Kubicki-Interview: Natürlich wollen wir regieren

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab der „Augsburger Allgemeinen“ (Montags-Ausgabe) und „augsburger-allgemeine.de“ das folgende Interview. Die Frage stellte Michael Stifter:

Frage: Herr Kubicki, die FDP steht in Umfragen so gut da wie selten. Haben Sie das Corona zu verdanken?

Kubicki: Das ist schwer zu beantworten. Aber ich glaube schon, dass die Menschen in der Pandemie wieder stärker begriffen haben, dass unsere Freiheit gar nicht so selbstverständlich ist, wie wir dachten. Und wir tragen diese Freiheit im Namen.

Frage: War es ein Glücksfall, während der Pandemie nicht regieren zu müssen und anderen die unangenehmen Entscheidungen zu überlassen?

Kubicki: Ja und nein. Ich glaube, wenn wir im Bund mitregiert hätten, wären einige Entscheidungen anders ausgefallen. Wir hätten jedenfalls verhindert, dass die Corona-Politik von den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin am Bundestag vorbei gemacht wird. Abgesehen davon: In drei Landesregierungen sind wir vertreten. Dass Schleswig-Holstein die Pandemie mit geringeren Freiheitsbeschränkungen besser bewältigt hat als andere, ist auch uns zu verdanken.

Frage: In Nordrhein-Westfalen regiert die FDP aber auch mit, dort gibt es die meisten Corona-Toten.

Kubicki: Ähnlich viele wie in Bayern, obwohl doch dort Markus Söder mit seinem „Team Vorsicht“ angeblich alles besser gemacht hat. Wir sollten uns also fragen: Hilft martialisches Auftreten gegen eine Pandemie oder sollten wir vielleicht eher auf Nachdenken setzen?

Frage: Sind Sie froh, dass nicht Söder Kanzlerkandidat geworden ist, er scheint ja nicht so große Lust auf die FDP als Koalitionspartner zu haben?

Kubicki: Das wäre mir relativ egal gewesen, weil wir auch nicht so viel Lust auf ihn haben. Andererseits: Für mich als Norddeutschen wäre Markus Söder ein Gottesgeschenk gewesen, denn sein großmäuliges Auftreten hätte der FDP in Schleswig-Holstein mächtig Stimmen gebracht.

Frage: Sie selbst sind ja nicht gerade für einen Mangel an Testosteron bekannt, wie haben Sie den Machtkampf zwischen Söder und Laschet empfunden?

Kubicki: Er hat mich erstaunt. Wer bei einer Wahl erfolgreich sein will, führt keinen solchen öffentlichen Schaukampf. Söders Versuch, Teile der CDU gegen den eigenen, gerade erst gewählten Parteichef in Stellung zu bringen, konnte nicht gut gehen. Das war für mich ein Beleg dafür, dass ihm gelegentlich der politische Instinkt abhandenkommt.

Frage: Seiner Popularität in Bayern hat es offenbar nicht geschadet.

Kubicki: In Bayern ist Markus Söder ein König, in Berlin wäre er ein Zwerg. Und sein Verhalten gegenüber Laschet hat dazu geführt, dass in der Union künftig nur noch geringer Wert auf die Befindlichkeiten der CSU gelegt werden wird. Er hat die Karten überreizt.

Frage: Sie hatten Jens Spahn als Kanzlerkandidaten der Union favorisiert. Als Gesundheitsminister gab er zuletzt kein gutes Bild ab. Haben Sie ihn überschätzt?

Kubicki: Ja, das war eine meiner großen Fehleinschätzungen – und auch eine persönliche Enttäuschung. Ich habe ein freundschaftliches Verhältnis zu Jens Spahn, aber er ist ein Opfer der eigenen Hybris geworden. In vielen zentralen Punkten hat das Ministerium versagt, an dessen Spitze er steht.

Frage: Halten Sie die aktuellen Corona-Maßnahmen für angemessen?

Kubicki: Bei den aktuellen Inzidenzwerten sind aus rechtlicher Sicht eigentlich gar keine Maßnahmen mehr zulässig, die in Grund- und Freiheitsrechte eingreifen. Nur weil Herr Lauterbach oder Herr Wieler vermuten, dass es bald eine neue Variante geben könnte, die an Gefährlichkeit alles andere in den Schatten stellt, dürfen wir nicht die Rechte der Bürger einschränken.

Frage: Aber solche Risiken – etwa durch die Delta-Variante – hat sich ja niemand einfach ausgedacht.

Kubicki: Wir können nicht mit Schreckensszenarien, deren Eintrittswahrscheinlichkeit nicht feststeht, Politik machen. Keine Frage: Wir müssen sicherstellen, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Das war der Ausgangspunkt der Corona-Politik. Der Staat kann nicht garantieren, dass sich ein Bürger nicht infiziert, aber er muss dafür Sorge tragen, dass Infizierte die bestmögliche medizinische Versorgung bekommen. Nur um all das geht es ja momentan gar nicht mehr.

Frage: Wie finden Sie das Wahlprogramm der Union?

Kubicki: Es ist lesenswert, allerdings wird sich die Union an ihr Wahlprogramm ohnehin nicht halten. Auch Koalitionsverträge gelten für sie ja nur so lange, bis sie unterschrieben sind. Aber erst einmal bin ich natürlich freudig erregt, dass die Union zur Schuldenbremse steht und keine Steuern erhöhen will.

Frage: Die FDP hat so viele Koalitionsoptionen wie nie. Dieses Mal wollen Sie auch wirklich regieren, oder?

