Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesminister der Finanzen Christian Lindner MdB schrieb für das „Handelsblatt“ (Freitag-Ausgabe) und „handelsblatt.com“ den folgenden Gastbeitrag:
Es ist erst wenige Wochen her, da ist die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts in Kraft getreten. Diese Neuordnung war notwendig geworden, weil der alte Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht gehalten hatte, was er versprach. Er war zu oft umgangen worden. Die Verschuldung in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union blieb zu hoch.
Das Ziel der Bundesregierung bei den Verhandlungen war es, klare Regeln aufzustellen, die fiskalische Stabilität gewährleisten und konsequent durchgesetzt werden. Wir sind froh, dass wir dies gemeinsam mit unseren europäischen Partnern erreichen konnten.
In Deutschland hingegen trug die öffentliche Finanzdebatte der vergangenen Wochen zu oft die Züge einer Nabelschau. Vermeintliche Lösungen für die Herausforderung zu liefern, einen zukunftsweisenden Haushalt aufzustellen, waren prominent vertreten. Der Tenor: Mit neuen Schulden würde das Ziel schon erreicht, überhaupt sei das mit den Ausgaben nur eine Frage der richtigen Weltsicht.
Der eigenen Anschauung den Vorrang vor Ordnung, Institutionen und letztlich Vernunft einzuräumen mag den ein oder anderen Etappensieg bringen. Als Leitprinzip der Regierungsführung taugt es jedoch wenig.
Während der Blick in Deutschland oft nach innen gerichtet wurde, drehte die Welt sich weiter. Vergangene Woche hat die Europäische Kommission entsprechend der neuen EU-Fiskalregeln ihre Empfehlung für das maximal zulässige Wachstum der Nettoprimärausgaben für die Mitgliedstaaten der Euro-Zone vorgelegt.
Der sogenannte Referenzpfad wird individuell für jedes Land ermittelt. Er umfasst neben dem Bundeshaushalt und seiner Sondervermögen auch die Haushalte der Länder, Kommunen sowie der Sozialversicherung. Diese Vorgabe soll den Abbau von Defiziten und Schuldenstandsquoten gewährleisten. Das aktuell für Deutschland projizierte Ausgabenwachstum über die kommenden vier Jahre liegt bereits leicht über der Empfehlung der Kommission. Brüssel rät Deutschland daher, den Anstieg zu verringern.
Aus den EU-Fiskalregeln leitet sich ein Ausgabenwachstum ab, das sich entsprechend bei Einhaltung der Schuldenbremse ergibt. Das macht deutlich: Die Schuldenregel ist durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt als Anker für solide und tragfähige Staatsfinanzen gestärkt worden.
Die diskutierten massiven Ausgabensteigerungen durch Sondervermögen oder durch Änderungen der Schuldenbremse des Grundgesetzes würden dem vorgegebenen Referenzpfad widersprechen. Die teils dramatisch hohen Summen von Dutzenden oder Hunderten Milliarden Euro schuldenfinanzierter Ausgaben sind schlicht rechtlich nicht möglich – selbst wenn es eine Zweidrittelmehrheit zur Veränderung der Schuldenbremse des Grundgesetzes gäbe.
Die EU-Kommission bestätigt mit ihrer Empfehlung die Finanzpolitik der Bundesregierung. Die mit dem Haushalt 2024 begonnene und in den kommenden Jahren fortzusetzende Haushaltskonsolidierung ist richtig. Sie bestätigt damit ebenso die Grundannahme hinter den laufenden Haushaltsverhandlungen im Bund, dass keine zusätzlichen finanzpolitischen Spielräume bestehen.
Die Bundesregierung ist mit ihrer Haushaltspolitik auf dem richtigen Kurs. Das legt auch der Blick über Deutschland hinaus nahe. Die USA haben gegenwärtig enorme öffentliche Defizite, beachtliche Zinslasten und eine Inflation deutlich oberhalb von drei Prozent. Und anders als die Europäische Zentralbank es jüngst vermochte, war man in den USA nicht in der Lage, eine Zinswende einzuleiten.
Diese Fiskalpolitik ist selbst für die Dollar-Volkswirtschaft auf Dauer nicht durchhaltbar. Nach den aktuellen Election-Budgets wird eine Konsolidierung folgen müssen. In Europa hat die Europäische Kommission nun gegen sieben Mitgliedstaaten Defizitverfahren angekündigt – darunter mit Frankreich und Italien zwei G7-Volkswirtschaften und zwei unserer engsten Partner.
Das zeigt: Wir dürfen nicht den Fehler machen, unsere öffentlichen Finanzen nur national zu betrachten. Wir müssen den globalen Kontext berücksichtigen. Unsere öffentlichen Finanzen gestalten wir nicht nur für Deutschland allein, sondern in einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und im geoökonomischen Wettbewerb.
Wann, wenn nicht heute, kommt es darauf an, dass Deutschland seiner traditionellen Rolle als fiskalischer Stabilitätsanker der Wirtschafts- und Währungsunion und der Demokratien überhaupt gerecht wird? Welche Wirkung hätte es, wenn wir wenige Wochen nach Inkrafttreten der Reform die Regeln trotz guter Ausgangsposition nicht respektierten?
Es sind Regeln, die dafür entwickelt wurden, neben der Stabilität der Finanzen der Mitgliedstaaten auch die der gemeinsamen europäischen Währung abzusichern. Brechen wir sie, werden andere nicht zu disziplinieren sein.
Befolgen wir sie hingegen, so schaffen wir die notwendigen Spielräume, auf unvorhergesehene Herausforderungen reagieren zu können. Damit würden wir ein Signal der Stärke senden, das weit über die Grenzen Europas hinaus registriert werden dürfte. Dafür müssen wir bei den Haushaltsverhandlungen in Deutschland unseren Kurs beibehalten.
Ich teile viele der gegenwärtig vorgebrachten Anliegen. Unsere Infrastruktur muss verlässlicher werden, die Wirtschaft und das Bildungssystem wettbewerbsfähiger. Wir müssen die Folgen des demografischen Wandels tragen, die Ukraine unterstützen und in unsere Sicherheit investieren. Dies sind strukturelle Aufgaben. Sie lassen sich nicht dauerhaft mit Sonderprogrammen und der Aussetzung der Schuldenbremse lösen – so populär und bequem es auch sein mag.
Wer in Kenntnis der europäischen Regeln einen Bundestagswahlkampf um expansive schuldenfinanzierte Fiskalpolitik ankündigt, ruft zugleich zum Bruch europäischen Rechts auf.
Daher ist es unsere Aufgabe und insbesondere meine als Bundesfinanzminister, dass wir die Zukunft unseres Landes und Europas innerhalb unserer nationalen und europäischen Regeln gestalten. Wir sind auf einem guten Weg. Alle wichtigen Aufgaben und Vorhaben können wir in den kommenden Jahren finanzieren – wenn wir bei bald einer Billion Euro Staatseinnahmen die Kraft finden, immer höhere Ausgaben für Umverteilung und Konsum zurückzustellen.
Wir müssen Prioritäten setzen und unser Geld effizienter ausgeben. Das ist nicht leicht, aber auch ein Ausdruck unserer eigenen Führungsverantwortung. Denn Führen gelingt am besten durch Vorbild.