Schleswig-Holstein: Christopher Vogt zu TOP 1 „Regierungserklärung ‚Zurück zur Normalität'“

In seiner Rede zu TOP 1 (Regierungserklärung „Zurück zur Normalität“) erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt:

Vogt
Christopher Vogt
Freie Demokraten FDP
Beisitzer im Bundesvorstand
Vorsitzender der FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag

„Nach nunmehr zwei Jahren Pandemie und Pandemiebekämpfung können wir die coronabedingten Einschränkungen schrittweise auslaufen lassen und zum – zumindest rechtlichen – Normalzustand zurückkehren. Für die FDP-Fraktion ist dies ein Anlass zu großer Freude.

Die Pandemie ist natürlich noch nicht ganz überstanden und es wird nach dem 20. März in unserem Leben auch noch nicht gleich alles so sein wie vor der Pandemie. Es droht aber absehbar eben keine Überlastung des Gesundheitssystems mehr, was wir über die gesamten zwei Jahre erfolgreich abwenden konnten und was ja auch immer der Grund für die Maßnahmen waren. Viele Folgen der Pandemie und der Pandemiebekämpfung werden uns noch länger beschäftigen, wie z.B. die psychischen Belastungen vieler Menschen, die wirtschaftlichen Folgen oder eben auch die gesundheitlichen. Da muss man sich nichts vormachen. Die Experten im Bund und im Land haben darauf zuletzt auch noch einmal sehr eindringlich hingewiesen. Das Aufheben der Maßnahmen ist kein Gnadenakt oder Geschenk der Regierung, sondern rechtlich geboten. Nicht die Rücknahme der Maßnahmen muss begründet werden, sondern deren Verlängerung. Allzu oft muss man bei der öffentlichen Debatte den Eindruck haben, es sei umgekehrt.

Im Vergleich zu mehreren Nachbarstaaten ist Deutschland beim Aufheben der Einschränkungen des öffentlichen Lebens nicht gerade voreilig. Die Omikron-Welle ist hier allerdings auch später gestartet als anderswo. Omikron ist – wie zu Beginn der Welle von vielen Experten erwartet – zum Glück deutlich weniger gefährlich als die vorherigen Virusvarianten. Allerdings ist die Krankheit noch immer nicht völlig harmlos. Vor allem für ältere und vorerkrankte Menschen bleibt sie gefährlich. Der mittlerweile hohe Immunschutz in der Bevölkerung vor allem durch die Impfungen, macht aber eben auch einen erheblichen Unterschied im Vergleich zu früheren Wellen aus. Schleswig-Holstein ist beim Impfen und vor allem beim Boostern bundesweit ganz vorne dabei. Das ist ein großer Erfolg, vor allem für unser Gesundheitsministerium und die vielen Menschen, die sich in diesem Bereich engagiert haben. Mein Dank geht da ausdrücklich auch an die Arztpraxen, die hier viel geleistet haben!

Unsere Impfquote ist aktuell eher mit der von Dänemark vergleichbar als mit der von Bayern, Sachsen oder Thüringen. Ich hoffe, dass die bevorstehende Auslieferung des proteinbasierten Impfstoffs Novavax dazu führen wird, dass sich viele skeptische Menschen jetzt ebenfalls noch impfen lassen werden. Es wäre gut für sie persönlich und es wäre gut für uns alle, weil es das Gesundheitswesen entlasten würde. Es sollte aber auch weiterhin Angebote vor Ort mit den bisherigen Impfstoffen geben. Ich höre immer wieder, dass diese noch immer etwas bringen und deshalb macht das einfach Sinn.

Die Omikron-Welle ist innerhalb Deutschlands bei uns deutlich früher gestartet als anderswo und konnte somit hier auch früher wieder gebrochen worden. Momentan sehen wir bei den Inzidenzen eine Seitwärtsbewegung und zuletzt sogar einen ganz leichten Anstieg, aber wir sind damit weit entfernt von anderen Regionen in Europa und können damit auch umgehen. Deshalb ist es auch richtig und notwendig gewesen, dass unser Bundesland bei den Öffnungsschritten bundesweit vorangegangen ist. Das war eben auch rechtlich geboten. Die MPK ist ein notwendiges Instrument zur bundesweiten politischen Abstimmung, aber sie kann nur politische Verabredungen und eben keine rechtlich bindenden Entscheidungen treffen. Jede Landesregierung muss entsprechend der Pandemielage im eigenen Bundesland handeln und ich bin froh und dankbar, dass unsere Landesregierung dies getan hat und weiterhin tun wird.

