DJIR-SARAI-Interview: Jetzt die richtigen Schritte gehen, um das Land wieder aus der Krise herauszuführen
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gab „WELT.de“ (heute) das folgende Interview. Die Fragen stellte Thorsten Jungholt:
Frage: Ist es Ihnen manchmal peinlich, dass Ihre Partei Teil der Ampel-Regierung ist, Herr Djir-Sarai?
Djir-Sarai: Nein, warum auch? Wir als FDP haben in einer schwierigen Situation, als andere mit sich selbst beschäftigt waren, Verantwortung übernommen. Aus meiner Sicht funktioniert die Koalition, denn die Ergebnisse unserer Politik stimmen. Deutschland ist bis jetzt vergleichsweise gut durch das krisengeschüttelte letzte Jahr gekommen. Im Übrigen gibt es keine Alternative zum Erfolg. Eine stabile Regierung ist wichtig für unser Land.
Frage: Ein zentrales Projekt dieser Regierung ist die Zeitenwende in der Sicherheitspolitik. Kann es Sie kalt lassen, wenn die für die Bundeswehr zuständige Ministerin eine Panne nach der anderen produziert?
Djir-Sarai: Wichtig ist, dass am Ende des Tages Probleme gelöst und notwendige Reformen umgesetzt werden. Daran muss sich die Ministerin messen lassen. Die Zeitenwende in der Sicherheitspolitik ist eine historische Aufgabe. Es gibt international eine Erwartungshaltung gegenüber Deutschland, den Worten nun auch Taten folgen zu lassen. Ich hoffe, alle zuständigen Akteure sind sich darüber im Klaren.
Frage: Kanzleramt und Finanzministerium haben den Entwurf einer Nationalen Sicherheitsstrategie gerade gestoppt, weil das federführende Außenamt bislang nur eine unzureichende Ideensammlung vorgelegt habe. War es ein Fehler, Annalena Baerbock (Grüne) mit dieser Aufgabe zu betrauen? Gehört das ins Kanzleramt?
Djir-Sarai: Es ist eine der klassischen Aufgaben des Außenministeriums, Strategien dieser Art zu verfassen. Das ist in diesem Fall nicht banal, es geht um einen umfassenden Sicherheitsbegriff. Die deutsche Strategie muss mit der der Amerikaner und anderer Verbündeter programmatisch mithalten können und im Einklang mit der Realität stehen. Sich aus ideologischen Gründen nur auf bestimmte Bereiche zu konzentrieren und Unliebsames auszublenden geht da nicht. Die finale Ausarbeitung der Strategie muss wegweisend sein. Ist sie es noch nicht, muss eben weiter daran gearbeitet werden.
Frage: Erwarten Sie von Bundeskanzler Scholz in den nächsten Monaten eine Kabinettsumbildung?
Djir-Sarai: Nein.
Frage: Also kann Nancy Faeser Bundesinnenministerin bleiben, falls sie in Hessen Spitzenkandidatin der SPD für die Landtagswahl wird?
Djir-Sarai: Ich bin Generalsekretär der FDP. Diese Frage muss die SPD beantworten.
Frage: 2022 hat die FDP vier Landtagswahlen vergeigt – auch weil Ihre Anhänger mit der Ampel unzufrieden sind, sich kulturell dort fremd fühlen. Nun stehen 2023 wieder vier Landtagswahlen an. Wie wollen Sie die Wähler diesmal erfolgreicher mobilisieren?
Djir-Sarai: Richtig ist: Unsere Wählerinnen und Wähler, unsere Anhängerschaft, unsere Mitglieder tun sich schwer mit dieser Koalition. Aber wir sind aus Verantwortungsbewusstsein und Gestaltungswillen heraus in diese Koalition eingetreten und werden sie im Sinne des Landes erfolgreich fortführen. Die FDP sorgt dafür, dass Deutschland von der Mitte aus regiert wird. Das müssen wir noch stärker herausstellen – vor allem durch die weitere Umsetzung unserer Forderungen und Überzeugungen in der Koalition. Daraus wird sich der Erfolg der FDP ergeben.
Frage: Wo gelingt das denn? Sie können zwar rot-grüne Projekte gelegentlich verhindern, aber kaum selbst gestalten. Und das ist es doch, was die Leute erwarten.
Djir-Sarai: Das stimmt so nicht. Dass 48 Millionen Bürgerinnen und Bürger von Steuerentlastungen profitieren, ist ein Verdienst der FDP. Dass der Weg dafür frei gemacht wurde, mehr Menschen langfristig zurück in den Arbeitsmarkt zu bringen anstatt ihren Verbleib in der Grundsicherung zu zementieren, ist ein Verdienst der FDP. Weiter: Die FDP hat maßgeblich dazu beigetragen, dass mit dem Weiterbetrieb der drei am Netz befindlichen Kernkraftwerke die Energieversorgung gesichert ist. Sie laufen nun zunächst bis zum 15. April weiter. Und die Debatte, ob es energiepolitisch nicht sinnvoll ist, die Kernkraftwerke weiter zu betreiben, hat ja bereits begonnen. Ohne die FDP wäre auch das nicht möglich gewesen. Ich könnte die Aufzählung von Erfolgen der FDP in der Ampel noch weiterführen.
