Und noch ein Desaster

Kaum etwas hätte der ohnehin verzweifelten Thüringer CDU mehr schaden können als das: Auch ihr Bundestagsabgeordneter Mark Hauptmann aus Suhl soll sich am Verkauf von Masken bereichert haben.

Dass er Teil eines gewaltigen Parteiskandals werden könnte? Nein, sagt Thomas Müller, das habe er nun wirklich nicht geahnt, als er vor einem Jahr Besuch bekam. Damals empfing Müller, Landrat von Hildburghausen in Thüringen, seinen Parteikollegen Mark Hauptmann, den örtlichen CDU-Bundestagsabgeordneten. Beide Männer kennen sich seit Jahren. „Kann ich euch helfen?“, habe Hauptmann gefragt, so erinnert sich Müller heute. Er selbst habe geantwortet: „Wir brauchen Masken!“

Bald meldete sich Hauptmann wieder, mit guten Nachrichten: Es seien Masken da, sogar schon im Landkreis. Müller ließ sie abholen, bezahlte die beigelegte Rechnung an den Lieferanten, das Frankfurter Unternehmen TY-Capital. 58.786 Euro für 41.500 Masken. „Wir hatten keinen Kontakt mit der Firma, das hat Mark Hauptmann alles im Hintergrund organisiert“, sagt Müller. Kam ihm das nicht komisch vor? „Wir haben das nicht hinterfragt. Wir waren damals so in Not. Wenn der liebe Gott Masken verkauft hätte, hätten wir die auch bei ihm gekauft.“

Mark Hauptmann, 36, ist jedenfalls nicht der liebe Gott. Er ist jetzt ein Beschuldigter. Vorigen Donnerstag wurden seine Wohnräume und Büros durchsucht. Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn. Es geht um Geldwäsche und Korruption im großen Stil, um Deals in Millionenhöhe. Am Freitag ist er aus der Partei ausgetreten, sein Mandat hatte er da schon niedergelegt.

In der Maskenaffäre, die gerade die gesamte CDU in Bedrängnis bringt, weil mehrere Funktionäre sich bereichert haben sollen, ist Hauptmann nun ein Hauptprotagonist. Ähnlich wie seine früheren Fraktionskollegen Nikolas Löbel aus Baden-Württemberg oder Georg Nüßlein aus Bayern soll er eine üppige Provision für die Deals erhalten haben, in seinem Fall knapp eine Million Euro.

Für die Thüringer Union sind diese Vorkommnisse mehr als ein Skandal, sie sind eine Katastrophe. Denn schon vor den Ermittlungen gegen Hauptmann war die Partei in einer verwundbaren Phase. Im vorigen Jahr war die Landespartei in sich zusammengefallen, nachdem ihre Abgeordneten gemeinsam mit der AfD Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten gewählt hatten. Seine Amtszeit währte Tage. Nun stehen im Herbst Landtagswahlen an. Dass ausgerechnet jetzt Polizisten des LKA Geschäftsstellen der CDU durchsuchen, so wie es am Donnerstag geschah? Auf der Suche nach Beweisen für mutmaßlich illegale Geschäfte von einem der bislang wichtigsten CDU-Funktionäre, Hauptmann eben?

Christian Hirte, seit einem halben Jahr der Landeschef, versucht nicht, die Dramatik der Lage herunterzuspielen. „Dass sich einer aus unserer Truppe in solchen Dimensionen persönlich bereichert, erschüttert unsere Landespartei bis ins Mark“, sagt er. Eigentlich wollte Hirte, gemeinsam mit dem neuen Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt, Ruhe in den verstrittenen Landesverband bringen. „Noch vor wenigen Wochen hätte ich gesagt, dass wir uns stabilisieren können“, so Hirte. „Es sah aus, als würde es besser werden

Auch Mark Hauptmann hat im Februar – bevor seine Geschäftstätigkeit ans Licht kam – versucht, Optimismus zu verbreiten. Auf Twitter schrieb er zur Corona-Lage: „In jeder Krise liegt auch immer eine Chance.“ Seine Fraktion wolle diese Chance nutzen, für Deutschland, damit es „goldene 20er-Jahre für uns werden“.

Wie kann sich die Partei aus ihrer schwierigen Lage befreien?

Kurz zuvor soll Hauptmann 957.000 Euro von der Frankfurter Firma erhalten haben – als Provision für Maskengeschäfte. Auch sein CDU-Kreisverband Suhl hat eine Spende der Firma in Höhe von 7000 Euro bekommen.

