Das deutsche Rentensystem funktioniert nur über Subventionen. Eine Reform scheint unausweichlich. Doch wie soll sie aussehen? In dieser Frage sind Experten gespalten.
- Eine Reform der Rente* in Deutschland wird derzeit intensiv diskutiert.
- Die FDP fordert eine Umstrukturierung der Altersvorsorge*nach skandinavischem Vorbild.
- Gegenwind kommt von einer Expertin und der Deutschen Rentenversicherung.
Frankfurt – Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl, die am 26.03.2021 stattfindet, findet das Thema Rente plötzlich den Weg auf die politische Agenda in Deutschland. Die Stimmen nach einer größeren Reform des Rentensystems werden lauter. Vorschläge der Rentenkommission der Bundesregierung gehen einigen Kritikerinnen und Kritikern nicht weit genug.
Die in den Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD vereinbarte „Haltelinie“ sei nicht ausreichend und gehe nicht über Vorschläge hinaus, heißt es. Teil davon waren unter anderem Ideen, die zur Stabilisierung der Rentenbeitragssätze beitragen sollten – die es aber nicht tun, da sie noch nicht umgesetzt wurden.
Rentenreform in Deutschland – Kasse benötigt Milliarden Steuergelder als Zuschuss
Die von der großen Koalition vereinbarte „Haltelinie“ sieht vor, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken soll. Das allgemeine Rentenniveau orientiert sich am Durchschnittseinkommen in Deutschland. Es bestehen Zweifel daran, ob das veranschlagte Niveau gehalten werden kann, insbesondere, da geburtenstarke Jahrgänge aus den Jahren 1955 bis 1969 bis zum Jahr 2025 in das Rentenalter kommen werden.
Die Kasse sieht sich einer enormen Beanspruchung ausgesetzt. Hinzu kommt eine Niedrigzinsphase, die private Anlage als Altersvorsorge zu einem unsicheren Unterfangen macht. Die „Tagesschau“ berichtet, dass die Rentenkasse in Deutschland jedes Jahr durch Milliarden Euro aus Steuergeldern subventioniert werden muss, um dem Druck standzuhalten. Dabei soll es sich um ein Viertel des gesamten Bundeshaushaltes handeln, das sind circa 100 Milliarden Euro.
Gesetzliche Aktienrente: FDP warnt vor Überschuldung
Zu den lautesten Kritikerinnen und Kritikern des derzeitigen Rentensystems zählt die FDP. Die Freien Demokraten betonen seit geraumer Zeit, dass es sich dabei um ein Auslaufmodell handle. Deutschland drohe die Überschuldung, falls es zu weiteren Subventionierungen des Rentensystems komme. Deshalb schlägt die FDP eine „gesetzliche Aktienrente“ vor. Konkret will die Partei rund zwei Prozent jedes gesetzlichen Rentenbeitrags in Aktien an der Börse investieren. Auf diese Weise könnten Rendite aus den Kapitalmärkten das Rentensystem entlasten, heißt es immer wieder. „Wir wollen, dass Menschen in Deutschland vom Wachstum an den internationalen Kapitalmärkten profitieren“, betonte Christian Dürr, stellvertretender FDP-Fraktionsvorsitzender, im Bundestag.
Rentner in Deutschland | Anzahl |
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Gesamt | 21.202.082 |
davon Frauen | 12.132.567 |
davon Männer | 9.069.515 |
Stand: 01.07.2020 – Quelle: Deutsche Rentenversicherung |
Vielzitiertes Vorbild sind dabei skandinavische Länder, Schweden zum Beispiel. Dort sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dazu verpflichtet 2,5 Prozent ihres Bruttoeinkommens in Vorsorgefonds zu investieren. Die Bürgerinnen und Bürger können dabei zwischen einem staatlichen Fonds und andere Lösungen wählen. Das berichtet die schwedische Nachrichtenagentur „Tidningarnas Telegrambyrå“. Laut Angaben der Ratingagentur „Morningstar“ soll der schwedische Staatsfonds zu den besten in Europa zählen, insbesondere da sehr geringe Gebühren im Jahr anfallen. Der staatliche Fonds schaffte im Zeitraum zwischen den Jahren 2011 und 2021 im Durchschnitt eine Jahresrendite von mehr als 14 Prozent, wie die „Tagesschau“ berichtet. „Schweden macht mit dem AP7-Fond vor, wie man die Chancen des Aktiensparens für die Altersvorsorge nutzt“, erklärte Johannes Vogel, rentenpolitischer FDP-Sprecher, im Bundestag.