Ich habe auch immer ein Störgefühl, wenn jetzt wieder von ‚Lockerungen‘ gesprochen wird. Dieser Begriff passt vielleicht beim Strafvollzug, aber nicht im Zusammenhang mit freien und mündigen Bürgerinnen und Bürgern. Es ist wirklich Zeit, dass die Eigenverantwortung gestärkt wird. Wir dürfen uns auch nicht an den Ausnahmezustand gewöhnen. Die Maßnahmen waren wichtig, aber sie belasten unsere Gesellschaft auch in erheblichem Maße. Und sie treffen beispielsweise junge Familien und Gewerbetreibende wie Gastronomen, Einzelhändler oder Kulturschaffende ganz anders als andere gesellschaftliche Gruppen.

Ich bin deutlich skeptischer geworden, ob die Impfpflicht kommt und ob sie in der Form durchsetzbar ist. Es gibt bisher keine sterile Impfung, sie prophylaktisch zu machen ist also schwierig, aber ich finde, das sollte vernünftig und faktenorientiert im Bundestag diskutiert werden. Vermutlich wird eine Impflicht ab einem gewissen Alter in Deutschland kommen, z.B. ab 50, darauf deutet in der politischen Debatte ja einiges hin. Ich sage aber auch, dass in Österreich die Impfpflicht eingeführt wurde und dass man sich dort ein Stück weit wieder davon verabschiedet, zumindest Teile der Politik. Es ist auch schwierig, wenn gerade die CDU- und CSU-Länder eine einrichtungsbezogene Impfpflicht einfordern, massiv Druck machen, sie beschließen und dann kurz vor der Frist zu der Erkenntnis kommen, dass sich möglicherweise viele Pflegekräfte trotzdem nicht impfen lassen werden. Dabei war gerade das doch immer das große Thema. Ich muss ganz ehrlich sagen, was Herr Söder an dieser Stelle angerichtet hat, auch mit Blick auf das Vertrauen in unseren Rechtsstaat, das war katastrophal. Es ist auch nicht logisch, von der Ampel eine allgemeine Impfpflicht zu fordern, wenn man schon die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht durchsetzen will in Bayern.

In den nächsten Wochen geht es jetzt noch um die sogenannten ‚niedrigschwelligen Basisschutzmaßnahmen‘. Es geht darum, ob die Länder die Ermächtigung bzw. die Möglichkeit bekommen, Masken beispielsweise in Schulen oder im ÖPNV noch eine Zeitlang einzusetzen. Die SPD hat sich auch heute wieder sehr stark für FFP2- Masken ausgesprochen. Die Expert weißen aber darauf hin, dass FFP2-Masken zwar gut und auch besser sind als die medizinischen Masken, dass letztere aber für viele Menschen der bessere Mittelweg sind, weil man sie nicht ständig vom Mund wegzieht. FFP2-Masken sind gut, sie müssen dann aber auch richtig getragen werden, deswegen sind OP-Masken auch ein wichtiger Schutz. Die niedrigschwelligen Basisschutzmaßnahmen, die wahrscheinlich über den 20. März hinaus gelten werden, müssen klar befristet sein. Es wird dabei auch um Tests gehen müssen, die vor allem auch für Heime und Krankenhäuser gelten müssen. Die Konzentration auf den Schutz der vulnerablen Gruppen ist sehr wichtig, auch in den kommenden Wochen und im Zweifel kommenden Monaten. Darum müssen wir uns kümmern, das ist wichtig.

