Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesminister der Finanzen Christian Lindner hielt auf dem 73. Ord. Bundesparteitag der Freien Demokraten in Berlin folgende Rede:
Einen guten Morgen aus Washington! Liebe Parteifreundinnen, liebe Parteifreunde, alle haben sich auf diesen Bundesparteitag gefreut. Auch ich habe mich sehr auf diesen Bundesparteitag in Präsenz gefreut und nun ist es ganz anders gekommen. Aber Freie Demokraten haben starke Nerven. Anders als geplant werde ich meine Gedanken von hier mit Ihnen und Euch teilen, mit gut 6 Sekunden Verzögerung über den Atlantik. Es wird also nicht nur die erste interaktive Parteitagsrede sein, die ich halte, sondern auch die am weitesten entfernt gehaltene und die früheste Rede: Es ist 6 Uhr morgens! Einen Parteitag aus Washington zu bestreiten, das ist nun wirklich Ausdruck der transatlantischen Partnerschaft, die wir pflegen.
Es ist gut, dass es wieder einen Bundesparteitag in Präsenz gibt. Liebe Freundinnen und Freunde, wir haben das sehr lange entbehrt, den direkten Austausch und die Lebendigkeit der Debatte. Das gehört zur Demokratie dazu. Nun ist es soweit, und das ist ein weiterer, ein wichtiger Schritt in Richtung Normalität in Zeiten einer Pandemie. Die Pandemie ist nicht vorüber und überwunden, aber ihr Charakter hat sich verändert. Deshalb werden wir weiter Schutz- und Hygienevorschriften benötigen, aber auch Umsicht und Eigenverantwortung im Alltag.
Als Finanzminister werde ich auch weiterhin die Bürgertests finanzieren und die Impfung bleibt zentral. Aber darüber hinaus ist eben mehr Miteinander, mehr Normalität möglich. Weil der Charakter der Pandemie sich geändert hat, musste sich auch der Charakter der Bekämpfung der Pandemie verändern. Es konnte niemals das Ziel sein, dass Deutschland die schärfsten und am stärksten in die Freiheit der Menschen eingreifenden Maßnahmen fortsetzt.
Wir haben vor der Bundestagswahl für eine Pandemie-Politik geworben, die sich auf wirksame und verhältnismäßige Maßnahmen stützt. Und daran haben wir uns auch in Regierungsverantwortung gebunden gefühlt. Nun gibt es einen anderen Zugang, einen verantwortungsvollen Zugang, der die Überlastung des Gesundheitssystems abwenden will, der aber zugleich mehr Freiheiten im Alltag erlaubt und einen deutlichen Schritt Richtung Normalität kennzeichnet. Dafür sind wir teilweise auch kritisiert worden.
Man muss offen sagen: Auch ein Teil unserer Wählerinnen und Wähler war und ist skeptisch gegenüber dieser Herangehensweise. Aber wir haben dafür geworben, weil sie unserer Grundüberzeugung entspricht. In Fragen grundlegender Überzeugungen, in Fragen der Interpretation des Verfassungsrechts, der Bürgerrechte, da kann es keine Orientierung an Umfragen und kurzfristigen Erwägungen geben, sondern da muss man sich von seinen Überzeugungen leiten lassen. Es macht eben einen Unterschied, ob Freie Demokraten regieren oder nicht. Das zeigt sich auch in der Pandemie-Politik.
Liebe Parteifreundinnen, liebe Parteifreunde, ich bin hier nach Washington gereist zur Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds. In diesem Kontext gab es auch Zusammenkünfte der G20 und der G7. Das bestimmende Thema hier ist selbstverständlich der schreckliche und völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Wir haben alle die bestürzenden Bilder vor Augen. Jeden Tag. Ich habe mit Wladimir Klitschko und einer Delegation gesprochen, die eins zu eins über die schrecklichen Kriegsverbrechen berichtet haben.
Ich glaube, das macht mit uns allen etwas – wieder Krieg und diese Form des menschlichen Leides in Europa erleben zu müssen. Und deshalb hat die Ukraine, haben die Menschen in der Ukraine unsere volle Solidarität. Dieser Angriffskrieg Russlands ist aber noch etwas anderes. Eine Atommacht ist jetzt dazu übergegangen, souveräne Staaten anzugreifen. Das verändert die internationale Friedens- und Freiheitsordnung. Das verändert auch all das, was in den vergangenen Jahrzehnten erarbeitet, mindestens erhofft worden ist. Es ist eine fundamentale Veränderung der geopolitischen Situation Deutschlands und Europas. Das ist keine Übung, sondern leider ein bitterer Ernst, der von uns auch verantwortungsbewusste und ernste Entscheidungen verlangt.
