DÜRR-Interview: Ich bin dafür offen, Sanktionen beizubehalten

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Funke Mediengruppe“ (Dienstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Jochen Gaugele.

 

Christian Dürr

 

Frage: Das Bürgergeld ist im Bundesrat gescheitert. Bleibt es beim Hartz-IV-System?

Dürr: Das wäre sehr ärgerlich. Wir haben über zwei Millionen Menschen, die arbeitslos sind. Mit dem Bürgergeld wollen wir zusätzliche Arbeitsanreize schaffen: bei Aus- und Weiterbildung und bei der Teilzeitarbeit. Wenn wir nur die Regelsätze erhöhen, wie die Union das will, verringern wir den Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen. Den Arbeitslosen einfach mehr Geld geben ohne sie zu motivieren, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren – das hat mit einer Reform nichts zu tun und ist mit der FDP auch nicht zu machen.

Frage: Umgekehrt wirft die Union der Ampel vor, den Weg zu einem bedingungslosen Grundeinkommen zu ebnen. Wie wollen Sie da einen Kompromiss finden?

Dürr: Der Vorwurf ist für mich komplett unverständlich, weil das Gegenteil der Fall ist. Wir wollen, dass es sich lohnt zu arbeiten. Nehmen Sie die Regeln für den Hinzuverdienst von Teilzeitbeschäftigten: Für Menschen in der Grundsicherung lohnt es sich bisher fast gar nicht, Teilzeit zu arbeiten, weil ihnen ein Großteil des Geldes weggenommen wird. Das wollen wir mit dieser Reform ändern. Ich habe das Gefühl, die Union nutzt den Bundesrat für politisches Muskelspiel. Aber das ist der falsche Anlass.

Frage: Die Union stört sich daran, dass Sie die Sanktionen bei Regelverstößen lockern wollen.

Dürr: Verhandlungsbereitschaft ist von unserer Seite immer da. Aber die Union verbreitet Märchen, wenn sie die die ersten sechs Monate als sanktionsfreie Zeit darstellt. Es sollen nur die Sanktionen wegfallen, die am Anfang ohnehin keine Relevanz haben. Ziel dabei ist, Bürokratie abzubauen. Faktisch ändert sich gar nichts. Aber wenn die Union dieses Symbol braucht, bin ich dafür offen, Sanktionsmöglichkeiten beizubehalten. Das muss man am Ende innerhalb der Koalition besprechen. Es bringt ja nichts, wenn alle auf dem Baum bleiben. Friedrich Merz und Markus Söder sind da sehr hoch geklettert mit ihren absurden Argumenten und ihrem Populismus gegen die Arbeitsanreize, die wir schaffen.

Frage: Nach den Plänen der Ampel können Menschen auch dann Bürgergeld beziehen, wenn sie ein Vermögen bis zu 60 000 Euro besitzen – unabhängig von ihrem Alter. Bestehen Sie auf dieser Größenordnung?

Dürr: Stellen Sie sich den Selbstständigen vor, der mit Ende 50 einen Schicksalsschlag erleidet und arbeitslos wird. Der geht sofort in die Grundsicherung. Soll er seine private Altersvorsorge, für die er jeden Cent beiseitegelegt hat, auflösen müssen um dann im Alter vom Staat zu leben? Soll er schlechter behandelt werden als jemand, der sich komplett auf den Sozialstaat verlassen hat? Ja, wir sind auch beim Schonvermögen gesprächsbereit. Aber das Ergebnis kann nicht weniger Arbeitsanreize und weniger Altersvorsorge sein. Das wäre leistungsfeindlich.

Frage: CSU-Chef Söder will das Schonvermögen staffeln – nach Dauer der Beschäftigung.

Dürr: Ich finde, über eine Staffelung des Schonvermögens kann man sprechen, wenn die Union dann ihren Seelenfrieden bekommt.

Frage: Machen SPD und Grüne das mit?

Dürr: Wir haben das gemeinsame Ziel, dass es mehr Arbeitsanreize gibt. Alles weitere wird man im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat sehen.

Frage: Die FDP hat Hartz IV immer verteidigt – auch gegen Widerstand aus der SPD. Wie kann es sein, dass die Überwindung von Hartz IV plötzlich ein Herzensanliegen von Ihnen ist?

Dürr: Die Sozialstaatsreform vor 20 Jahren war richtig. Leider ist der Sozialstaat in der Regierungszeit von Angela Merkel wieder schwerfällig geworden. Deswegen brauchen wir eine Sozialstaatsreform 2.0, um das System der Grundsicherung zu entbürokratisieren und Arbeitsanreize zu schaffen. Ich muss immer ein wenig schmunzeln, wenn von einer Überwindung von Hartz IV gesprochen wird. Ziel des Bürgergelds muss sein, zurückzukommen zum Fordern und Fördern und zu weniger Bürokratie. Am Ende müssen wieder mehr Menschen in Arbeit sein.

