Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem Bonner „General-Anzeiger“ (Freitagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Nils Rüdel:
Frage: Angela Merkel ist zu Gesprächen bei Präsident Putin – am Jahrestag des Anschlags auf Nawalny. Was erwarten Sie von der Kanzlerin?
Lambsdorff: Die Kanzlerin sollte deutlich machen, dass die Politik von Präsident Putin aus deutscher Sicht inakzeptabel ist. Russland hat sich Territorien anderer Länder widerrechtlich einverleibt und Angriffe gegen Nachbarn gestartet. In der Ostukraine sind etwa 13 000 Menschen ums Leben gekommen. Sie sollte aber auch deutlich machen, dass die Tür für Russland zum europäischen Haus weiter offensteht – vorausgesetzt, Russland hält sich wieder an die europäische Hausordnung.
Frage: Wie kann, wie müsste die Bundesregierung Nawalny helfen?
Lambsdorff: Indem man an sein Schicksal erinnert und anbietet, ihn wieder nach Deutschland zu holen, wenn Präsident Putin das erlaubt. Wir dürfen uns aber nichts vormachen, große Fortschritte sind nicht zu erwarten. Vier Wochen vor den russischen Duma-Wahlen nimmt die Unterdrückung gegen die Opposition ja noch weiter zu. So ist auch die Schwesterpartei der FDP in Russland gerade verboten worden.
Frage: Was kann man von außen tun, um die Opposition und den demokratischen Prozess in Russland zu stärken?
Lambsdorff: Auf der einen Seite müssen wir geduldig mit unseren demokratischen Partnern in Russland kooperieren, was der Kreml zuletzt allerdings massiv behindert hat. Wir müssen der Regierung deutlich machen, dass sie nicht nur internationales Recht verletzt, sondern auch die russische Verfassung. Auf der anderen Seite müssen wir uns selbst vor der Einmischung russischer Regierungsstellen, insbesondere der Geheimdienste, in den deutschen Wahlkampf schützen. Ich bedauere sehr, dass die Bundesregierung der mehrfachen Aufforderung der FDP nicht nachgekommen ist, eine Taskforce gegen Desinformationskampagnen aus Moskau einzurichten. Das ist ein Fehler.
Frage: Warum passiert da nicht mehr?
Lambsdorff: Es ist die typische Mischung aus Bräsigkeit und Kompetenzstreiterei, wie wir sie von dieser großen Koalition auch in anderen Zusammenhängen schon erlebt haben. Das ist ja dramatisch auch am Beispiel Afghanistan zu sehen.
Frage: Es ist Merkels wohl letzter Moskau-Besuch ihrer Amtszeit. Wie bewerten Sie die Russland-Politik der großen Koalition insgesamt?
Lambsdorff: Die Instinkte der Bundeskanzlerin in Bezug auf Russland waren richtig. Sie spricht russisch, sie kennt das Land und weiß, dass Putin es in die falsche Richtung führt. Aber sie war gleichzeitig inkonsequent, wenn sie das unglückselige Projekt ihres Vorgängers Gerhard Schröder, Nord Stream 2, bis zu Ende durchgezogen hat. Damit hat Merkel dem Kreml das Signal gesendet, dass ihr Bürgerrechte, Demokratie und friedfertiges Verhalten nicht so wichtig sind.
Frage: Und die SPD?
Lambsdorff: Da ist das Bild viel kritischer. Hier haben wir eine naive und wertevergessene Ostpolitik-Nostalgie, die völlig aus der Zeit gefallen ist. Richtig wäre, es zu machen wie Hans-Dietrich Genscher: klares Bekenntnis zu unseren Werten und gleichzeitig die ausgestreckte Hand nach Moskau.
Frage: Wer von den drei Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten verfolgt in Ihren Augen die richtige Russland-Politik?
Lambsdorff: Also die richtige Politik verfolgt die FDP (lacht) …
Frage: … das ist ja klar …
Lambsdorff: … Olaf Scholz und die SPD liegen bei Russland einfach falsch. Annalena Baerbock und die Grünen dagegen gehen in ihrer harten Haltung manchmal zu weit, weil sie die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland insgesamt aufs Spiel setzen. Dabei gibt es viele deutsche Unternehmen, die erfolgreich auf dem russischen Markt sind und das sollen sie auch weiter sein. Aber wenn Wirtschaftspolitik dazu genutzt wird, sich geopolitisch einen Vorteil zulasten des Westens zu verschaffen, dann legen wir da den Finger in die Wunde.
Frage: Und Armin Laschet?
Lambsdorff: Armin Laschets Russland-Positionen sind mir unklar, und sie scheinen sich auch abzuheben vom CDU-Wahlprogramm. Das Programm der CDU ist sehr nah an dem der FDP, aber die Äußerungen des Kanzlerkandidaten liegen eher auf Linie der SPD. Das stiftet Verwirrung. Im Moment gibt es bei der CDU keine klar erkennbare Russland-Politik.