Johannes Vogel

VOGEL-Interview: Wir wollen, dass dieses Land Wirtschaftswachstum schafft

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Johannes Vogel gab dem Deutschlandfunk (Donnerstag) das folgende Interview. Die Fragen stellte Christoph Heinemann.

Frage: Wieso bedarf es zwei Jahre nach Beginn der selbst so bezeichneten Zukunftskoalition einer Wirtschaftswende?

Vogel: Ja, weil sich die Lage unseres Landes sich so darstellt, dass, nachdem sich diese Koalition am Anfang der Legislatur sehr erfolgreich der Bewältigung der Energiekrise gewidmet hat und wir versuchen, die Ukraine so gut es geht zu unterstützen in ihrem Verteidigungs- und Freiheitskampf gegen Putins Überfall, merken wir doch jetzt, dass nach dieser Ausnahmesituation Deutschland einfach viel schlechter aus dieser Sonderlage kommt als alle anderen Industrienationen in der Welt. Und das liegt daran, dass dieses Land sich 10, 15 Jahre nicht um die Rahmenbedingungen für Wettbewerbsfähigkeit, um die Grundlage für den nächsten Aufschwung ausreichend gekümmert hat. Und das können wir so nicht hinnehmen. Wir wollen, dass dieses Land Wirtschaftswachstum schafft, auf das man wieder stolz ist, auf das wir wieder stolz sein können. Da geht es ja auch um individuelle Aufstiegschancen, die damit zusammenhängen. Wir werden uns mehr Verteidigungsfähigkeit nicht leisten können ohne eine starke Wirtschaft, übrigens auch unseren Sozialstaat und alle anderen großen Aufgaben nicht. Und wenn man dann auf die Lage schaut, muss man, finde ich, konstatieren, dass wir Gutes gemacht haben: Planungsbeschleunigung, Fachkräfteeinwanderungsgesetz mit Punktesystem à la Kanada. Aber mit Blick auf die Größe der Aufgabe reicht das eben nicht. Und die Aufgabe von Politik muss doch sein, der Größe der Aufgabe gerecht zu werden. Deshalb muss diese Koalition über sich hinauswachsen.

Frage: Wer ist verantwortlich für – wie BDI-Präsident Siegfried Russwurm sagt – zwei verlorene Jahre.

Vogel: Wir haben uns die letzten zwei Jahre ja insbesondere um Krisenreaktion kümmern müssen und haben das Land zum Beispiel durch diese Energiekrise gebracht. Das halte ich für richtig. Und wir als ganze Gesellschaft, wir alle, haben 10, 15 Jahre Aufschwung nicht genutzt für gute Rahmenbedingungen für die nächsten. 2014 waren wir die sechststärkste Nation der Welt bei Wettbewerbsfähigkeit, über die Jahre sind wir immer weiter nach hinten gereicht worden. Heute ist es Platz 22.

Frage: Hat sich in den letzten zwei Jahren nicht deutlich verbessert, oder?

Vogel: Nein. Die letzten zwei Jahre haben wir gute Dinge eingeleitet. Ich habe es eben gesagt: Planungsbeschleunigung, Fachkräfteeinwanderung. Aber es genügt nicht mit Blick auf die Größe der Herausforderung. Und deswegen ist die Lage heute eine andere als zum Schließen des Koalitionsvertrages. Und Politik muss immer jeweils der Lage gerecht werden. Wir haben die Verantwortung, jetzt ausreichend viel zu tun, ausreichend weit das Ruder herumzureißen, um das zu verändern.

Frage: Der Lage gerecht werden. Die FDP fordert ein Ende der Rente mit 63. Die schwarz-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen plant, den Renteneintritt für Feuerwehrleute von 60 auf 62 Jahre zu erhöhen. Und dagegen wehrt sich – Überraschung – die Landes-FDP. Können Sie uns das erklären?

Vogel: Ich bin in der nordrhein-westfälischen Debatte um die Feuerwehrleute nicht tief drin, auch wenn ich aus Nordrhein-Westfalen komme. Ich schaue mir das gerne im Nachgang unseres Interviews an. Ich vermute, es geht darum, dass es hier um besonders sicherheitsrelevante Berufe geht. Klar ist aber, wofür wir bundesweit streiten. Das ist ja nicht nur bei der Rente so, sondern unsere Vorschläge gehen ja von der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen über weniger Bürokratie zu einer stärkeren Belohnung von Anstrengung und Leistungsbereitschaft, aber eben auch zum zukunftssicheren Sozialsystem. Und wir haben doch die Konstellation, dass schon selbst Andrea Nahles, die Erfinderin der Rente mit 63, heute sagt, als Chefin der Bundesagentur für Arbeit, dass diese schädlich ist und dem Arbeitsmarkt schadet, wo wir Fachkräftebedarf haben. Und das sollte uns allen zu denken geben.

