Deutschland braucht eine Bürokratie-Entfesselung

Das FDP-Präsidiumsmitglied Dr. Marco Buschmann gab der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstagsausgabe) und „noz.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Thomas Ludwig:

Stempel, Holz, Holzstempel, Büro, Arbeiten, Markieren

Frage: Herr Buschmann, die Liberalen stehen in den Wahlumfragen mit zwölf bis 14 Prozent seit Wochen blendend da. Ist die Partei der große Profiteur der Corona-Pandemie?

Buschmann: Das Wort gefällt mir nicht. Es geht um unser Land und nicht um politischen Profit. Die Corona-Pandemie hat aber drei Kernthemen der Freien Demokraten in den Fokus gerückt. Alle drei besitzen bei den Menschen eine ganz neue Dringlichkeit. Das gilt erstens für das Thema Freiheit. Ausgangssperren, Kontaktbeschränkungen, Schulschließungen, eingeschränkte Reisefreiheit – all das waren Freiheitseinschränkungen, die die allermeisten von uns zum ersten Mal erlebt haben. Eine Grenzerfahrung, die viele Menschen sogar krank macht. Zweitens schätzen viele Menschen unsere pragmatische Wirtschaftspolitik. Denn um die Lasten der Corona-Krise schultern können, müssen wir die Wohlstandsmaschine Wachstum wieder anzuschmeißen. Das trauen uns viele Menschen zu. Und drittens hat die Krise gezeigt, dass Deutschland dringend eine moderne und digitale Verwaltung braucht. Wenn Gesundheitsämter mit Fax und Bleistift arbeiten und daher Infektionsketten nicht so effektiv unterbrechen können wie mit digitaler Technik, dann kann der Mangel an Digitalisierung im schlimmsten Falle tödlich wirken. Wir stehen für den modernen und digitalen Staat.

Frage: Deshalb auch die Forderung nach einem Digitalministerium?

Buschmann: Natürlich. Die Digitalstrategie der Bundesregierung lautet, keine Digitalstrategie zu haben. Denn jedes Ministerium wurschtelt im eigenen Bereich unabgestimmt vor sich hin. Das zeigt, dass es keine Gesamtstrategie gibt. Ein Land mit 83 Millionen Menschen braucht für die Digitalisierung aber eine Stelle, wo alle Fäden zusammenlaufen. Es braucht Kompetenz und ein verbindliches Leitbild. Die deutsche Digital-Misere kommt eben nicht von ungefähr.

Frage: Und was ist mit der Kehrseite der Digitalisierung, dem Abbau von Jobs zum Beispiel in der öffentlichen Verwaltung?

Buschmann: Digitalisierung ist ein Instrument, das unsere Produktivität steigert. Das macht unsere Produkte und Dienstleistungen besser und Deutschland wettbewerbsfähiger. Wir können auch die Arbeitskraft vieler Beamter, die heute für stupide Tätigkeiten verschwendet wird, für intelligentere und wichtigere Aufgaben nutzen. Das führt zu einem effektiveren Umgang mit Steuergeld und zu besseren Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst. Niemand muss die Angst haben, dass uns in einer alternden Gesellschaft die Arbeit ausgeht. Das Gegenteil wird der Fall sein.

Frage: Nach der Corona-Krise drohen viele Insolvenzen, wie bringen wir Deutschland wirtschaftlich wieder auf Kurs?

Buschmann: Corona ist eine Gesundheitsgefahr, aber eben auch ein wirtschaftlicher Schock. Deshalb sind wir noch stärker auf eine Politik des wirtschaftlichen Wachstums verpflichtet als vorher. Debatten über Steuererhöhungen sind daher Gift. Denn damit rettet man kein einziges Unternehmen. China, Frankreich, USA – weltweit bereiten sich alle großen Volkswirtschaften auf einen Nach-Corona-Boom vor, indem sie ihre Betriebe entlasten. Daran sollte sich Deutschland ein Beispiel nehmen. Wenn sich unsere Unternehmen aus dem Kuchen dieses Booms ein großes Stück heraus schneiden können, gibt das von Corona hart getroffenen Arbeitnehmern und Unternehmern Perspektiven. Das sorgt auch dafür, dass wir die finanziellen Lasten von Corona sozialverträglich schultern können. Wenn die Wirtschaft wächst, wachsen die Einnahmen des Staates, ohne dass man Steuern erhöhen muss. Steuererhöhungen würden uns im Wettbewerb mit anderen großen Volkswirtschaften schaden.