Ich war zuletzt 2020 in Kiew – übrigens zuerst in Kiew und danach in Moskau, eine politisch bewusst gewählte Reiseroute. Ich habe dort viele Vertreterinnen und Vertreter der Regierung getroffen, den heutigen Außenminister beispielsweise, auch die Kräfte der demokratischen Opposition. Auch wenn es in Einzelfragen vielleicht Unterschiede gab, eines war klar sichtbar: das Bewusstsein, dass noch viel zu tun ist bei der Bekämpfung der Korruption, dem Aufbau der Verwaltung, der Infrastruktur. Aber was auch zu spüren war: eine klare Werte-Entscheidung, eine Werte-Entscheidung für die offenen Gesellschaften Europas und der liberalen Demokratien und gegen die geschlossene autoritäre Gesellschaft eines Wladimir Putin. Es war die klare Entscheidung zu spüren, sich in Richtung marktwirtschaftlicher, fairer Systeme zu entwickeln, wie wir sie haben und weg von diesem Oligarchen-System, für das Putins Russland steht. Und es war klar spürbar, dass der Wille der Ukraine war und ist, in eine enge Partnerschaft, in eine Mitgliedschaft mit der Europäischen Union zu kommen.
Ich habe keinen Zweifel: Die Ukraine ist auch von Putin angegriffen worden, weil sie diese Werte-Entscheidungen getroffen hat, Werte-Entscheidungen in Richtung Europa und unsere Liberalität, weg vom autoritären System eines Wladimir Putin. Deswegen wurde die Ukraine angegriffen. Ihr gilt deshalb in doppeltem Sinne unsere Solidarität: mitmenschlich wegen des Leides, aber auch politisch. Denn in der Ukraine wird auch um die Werte gekämpft, die uns wichtig sind. Und deshalb muss die Ukraine diesen Krieg gewinnen und die Ukraine wird diesen Krieg gewinnen. Denn alles andere wäre eine Einladung zur Wiederholung.
Russland muss vollständig politisch, finanziell und wirtschaftlich isoliert werden. Es kann kein normales Miteinander mit Russland unter Wladimir Putin geben. Und auch andere Weltmächte müssen verstehen, dass es für Europa und die liberalen Demokratien hier nicht um einen regionalen Konflikt oder einen Krieg nur in Europa geht. Das ist eine fundamentale Frage einer regelbasierten Weltordnung und deshalb dürfen wir auch erwarten, dass die klare Entscheidung zur Isolation Russlands nicht nur von uns, von Europa und unseren unmittelbaren Alliierten und Verbündeten getroffen wird, sondern dass dies auf der Weltbühne insgesamt Unterstützung findet.
Liebe Freundinnen und Freunde, die Ukraine benötigt militärische Hilfe und schwere Waffen. Ehrlich gesagt, mir ist ein Rätsel, warum diese klare Feststellung für manche ein solches Problem, eine solche Hürde darstellt. Die Ukraine benötigt militärische Unterstützung und sie benötigt, damit sie siegreich sein kann, auch schwere Waffen. Es hat in der letzten Zeit mancherorts gewiss Anlass zur Vervollkommnung bei der Kommunikation gegeben.
Ich will allerdings auch in aller Klarheit sagen, dass gewisse CDU-Narrative und pauschale Kritik am Bundeskanzler unsere Sache nicht sein können. Olaf Scholz ist eine verantwortungsbewusste Führungspersönlichkeit, die sorgsam abwägt und die auf dieser Basis Entscheidungen trifft. Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages habe ich gesagt: Herr Scholz verfügt über, um Egon Bahr zu zitieren, ein inneres Geländer. Und genau dieses innere Geländer zeigt er auch jetzt. Es ist eine ernsthafte Situation, in der wir als Freie Demokraten klar unterstreichen müssen: Der Bundeskanzler hat das Vertrauen der FDP und auch ihrer Fraktion im Deutschen Bundestag.
Es ist ein gefährliches Spiel, das die Unionsfraktion im Parlament versucht. Mit einer Initiative zu Waffenlieferungen wird offensichtlich der Versuch unternommen, die Regierungskoalition in Schwierigkeiten zu bringen und damit auch die Regierung insgesamt zu destabilisieren. Um es klar zu sagen: In Zeiten von Krieg in Europa habe ich für diese Form parteipolitischer Manöver keinerlei Verständnis. Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung, die die notwendigen Entscheidungen für unser Land trifft.
In Bezug auf die militärische Unterstützung der Ukraine und der Frage der schweren Waffen bin ich für eine Versachlichung der Diskussion, auf der Basis der drei Kriterien, die dankenswerterweise im Entwurf des vorliegenden Antrages Aufnahme gefunden haben.