Ich möchte auch kurz etwas zum Zustand unserer Gesellschaft sagen. In den letzten zwei Jahren sind unübersehbar neue Gräben entstanden und bestehende wurden vertieft. Egal welche Haltung man hat, als Demokrat muss man ein Interesse daran haben, dass wir diese Gräben wieder zuschütten und dass wir wieder ins Gespräch kommen. Ich glaube, wir brauchen an einigen Stellen wieder eine gewisse Toleranz und Gelassenheit im Umgang miteinander, auch wenn man die andere Meinung überhaupt nicht nachvollziehen kann. Wir haben auch in Schleswig-Holstein viele Demonstrationen, die sogenannten Spaziergänge. Ich finde es richtig, dass die Polizei dort angemessen und vernünftig damit umgeht. Wir müssen uns noch mehr Mühe geben, Menschen zu überzeugen. Der Protest hat natürlich viel mit der Debatte um die Impfpflicht zu tun, aber auch mit einzelnen Maßnahmen, die nicht unser Wunsch waren und die sich auch nicht bewährt haben, z.B. mit 2G im Einzelhandel. Und es hat eine Rolle gespielt, was beispielsweise die bayerische Landesregierung, aber auch der Hamburger Senat gemacht haben hinsichtlich der Information über die Inzidenzen bei Geimpften und Ungeimpften. Dort wurde mit falschen Informationen gearbeitet. Ob das wissentlich und willentlich passiert ist, ist eine andere Frage, aber ich finde, man hätte sich stärker dafür entschuldigen müssen. Für unsere Maßnahmen in Schleswig-Holstein war das jedenfalls kontraproduktiv, denn das hat Glaubwürdigkeit gekostet.

Ich will noch kurz was zu den hohen Belastungen gerade für Jugendliche und Familien mit Kindern sagen. Ich kenne das auch persönlich, gerade in der Omikron-Welle mit Kitas und Schulen und im Privatleben, da haben alle viel mitgemacht. Nicht alle Kinder haben es so gut wie die Kinder von uns hier, insofern war das für uns schon eine Belastung, aber für viele andere Menschen war es das noch viel mehr. Diese Menschen müssen wir stärker entlasten, das wird eine Aufgabe bleiben, die über die nächsten Wochen hinausgeht.

Wir sollten aber auch in der nächsten Zeit daran denken, dass wir die Gastronomen und Einzelhändler, die Sportvereine und die Kultur bei uns vor Ort stärken, dass wir dort bewusst hingehen und sie unterstützen. Es gab bei uns so umfangreiche Wirtschaftshilfen wie wohl nirgendwo anders auf der Welt, aber diese Branchen wollen und müssen jetzt auch wieder Geld verdienen, deshalb sollten wir gerade diese Menschen unterstützen.

Wir müssen uns auf den Herbst vorbereiten. Es geht um den Schutz der Älteren und es wird wahrscheinlich weiter Maskenempfehlungen geben. Es muss aber auch darum gehen, weitere Lockdowns oder ähnliche Szenarien zu verhindern. Wir müssen unsere Krankenhäuser vorbereiten, die Digitalisierung vorantreiben, wir dürfen Daten nicht nur sammeln, sondern müssen sie auch vernünftig aufbereiten. Wir müssen an Studien arbeiten und wir müssen das Impfen beibehalten. Die Schulen müssen besser mit Luftfiltern ausgestattet werden und der Bund sollte uns weiterhin beim Testen und Impfen finanziell unterstützten. Gute Kommunikation ist jetzt besonders wichtig und wir sollten verantwortungsvoll bleiben. Schleswig-Holstein ist so gut durch die Krise gekommen wie wenig andere Regionen. Die Arbeitswelt hat sich stark verändert, davon kann Schleswig-Holstein profitieren, aber es bleiben noch für längere Zeit Risiken. Wir werden mit dem Virus leben lernen müssen und das werden wir auch schaffen. Es gibt viel Anlass für Optimismus. Lassen Sie uns weiter möglichst besonnen und gelassen damit umgehen, dann kommt hoffentlich bald auch mit den sozialen Kontakten die Ausgelassenheit zurück. Wir sollten weiterhin im engen Austausch mit den Experten verschiedener Fachrichtungen sein und wir sollten weiterhin zwischen Koalition und Opposition im konstruktiven Austausch bleiben. Wir sehen gerade in diesen Zeiten: Unsere Freiheit wird nicht nur von einem Virus bedroht, sondern auch von anderen Dingen und deswegen müssen wir zusammenstehen in unserer Gesellschaft. Darauf kommt es in diesem Jahr mehr denn je an.“

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