Pinkwart: „Es drohen erhebliche Schieflagen in Wirtschaft und Gesellschaft“

Der FDP-Politiker fordert eine „kluge Neuausrichtung“ des Pandemiemanagements. Handel und Gastronomie könnten im Laufe des März wieder öffnen.

„Wir brauchen einen bundesweit verlässlichen Rahmen.“ Quelle: dpa

Berlin Der Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Andreas Pinkwart (FDP), hat sich dafür ausgesprochen, den Lockdown für den Einzelhandel und die Gastronomie in den kommenden Wochen zurückzufahren. „In Verbindung mit den bereits bewährten Hygienekonzepten und öffentlich bereitgestellten neuen Werkzeugen zur besseren Identifizierung und Nachverfolgung von Infektionsketten lassen sich diese Bereiche im Laufe des März schrittweise öffnen, dies sollte bis Ostern auch für Ferienwohnungen und Hotels möglich sein“, sagte Pinkwart dem Handelsblatt.

Der Vorsitzende der Wirtschaftsministerkonferenz strebt darüber hinaus „möglichst bald“ branchenübergreifende Öffnungen an. „Denn anders als beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020 stehen uns mittlerweile vielfältige Werkzeuge der Pandemiebekämpfung zur Verfügung, die intelligentere Lösungen als pauschale Schließungen erlauben“, sagte Pinkwart. So ließen sich mit schnellen Tests und ihrem digitalen Nachweis „Spielräume für die wirtschaftlich und sozial notwendigen Öffnungen auch im Kultur- und Sportbereich erschließen“. Dafür brauche es aber schnell eine „belastbare nationale Teststrategie“.

Mit Blick auf die Beratungen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten an diesem Mittwoch forderte Pinkwart einen bundesweit verlässlichen Öffnungsrahmen. Aufgrund der Schließungen, die für mehrere Branchen schon viele Monate andauerten, drohten „erhebliche Schieflagen in Wirtschaft und Gesellschaft“, sagte er.

Deshalb sei jetzt ein „Strategiewechsel“ notwendig, „der uns verlässlich wegführt von pauschalen Kontaktbeschränkungen und noch im März Wege zu verantwortungsvollen Öffnungen ebnet“, mahnte der FDP-Politiker. „Die Menschen erwarten von einem Hightech-Land Deutschland zu Recht schnellere und bessere Lösungen beim Pandemie-Management und die immer wieder neue Abwägung von Grundrechtseingriffen.“

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Pinkwart, was erhoffen Sie sich vom Treffen der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten am Mittwoch mit Blick auf die Wirtschaft?
Aufgrund der Schließungen, die für mehrere Branchen schon viele Monate andauern, drohen erhebliche Schieflagen in Wirtschaft und Gesellschaft, und eine wachsende Zahl von Unternehmern mit ihren Mitarbeitern bangen um ihre Existenz. Deshalb brauchen wir jetzt einen Strategiewechsel, der uns verlässlich wegführt von pauschalen Kontaktbeschränkungen und noch im März Wege zu verantwortungsvollen Öffnungen ebnet.

Können der Handel und die Gastronomie auf Lockerungen hoffen?
Das Robert Koch-Institut hat in seiner jüngsten Bewertung noch einmal bestätigt, dass diese Branchen ein niedriges Infektionsrisiko aufweisen. In Verbindung mit den bereits bewährten Hygienekonzepten und öffentlich bereitgestellten neuen Werkzeugen zur besseren Identifizierung und Nachverfolgung von Infektionsketten lassen sich diese Bereiche im Laufe des März schrittweise öffnen, dies sollte bis Ostern auch für Ferienwohnungen und Hotels möglich sein.

Für welche weiteren Wirtschaftsbereiche sind noch Öffnungen denkbar?
Wir brauchen branchenübergreifende Öffnungen, und das möglichst bald. Denn anders als beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020 stehen uns mittlerweile vielfältige Werkzeuge der Pandemiebekämpfung zur Verfügung, die intelligentere Lösungen als pauschale Schließungen erlauben.

Was meinen Sie konkret?
Mit schnellen Tests und ihrem digitalen Nachweis können wir uns Spielräume für die wirtschaftlich und sozial notwendigen Öffnungen auch im Kultur- und Sportbereich erschließen. Dafür braucht es nicht nur Ankündigungen, sondern schnell eine belastbare nationale Teststrategie. Und die mittlerweile verfügbaren digitalen Tools zur Nachverfolgung auch über mehrere regionale Grenzen hinweg geben die Möglichkeit, schneller zu reagieren und das Infektionsgeschehen besser zu steuern.

Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit des Bundeswirtschaftsministers? Würden Sie sich mehr Engagement von Peter Altmaier für den Wunsch der Wirtschaft nach Öffnungsperspektiven wünschen?
Die Wirtschaftsministerinnen und -minister der Länder hatten am Freitag ein sehr konstruktives Gespräch mit Bundesminister Altmaier. Er teilt unsere Sorge, dass der lange Lockdown nicht zu ökonomischen und sozialen Verwerfungen führen darf und daher möglichst bald überwunden werden muss. Jetzt hoffe ich sehr darauf, dass er unsere gemeinsamen Anliegen wirksam in die Beratungen von Bund und Ländern einbringt.

Bundesgesundheitsminister Spahn hält es nicht für möglich, einen Lockerungsplan für drei oder sechs Monate aufzustellen. Was sagen Sie dazu?
Neue Sorgen wegen einer wachsenden Bedrohung durch Mutationen trafen in den letzten Wochen auf erkennbare Schwächen des Pandemie-Managements wie Verzögerungen beim Impfen, beim Testen und bei der Nachverfolgung. Indem wir diese Probleme jetzt engagiert lösen, gewinnen wir die Chance, die erheblichen Grundrechtseingriffe schneller als in drei oder sechs Monaten weitgehend zurückzunehmen.

Welche Beiträge sollte die Wirtschaft aus Ihrer Sicht leisten, um Öffnungen zu ermöglichen? Wären beispielsweise eine Unterstützung bei Impfungen durch Betriebsärzte oder Schnelltests auf Firmenkosten denkbar?

Die Wirtschaft leistet seit Beginn der Pandemie erhebliche Beiträge zum Gesundheitsschutz ihrer Kunden und Beschäftigten. Industrie, Handel, Handwerk und Gewerbe wie die freien Berufe haben in hocheffiziente Hygienekonzepte investiert und setzen sie mit den Mitarbeitern Tag für Tag verlässlich um. Schnelltests werden bereits seit längerer Zeit in vielen Unternehmen durchgeführt und leisten einen wichtigen Beitrag, bis genügend Impfstoff da ist. Und wenn im Frühjahr und Sommer wie erwartet viele Millionen Impfdosen verfügbar sind, haben uns bereits viele Unternehmen in Nordrhein-Westfalen zugesagt, dass sie die Impfkampagne mit ihren Betriebsärzten nach Kräften unterstützen.

„Wir brauchen einen bundesweit verlässlichen Rahmen“

Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, sprach allerdings mit Blick auf die Infektionszahlen von „deutlichen Signalen einer Trendumkehr“ zum Schlechteren. Sind da Öffnungsperspektiven überhaupt realistisch?
Herr Wieler verwies aber auch auf Impffortschritte bei den über 80-Jährigen und deutlich rückläufige Inzidenzen in dieser Risikogruppe. Dies und ein verbessertes Pandemiemanagement ermöglichen es zu einer aussagekräftigeren Indikatorik zu kommen. Dazu gehören etwa die Belegung der Intensivbetten, die Anzahl der Testungen und die Inzidenzen und Infektionsverläufe in den unterschiedlichen Altersgruppen. Das Festhalten an der einfachen Sieben-Tage-Inzidenz und den aus der Leistungsfähigkeit der Gesundheitsämter noch zu Beginn der Pandemie abgeleiteten Grenzwerten greift indes zu kurz.

Sollte am Mittwoch ein bundeseinheitliches Vorgehen bei Öffnungen vereinbart werden?
Wir brauchen einen bundesweit verlässlichen Rahmen. Gleichzeitig sind Länder und Kommunen auf Spielräume für passgenaue Lösungen angewiesen.

Momentan sehen wir einen Flickenteppich unterschiedlicher Strategien und Vorgehensweisen. Ist das vielleicht auch ein Grund dafür, dass mittlerweile die Akzeptanz für die Corona-Maßnahmen schwindet?
Ich sehe den Grund weniger in einem Zuviel unterschiedlicher Strategien als einem zu langen Festhalten an der einzigen Strategie des Lockdowns. Die Menschen erwarten von einem Hightech-Land Deutschland zu Recht schnellere und bessere Lösungen beim Pandemiemanagement und die immer wieder neue Abwägung von Grundrechtseingriffen. Deshalb sollten wir jetzt eine kluge Neuausrichtung vornehmen, die die Menschen auf dem langen Weg der Pandemiebekämpfung ermutigt und bestärkt.

Herr Pinkwart, vielen Dank für das Interview.

Quelle:

Handelsblatt   –   28.02.21.   –   22:11 Uhr #

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/interview-nrw-wirtschaftsminister-pinkwart-es-drohen-erhebliche-schieflagen-in-wirtschaft-und-gesellschaft/26959186.html?ticket=ST-7019632-fI1r4IZAxQkswJ3IqfxJ-ap2

 

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