Erstens: Wir müssen handeln im Gleichklang mit unseren Verbündeten, insbesondere mit den Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich. Wir haben es bei Russland mit einer Atommacht zu tun, und deshalb ist es wichtig, dass wir immer im engen Schulterschluss mit unseren Verbündeten handeln, weil wir möglicherweise auch deren nuklearen Schirm als strategische Rückversicherung benötigen. Im Gleichklang zu handeln bedeutet, dass wir nicht weniger tun als andere. Die USA liefern beispielsweise Artillerie. Emmanuel Macron hat gesagt, er verfolge die gleiche Strategie wie Deutschland. Das erste Kriterium für uns heißt Gleichklang mit unseren Partnern, insbesondere USA und Frankreich. Zugleich haben wir aber einen Weg gefunden, im Rahmen dieses Gleichklangs doch de facto Zusätzliches zu ermöglichen, indem wir mit osteuropäischen Partnern einen Ringtausch mit ehemals sowjetischen Rüstungsgütern und Panzern organisieren. Dafür gibt es auch Mittel im Bundeshaushalt. Hierdurch wird es möglich, sofort und schnell einsetzbares schweres Gerät verfügbar zu machen.
Das zweite Kriterium: Unsere eigene Verteidigungsfähigkeit und die Wahrnehmung unserer Verpflichtungen im Rahmen der NATO dürfen nicht beeinträchtigt werden. Wir wissen nicht, was noch vor uns liegt. Man darf leider in diesen Zeiten auch nichts ausschließen. Beispielsweise im Baltikum und an anderen Stellen Osteuropas ist eine verstärkte Präsenz der NATO erforderlich. Es muss immer klar sein, dass wir unsere eigene Wehrhaftigkeit nicht einschränken. Wenn man dieses zweite Kriterium berücksichtigt, dann limitiert auch dies unsere Möglichkeiten. Denn auch das, was auf den Parkplätzen der Industrie steht, wird für den Ringtausch mit Osteuropa benötigt.
Und zum Dritten: Wir dürfen keine Kriegspartei werden. Auch der französische Präsident hat das noch einmal unterstrichen.
Wenn ich das zusammenfasse, diese drei Kriterien, dann ergibt sich für mich folgendes Bild: Wir müssen alles, was in unserer Macht steht, tun, um der Ukraine zum Sieg zu verhelfen. Aber die verantwortungsethische Grenze ist die Gefährdung unserer eigenen Sicherheit und die Gefährdung der Verteidigungsfähigkeit des Territoriums der NATO. Was aber im Rahmen dieser Kriterien möglich ist, das muss pragmatisch und schnell gemeinsam mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern unternommen werden.
Liebe Freundinnen und Freunde, diese Diskussion um die militärische Hilfe Deutschlands für die Ukraine enthält noch etwas anderes, nämlich die Situation der Bundeswehr, unserer Streitkräfte. Sie ist beklagenswert. Das ist keine Neuigkeit für uns als Freie Demokraten, weil wir ja seit Jahren schon darauf gedrungen haben, die Vernachlässigung der Bundeswehr sofort zu beenden. Das war übrigens nicht allein eine Vernachlässigung in materieller Hinsicht. Um es offen zu sagen: Es ist auch in ideeller Hinsicht eine Geringschätzung gewesen, höchstens ein freundliches Desinteresse, aber oft geradezu eine Geringschätzung der Soldatinnen und Soldaten, die Dienst für unser Land leisten. Darüber habe ich mit Kameradinnen und Kameraden gesprochen, die nach Dienstschluss überlegt haben, ob sie in Uniform heimfahren oder ob sie in Zivilkleidung wechseln, weil sie schiefe Blicke oder vielleicht gar unangemessene Ansprache in der Straßenbahn vermeiden wollten. Das sagt auch etwas über unser Land aus.
Ich glaube, dass wir neben den materiellen Fragen auch unser ideelles Verhältnis zu den Streitkräften neu begründen müssen. Diejenigen, die für unser Land als Soldatinnen und Soldaten, aber auch an anderer Stelle in Uniform und als Waffenträger Dienst tun, haben unsere volle Anerkennung, unseren vollen Respekt und auch unsere Unterstützung verdient. Hinsichtlich der materiellen Unterstützung der Bundeswehr gehen wir neue Schritte – mit einem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen zur Ertüchtigung unserer Verteidigungsfähigkeit. Damit holen wir das auf, was über mindestens 15 Jahre vernachlässigt worden ist. Wir sind dann in der Lage, die Bundeswehr zur handlungsfähigsten und modernsten ausgerüsteten Armee Europas zu machen.
