Eine grundlegende Reform der Einkommenssteuer ist dringlicher denn je

Der FDP-Generalsekretär Dr. Volker Wissing schrieb für das „Handelsblatt“ (Montag-Ausgabe) und „Handelsblatt Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Rechner, Berechnung, Versicherung, Finanzen

 

Das Leben wird teurer in Deutschland. Langsam meldet sich die Inflation zurück. Im April hat sie die Zwei-Prozent-Grenze überschritten, obwohl Löhne und Gehälter der Beschäftigten eher zurückgegangen als gestiegen sind. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden so massiv belastet. Denn steigende Preise führen auch zu steigenden Steuern, weil auf die teurer gewordenen Produkte noch höhere Steuern erhoben werden.

Greift die Inflation den Bürgerinnen und Bürgern in die Tasche, bedient sich der Staat gleich mit. Preis- und damit Inflationstreiber sind vor allem die Energiekosten. So stiegen im Mai 2021 die Kosten für Superbenzin um 28 Prozent gegenüber dem Vormonat, die für Dieselkraftstoff legten um 26 Prozent zu. In Ballungsgebieten mag das dank eines gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehrs nicht so ins Gewicht fallen, in ländlichen Gebieten und für die vielen Pendlerinnen und Pendler führt diese Entwicklung aber zu einer erheblichen Belastung.

In den Vereinigten Staaten liegt die Inflationsrate mittlerweile bei 5,4 Prozent – es ist davon auszugehen, dass sie auch in der Eurozone weiter steigen wird. Steigende Inflationsraten sind ein Gerechtigkeitsthema, schließlich belasten sie vor allem geringe Einkommen unverhältnismäßig stark. Inflation sorgt dafür, dass gerade traditionelle Sparguthaben schleichend an Wert verlieren.

In Kombination mit der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank haben Normalsparerinnen und -sparer, die nicht in Aktien oder andere Anlageformen investieren, kaum eine Wahl, als dem schleichenden Wertverlust ihrer Sparvermögen ohnmächtig zuzuschauen. Das kann auch negative Auswirkungen auf die Finanzmarktstabilität haben. Denn dort, wo Sparerinnen und Sparer mit risikoarmen Anlagen nur noch Verlust machen, werden sie regelrecht in riskante Anlagen gedrängt.

Es ist daher höchste Zeit, sich intensiver mit den Auswirkungen der Inflation auf Gesellschaft und Wirtschaft zu beschäftigen. Kaum nachvollziehbar erscheint, dass gerade die Parteien des linken Spektrums weitere Steuererhöhungen fordern. Aber auch die Union hat mit ihrer jahrzehntelangen Arbeitsverweigerung im Steuerrecht nicht wirklich zur Verbesserung der Situation beigetragen. Ihre steuerpolitischen Ambitionen reichten nicht einmal aus, den Soli vollständig abzuschaffen.

Auch jetzt lässt die Union wenig Ehrgeiz in der Steuerpolitik erkennen. Die letzte größere Steuerreform im Jahr 2005 geht auf den ehemaligen SPD-Finanzminister Hans Eichel zurück. Einen steuerpolitischen Superlativ kann die CDU allerdings für sich reklamieren: Sie hat gemeinsam mit der SPD 2007 die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte erhöht – und damit die größte Steuererhöhung in der Geschichte unseres Landes beschlossen.

Egal ob die Finanzminister Peer Steinbrück, Wolfgang Schäuble oder Olaf Scholz hießen, gemein war ihnen allen ihre steuerpolitische Tatenlosigkeit. Dadurch ist unser Steuersystem in Schieflage geraten. Das zeigt sich besonders an den Einkommensgrenzen, die der Bemessung der Einkommensteuer zugrunde liegen.

Der Grundfreibetrag liegt bei 9.408 Euro Jahreseinkommen für Ledige bzw. bei 18.816 Euro für Verheiratete, während der Spitzensteuersatz bereits ab 55.961 Euro bei Ledigen bzw. 111.922 Euro Jahreseinkommen bei Verheirateten fällig wird. Die Einkommensteuer differenziert kaum noch. Die Steuerlast steigt zu schnell auf ein hohes Niveau, bereits gut verdienende Facharbeiter werden zu Spitzenverdienern deklariert und entsprechend behandelt.