Frage: Sollten man Handel und Dienstleistern mehr Möglichkeiten zur Sonntagsöffnung einräumen, um versäumte Geschäfte nachzuholen?

Buschmann: Corona hat die Einzelhändler hart getroffen. Viele mussten ihre Ersparnisse einsetzen, manche sogar an ihre private Altersvorsorge gehen, um die Krise zu überstehen. Zugleich besteht die Gefahr, dass unsere Innenstädte als öffentlicher Ort der Begegnung veröden. Wenn Einzelhändler daher ihren Kunden auch am Wochenende etwas Attraktives bieten wollen, sollte man im Rahmen des rechtlich Möglichen Großzügigkeit walten lassen. Wenn Einzelhändler etwas mehr Beinfreiheit fordern, um verlorenes Geschäft nachzuholen, sollten wir entsprechend flexibel bei den Sonntagsöffnungszeiten sein.

Frage: Die FDP will familienpolitische Leistungen entschlacken, warum?

Buschmann: Die Vielfalt familienpolitischer Leistungen in Deutschland ist ein komplizierter Bürokratie-Dschungel. Deshalb wollen wir die Dinge zusammenlegen und vereinfachen. Ziel ist nicht die Kürzung. Es geht um das Vereinfachen, damit das Geld bei jenen ankommt, die ein Anrecht darauf haben. Das ist heute oft nicht der Fall. Beim Kinderzuschlag zum Beispiel gibt es das Ziel einer Abrufquote von gerade mal 35 Prozent. Das heißt also, die Große Koalition plant, dass 65 Prozent, die einen Anspruch hätten, das Geld nicht erhalten. Die Betroffenen leben dann unter Umständen in verdeckter Armut. Das berührt Bildungs- und Aufstiegschancen. Die wollen wir verbessen. Da spielt Digitalisierung eine große Rolle.

Frage: Inwiefern?

Buschmann: Meine Vorstellung wäre, dass das Einwohnermeldeamt die Nachricht über die Geburt eines Kindes erhält. Dann stellen die zuständigen Behörden automatisiert das gesetzliche Leistungspaket zusammen. Das geht dann einfach und unkompliziert an die Empfänger raus. So sparen wir uns auch viel Zettel- und Antragswirtschaft, die Zeit und Geld kostet. Deutschland braucht einen Kulturwandel: Statt immer möglichst viel Geld ins Schaufenster zu stellen, das dann aber nicht abgerufen wird, sollten wir gezielte Mittel schnell und einfach dort hinbringen, wo sie gebraucht werden. Ein Beispiel dafür sind auch die Milliarden des Digitalpaktes für die Schulen. Hier ist nach wie vor nur ein Bruchteil des Geldes abgeflossen, obwohl der Zweck dieser Gelder absolut dringlich ist. Wir haben uns in Deutschland so stark bürokratisiert, dass nicht einmal der Staat selbst seine Bürokratie souverän managen kann. Das müssen wir dringend ändern. Wir sollten uns eine Phase der Bürokratie-Entfesselung gönnen.

Frage: Was würde sich mit den Liberalen in der Regierung hier konkret ändern?

Buschmann: Wir würden zum Beispiel für Mehrheiten werben, die dem Bund mehr Spielraum für direkte und schnelle Investitionen und Programme an den Schulen zum Beispiel für Digitalisierung geben.

Frage: Das wird nicht einfach..

Buschmann: Mag sein. Die Bürgerinnen und Bürger verlieren jedoch allmählich die Geduld. Niemand kann mehr nachvollziehen, warum es mit der Digitalisierung so schleppend vorangeht. Deshalb muss Digitalisierung immer gepaart sein mit der selbstkritischen Frage: Entspricht ein vielleicht in den 1950er- oder 60er Jahren etablierter Verwaltungsprozess noch der modernen Wirklichkeit? Der Staat braucht mit der Digitalisierung auch schlankere Verfahren, also wie die Fachleute sagen würden: Prozessoptimierung.

Frage: Und mit welchem Partner, glauben sie, könnten die Liberalen das am besten umsetzen?

