KUHLE-Interview: Deutschland schiebt häufig die Falschen ab

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle gab der Mittelbayerischen Zeitung (online) das folgende Interview. Die Fragen stellte Gernot Heller.

Konstantin Kuhle

Frage: Die Ministerpräsidentenkonferenz beschäftigt sich ab heute mit dem Thema Flüchtlingszustrom. Die Kommunen beklagen Überlastungen. Muss die Regierung hier einen Riegel vorschieben?

Konstantin Kuhle: Die Kommunen sind sehr stark überlastet. Wir haben hohe Zahlen von Flüchtlingen aus dem Irak, aus Syrien und aus Afghanistan. Gleichzeitig drängen immer mehr Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland aus der privaten in die staatliche Unterbringung. Deshalb muss die Bundesregierung nun alles daransetzen, dass der Zuzug von Menschen ohne Anspruch auf Schutz begrenzt wird.

Frage: Ein Mega-Problem des Landes lautet Arbeitskräftemangel. Kann der Zustrom von Menschen aus anderen Ländern den mindern?

Kuhle: Man sollte die Trennung zwischen Flucht und Zuwanderung in den Arbeitsmarkt grundsätzlich aufrechterhalten. Menschen, die nach Deutschland fliehen, haben ein Recht auf ein geordnetes Asylverfahren. Wenn sie einen Schutzgrund geltend machen können, muss ihnen geholfen werden. Bei der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt aber geht es nicht um unsere humanitäre Hilfe, sondern um unser nationales Interesse an Arbeitskräften. Das sind unterschiedliche Stoßrichtungen, die man möglichst nicht miteinander vermengen sollte. Will man dennoch einen Wechsel aus dem Asylrecht in die Zuwanderung am Arbeitsmarkt ermöglichen, muss man das sehr behutsam tun. Die Ampel-Koalition bringt dieser Tage einen sogenannten Chancen-Aufenthalt in den Bundestag ein, um Menschen, die nicht abgeschoben werden können, unter bestimmten Bedingungen einen Aufenthaltstitel zu gewähren. Insbesondere dürfen die Antragsteller keine Straftaten begangen haben. Ein solcher moderater Übergang ist vertretbar. Die Flucht vieler Menschen innerhalb Europas und nach Deutschland darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass wir einen massiven Mangel an Arbeitskräften haben. Deshalb ist das wichtigste migrationspolitische Projekt der Ampel ein Zuwanderungsgesetz, das seinen Namen wirklich verdient. Da muss dieses Jahr noch etwas passieren.

Frage: Ist ein Aufenthaltsrecht überhaupt ein geeignetes Instrument, um es mit dem Thema Fachkräftemangel zu verbinden?

Kuhle: Deutschland schiebt häufig die Falschen ab. Menschen, von denen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen können, dass sie in Deutschland bleiben werden, sollten die Chance erhalten, hier ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Für eine nachhaltige Lösung des Arbeitskräftemangels braucht es aber mehr.

Frage: Muss Deutschland seine Tore für Zuwanderer angesichts des Mangels an Arbeitskräften noch weiter öffnen?

Kuhle: Ja, aber für die richtige Gruppe an Zuwanderern. Wir brauchen vor allem einen Kulturwandel in den Auslandsvertretungen unseres Landes. Jemand, der in Indien oder in bestimmten afrikanischen Staaten einen Antrag auf eine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis in Deutschland stellt, ist häufig mit einem bürokratischen Wust an benötigten Belegen und Dokumenten und mit Problemen bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen konfrontiert. Hier verlieren wir viele Talente, die sich dann eher für klassische Einwanderungsländer wie Kanada oder Australien entscheiden. Das müssen wir ändern. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass Menschen nicht das Asylrecht benutzen, um in den hiesigen Arbeitsmarkt einzuwandern. Da muss Deutschland viel strikter agieren und beide Bereiche strikt trennen. Wichtig ist zudem, die Asylverfahren zu beschleunigen, damit schneller Klarheit herrscht, ob jemand hierbleiben kann oder nicht.

Frage: Sollte Deutschland seine Abschiebepraxis ändern? Wie sieht es mit Abschiebungen in den Iran aus?

Kuhle: Deutschland sollte eine Rückführungsoffensive starten. Es gibt eine hohe Zahl von Menschen, die sich unrechtmäßig in Deutschland aufhalten und nicht ausreisen. Es braucht daher auf diesem Feld zusätzliche Maßnahmen, wie eine Beschleunigung der Asylverfahren und eine stärkere Unterstützung der Länder durch die Bundespolizei bei Rückführungen. Mit dem Gesetzentwurf zur Einführung des Chancen-Aufenthalts erleichtert die Ampel die Abschiebung von Straftätern. In Sachen Iran ist klar: Wenn im Einzelfall eine Verfolgung in der Heimat droht, darf keine Abschiebung erfolgen.

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