LINDNER-Gastbeitrag: Was verteilt werden soll, muss erst erarbeitet werden

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner schrieb für „Die Welt“ (Montag-Ausgabe) und „welt.de“ den folgenden Gastbeitrag:

Die Bundestagswahl ist eine Richtungsentscheidung. Sie entscheidet über die Schuldenlast, die Steuerlast und die Stabilität des Euro.

Es stehen klare Alternativen zur Wahl. Beispielsweise strebt Grünen-Chef Robert Habeck eine Aufweichung der Schuldenbremse an, obwohl diese im Konjunkturverlauf schon jetzt ein Staatsdefizit toleriert. Am Ende, so sein Argument, würden die Staatsschulden trotzdem nicht höher sein als heute. Denn staatliche Investitionen würden sich langfristig selbst finanzieren.

Christian Lindner
Christian Lindner

Ist das realistisch?

Eine vergleichbare Schuldenregel enthielt das Grundgesetz bereits von 1969 bis 2009, also vor der Schuldenbremse. In dieser Zeit stieg die Schuldenlast des Bundes von umgerechnet 30 Milliarden Euro auf 1287 Milliarden Euro. Denn in Wahrheit werden Subventionen und Umverteilung oft in Investitionen umdefiniert – es bleiben aber Konsumausgaben. Zudem ist weder gesichert, dass öffentliche Investitionen zielgerichtet erfolgen, noch sollte man die aktuellen Finanzierungsbedingungen des Staates auf Dauer voraussetzen. Von dieser Rolle rückwärts ist also abzuraten.

Wir sollten stattdessen ein sich selbst tragendes Wirtschaftswachstum stärken, indem wir die Standortbedingungen verbessern. Eine Superabschreibung für Anlagengüter wäre ein Anfang: Wenn Betriebe in Anlagen investieren, die Digitalisierung und Klimaschutz vorantreiben, sollte dies in zwei Jahren abgeschrieben sein. Idealerweise wird dies kombiniert mit beschleunigten Genehmigungsverfahren und niedrigeren Steuersätzen, um Beschäftigung, Modernisierung und am Ende steigende Staatseinnahmen zu erreichen. Eine Studie des ifo-Instituts stützt diese Erwartungen.

Nach den Vorstellungen der Grünen dagegen hätten sich die Familienbetriebe mit höherer Steuerbelastung auf den Weltmärkten zu behaupten. Erhalten würden sie Subventionen für Klima-Programme in einer jährlichen Größenordnung von 50 Milliarden Euro – das sollen dann die „öffentlichen Investitionen“ sein? Der Blick ins Grünen-Programm zeigt zudem eine Zuneigung zu Sozialtransfers bis hin zur Leitvorstellung des bedingungslosen Grundeinkommens im Grundsatzprogramm. Diese Ausweitung des öffentlichen Sektors ginge zu Lasten der wirtschaftlichen Dynamik. Ganz abgesehen von Zweifeln, ob man sich gesellschaftspolitisch einen solchen Wohlfahrtsstaat wünschen kann.

Entlastung wirkt schneller als Subventionen und engt die Innovationskraft nicht ein, wie es lenkende Staatszuschüsse tun. Die für Innovationen nötigen finanziellen Mittel sollten also gleich im privaten Sektor verbleiben. Denn knapp 90 Prozent aller Anlageinvestitionen in Deutschland kommen von dort. Wenn nötigenfalls private Finanzierungen von besonderen Vorhaben – wie heute schon – anteilig über öffentliche Förderbanken abgesichert werden, wäre das immer noch einem politisierten Subventionsregime vorzuziehen.

Entlastung verdient haben auch die Menschen. Wir müssen eine Trendwende schaffen weg von einem Jahrzehnt der Belastung hin zu einem Jahrzehnt der Entlastung! Zurzeit erleben wir eine Inflation, wie wir sie fast 30 Jahre nicht mehr kannten. Sie ist sicher vor allem pandemiebedingt. In ihrem Kontext sollten die öffentlichen Schulden und die Politik der EZB aber nicht aus den Augen verloren werden. Denn unsere Notenbank ist de facto zu einer Rücksichtnahme auf hochdefizitäre Mitglieder der Wirtschafts- und Währungsunion gezwungen. Dies könnte die Bereitschaft zur Reaktion auf Inflationsrisiken begrenzen. Ohnehin dürfen Null- und Negativzinsen sowie Anleiheankäufe nicht von Dauer sein.

In der Konsequenz besteht Handlungsbedarf, zur fiskalischen Solidität zurückzukehren. Die Aufnahme gemeinsamer Schulden in der EU für den Wiederaufbaufonds war eine angesichts der Pandemie akzeptable Krisenintervention mit Ausnahmecharakter. Unsere Wettbewerber auf der linken Seite des Spektrums aber wollen daraus ein System dauerhafter Transfers mit EU-Steuern machen. Robert Habeck sieht im Vertrag von Maastricht, der die Mitglieder der Währungsunion auf fiskalische Eigenverantwortung verpflichtet, gar eine Knebelung Europas, wie er sagte.

Für uns dagegen steht fest: Die finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitglieder der Eurozone ist das beste Mittel, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Die Vergemeinschaftung von Staatsschulden wäre eine Einladung, die Überwindung von Strukturproblemen zu vertagen.

Schulden, höhere Steuern, Abkehr von Maastricht – nimmt man all dies zusammen, dann liegen die Alternativen klar auf dem Tisch. Für uns ist mehr als für andere klar: Wir müssen den Wohlstand erst erarbeiten, bevor wir ihn verteilen können.

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