Buschmann: Wenn ich sehe, wie geräuschlos und erfolgreich die schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen zusammenarbeitet, dann spricht viel dafür, dass das, was wir uns vorstellen, mit der Union leichter umzusetzen sein wird, als mit manch anderer Partei. Armin Laschet und Christian Lindner haben die Regierungsbildung dort zügig und erfolgreich geregelt. Die SPD dagegen hadert doch sehr mit sich selbst. Da wüsste man kaum, mit wem man verhandeln sollte und wer die Gewähr dafür trägt, dass ein gefundener Kompromiss auch in der Partei durchsetzungsfähig ist.

Frage: Wie will die FDP in der Klimapolitik verhindern, dass durch eine höhere CO2-Bepreisung bzw. Ausweitung des Emissionshandels Autofahren, Fliegen und vieles mehr für die Menschen mit schmalem Geldbeutel unerschwinglich wird?

Buschmann: Unser Modell funktioniert über CO2-Zertifikate. Wer etwas verkaufen möchte, das zu CO2-Ausstoß führt, muss dafür zuerst Erlaubnisscheine kaufen. Die gibt es nur in der Menge, die der jährlichen Gesamtausstoßmenge entspricht, die für das Klima nach den Pariser Klimazielen akzeptabel ist. Das ist aus zwei Gründen sozial verträglich: Erstens wollen wir die Einnahmen an die Bürgerinnen und Bürger wieder auskehren. Das nennen wir Klimadividende. Zweitens werden die Unternehmen keine Armee von Steuerfachleuten und Juristen mehr bezahlen, um Schlupflöcher in der kleinteiligen Öko-Regulierung zu finden. Sie werden stattdessen Prozesstechniker und Ingenieure einstellen, um den CO2-Ausstoß so günstig wie möglich zu senken. Das führt zu einer besseren CO2-Bilanz bei dauerhaft niedrigeren Preisen dafür. Unser Emissionshandel ist also kein Modell zum Abkassieren, sondern für Klimaschutz durch Hightech und Innovation bei möglichst günstigen Preisen. Und das Beste ist: Er funktioniert. Das zeigt der europäische Zertifikatehandel, den wir ja einfach auf alle Branchen übertragen wollen.

Frage: Die Liberalen wollen den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk reformieren, unter anderem soll es weniger Unterhaltung geben. Glauben Sie, sich damit viele Freunde machen zu können?

Buschmann: Wir wollen einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Er ist eine wichtige Säule in unserem Gemeinwesen. So wie es ist, kann man aber nicht einfach weitermachen.

Frage: Warum nicht?

Buschmann: Die Medienwelt hat sich verändert. Die Bürgerinnen und Bürger können Streamingdienste buchen, sich im Internet vielfältig unterhalten lassen und auch informieren. Da stellen sich immer mehr Menschen die Frage: Was ist die Aufgabe eines öffentlich finanzierten Rundfunks? Braucht es so viel Unterhaltung, braucht es so viele Sender, geht das alles nicht ein bisschen günstiger? In der Corona-Krise haben wir gesehen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine gute Aufklärungsarbeit geleistet hat. Aber auch an ihm geht die Zeit nicht spurlos vorüber.

Frage: Apropos schöne neue Medienwelt: Im Netz hat der Liberale Gerhard Papke einen Shitstorm mit dem Tweet ausgelöst, wenn man die Allianz-Arena beim EM-Spiel Deutschland – Ungarn in den Regenbodenfarben beleuchte, sei das eine „freche Arroganz gegenüber Völkern, die sich nicht dem linken Mainstream anschließen“ wollten. Wie sehen Sie das?

Buschmann: Wir Freie Demokraten stehen für Selbstbestimmung. Menschen sind nicht besser oder schlechter, weil sie homo- oder heterosexuell sind. Wenn in Ungarn Menschen wegen ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden, dann widerspricht das dem Wertegerüst der Europäischen Union und auch dem Wertegerüst der Freien Demokraten. Die FDP steht klar für Toleranz und Weltoffenheit. Im Münchener Stadtrat haben wir den überfraktionellen Antrag, die Münchener Allianz-Arena beim Spiel gegen Ungarn in regenbogenfarbiges Licht zu tauchen, sogar initiiert. Bei solchen Zeichen für Toleranz und Selbstbestimmung ist die FDP nicht nur Mitmacher sondern Antreiber.

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