Konstantin Kuhle

KUHLE-Interview: Wir müssen Bürokratieabbau machen, den man merkt

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle gab dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Mittwochsausgaben) das folgende Interview. Die Fragen stellte Markus Decker.

Frage: Herr Kuhle, die Ampel­koalition will nach der Sommerpause mit Projekten zum Bürokratie­abbau an den Start gehen. Womit ist zu rechnen?

Kuhle: Die Koalition plant ein viertes Bürokratie­entlastungs­gesetz. Das wird von Bundes­justizminister Dr. Marco Buschmann federführend vorangetrieben. Das Problem mit dem Bürokratieabbau war immer, dass das in den Ohren vieler Menschen wie eine Floskel klang. Das darf diesmal nicht der Fall sein. Wir müssen jetzt mal Bürokratie­abbau machen, von dem man tatsächlich etwas merkt.

Frage: Inwiefern?

Kuhle: Wir haben eine Entfremdung der Mitte der Gesellschaft von den Institutionen. Viele Unternehmer und Selbstständige haben das Gefühl, dass sich der Staat verzettelt. Er führt ständig neue Aufgaben ein, gerade für kleinere und mittlere Unternehmen, die dann darunter ächzen. Gleichzeitig haben die Menschen bei den großen Themen das Gefühl, dass der Staat es nicht hinkriegt. Deshalb muss der Staat die Bürokratie runterfahren.

Frage: Über Bürokratie­abbau wird seit Jahren gesprochen. Doch viel passiert ist nicht.

Kuhle: Das darf diesmal nicht so sein. Das Bundes­justizministerium hat deshalb auch über 400 konkrete Vorschläge gesammelt. Verbände und Unternehmen sind gefragt worden. An den Antworten merkt man, dass sich ein Wildwuchs breitgemacht hat, der keinem mehr zu vermitteln ist. So sprechen wir einerseits über Digitalisierung. Andererseits bestehen in großer Zahl Papier­aufbewahrungs­pflichten. Deshalb ist ein Vorschlag, die Aufbewahrungs­fristen für Belege zu verkürzen. So zieht es sich durch verschiedene Bereiche. Ich erwarte allerdings, dass über das Bundes­justiz- und ‑finanz­ministerium hinaus auch andere Ressorts ihren Beitrag zum Bürokratie­abbau leisten.

Frage: Meinen Sie Herrn Habeck?

Kuhle: Robert Habeck trägt als Bundes­wirtschafts­minister eine Verantwortung für die Belange der Unternehmen. Viele Vorschriften, die von ihnen als störend empfunden werden, befinden sich in seinem Geschäfts­bereich. Deshalb erwarte ich gerade vom Bundes­wirtschafts­ministerium, dass es einen substanziellen Beitrag zum Bürokratie­abbau leistet.

Frage: Ein Grund für Bürokratie ist ja, dass Beamte in diversen Behörden so ihr Dasein rechtfertigen. Haben wir zu viele Beamte und Behörden?

Kuhle: An manchen Punkten muss sich der Staat zumindest mal fragen, ob der Selbsterhaltungs­trieb der Verwaltung nicht größer ist als die Begründung für bestimmte Regeln in der Sache. Wenn das so ist, gehören sie überprüft und abgeschafft. Wir haben zum Beispiel immer noch die Situation, dass ein Gast, der in einem Hotel eincheckt, einen Meldeschein ausfüllen muss, der dann fein säuberlich abgeheftet wird. So was ist nicht mehr zeitgemäß.

Frage: Wo würden Bürger das vierte Bürokratie­entlastungs­gesetz noch spüren?

Kuhle: Die Bürger müssen spüren, dass sich die staatlichen Institutionen mehr um für sie wesentliche Dinge wie die Beantragung eines Personal­ausweises, eine private Bau­genehmigung oder die Bewerbung um einen Kita-Platz kümmern können – und sich nicht länger im Klein-Klein verlieren. In all diesen Bereichen brauchen wir dringend Beschleunigung und mehr Digitalisierung. Ich finde auch, dass man über das Thema Arbeitszeit­dokumentation reden muss. Es wird über New Work und Work-Life-Balance gesprochen. Zugleich werden neue bürokratische Belastungen eingeführt, was die Dokumentation der Arbeitszeit angeht. Wir sollten die Arbeitszeit­dokumentation flexibilisieren und mehr Freiheiten zulassen, damit Menschen ihre Arbeit eigenverantwortlich organisieren können.

Frage: Ein Grund für Vorschriften ist, dass so Gerechtigkeit hergestellt werden soll.

Kuhle: Ja. Wir leiden in Deutschland an einem unbändigen Willen zur Einzelfall­gerechtigkeit. Natürlich muss der Staat sicherstellen, dass gleichgerichtete Sachverhalte gleich behandelt werden und niemand benachteiligt wird. Aber für jeden noch so absurden Einzelfall eine staatliche Regelung vorzusehen, das führt in den Bürokratie­wahnsinn, den wir heute erleben.

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