Das ist übrigens alles andere als ein sogenannter Schattenhaushalt, wie gelegentlich dem Finanzminister vorgeworfen wird. Was kann es Stärkeres im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit geben als eine Maßnahme, die sogar Verfassungsrang genießt? Ich habe dem Bundeskanzler genau diesen Weg vorgeschlagen, auf seine Anforderung hin, für die Bundeswehr mehr zu tun. Ich habe ihm genau diesen Weg vorgeschlagen, weil Steuererhöhungen verhindert werden müssen. Sie wären zwingend erforderlich, würde man jetzt sofort aus den laufenden Haushalten das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreichen wollen. Deshalb der Vorschlag für dieses Sondervermögen in der Verfassung, um die Zielrichtung deutlich zu machen und zugleich, um durch eine Maßnahme neben der Schuldenbremse ihren besonderen Ausnahmecharakter deutlich zu machen. Ich bin froh und dankbar, dass die Kolleginnen und Kollegen von Sozialdemokratie und Grünen dieses Vorhaben mittragen. Ich würdige das deshalb, weil jeder weiß, dass beide Parteien in der Vergangenheit teilweise andere Positionen bezogen haben und nun einen Weg gegangen sind.
Umso mehr wundere ich mich an dieser Stelle über das Verhalten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Es ist legitim, dass die Unionsfraktion ihre Zustimmung zu einer verfassungsändernden Mehrheit an eigene inhaltliche Anliegen bindet. Darüber wird gesprochen und ich, der ich die Verhandlungen federführend für die Bundesregierung gestalten darf, ich bin auch aufgeschlossen, Anliegen der Unionsfraktion aufzunehmen. So ist das bei einer notwendigen verfassungsändernden Mehrheit. Und so ist es auch beabsichtigt, weil dies mehr ist als das Projekt nur einer Regierung oder gar nur einer Koalition. Aber neben den inhaltlichen Anforderungen und Bedingungen hat mich verstört, dass aus der Unionsfraktion auch sehr taktisch argumentiert worden ist. Man wolle am Ende nur genau die Zahl der Abgeordneten zur Verfügung stellen, die die Ampel bräuchte, um die Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Kein Abgeordneter mehr, so dass alle Abgeordneten der Ampel gezwungen sind, dafür zu votieren. Keine weitere Stimme der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde, was ist das mehr als reine parteipolitische Taktik? In einer Frage dieser historischen Dimension? Ich möchte, dass wir uns das bitte klarmachen. Es handelt sich in dieser veränderten geopolitischen Lage um eine Entscheidung, die politisch die Relevanz hat, wie seinerzeit vielleicht die Wiederbewaffnung oder die Entscheidung über den Beitritt zur NATO oder den NATO-Doppelbeschluss. Das ist keine Entscheidung der Tagespolitik, sondern eine grundlegende Weichenstellung, eine Priorität, die auch über unser Land hinaus Würdigung gefunden hat. Anderen europäischen Partnern, die sich daran orientieren, sagt der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU keine Stimme mehr zu als die, die sie brauchen. Ich glaube, hier muss die CDU/CSU sich fragen, ob sie mit dieser Vorgehensweise ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht wird. Würde Helmut Kohl in einer Frage von Frieden und Freiheit in Europa in gleicher Weise agieren?
Mein Appell an die Union ist, parteipolitisches Bodenturnen bei Fragen der Sicherheit und bei existenziellen Bündnisfragen einzustellen und staatspolitische Verantwortung zu übernehmen. Denn der Zustand der Bundeswehr und die Notwendigkeit, ein solches Sondervermögen überhaupt beschließen zu müssen, steht in einer starken Verantwortung der CDU/CSU selbst. Seit 16 Jahren war es eine CDU-Kanzlerin, die die Richtlinienkompetenz in Deutschland innehatte. Es waren Verteidigungsminister der CDU/CSU, die die Bundeswehr geführt haben. Und deshalb trägt die Union jetzt auch eine besondere Verantwortung dafür, daran mitzuwirken, dass unser Land seinen Bündnisverpflichtungen wieder voll nachkommen kann.
Liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde, der Ukraine-Krieg hat etwas Zweites an strategischer Vernachlässigung offenbart, nämlich unsere dramatische Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland. Auch das wird aufzuarbeiten sein. Die Russlandpolitik der Sozialdemokratie war ja verschiedentlich Gegenstand von Berichterstattung, insbesondere die Entwicklungen der vergangenen Jahre in Mecklenburg-Vorpommern. Aber auch hier gilt: Die energiepolitischen Grundentscheidungen, auch die außenpolitischen Grundentscheidungen unseres Landes werden natürlich von denjenigen verantwortet, die die Richtlinienkompetenz haben. Das heißt, die Unions-Narrative lenken davon ab, dass viel Verantwortung für diese prekäre Situation unseres Landes eben auch von den Unionsparteien getragen wird. Ich schlage deshalb vor, diese parteipolitischen Auseinandersetzungen über das, was war, zu überwinden und gemeinsam nach vorne zu arbeiten. Damit unser Land sich aus dieser Lage befreien kann. Denn das muss es.
Liebe Freundinnen und Freunde, wir müssen uns schnellstmöglich aus der Abhängigkeit von russischen Importen befreien. Bei Kohle gelingt das schnell, bei Rohstoffen wie Öl und Gas benötigt es mehr Zeit. Aber das Ziel muss klar sein. Deutschland und Europa müssen unabhängig werden von Importen aus Russland. Dabei geht es darum, dass wir diversifizieren, also von den Weltmärkten, aus anderen Quellen beispielsweise Flüssiggas beziehen. Dafür gibt es jetzt Flüssiggas-Terminals. Nebenbei gesagt, für die wir vor dieser aktuellen Situation schon seit Jahren geworben haben.
Und es geht auch um den beschleunigten Ausbau von erneuerbaren Freiheitsenergien. Hier hat die Bundesregierung ohnehin schon große Ambitionen. Ich habe wahrgenommen, dass mein Kollege, der Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck neue Gesetzgebung vorgelegt hat, die jetzt im Bundestag beraten wird. Wir wollen diversifizieren, wir wollen mehr Tempo machen beim Ausbau der Freiheitsenergien. Aber neben dem Ziel der Energieunabhängigkeit und der Versorgungssicherheit muss auch die Bezahlbarkeit und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Energieversorgung weiter ein Ziel bleiben.
Das heißt, die einseitige Orientierung auf schnellstmögliche Treibhausgasneutralität alleine wird der Lage nicht gerecht, sondern wir müssen auch durch gezielte Importe, etwa von Flüssiggas oder grünem Wasserstoff, die Bezahlbarkeit von Energie in den Blick nehmen.
Wenn wir die energiepolitische Konzeption unseres Landes neu betrachten, müssen wir uns auch von ideologischen Verhärtungen lösen. Und damit meine ich insbesondere die Frage der heimischen, also europäischen Öl- und Gasvorkommen, wo es Initiativen gegeben hat, ja auch aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein, von unseren Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Darüber werden wir hier auch beraten.
Bei den Sanktionen und bei der Frage der Energieimporte ist mir allerdings eins wichtig zu sagen: Diese Debatte wird bei uns in Deutschland in der Öffentlichkeit hart geführt. Mich hat beeindruckt, dass die amerikanische Finanzministerin dieser Tage hier in Washington am Rande der Sitzung des Währungsfonds in einer Pressekonferenz gesagt hat, sie empfehle Vorsicht bei Embargo-Entscheidungen, weil sie Auswirkungen hätten, beispielsweise auf die Weltmärkte. Mittelfristig sei das Ziel klar, auf dem Weg dahin mahne sie aber zur Vorsicht.
Ich bin deshalb auch durchaus angetan davon, dass mein Kollege Robert Habeck als grüner Wirtschaftsminister in Katar für mehr fossile Energieimporte nach Deutschland wirbt. Wenn ein grüner Minister sich dazu veranlasst sieht, dann zeigt das, wie sensibel die Versorgungssituation ist.
Man muss dann wissen, was man tut. Die Maxime muss sein, so schnell wie möglich unabhängig zu werden, um dann ein Embargo beschließen zu können. Wir müssen Putins Kriegskasse stärker treffen als unsere eigene strategische Durchhaltefähigkeit. Denn jede Entscheidung, jede Embargo-Entscheidung, liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde, die wir jetzt, die wir heute in dieser Situation treffen, bei der müssen wir davon ausgehen, dass wir sie über Monate, vielleicht über viele Jahre und vielleicht auch auf Dauer durchhalten müssen.
Übrigens hat der Bundeskanzler neulich in einer Sitzung des Deutschen Bundestags anlässlich der Beratung des Kanzler-Etats Robert Habeck und mich gelobt, und ich habe dann zum Kollegen Habeck gesagt, dass ich mir das auch nicht hätte vorstellen können, dass ein Kanzler einmal einen grünen Wirtschaftsminister dafür lobt, dass er in Katar für mehr fossile Energieimporte wirbt, und einen liberalen Finanzminister dafür lobt, dass er aus eigenem Vorschlag mehr Schulden macht. Das zeigt die besondere Situation, die besonderen Realitäten, liebe Freundinnen und Freunde, denen wir gerecht werden müssen.