Als der Spiegel Anfang März erstmals über Hauptmanns merkwürdige Geschäfte berichtete, dementierte der alle Vorwürfe. Zunächst ging es um fünfstellige Summen, die der Abgeordnete unter anderem aus Aserbaidschan und Vietnam für Anzeigen in seiner Wahlkreiszeitung erhalten haben soll. Als die ersten Maskendeals anderer Parlamentarier bekannt wurden, unterschrieb Hauptmann am 10. März die von der Fraktionsspitze geforderte „Ehrenerklärung“. Er beteuerte, „weder direkt noch über Gesellschaften“ von dem „Kauf oder Verkauf von Medizinprodukten“ profitiert zu haben. Inzwischen ist er für Fragen der ZEIT nicht mehr erreichbar. Auch sein Anwalt äußert sich nicht.

Im Durchsuchungsbefehl, den die ZEIT einsehen konnte, lässt sich nachverfolgen, wie früh der 36-Jährige offenbar seine finanziellen Chancen in der Pandemie erkannt hat. Im Frühjahr 2020 kontaktierte er Behörden, Kliniken, auch das Bundesgesundheitsministerium. Dem stellvertretenden Leiter des Thüringer Landesamts für Verbraucherschutz schrieb Hauptmann, er wolle ihn mit einem Mann „verlinken“, dessen Firma „derzeit auch den Bund und größere Krankenhausketten“ beliefere. Das Geschäft kam offenbar nicht zustande, aber die Landratsämter Hildburghausen und Sonneberg griffen zu, auch ein Klinikum in Suhl. Dank Hauptmann soll die besagte Frankfurter Firma allein nach Süd-Thüringen mindestens 114.500 Masken für 230.400 Euro verkauft haben. Insgesamt ist das Geschäft offenkundig noch größer gewesen. Hauptmann soll der Frankfurter Firma die Provision für einen Umsatz von 7,5 Millionen Euro von August bis November 2020 in Rechnung gestellt haben.

Es gibt Einzelne in der Thüringer Union, die schon vor geraumer Zeit den Eindruck gewannen, Hauptmanns Umgang mit Geld sei zumindest merkwürdig. Kristin Obst etwa, bis zum vergangenen Sommer war sie CDU-Kreischefin in Hildburghausen. Sie sagt, die nun aufgedeckte Dimension von Hauptmanns Geschäften habe sie zwar überrascht. „Aber ich habe mich schon vor langer Zeit von ihm distanziert. Seine Finanzgeschäfte waren für mich undurchsichtig.“ Im Mai 2019 habe er angeboten, Materialien für die Kommunalwahlen mitzufinanzieren. Als sie gefragt habe, woher das Geld dafür kommen solle, habe sie keine Antwort erhalten. Stutzig sei sie schon 2015 geworden, als Hauptmann eine Spendenbescheinigung gefordert habe – und zwar für die Miete, die er dem Kreisverband für sein Büro in dessen Geschäftsstelle überwies.

Als Bundestagsabgeordneter positionierte sich Hauptmann konsequent rechtskonservativ und wirtschaftsliberal – wenn es sein musste, auch quer zur Fraktionslinie. Das gefiel einigen in der Thüringer CDU, die sich ohnehin als konservative Bastion betrachtet.

Und nun? Wie kann sich die Partei aus ihrer schwierigen Lage befreien?

Ein Anruf bei Christine Lieberknecht, bis 2014 die CDU-Ministerpräsidentin des Freistaats. Sie ringt ein paar Sekunden lang um passende Worte. Sagt dann: „Die Situation ist voller Baustellen.“ Das gehe schon damit los, dass der Wahlkreis von Mark Hauptmann ein besonders wichtiger sei. Dort lebe die CDU-Stammwählerschaft. „Wenn die wegbricht, und davon ist auszugehen, ist das schon ein immenser Schaden.“

Zu allem Überfluss drohe das nächste Problem, so Lieberknecht: Damit es zur Landtagswahl kommen kann, muss das Parlament seiner Selbstauflösung zustimmen. Das soll im Juli geschehen. Dann braucht es eine Zweidrittelmehrheit. Schon vor Wochen gab es Gerüchte, dass CDU-Parlamentarier mit Nein stimmen wollen. Inzwischen haben sich die Anzeichen verdichtet, dass mindestens vier von ihnen es ernst meinen. Was bedeutet: Lieber wollen sie – womöglich gemeinsam mit der AfD – die Auflösung des Landtages verhindern, als sich der Parteilinie zu unterwerfen.

Gut möglich also, dass der Thüringer Union weitere Misshelligkeiten bevorstehen.

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