FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gab den „Stuttgarter Nachrichten“ und „StN.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Violetta Hagen:
Frage: Herr Djir-Sarai, Sie haben schon am eigenen Leib erfahren, dass das iranische Regime vor nichts zurückschreckt.
Djir-Sarai: In der Tat. 2013 bin ich zuletzt in den Iran gereist – nicht als Privatperson, das will ich betonen, sondern als Bundestagsabgeordneter und als damaliger Vorsitzender der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe. Nach meiner Rückkehr wurde ich vom früheren Präsidenten des Verfassungsschutzes darüber informiert, dass die iranischen Behörden mich im Iran verhaften wollten. Ich habe meine Kritik am Regime immer offen formuliert. Offenbar konnte man sich aber nicht einigen, ob man mich festnehmen sollte oder nicht, und während darüber gestritten wurde, bin ich nichts ahnend ausgereist. Die Islamische Republik ist zwar für ihre Geiseldiplomatie berüchtigt, aber ich war doch schockiert, dass selbst grundlegende diplomatische Regeln dort nicht gelten. Diesem Regime ist nichts heilig.
Frage: Vor sieben Monaten begannen die Proteste gegen das Regime. Sie selbst sprachen davon, dass im Iran eine „echte Revolution“ im Gange sei. Was ist daraus geworden?
Djir-Sarai: Ich bleibe dabei, dass im Iran ein revolutionärer Prozess stattfindet. Solche Prozesse brauchen Zeit. Auch die Revolution 1979 im Iran hat fast eineinhalb Jahre gedauert. Wir sehen, dass die Machthaber es derzeit einfach nicht schaffen, den Status quo wiederherzustellen. Beruhigt sich eine Stadt, gibt es Proteste in einer anderen. Und auch die Rolle, die die Frauen sich erkämpft haben, kann das Regime ihnen nicht mehr streitig machen. Ich bin davon überzeugt, dass am Ende die Menschen auf der Straße Erfolg haben werden.
Frage: Ein Blick in die Geschichte zeigt: Straßenproteste allein reichen nicht. Revolutionen brauchen populäre Anführer und Unterstützer in Militär und Bürokratie. Sehen Sie das im Iran?
Djir-Sarai: Die Risse im System sehe ich schon seit einigen Jahren – in der Armee und in anderen Institutionen. Aber das Regime hat natürlich dafür gesorgt, dass mögliche Anführer einer Revolution mittlerweile alle im Gefängnis sitzen. Es gibt aber Führungsfiguren im Ausland, etwa den früheren Kronprinzen Reza Pahlavi oder die Menschenrechtlerin Masih Alinejad.
Frage: Die Revolutionsgarden sind das Rückgrat des Systems. Eine der wichtigsten Forderungen der Protestbewegung an den Westen war es daher, sie auf die EU-Terrorliste zu setzen. Das Vorhaben wurde mit einer juristischen Begründung verworfen. Was halten Sie davon?
Djir-Sarai: Aus meiner Sicht sind das Ausreden. Allein die Unterstützung anerkannter Terrororganisationen – die Hisbollah etwa wird zu neunzig Prozent vom Iran finanziert – wäre ein schlagendes Argument, die Revolutionsgarden auf die Terrorliste der EU zu setzen. Aber das ist politisch nicht gewollt. Die EU möchte stattdessen unbedingt am Atomabkommen festhalten.
Frage: Warum?
Djir-Sarai: Das Atomabkommen ist eines der wenigen handfesteren Projekte der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Schon deshalb hat man es immer verteidigt, auch gegen den damaligen US-Präsidenten Trump, der es schließlich aufgekündigt hat. Trump am Ende recht zu geben – auch das dürfte manchem in Brüssel wehtun. Die Revolutionswächter auf die EU-Terrorliste zu setzen wäre natürlich auch kein kleiner Schritt. Das ist nicht irgendeine Miliz – die Garden kontrollieren zwei Drittel der iranischen Wirtschaft. Man würde quasi die diplomatischen Beziehungen mit dem Iran beenden. Davor scheut Brüssel derzeit zurück, was ich sehr bedaure. Denn das ist die völlig falsche Strategie.
Frage: Der Iran ist offenbar wenige Wochen davon entfernt, atomwaffenfähiges Material herzustellen. Muss uns das nicht Angst machen? Muss man da nicht verhandeln?
Djir-Sarai: Natürlich muss uns das Sorgen bereiten. Wenn ein solches Regime sich auch noch nuklear bewaffnet, ist das eine Bedrohung für die globale Sicherheit. Nur: Der Iran wird diesen Weg gehen, ob mit oder ohne Abkommen. Es ist das klare Ziel des Regimes, eine verdeckte Atommacht zu werden. Die Machthaber sehen das als ihre Lebensversicherung. Der einzige Unterschied, den ein solcher Deal machen würde: Zur Belohnung würde der Westen die Sanktionen aufheben und somit viel Geld in die Kassen des Regimes spülen. Wir haben nach der letzten Lockerung gesehen, wofür das Geld genutzt wurde: nicht für Schulen und Krankenhäuser, sondern für militärische Aktivitäten im Irak, Syrien, Jemen und dem Libanon. Und woher glauben Sie kam das Geld für die Entwicklung der iranischen Kampfdrohnen, die Russland nun in der Ukraine einsetzt? Die EU hat währenddessen nur auf das Atomprogramm gestarrt. Unser eigentliches Interesse müsste sein, dass der Iran zu einem demokratischen Land wird.
Frage: Macht Außenministerin Baerbock aus Ihrer Sicht in der Iran-Frage eine gute Figur?
Djir-Sarai: Deutschland sollte sich auf EU-Ebene noch deutlicher für eine harte Haltung gegenüber dem Regime einsetzen. Im Auswärtigen Amt Konzepte über feministische Außenpolitik zu schreiben reicht nicht. Die Revolution im Iran wird von Frauen angeführt – da gäbe es genug Gelegenheit, die eigenen Worte in Taten umzusetzen.