Hier in Washington haben wir intensiv über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in Russland gesprochen. Des Krieges, der von Russland in die Welt ausgeht. Es gibt ein Narrativ, das mich sehr besorgt. Ein Narrativ, dem wir entschieden entgegentreten müssen: Nämlich, dass die Sanktionen gegen Russland Auswirkungen auf die Weltwirtschaft hätten. Die Auswirkungen könnten möglicherweise dramatisch sein, auf die Nahrungsmittelversorgung in Entwicklungsländern, auf die Inflation. In unseren Gesellschaften gibt es ja schon erhebliche Auswirkungen. Das sei ein Risiko auch für politische Destabilisierung.
Es sind nicht die Sanktionen gegen Russland, die gegenwärtig in der Weltwirtschaft zu Risiken führen. Es ist der Angriffskrieg von Putin, der die Erholung nach der Pandemie jetzt verzögert oder teilweise sogar zerstört. Und dieser Krieg, von Putin ausgehend, führt zu Versorgungsengpässen in der Welt. Dem müssen wir uns auf der internationalen Ebene gemeinsam stellen.
Die Gefahr der Stagflation, liebe Kolleginnen und Kollegen, sie ist real. Man muss das übersetzen. Es bedeutet: Keine weitere wirtschaftliche oder nur geringe wirtschaftliche Prosperität auf der einen Seite und auf der anderen Seite stark steigende Preise. Das ist eine Gefahr der Verarmung für viele Menschen. Es ist eine Gefahr, überhaupt den eigenen Lebensunterhalt wie bisher bestreiten zu können. Es beschädigt auch das Vertrauen in den Investitionsstandort. Die Risikoneigung von Unternehmerinnen und Unternehmern nimmt ab, und so kann aus einer Stagflation sehr schnell eine noch tiefer gehende ernsthafte Stabilitätskrise werden. Deshalb müssen wir uns dem entschieden entgegenstellen.
Liebe Freundinnen und Freunde, hier können die Freien Demokraten Beiträge leisten. Wir brauchen zum einen mehr und stärkeres wirtschaftliches Wachstum. Das wird in einer Situation von Knappheiten, Lieferengpässen und steigenden Preisen nicht gelingen, indem wir immer mehr staatliches Geld und Subventionen ausschütten. Wir brauchen wirtschaftliche Hilfen, um Strukturbrüche zu verhindern und um die von der Preisentwicklung besonders betroffenen Haushalte zu unterstützen. Aber wer in Zeiten einer Inflation dauerhaft mehr Wachstum will, der muss vor allen Dingen die Rahmen- und Standortbedingungen, die Investitionsbedingungen attraktiver gestalten. Dadurch, dass wir in Bildung und Forschung investieren, dass wir die Herausforderungen bei der Gewinnung von Fachkräften lösen. Dadurch, dass wir Bürokratie abbauen, insbesondere Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Wir haben enorm viel privates Kapital und Know-how, das gegenwärtig nicht genutzt werden kann, durch die bürokratische Selbstfesselung unseres Landes, die wir auch aus diesen Gründen dringlich überwinden müssen.
Vor allen Dingen aber sollten wir eins nicht tun, wenn wir mehr Wachstum wollen, wenn wir das Vertrauen in den Standort und wenn wir private Investitionen erhalten wollen: die Steuern erhöhen. Es wird mir und der FDP jetzt von vielen Seiten gewissermaßen nahegelegt, da alle anderen ihre Grundüberzeugungen verändert haben, müsste die FDP doch nun in dieser Lage auch ihre Grundüberzeugungen verändern. Liebe Freundinnen und Freunde, das kann kein Selbstzweck sein. Wir haben nun wahrlich genug bewiesen, dass wir uns in dieser Krisen- und Kriegssituation bei der Frage der Kreditaufnahme an Realitäten orientieren. Ich mache das nicht gerne und auch nicht leichtfertig, jetzt noch einen Haushalt vorzulegen, um Entlastungen, humanitäre Hilfe und militärische Hilfe für die Ukraine zu beschließen. Das mache ich nicht gerne. Und auch das Sondervermögen ist eine Maßnahme, die notwendig ist, aber keine, die dem Katalog unserer eigenen politischen Wünsche entsprochen hätte. Aber bei der Frage von Steuererhöhungen geht es nicht darum, als Selbstzweck eigene Positionen zu korrigieren, sondern hier geht es entscheidend um die Frage: Kann wirtschaftliche Erholung in unserem Land gelingen?
