Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Nordwest-Zeitung“ (Freitagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Dr. Alexander Will:
Frage: Wie fühlt man sich als Fraktionsvorsitzender einer Regierungspartei?
Dürr: Gut! Darauf haben wir hingearbeitet. Wir wollen in Deutschland gestalten, und deswegen war es das Ziel, in eine Bundesregierung einzutreten. Dass mir die Fraktion mit über 94 Prozent ihr Vertrauen geschenkt hat, freut mich ganz persönlich!
Frage: Was kann denn die Ampel besser machen als die Große Koalition?
Dürr: Ich will als Fraktionsvorsitzender das fortsetzen, was auch die Koalitionsverhandlungen geprägt hat: Teamplay. Ich glaube, die Leute sind es leid, eine Regierung zu haben, die sich streitet und dann nichts entscheidet. Wir haben gute Projekte im Koalitionsvertrag niedergeschrieben.
Frage: Was ist denn nun liberal an diesen Projekten?
Dürr: Die Überschrift des Koalitionsvertrages spiegelt das: „Mehr Fortschritt wagen.“ Wir glauben, dass man aus diesem Land mehr machen kann, als bisher auf Grund der Politik der Großen Koalitionen möglich war. Wenn ich etwa an das Thema Digitalisierung denke, ist für die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt viel mehr drin. Ich will das mit einem mir wichtigen Thema verknüpfen: Wie werden wir ein modernes Einwanderungsland, in dem Einwanderung in den Arbeitsmarkt stattfindet? Bisher hat die Union da nichts bewirkt. Das hat dazu geführt, dass wir Migration hatten – aber eben keine echte Einwanderungspolitik. Nun wollen wir ein Einwanderungsgesetz einführen. Das ist gesellschaftspolitisch und auch wirtschaftspolitisch ein ganz anderer Zugang.
Frage: Die erste große Bewährungsprobe steht der Ampel unmittelbar bevor: Die Sache mit dem Corona-Impfzwang. Was ist denn an dem liberal?
Dürr: Erstens: Das Wichtigste ist, dass die Debatte in aller Öffentlichkeit im Parlament stattfindet, nicht hinter verschlossenen Türen in Ministerpräsidentenkonferenzen. Zweitens: Das ist keine Debatte, die entlang von Fraktions- und Parteilinien laufen wird. Es wird Gruppenanträge geben. Das heißt, partei- und fraktionsübergreifend werden sich Abgeordnete zusammenfinden. Drittens: Bei der Frage Impfpflicht würde ich immer betonen, dass dies eben keine Ja-oder-Nein-Frage ist. Auch ich bin da bisher nicht festgelegt. Die Frage ist doch vielmehr, ob und wie man das vielleicht differenziert machen kann. In der nächsten Zeit sollten wir die Impfbereitschaft nutzen, die in Deutschland schon da ist. Die Schlangen vor den Impfzentren sind lang. Da geht es um besseres Management: Dass der Impfstoff da ist. Dass die Impfbereitschaft auch bedient wird.
Frage: Ihr Parteivorsitzender hat seine Meinung um 180 Grad modifiziert. Die Argumente, die Christian Lindner im September gegen eine Impfpflicht vorgebracht hat, sind aber nicht vom Tisch. Wie soll eine Wählerschaft das einordnen, die die FDP vor allem gewählt hat, weil sie auf eine Kraft für individuelle Freiheit gesetzt hat?
Dürr: Was wir vermehrt bei der vierten Corona-Welle festgestellt haben ist, dass das alte Infektionsschutzgesetz der Großen Koalition ja nicht im Stande war, die jetzige Welle zu verhindern. Wenn ich aus der Union höre, man müsste die Bundesnotbremse wiederhaben, dann sind das all die Instrumente, die eine vierte Welle eben nicht verhindert haben. Die Corona-Maßnahmen muss man an zwei Fragen festmachen. Erstens: Sind die Instrumente wirksam? Ich denke etwa an die Testpflicht in Alten- und Pflegeheimen. Das ist wirksam und sinnvoll. Zweitens: Sind die Instrumente rechtssicher? Wir sind eine Rechtsstaatspartei. Bayerische Gerichte haben beispielsweise Maßnahmen auf Landesebene für nichtig erklärt. Zur Freiheit gehört eben auch, möglichst wenig Freiheitseinschränkung trotz Pandemie zu haben. Heute ist die drohende Krise des Gesundheitssystems vor allem dadurch gekennzeichnet, dass wir ungeimpfte Personen mit dramatischen Krankheitsverläufen auf den Intensivstationen haben. Das führt dazu, dass andere Menschen womöglich nicht behandelt werden können. Das sind auch Freiheitsfragen! Deswegen finde ich das wichtig, die Diskussion nicht nur schwarz-weiß und Ja-Nein zu führen, sondern die Freiheitsfragen umfassend zu betrachten.
