FDP-Präsidiumsmitglied und Bundesminister für Digitales und Verkehr Dr. Volker Wissing schrieb für das „Handelsblatt“ (Freitag-Ausgabe) und für „Handelsblatt Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen. Wir sind mit neuen Fragen konfrontiert, auf die wir neue Antworten finden müssen. Wie gehen wir mit dem Klimawandel, wie mit der Digitalisierung oder dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine um? Diese Fragen zwingen uns, unsere Strukturen zu überprüfen, anzupassen und wo notwendig, auch neu zu schaffen.
Der Krieg gegen die Ukraine hat uns nicht nur unsere Abhängigkeit von russischem Erdgas vor Augen geführt, er hat uns auch gezeigt, dass Fragen der Infrastruktur unsere innere und äußere Sicherheit betreffen. Wir benötigen eine leistungsfähige Bahn, um humanitäre Güter in die Ukraine zu transportieren und gleichzeitig Flüchtende in Sicherheit zu bringen. Eine klimafreundlichere Mobilität über eine Verlagerung von Personen- und Güterverkehr von der Straße auf die Schiene erfordert leistungsfähige Schienentrassen. Die Chancen der Digitalisierung können wir nur nutzen, wenn wir über schnellste Glasfaser- und Mobilfunkverbindungen verfügen.
Die Frage der Zukunft ist im Wesentlichen eine Frage der Infrastruktur. Es ist daher entscheidend, wie schnell wir infrastrukturelle Anpassungen umsetzen können.
Die Voraussetzung könnten besser sein. Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, dass unser Land nicht so digital ist, wie es sein könnte und müsste. Die Überprüfung unserer Autobahnbrücken hat allen vor Augen geführt, dass unsere Straßeninfrastruktur in einem denkbar schlechten Zustand ist und die Verspätungsprobleme der Deutschen Bahn sind ein Warnsignal unseres Schienennetzes.
Wenn unser Land die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich bewältigen soll, braucht es eine moderne Infrastruktur und zwar schnell. Diese Notwendigkeit steht in fundamentalem Widerspruch zu den Realitäten des deutschen Planungsrechtes.
Der Neubau einer Schienenstrecke einschließlich der Planungs- und Genehmigungsverfahren kann mehr als 20 Jahre in Anspruch nehmen. So ein Zeitrahmen lässt Debatten über eine zeitnahe deutliche Verlagerung von Verkehr von der Straße auf die Schiene geradezu als surreal erscheinen. Der Kern unseres Schienennetzes ist ebenso überaltert wie überlastet. Damit die Bahn zusätzliche Personen- und Güterverkehre aufnehmen kann, reicht es nicht, die Abläufe zu optimieren. Wir benötigen neue Trassen und zwar bald, nicht erst in 20 Jahren.
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr arbeitet deshalb an einem umfangreichen Maßnahmenpaket zur Planungsbeschleunigung. Wir planen die konsequente Digitalisierung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Wir arbeiten an dem verstärkten Einsatz digitaler Technologien für einfachere und schnellere Planungen. Wir überprüfen und optimieren an Modellprojekten Planungsabläufe, um so die Verfahren deutlich zu beschleunigen.
Über die verstärkte Nutzung von Building Information Modeling (BIM) schaffen wir die Voraussetzungen, alle Daten eines Bauwerkes zentral zu erfassen und vorzuhalten, so dass diese bei der Planung und Genehmigung von Projekten effizienter und schneller verarbeitet werden können. Auch im Falle späterer Reparatur- und Erhaltungsmaßnahmen sind diese Informationen dann schnell verfügbar.
Wichtig ist bei allen Maßnahmen zur Planungsbeschleunigung, dass diese nicht zulasten des Umwelt- und Naturschutzes sowie der Bürgerbeteiligung gehen. Allerdings lohnt es sich auch hier, auf Doppelarbeiten im Rahmen des Planungsprozesses zu schauen. So findet zum Beispiel bei neuen Verkehrsprojekten vor dem Zulassungsverfahren noch ein Raumordnungsverfahren statt, in dem viele Punkte eine Rolle spielen, die später auch Gegenstand der Zulassung sind. Dazu zählen auch die Auswirkungen der Trassenalternativen auf die Umwelt.