Die Menschen sind ohnehin durch steigende Preise belastet. Sollen wir der arbeitenden Mitte, der Ingenieurin und dem Handwerksmeister noch zusätzliche Steuerlasten aufbürden? Sollen wir den mittelständischen Betrieben oder der Industrie mit ihren enormen Investitionsnotwendigkeiten, gerade auch aufgrund der Transformation wegen der steigenden Energiepreise, noch mehr zumuten? Sollen wir noch höhere Steuern abverlangen in einem Höchststeuerland? Das kann nicht sinnvoll sein.
Deshalb sage ich hier ganz klar: Der Verzicht auf Steuererhöhungen im Koalitionsvertrag war damals richtig. Jetzt ist dieser Verzicht dringlich. Im Gegenteil müssen wir weiter daran arbeiten, die Entlastung der breiten Mitte der Gesellschaft fortzusetzen, weil das auch eine Quelle von Wachstum und Zuversicht ist. Auf der anderen Seite müssen wir die Inflation bekämpfen. Das ist eine Aufgabe der Notenbanken, die sich ihrer Verantwortung bewusst sein müssen. Sie haben ein eigenständiges, unabhängiges Mandat – das war uns Freien Demokraten immer wichtig. Die Bundesbank als Vorbild für die EZB ist unabhängig in ihrem Urteil, aber sie hat ein klares Mandat und das Mandat heißt Stabilität der Preise.
Das Mandat ist nicht im Kern die Förderung von Wachstum, sondern das Mandat heißt Stabilität der Preise. Und dieses Mandat nehmen die Notenbanken wahr. Und das ist richtig so, dass sie sehr sorgsam die aktuelle Entwicklung beobachten. Auf Seiten des Staates ist unsere Verantwortung nun nicht, mit immer neuen Subventionen bei Knappheiten zusätzliche Signale zu senden.
Wir müssen investieren. Aber dann, wenn die öffentlichen Investitionen auch tatsächlich genutzt werden können, und nicht nur Margen oder Preise treiben. Insofern befinden wir uns jetzt in einer sehr fiskalpolitisch herausfordernden Situation für unseren Staat. Jetzt ist nicht die Zeit für zusätzliche expansive Signale, neue Ausgaben und Programme, sondern für gezielte Maßnahmen und möglichst eine Rücknahme zu expansiver Signale, sobald das die krisen- und kriegsbedingten Sondersituationen erlauben.
Und deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich auch hier noch einmal die zweite Leitplanke betonen, von der uns regelmäßig nahegelegt wird, wir sollten sie endlich vergessen. Das ist die Schuldenbremse unseres Grundgesetzes. Ganz abgesehen davon, dass es in Deutschland keine Mehrheit dafür gäbe sie aufzuheben, wir brauchen sie auch. Denn die Schuldenbremse in unserer Verfassung begründet den Goldstandard der deutschen Staatsfinanzierung, das Vertrauen in den deutschen Staat. Wenn wir zur Schuldenbremse zurückgehen, dann ergibt sich bei Wachstum automatisch, dass wir auch die Kriterien des Maastricht-Vertrages wieder einhalten und unsere Schuldentragfähigkeit sichern. Also ist mein Ziel, dass wir schnellstmöglich zur Schuldenbremse zurückkehren. Nach Lage der Dinge gelingt das bereits im nächsten Jahr.
Geld für öffentliche Investitionen wird es geben. Wir haben 200 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds, in jedem Haushaltsjahr 50 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen vorgesehen. Die Aufgabe wird nicht sein, mehr Geld zu mobilisieren. Die große Herausforderung wird sein, das bereits zur Verfügung stehende öffentliche Kapital sinnvoll einzusetzen und so einzusetzen, dass wir real etwas davon haben und nicht nur Preise treiben. Das Gros der Investitionen kommt ohnehin aus dem privaten Sektor. Und diese privaten Investitionen haben als eine wichtige Voraussetzung die Stabilität der Preise, weil das auch Risikobereitschaft stärkt.
Diese Jahre, die geprägt sind von Krisen und von einem schrecklichen Krieg in Europa, sind keine Gefahr für die langfristige Stabilität unserer öffentlichen Finanzen. Da kann ich den Bürgerinnen und Bürgern und auch Euch die Zusicherung geben: In diesem Jahr 2022, durch die enormen Schulden, die wir machen müssen, wird die Stabilität unseres Landes, unserer Volkswirtschaft, unsere Schuldentragfähigkeit nicht gefährdet. Sie würde aber gefährdet, wenn es uns nicht gelänge, schnellstmöglich den Ausgang aus dieser Sondersituation zu finden und auch in der Haushaltspolitik in eine Normalität zurückzukehren.