Frage: Was für Ideen für einen langfristigen Ausweg aus der Pandemie bietet denn die FDP? Sollen die Menschen verpflichtet werden, sich alle sechs Monate impfen zu lassen und trotzdem massive Einschränkungen ihres täglichen Lebens zu erleiden?
Dürr: Das Konzept muss darauf zielen, dass die Freiheitseinschränkungen irgendwann ein Ende finden. Es ist schwierig, ein Datum zu versprechen, aber wir sollten im Corona-Management alles dafür tun. Es war zum Beispiel ein Riesenfehler, die Testmöglichkeiten einzuschränken, in der Hoffnung, dass sich dann mehr Menschen impfen lassen. Es haben sich weniger Menschen getestet. Es waren also mehr Menschen positiv, ohne es zu wissen. Gleichzeitig ist die Impfkampagne schiefgelaufen. Vor allem muss man die Impfbereitschaft nutzen, die da ist. Das ist wieder eine Frage der Impflogistik. Die Impfung ist der Schlüssel, um diese Pandemie endgültig zu bekämpfen. Das muss jedem klar sein.
Frage: Ein weiteres Megathema neben der Pandemie ist Klimaschutz. Das wird teuer. Frage an Sie als Finanzexperten: Wie wollen Sie das finanzieren ohne neue Schulden und ohne Steuererhöhungen?
Dürr: Man muss hier mit einem Missverständnis aufräumen, nämlich mit dem Eindruck, da wäre ein Staatssäckel, das gefüllt ist, oder nicht, und das man ausgeben kann. Dieses Staatssäckel wird jedes Jahr neu erwirtschaftet und erarbeitet! Das heißt, die Voraussetzung für einen Staat, der in den Klimaschutz investieren kann, ist wirtschaftlicher Erfolg – dass Menschen in Wohlstand leben, dass Menschen und Unternehmen erfolgreich sind, dass sie Steuern zahlen. Die Voraussetzung dafür, Klimaschutz voranzubringen, ist eine florierende Wirtschaft. Darum setzen wir zum Beispiel auf Superabschreibungen mit dem Ziel, dass Unternehmen schnell in Klimaschutz und Digitalisierung zu investieren.
Frage: Klimaschutz wird sich also aus den Früchten wirtschaftlicher Prosperität selbst finanzieren?
Dürr: Wenn man investieren will, ist es Voraussetzung, dass man anschließend Gewinne macht. Wenn man das nicht kann, ist es schwierig mit dem Investieren. Das weiß jeder Unternehmer, und so muss sich auch der Staat verhalten.
Frage: Wer soll diese Transformation vor allem tragen?
Dürr: Die meisten Investitionen in Klimaneutralität – das werden Investitionen der Privatwirtschaft sein, nicht des Staates. Weil Unternehmen zum Beispiel ihre Produktionsprozesse umstellen und auch die privaten Haushalte beispielsweise auf klimaneutrale Antriebe setzen. Der Staat hat nur begrenzte Möglichkeiten.
Frage: Dann hoffe ich nur, dass es die Privaten nicht überfordert…
Dürr: Ganz genau. Wenn es die Privaten überfordert, werden wir die Klimaschutzziele nicht erreichen. Nur wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen werden investieren. Ersatzinvestitionen, die dann etwa eine klimaneutrale Maschine sein würden, macht man ja nur, wenn man das Gefühl hat, man verdient damit Geld. Das ist auch nichts Ehrenrühriges. Ganz im Gegenteil: Geld zu verdienen, ist die Grundvoraussetzung, damit Investitionen stattfinden.
Frage: Was ist Ihre Vision von Deutschland im Jahre 2025? Vielleicht in drei Stichworten.
Dürr: Ich wünsche mir ein Deutschland, das weltoffen, wirtschaftlich erfolgreich und digitaler ist