Kubicki: Natürlich wollen wir regieren. Wir treten nicht an, um stärkste Oppositionspartei zu werden.

Frage: Ich frage nur, weil das bei den Jamaika-Verhandlungen 2017 ein bisschen anders wirkte.

Kubicki: Wir werden auch dieses Mal nicht alles mitmachen – das erwarten wir umgekehrt auch weder von der Union noch von den Grünen oder der SPD. Aber die Kompromissfähigkeit der handelnden Personen ist stark ausgebildet. Und es gibt ja mit der sogenannten Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP eine neue Variante, an die bisher noch keiner gedacht hat.

Frage: Wäre das Ihre favorisierte Lösung?

Kubicki: Nein, am besten fände ich natürlich eine Regierung nur mit uns allein. Ich habe in Schleswig-Holstein erlebt, dass auch Jamaika funktionieren kann. Aber ich nehme zur Kenntnis, dass die Option einer Deutschland-Koalition meine Freunde bei den Grünen in erhebliche Unruhe versetzt, weil sie sich bisher nicht vorstellen konnten, dass sie in der nächsten Regierung womöglich gar keine Rolle spielen. Und da wir uns ja im Wahlkampf befinden, werde ich alles unterlassen, was diese Unruhe dämpft.

Frage: Die Deutschland-Koalition wäre aber doch auch nichts anderes als die bisherige Regierung plus FDP. Nach Neuanfang klingt das nicht gerade.

Kubicki: Erstens: Ein Neuanfang ist ja kein Wert an sich. Wenn er in die falsche Richtung läuft, hat man auch nichts gewonnen. Zweitens: Eine Koalition auf Augenhöhe, in der FDP und SPD zusammen genauso stark wären wie die Union, stünde auch für eine neue Politik.

Frage: Dann könnten Sie auf der Zielgeraden Ihrer politischen Laufbahn ja doch noch Minister werden.

Kubicki: Ich wollte noch nie in meinem Leben in ein Kabinett und verstehe auch nicht, warum immer alle glauben, das sei das Nonplusultra.

Frage: Als Bundestagsvizepräsident führen Sie mit klarer Kante, aber auch mit Humor durch die Debatten. Ist das die bessere Rolle für Sie?

Kubicki: Ich habe als Vizepräsident des Deutschen Bundestags meinen Traumjob gefunden. Der Einfluss ist nicht geringer als der eines Ministers, aber die Freiheit ist deutlich größer. Sie kennen mich ja nun auch schon eine Weile und wissen, dass ich äußerst schwer in eine Kabinettsdisziplin einzubinden bin. Das wäre für Sie als Journalist vielleicht unterhaltsam, aber für eine Regierung nicht ganz so ideal.

Frage: Das bringt uns zu Ihrem Buch, das den Titel trägt „Sagen, was Sache ist“. Haben Sie den Eindruck, dass Politiker das zu selten tun?

Kubicki: Es gibt viele Politiker, die bei jedem Wort an einen drohenden Shitstorm auf Facebook oder Twitter denken. Aber soziale Netzwerke sind nicht die Wirklichkeit. Die meisten Menschen halten sie weder für relevant noch nehmen sie daran teil. Wir müssen diese Ängstlichkeit ablegen. Man muss Meinungen offen austauschen können, ohne dass ein im Affekt hingeworfener Satz gleich eine ganze Karriere ruinieren kann.

Frage: Eine Umfrage ergab gerade, dass viele Deutsche das Gefühl haben, nicht mehr alles sagen zu dürfen, was sie denken. Woher kommt das?

Kubicki: In öffentlichen Debatten entsteht oft der Eindruck, dass eine bestimmte Sichtweise quasi gesetzt ist – von Politikern, aber auch von Medien. Wer dann einen anderen Standpunkt einnimmt, muss befürchten, moralisch diskreditiert zu werden.

Frage: Immer mehr Menschen scheinen Meinungsfreiheit aber mit dem Anspruch zu verwechseln, dass ihnen nicht widersprochen werden soll, wenn sie ihre Meinung sagen. Haben wir verlernt, andere Standpunkt auszuhalten?

Kubicki: Meinungsstreit lebt davon, dass man verschiedene Meinungen aufeinanderprallen lässt. Das ist ja der Sinn der Veranstaltung. Und ich kann nicht erwarten, dass das, was ich sage, komplett widerspruchlos hingenommen wird. Aber niemand sollte den Anspruch erheben, dass seine Meinung anderen moralisch überlegen ist. Mir ist es zum Beispiel völlig egal, wenn andere Gender-Sternchen verwenden. Aber ich will mir auch von niemandem sagen lassen, dass ich den Herrschaftsanspruch der alten, weißen Männer propagiere, wenn ich das nicht tue.

Frage: Es gibt hinter den Kulissen Treffen zwischen Grünen und FDP beim Italiener – von der „Pasta-Connection“ ist die Rede, in Anlehnung an die legendäre „Pizza-Connection“ aus Bonner Zeiten. Würden Sie mit Annalena Baerbock Pasta essen gehen?

Kubicki: Selbstverständlich. Ich gehe regelmäßig auch mit Kolleginnen und Kollegen von den Grünen essen. Das gehört sich einfach so. Es dient auch dazu, einander besser zu verstehen – erst recht, wenn eine Zusammenarbeit ja durchaus möglich ist. Manchmal verwenden wir die gleichen Begriffe, meinen aber etwas ganz anderes.

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