Es ist eine Zeit, in der viele Menschen Angst und Befürchtungen haben. Sie sind schockiert und zutiefst betroffen durch die schrecklichen Bilder in der Ukraine, das menschliche Leid dort. Viele haben auch schon Geflüchtete getroffen oder gar bei sich aufgenommen, auch Freunde und Kollegen aus unserer Partei haben so entschieden.
Die Menschen sind in Sorge um ihre eigene wirtschaftliche Zukunft, die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes, um die Zukunftsperspektiven ihrer Kinder. Und es wächst eine große Sorge um die eigene Sicherheit, weil die Aggression Russlands eben nicht auf die Ukraine beschränkt bleiben könnte, sondern Teil einer beklagenswerten aber größeren Strategie ist.
Deshalb haben wir ein gesellschaftliches Klima, das wenig von Zuversicht geprägt ist. Ich glaube, hier gehört es zur Führungsaufgabe von Freien Demokraten, trotz allem, trotz der Ermüdung nach der Pandemie, trotz der schrecklichen Bilder und der Sorgen, Zuversicht zu zeigen. Es ist auch unsere Aufgabe, Zuversicht zu zeigen.
Wir sind durch die Pandemie und durch den Ukrainekrieg zu Objekten geworden, das hat sich niemand gewünscht, hat niemand erwartet. Aber wir sind nicht dauerhaft Objekte unseres eigenen Schicksals. Wir können das gestalten. Wir können unser Schicksal in die eigene Hand nehmen. Wir können neue Quellen des Wohlstands finden, wenn das alte Geschäftsmodell Deutschlands basierend auf billigen fossilen Energieimporten nicht mehr tragfähig ist.
Wir finden ein neues Geschäftsmodell mit sauberer Technologie und anderen Handelspartnern. Ich bin der Meinung, zukünftig sollte stärker gelten: Wer Wertepartner ist, der sollte auch stärker Handelspartner sein. Es gibt eine Chance für technologischen Fortschritt in unserem Land, zwangsläufig, den wir ergreifen können.
Ich habe hier in Washington, aber auch im europäischen Kontext gesehen, wie eng die Zusammenarbeit zwischen uns und unseren Partnern ist, wie vertrauensvoll und eng. Das Narrativ der angeblichen Isolation Deutschlands kann ich nicht bestätigen. Diese enge Zusammenarbeit der liberalen Demokratien, im Kreis der G7, der NATO, der Europäischen Union, ist ein Zeichen von Zuversicht. Putin wird den Krieg in der Ukraine nicht gewinnen. Aber etwas, was er nicht wollte und nicht im Plan hatte, das hat er erreicht: Nämlich dass die liberalen Demokratien stärker zusammengerückt sind.
Also, liebe Freundinnen und Freunde, aus dieser kritischen Situation, in der wir sind, von Krieg und Pandemie geprägt und schockiert, kann auch Gutes bewirkt werden – beim entsprechenden politischen Willen und bei guten Ideen. Die Zeiten ändern wir, das schreiben wir über unseren Parteitag, das ist aber auch meine Grundüberzeugung: Die Zeiten ändern wir. Neue Quellen des Wohlstands, neue Formen der internationalen Zusammenarbeit, wo Wertepartner auch stärkere Handelspartner sind, ein klares Bekenntnis zu Frieden und Freiheit, Menschenrechte weltweit. Wenn das am Ende aus dieser schrecklichen Phase von Pandemie und Krieg übrig bleibt, dann werden wir eine zivilisatorische Entwicklung gemacht haben. Dann bildet sich eine neue Wirtschaftsgesellschaft und auch teilweise eine neue Weltordnung aus. Das ist ein Ziel, für das es sich zu arbeiten lohnt. Jeden Tag von heute an weiter.
Wahlergebnisse der Nachwahlen zu Präsidium und Bundesvorstand:
Der 73. Ordentliche Bundesparteitag der Freien Demokraten hat mit folgenden Ergebnissen gewählt:
- Bundesschatzmeister: Michael Georg Link (Baden-Württemberg), 94,58 Prozent
- Generalsekretär: Bijan Djir-Sarai (Nordrhein-Westfalen), 89,06 Prozent
- Beisitzerin des Bundesvorstands (1. Abteilung): Renata Alt (Baden-Württemberg), 85,39 Prozent
- Beisitzerin des Bundesvorstands (2. Abteilung): Franziska Brandmann (Nordrhein-Westfalen), 84,81 Prozent
- Beisitzerin des Bundesvorstands (2. Abteilung): Susanne Schütz (Niedersachsen), 85,93 Prozent