Das Raumordnungsverfahren wird aber nicht mit einem verbindlichen Ergebnis abgeschlossen, sondern endet mit einem Gutachten, das nicht bindend ist. In der Vergangenheit konnte allein das Raumordnungsverfahren mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Mit der aktuellen Änderung des Raumordnungsgesetzes konnte die Bundesregierung diesen Zeitraum nun auf maximal sieben Monate begrenzen. Die Modernisierung unserer Infrastruktur, haben wir schon viel zu lange auf die lange Bank geschoben. Es wird Zeit, dass wir das Problem konsequent angehen.
Die notwendig gewordene Sperrung der Autobahnbrücke bei Rahmede zeigt deutlich, was passiert, wenn ein zentrales Element unserer Verkehrsinfrastruktur ausfällt. Früher befuhren täglich über 60.000 Fahrzeuge diese Teilstrecke. Diese enorme Belastung hat zu einem erhöhten Verschleiß geführt und dazu beigetragen, dass die Brücke marode wurde und nun ersetzt werden muss.
Aufgrund der Sperrung quälen sich nun täglich über 20.000 Fahrzeuge alleine durch Lüdenscheid. Das ist eine Zumutung für alle Beteiligten, ganz besonders natürlich für die Anwohnerinnen und Anwohner, aber auch für die Fahrerinnen und Fahrer sowie die Wirtschaft in der Region. Alle müssen Lärm und deutlich längere Verkehrswege in Kauf nehmen.
Es kann deshalb auch keine Option sein, den Verkehrsträger Straße hintenanzustellen, wie es immer wieder gerne in der politischen Debatte gefordert wird. Der Gedanke, dass eine Verschlechterung des Zustandes der Straßen irgendwann dazu führen würde, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern, ist destruktiv. Eine Verlagerung von Verkehr wird nicht über die systematische Verschlechterung eines Verkehrsträgers gelingen, sie kann nur erfolgreich sein, wenn der andere Verkehrsträger auch das wettbewerbsfähigere, attraktivere Angebot darstellt.
Ziel einer modernen Verkehrspolitik muss es daher sein, die Leistungsfähigkeit des Verkehrsträgers Straße sicherzustellen und gleichzeitig daran zu arbeiten, die Bahn so aufzustellen, dass sie im Wettbewerb der Verkehrsträger erfolgreich besteht. Unser Land braucht beides, ein modernes leistungsfähiges Schienennetz und ein gut ausgebautes Straßennetz. Als Staat im Herzen Europas ist das auch eine Frage der Verantwortung gegenüber unseren europäischen Partnern, die auf die deutsche Infrastruktur angewiesen sind. Es ist ein Beitrag zu einem starken Europa, unsere Infrastruktur in einem leistungsfähigen Zustand zu halten.
Eine moderne Infrastruktur versetzt uns in die Lage, Mobilität nachhaltiger zu organisieren, Waren- und Güter klimafreundlich zu transportieren und die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Darauf zu verzichten, ist keine Option.
Bei Güterabwägungen haben Infrastrukturausbauinteressen aber zu oft das Nachsehen. Um das zu ändern, schlage ich vor, ein Staatsziel Infrastruktur in unsere Verfassung aufzunehmen. Infrastruktur ist von so entscheidender Bedeutung, dass sie eine hervorgehobene Stellung in unserem Rechtssystem braucht. Wir müssen schneller planen, schneller prüfen und schneller bauen, um besser auf eine sich immer dynamischer ändernde Umwelt reagieren zu können. Stillstand ist keine Option.
Die Digitalisierung, aber auch der Klimawandel machen keine Pause, um auf uns zu warten. Die Probleme, die wir mit der Anpassung haben, werden größer, wenn wir nicht deutlich schneller werden. Unser Land ist den enormen Herausforderungen unserer Zeit nicht machtlos ausgeliefert, wir können ihnen etwas entgegensetzen: unseren Mut, unsere Kreativität, die Leistungsfähigkeit und den Fleiß der Menschen, und die Risikobereitschaft unserer Wirtschaft.
Deutschland hat die Kraft, die es braucht, sich den Herausforderungen der Zeit erfolgreich zu stellen. Entfesseln wir sie.