Frage: Passt doch nicht so richtig zusammen, in Düsseldorf Hü und in Berlin Hott zu sagen, oder?

Vogel: Wir sind in Berlin ja seit langem dafür, dass wir uns nach vorne entwickeln und gleich einen Renteneintritt wie in Schweden schaffen, wo es gar kein festes Renteneintrittsalter mehr gibt, sondern flexiblen Renteneintritt, wo es attraktiv ist, länger zu arbeiten. Und im Schnitt arbeiten die Schweden am längsten in ganz Europa. Ich will aber sagen, dass es mir darum geht, dass wir das Sozialsystem und die Rente – und auch das werden wir am Wochenende beschließen – insgesamt zukunftsfest machen und für alle Generationen stabiler. Heute haben wir die Konstellation: Wir laufen auf eine Situation zu, wo uns die Demografieabhängigkeit des Rentensystems einholen könnte, wie uns die Abhängigkeit von Putins Gas eingeholt hat. Ich will eine Rente, die dauerhaft stabil ist und aus der die Menschen auch wieder mehr rausbekommen. Unser Vorschlag dafür ist eine Aktienrente nach schwedischem Vorbild.

Frage: Herr Vogel, die Abschaffung der Mütterrente findet sich nicht in Ihrem Papier. Aus Rücksicht auf CDU und CSU?

Vogel: Nein, wir adressieren in unserem Beschluss am Wochenende – und das Papier wird ja noch mal eingearbeitet in diesen Beschluss am Wochenende – wie wir uns das Rentensystem der Zukunft vorstellen. Wir müssen so schnell wie möglich, so nah wie möglich dem schwedischen Modell einer Aktienrente kommen, wo die Menschen dann auch langfristig wieder steigende Rentenansprüche haben.

Frage: Meine Frage lautete: Warum steht die Mütterrente nicht in Ihrem Papier?

Vogel: Weil der zweite Aspekt ist, dass wir uns Gedanken machen müssen, wie wir Anreize schaffen können, dass es attraktiver ist, länger zu arbeiten.

Frage: Mit der Mütterrente?

Vogel: Nein, die Mütterrente wird adressiert in einem anderen Punkt. Wir waren damals dagegen. Diese Rechtsansprüche sind jetzt aber geschaffen. Und bei der Rente mit 63 …

Frage: … waren sie auch dagegen. Und diese Ansprüche sind jetzt auch geschaffen.

Vogel: Genau. Sie führt aber heute noch dazu, dass zusätzliche Menschen, die jetzt neu in Rente gehen, oft gar nicht für körperlich arbeitende Menschen, sondern Bürotätigkeiten, es attraktiv gemacht wird, möglichst früh in Rente zu gehen. In jedem Fall, der jetzt in der Zukunft dazukommt, entziehen wir unserem Arbeitsmarkt Fachkräfte. Und da sagen wir: Das geht besser. Schweden macht das vor.

Frage: Die Frage nach der Mütterrente haben Sie immer noch nicht beantwortet.

Vogel: Bei der Mütterrente geht es ja um Altfälle. Ich halte das für einen schweren Fehler, dass die CDU/CSU das damals vorangebracht hat und die SPD mitgemacht hat, weil wir heute schon höhere Rentenbeitragssätze haben als ohne die Rentenpolitik der Großen Koalition. Wir müssen aber jetzt ja nach vorne schauen und bei der Frage: „Ist es attraktiv, länger zu arbeiten, oder ist es attraktiv, möglichst früh in Rente zu gehen?“ Da entziehen wir ja auch zusätzlich nach vorne raus Fachkräfte dem Arbeitsmarkt. Und das ist in Zeiten, wo wir eine Wirtschaftselite brauchen, eben fatal.

Frage: Und Sie entziehen dem Bundeshaushalt Geld oder möchten das tun. Die SPD beziffert die Kosten einer vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags auf 12 Milliarden Euro. Woher wollen Sie die nehmen?

Vogel: Ja, wir schlagen das aus Gründen vor, weil wir ja Pragmatiker sind, dass die Abschaffung in zwei Schritten läuft. Ich will aber kurz einmal sagen, warum die Abschaffung wichtig ist. Der Soli ist heute faktisch eine Unternehmenssteuer; größtenteils zahlen ihn die Personengesellschaften, das heißt Handwerksbetriebe zum Beispiel.

Frage: Aber auch Wohlhabende und Reiche.

Vogel: Ja, aber zu weit überwiegenden Teilen eben Unternehmerinnen und Unternehmer, also Familienunternehmen, Personengesellschaften, Handwerksbetriebe. Und eindeutig ist die Unternehmensteuerlast in Deutschland zu hoch für Kapitalgesellschaften und für Personengesellschaften. Und da müssen wir ran.

Frage: Dann könnte man die außenvorlassen und Wohlhabende und Reiche doch weiterhin mit dem Soli belasten.