Frage: Die FDP hat sich in der Ampel weniger mit Sozialreformen hervorgetan als mit Widerstand gegen Corona-Schutzmaßnahmen. Vier Bundesländer wollen nun die Isolationspflicht bei Infektionen aufheben. Unterstützen Sie das?

Dürr: Corona wird in diesem Herbst und Winter keine so große Rolle mehr spielen wie im letzten Jahr. Menschen, die einen positiven Corona-Test haben, aber keine Symptome, sollten sich frei im öffentlichen Raum bewegen können. Ich würde Infizierten empfehlen, eine Maske zu tragen. Die Isolationspflicht halte ich für überholt.

Frage: Mit Corona ins Büro – ist das zu verantworten?

Dürr: Wenn man richtig krank ist, sollte man zu Hause bleiben. Das gilt für Corona wie für Grippe. Corona wird normal. Wir müssen lernen, damit zu leben.

Frage: Sind Sie auch dafür, die Maskenpflicht in Bus und Bahn zu kippen?

Dürr: Ich würde die Maskenpflicht durch eine Maskenempfehlung im öffentlichen Nahverkehr ersetzen. Jeder ist frei, eine Maske zu tragen, wenn es in der U-Bahn eng zugeht.

Frage: Massenereignisse wie die Fußball-WM machen Ihnen keine Sorgen?

Dürr: Nein.

Frage: Verfolgen Sie die Spiele der deutschen Elf im Fernsehen? Oder setzen Sie ein Zeichen gegen den Gastgeber Katar, der Menschenrechte mit Füßen tritt?

Dürr: Der Fußball-Weltverband hat einen großen Fehler gemacht mit der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft nach Katar. Aber dafür können weder die Spieler noch die Fans etwas und wir sollten das nicht auf dem Rücken der Nationalmannschaft austragen. Ich drücke dem Team von Hansi Flick die Daumen und werde – wenn mein Terminkalender es hergibt – die Deutschland-Spiele auch anschauen. Das gehört für mich als Fan dazu.

Frage: Haben Sie einen Rat für die Fans, die in das Emirat reisen?

Dürr: Ich rate den deutschen Fans, sich so zu verhalten, wie sie es auch in Deutschland tun. Wir sind eine liberale Demokratie. Wenn sich die Regierung von Katar an unserer Weltoffenheit stört, ist das ihr Problem. Gemäß der Bundesinnenministerin gibt es Sicherheitsgarantien für die deutschen Fans – auch wenn es absurd ist, dass eine solche Maßnahme notwendig ist.

Frage: Kann so ein Land eine tragende Rolle bei unserer Energieversorgung übernehmen?

Dürr: Wir haben uns in den vergangenen Jahren abhängig gemacht von Russland. Jetzt müssen wir leider auch mit Ländern, wo wir einiges an Kritik haben, über Energielieferungen reden. Es geht darum, diverser zu werden bei unserer Energieversorgung – wichtig ist, dass wir nicht länger auf ein Land alleine setzen, wie es die unionsgeführte Bundesregierung getan hat.

Frage: Welche Rolle spielt dabei heimisches Schiefergas?

Dürr: Wir sollten nationale Energiereserven nutzen – gerade beim Schiefergas. Wenn man Flüssiggas aus anderen Teilen der Erde importiert, macht es auch Sinn, heimische Ressourcen zu nutzen.

Frage: Neue Gasfelder erschließen, noch dazu mit der Fracking-Technologie – das könnte die Klimaproteste weiter radikalisieren …

Dürr: Wir werden Erdgas noch einige Zeit brauchen, da dürfen wir uns nichts vormachen. Diese Energiekrise zeigt, dass wir breit und energieoffen denken müssen. Von der Frage, was der richtige Ansatz beim Klimaschutz ist, müssen wir radikale Proteste und Straftaten trennen. Bei Straftaten darf es kein Pardon geben.

Frage: Plädieren Sie für härtere Strafen?

Dürr: Ich bin davon überzeugt, dass Organisationen wie die „Letzte Generation“ dem Klimaschutz einen Bärendienst erweisen. Diese Art von Protest ist eindeutig undemokratisch. Wer die Demokratie außer Kraft setzen will, um das Klima zu schützen, hat nicht alle Latten am Zaun. Museen haben inzwischen Sorge, Exponate überhaupt noch auszustellen. Kulturgut könnte für immer verlorengehen. Die Gerichte sollten den jetzigen Strafrahmen ausnutzen. Wenn es notwendig wird, Gesetze nachzuschärfen, um Kunstschätze zu schützen, werden wir das tun.

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