sichere Renten versprochen, ohne zu sagen, wer das bezahlen soll. Es ist historisch, was wir bei der Rente planen. Da finde ich es völlig normal, dass wir uns Zeit für die Finanzdebatte nehmen.
Frage: Wird das Rentenpaket denn gemeinsam mit dem Haushalt beschlossen vor Weihnachten?
Dürr: Ich halte nichts von solchen Festschreibungen auf bestimmte Daten. Wichtiger als der Zeitplan ist das Ergebnis der Verhandlungen mit SPD und Grünen. Und da bleibe ich bis zum Schluss optimistisch. Was mir in der Diskussion auch viel zu kurz kommt, ist die enge Verknüpfung mit der Migrationspolitik. Diese riesigen Politikfelder sind miteinander verwoben, denn wir brauchen geordnete Einwanderung in den Arbeitsmarkt, damit wieder mehr Menschen Beiträge zahlen. Wir als Koalition müssen viele Fehlentwicklungen der vergangenen 15 Jahre korrigieren.
Frage: Sie wollen die europäischen GEAS-Beschlüsse vorziehen, um die Zahl der in Deutschland ankommenden Asylbewerber zu senken. Mit Blick auf die Haushaltsberatungen: Wer soll für die Kosten der neuen Lager an den Flughäfen aufkommen?
Dürr: Wir führen die Haushaltsverhandlungen untereinander und nicht in Zeitungsinterviews. Klar ist das Ziel: Wir müssen die Migrationspolitik so umbauen, dass wir bestimmen, wer reinkommt und wer wann wieder gehen muss. Es muss künftig einfacher sein, zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen als zum Ausruhen im Sozialsystem.
Frage: Sehen Sie Chancen für weitere Gespräche mit der Union über Maßnahmen in der Migrationspolitik?
Dürr: Die Chancen sehe ich. Eine Fortsetzung der Gespräche mit der Union wäre aus meiner Sicht wichtig, um den Populisten am rechten und linken Rand das Feld nicht zu überlassen und auch mit den unionsgeführten Ländern zu schnellen, wirksamen Lösungen zu kommen. Das Attentat von Solingen hat doch gezeigt, dass Bund und Länder gemeinsam verantwortlich sind.
Frage: Die Grünen-Spitze spricht mit Blick auf die Ostergebnisse von einer Krise und tritt zurück. Warum passiert das bei der FDP nicht, wo es doch noch viel schlimmer aussieht mit den Umfragen und Wahlergebnissen?
Dürr: Die FDP ist inhaltlich und personell klar aufgestellt. Die Grünen haben mehrere Strömungen und teils Widersprüche in sich selbst. Da kann dann so ein interner Richtungsstreit auch zu personellen Konsequenzen führen. Wir Liberale sind bei den Themen geeint, schauen Sie nur auf unsere Positionen zur Schuldenbremse, wirtschaftlicher Prosperität und auch zu schärferen Migrationsmaßnahmen, die wir seit 2015 fordern. Christian Lindner vertritt diese Dinge glaubhaft an der Parteispitze, deswegen gibt es solche Debatten bei uns nicht.
Frage: Allerdings punktet die FDP damit weder in den Umfragen noch bei Landtagswahlen. Zuletzt ging es überall bergab. In einem Unternehmen würde man doch Vorstand und Strategie auch tauschen, wenn die Zahlen nicht mehr stimmen…
Dürr: Bei der Europawahl haben wir ein gutes Ergebnis eingefahren.
Frage: Was auch an der Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gelegen haben könnte.
Dürr: Sie war eine sehr gute Kandidatin. Aber ich bleibe dabei: Christian Lindner ist an unserer Spitze gesetzt und die Themen sind es auch. Jetzt werden wir dafür sorgen, dass diese Themen auch umgesetzt werden – wie etwa die Wirtschaftswende.