Vogel: Ja, das wird verfassungsrechtlich nicht möglich sein, diese Differenzierung. Ich habe eine Gegenfrage: Weil es ja, wenn es so ist, dass wir es nicht hinnehmen können, dass Deutschland nicht wettbewerbsfähig ist, um den grünen Bundeswirtschaftsminister zu zitieren, dann muss doch daraus etwas folgen. Und wenn es eindeutig so ist, es gibt auch niemanden, der das, glaube ich, bestreitet, dass im internationalen Vergleich die Unternehmensteuerlast zu hoch ist, dann müssen sie doch etwas dagegen tun. Und deshalb schlagen wir hier ein Instrument vor, das die Union nicht im Bundesrat  blockieren kann, wie sie es beim Wachstumschancengesetz bei Steuersenkungen gemacht hat. Wir sind auch für andere Instrumente offen. Es geht nicht um das einzelne Instrument. Es geht darum, dass wir die Richtung der Wirtschaftspolitik verändern und uns wieder um bessere Rahmenbedingungen kümmern und den Unternehmen Fesseln nehmen. Denn das ist nötig für unser Land und übrigens auch dafür, dass nicht die Ränder den Leuten in diesem Land einreden können, wir hätten die wirtschaftlich besten Zeiten hinter uns.

Frage: Wir wollen kurz noch zum Schluss auf ein anderes Thema kommen. Die Ampelkoalition will ja in dieser Woche im Bundestag zwei wichtige Vorhaben beschließen: ein Solarpaket und die umstrittene Form auch des Klimaschutzgesetzes. Und jetzt zieht die Union in Form von Thomas Heilmann dagegen vor Gericht und sagt: Das geht alles viel zu schnell. Thomas Heilmann sagt: Kein Kleingartenverein entscheidet so hastig. Warum arbeiten Schrebergärtnerinnen und -gärtner gründlicher als die Bundesregierung?

Vogel: Das stimmt ja nicht. Und dieses Urteil sollten Sie sich auch nicht zu eigen machen, sondern man kann ja einmal auf die Sachen schauen. Wir wollen das Klimaschutzgesetz der Großen Koalition, was Herr Heilmann selber mit beschlossen hat, reformieren. Warum? Nicht, weil wir irgendwas an den Klimazielen insgesamt verändern wollen. Das findet auch nicht statt, sondern weil diese planwirtschaftliche, sektorbezogene Betrachtung keinen Sinn macht.

Frage: Es geht nicht um die Sache, sondern um das Tempo.

Vogel: Genau. Ich will nur sagen, worum es geht, warum das wichtig ist. Zum Beispiel – das hat der Verkehrsminister dargelegt – obwohl wir Klimaziele einhalten, drohen Fahrverbote für Autos. Das macht doch gar keinen Sinn. Und deshalb hat das Kabinett schon im letzten Herbst dieses Klimaschutzgesetz verabschiedet und das liegt seit September vor. Im letzten November gab es dazu eine Anhörung, und jeder, auch Herr Heilmann, konnte sich intensiv mit der Materie beschäftigen. Und jetzt machen wir etwas ganz Normales. Es gibt wenige marginale Änderungen, die ändern an der Ausrichtung des Gesetzes, an der Systematik gar nichts. Da geht es um Berichtspflichten der Bundesregierung an den Bundestag, also mehr Parlamentsrechte zum Beispiel. Und das sind Änderungsanträge im Umfang von 3,5 Seiten, die seit einer Woche vorliegen. Das ist ein normales parlamentarisches Verfahren.

Frage: Das Verfassungsgericht hatte der Union beim Heizungsgesetz ja schonmal recht gegeben. Wie wirkt es auf Bürgerinnen und Bürger, wenn das Verfassungsgericht die Abgeordneten der Regierungsfraktionen an parlamentarische Spielregeln erinnern muss?

Vogel: Aber das ist ja die Frage, ob das hier passiert. Beim Heizungsgesetz war es in der Tat so, und deswegen war das auch richtig, die Kritik des Gerichts, dass im parlamentarischen Verfahren das Gesetz ganz grundlegend verändert wurde. Hunderte von Seiten von Änderungsanträgen. Hier findet das nicht statt, sondern das Gesetz ist nahezu unverändert und es gibt im parlamentarischen Verfahren marginale Anpassungen im Umfang von 3,5 Seiten. Das ist ein normales parlamentarisches Verfahren. Und deshalb bin ich sehr guter Dinge, dass das Gericht hier diese zwei Dinge, die völlig unterschiedlich sind, Äpfel und Birnen, auch unterschiedlich betrachten wird. Das Gesetz ist grundlegend, aber es liegt seit letztem Herbst vor und jeder Abgeordnete hatte Zeit, sich damit zu beschäftigen. Die Veränderungen im parlamentarischen Verfahren sind anders als damals marginal.

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