Dass es einen akuten Reformbedarf bei der Einkommensteuer gibt, sollte eigentlich Konsens sein. Folgerichtig schreibt die Union in ihrem Wahlprogramm: „Wir werden dafür sorgen, dass alle Menschen, die jeden Tag hart arbeiten und viel leisten, entlastet werden. Leistung muss sich lohnen.“ Wer daraus schließt, dass die Union nun ernsthaft dafür sorgen will, dass sich Leistung wieder lohnen soll, wird von ihrem Spitzenkandidaten allerdings eines Besseren belehrt.

Jüngst moderierte Armin Laschet die als „Unions-Versprechen“ betitelte Steuersenkung kurzerhand mit den Worten ab: „In dem Programm steht keine einzige Steuerentlastung drin. Es ist nicht die Zeit für Steuerentlastungen.“ Was wird jetzt aus diesem und anderen „Unions-Versprechen“? Das von Laschet groß angekündigte Modernisierungsjahrzehnt jedenfalls scheint sich nicht auf die Finanz- und Steuerpolitik zu beziehen.

Die finanzpolitische Arbeitsverweigerung hat bei der Union schon Tradition. Es waren die freien Demokraten, die der Union und dem damaligen Finanzminister Schäuble einen regelmäßigen Bericht an den Bundestag zu den Auswirkungen der kalten Progression abgerungen haben. Damit erreichte die FDP, dass die Politik das Problem nicht länger ignorieren kann.

Jetzt muss sich der Bundestag regelmäßig mit den Auswirkungen der kalten Progression auseinandersetzen und sich mit der Frage beschäftigen, ob und wie er diesen negativen Effekt auf die Einkommen der Beschäftigten ausgleichen will. Wenn die freien Demokraten an der Forderung einer steuerlichen Entlastung festhalten, dann auch, weil wir der anziehenden Inflation etwas entgegensetzen müssen. Die Energiekosten werden weiter steigen und es ist fraglich, ob der Preisanstieg bei den von den Grünen geforderten 16 Cent pro Liter Kraftstoff enden wird.

Die höheren Kosten für Heizung, Strom und Kraftstoff schlagen voll auf die Haushalte durch, was direkt zulasten ihrer Kaufkraft geht. Verschärft wird diese Entwicklung durch die mit den Preisen ansteigenden Steuerlasten. Die Mehrwertsteuer ist als stiller staatlicher Kaufkrafträuber stets mit dabei. Guido Westerwelle hat einmal treffend gesagt, der Strompreis sei der Brotpreis des 21. Jahrhunderts. Das verdeutlicht die enorme Bedeutung, die Energie in unserem Alltag hat.

Energie steht für Mobilität, für Lebensqualität und Teilhabe. Wer also Energie ohne Ausgleich verteuert, nimmt Verschlechterungen in diesen Bereichen nicht nur in Kauf, er fördert sie sogar. Entlastungen im Rahmen einer Steuerreform sind daher eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Auf deren Kosten wird eine Energiewende kaum die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung finden.

Der Auslöser für die Gelbwestenproteste in Frankreich war vor allem die Ankündigung, den Benzinpreis anzuheben. Wir sollten daraus lernen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland haben wenig davon, wenn SPD, Linke und die Grünen eine Vermögensteuer fordern. Besser wäre es, die Einkommensteuer gerechter zu gestalten.

Die steigende Inflation trifft gerade die niedrigeren und mittleren Einkommen – sie ist ein Angriff auf die gesellschaftliche Mitte unseres Landes. Dem muss eine Steuerreform entgegengesetzt werden. Die freien Demokraten sehen das Problem und halten an ihrer Forderung fest, niedrige und mittlere Einkommen zu entlasten. Nach 16 Jahren steuerpolitischem Stillstand unter Bundeskanzlerin Angela Merkel brauchen wir ein Modernisierungsjahrzehnt auch in der Steuer- und Finanzpolitik. Die FDP ist dazu bereit.

 

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