Auch in Norwegen gibt es solche Systeme. Der Aktienmarkt spült dort wichtige Rendite in die Rentenkasse, um die Bevölkerung abzusichern. Auch dort müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer circa zwei Prozent ihres Bruttogehalts investieren – optional, denn: Die Investition ist kein Muss, sondern nur ein Zubrot zur regulären staatlichen Rente. Der norwegische Staatsfonds greift vor allem auf Aktien aus dem Ölsektor zurück.
Martin Werding begrüßt den Vorschlag der Freien Demokraten. Er ist Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität in Bochum. „Es ist ein extrem interessantes Konzept mit begrenzten Risiken, dass an die Phase der ehrlichen Reformen der Nullerjahre anknüpft“, sagte Werding auf der Bundespressekonferenz. Eine Studie Werdings, die von der FDP in Auftrag gegeben wurde, zeige, dass eine Rentenreform nach skandinavischem Modell sogar die Verschuldung Deutschlands bis in die 2040er-Jahre effektiv bekämpfen könne, so der Experte.
Gesetzliche Aktienrente als Reform: „Modell nicht umsetzbar“
Der FDP-Vorschlag stößt jedoch nicht nur auf Zustimmung. Gisela Färber, Professorin am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (Universität Speyer), kritisiert ihn – und sagt der „Berliner Zeitung“: „Das Modell der FDP ist nicht umsetzbar, ohne dass die Renten massiv beschädigt werden.“ Hohe Renditen könnten Rentnerinnen und Rentner in diesem System nur in Verbindung mit hoher Risikobereitschaft erzielen, betont sie weiter. Dem entgegnet die FDP, dass das Risiko für Beitragszahlende durch langfristige Anlagen sehr gering sei. Unmittelbar vor Antritt der jeweiligen Rente sehe das skandinavische Modell vor, dass das Guthaben schrittweise in risikoärmere Anlagen fließen solle. Auf diese Weise hätten kurzfristige Kursschwankungen kaum Einfluss, heißt es.
Färber schlägt stattdessen vor, dass die Menschen länger arbeiten sollen, um so mehr einzahlen zu können. Dieses Thema hatte die Rentenkommission der Bundesregierung nur sehr vorsichtig bearbeitet, es gilt als heikles Thema im Wahlkampf. Färbers Kritik teilt auch die Deutsche Rentenversicherung. Eine gesetzliche Aktienrente reiße ein großes Loch in der Rentenkasse. Durch die Investitionen würde langfristig wichtiges Geld fehlen, warnt die Versicherung.
Ausblick: Kommt eine Rentenreform in Deutschland?
Wie intensiv eine mögliche Rentenreform in Deutschland im Wahlkampf debattiert wird, bleibt abzuwarten. Die FDP will mit dem Thema jedenfalls die politische Agenda prägen. Womöglich wird eine umfassende Reform des Rentensystems – nach skandinavischem Vorbild, oder nicht – in der kommenden Legislaturperiode grundsätzlicher als bislang diskutiert.
Ein Rententhema das derzeit ebenfalls viele Seniorinnen und Senioren bewegt, ist die Doppelbesteuerung der Altersvorsorge.* Ein Experte wirft den Finanzämtern in diesem Zusammenhang „arglistige Täuschung“ vor.* Zudem fragen sich viele der Beitragszahlenden, was es mit der Grundrente* auf sich hat. (Tobias Utz) *fr.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks.
Quelle:
Frankfurter Rundschau, 17.02.21 – 14:03 Uhr
FDP schlägt „gesetzliche Aktienrente“ vor – Wie soll das funktionieren?