Frage: Bleiben wir bei der Atomkraft. Die Bundesregierung hat entschieden, trotz der aktuellen Verknappung und Verteuerung von Energie grundsätzlich am Aus für die Atomkraft festzuhalten. Wie erklären Sie das Ihren Wählern?
Djir-Sarai: Unsere Wählerinnen und Wähler wissen: Würde Rot-Grün alleine regieren, oder würde die Union ohne die FDP regieren, wären alle Kernkraftwerke jetzt abgeschaltet. Ohne uns gäbe es die Debatte um die Laufzeitverlängerung gar nicht – nicht, weil wir die Kernkraft etwa so toll fänden, sondern weil sich die Welt durch einen Krieg mitten in Europa drastisch verändert hat. Diesen Veränderungen müssen wir Rechnung tragen, indem vermeintliche Gewissheiten infrage gestellt werden. Die Zukunft gehört den Erneuerbaren Energien, das ist klar. Aber im Moment brauchen wir einfach noch andere Energiequellen als Brücke. Wenn energieintensive Branchen im Land gehalten werden sollen und dadurch Arbeitsplätze und letztlich unseren Wohlstand sichern, müssen wir die Energiepreise als Wettbewerbsfaktor im Blick behalten.
Frage: Deutschlands Industrie braucht billige Energie. Wo soll die herkommen?
Djir-Sarai: Billig wird es auf absehbare Zeit nicht mehr. Die Preise müssen aber so ausgestaltet sein, dass die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt. Ich sehe keine andere Möglichkeit als die, neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energie auf eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke zu setzen – auch vor dem Hintergrund des Klimaschutzes. Die Länder der EU sind sich darin einig, sich von russischem Öl und Gas unabhängig zu machen und sich gegenseitig zu unterstützen in dieser Energiekrise. Energie aus modernen und sicheren Kernkraftwerken ist dabei eine wirtschaftliche und außenpolitische Option, die wir uns nicht verbauen dürfen. Niemand kann heute sagen, wann die Energiekrise endet.
Frage: Fakt bleibt: Kanzler Scholz hat angewiesen, die drei Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland bis „längstens zum 15.4.2023“ laufen zu lassen. Stellen Sie diese Richtlinien-Entscheidung also infrage?
Djir-Sarai: Ich denke, wir müssen über den April hinausdenken. Es geht nicht darum, den Kanzler oder die Koalitionspartner vorzuführen. Die Frage, wie wir unseren Wirtschaftsstandort schützen und gleichzeitig die Klimaschutzziele einhalten, kann nicht unter Ausschluss einzelner Technologien und entscheidender Parameter beantwortet werden.
Frage: Doch, findet die Sozialdemokratin Bärbel Bas. Was sagt es über das Amtsverständnis einer Parlamentspräsidentin, wenn sie das Kernelement der Entscheidungsfindung im Plenum, die Debatte, beenden will?
Djir-Sarai: Ich finde solche Aussagen befremdlich. Wir stecken mitten in einer Krise und müssen unangenehme Diskussionen sachlich, nüchtern und im Interesse des Landes führen. Es hilft ja nunmal nichts.
Frage: Ihr Parteifreund Volker Wissing will die Debatte outsourcen und ein Expertengremium einschalten. Was halten Sie davon?
Djir-Sarai: Die Idee hat Potenzial. Fachleute, die sich mit Physik, Wirtschaft und Energie beschäftigen, müssen Teil der Debatte sein. Am Ende aber werden Bundesregierung und Bundestag nicht darum herumkommen, eine Entscheidung zu treffen.
Frage: Der Bundestag zeigt auch kein Interesse, erneut über das 2016 nur vorläufig erlassene Fracking-Verbot zu beraten – obwohl das bereits 2021 hätte geschehen müssen. Wird die FDP im Parlament eine entsprechende Initiative starten?
Djir-Sarai: So funktioniert Politik in einer Koalition nicht. Eine Regierungsfraktion stellt nicht im Alleingang einen Antrag. In der Sache aber muss Schiefergasförderung ein Baustein einer Energiestrategie für unser Land sein. Diese Strategie muss technologieoffen sein und ohne Denkverbote auskommen. Bei der Schiefergasförderung hat sich die Technologie verbessert – andere Länder zeigen uns, wie man diese Fördermethode inzwischen auch im Einklang mit Ökologie organisieren kann. Im Übrigen ist es heuchlerisch, Schiefergas zu importieren, aber nicht selbst fördern zu wollen.
Frage: Die öffentliche Debatte in Deutschland sei kein rationaler Diskurs, hat der Ökonom Hans-Werner Sinn gerade gesagt, „sondern eine emotionalisierte, zum Teil irrationale Debatte, die von Träumern beherrscht wird“. Teilen Sie die Auffassung?
Djir-Sarai: Ich stelle bereits seit längerem fest: Die Debatten, die wir in diesem Land führen, sind nicht immer im Einklang mit der Realität – zum Teil sind sie sogar komplett realitätsfern. Das ist gefährlich nicht nur für unsere Gesellschaft sondern auch für Deutschland insgesamt als eine der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt. Ob es die Energiepolitik, die Wirtschaftspolitik, die Klimapolitik, oder die Außenpolitik ist: Die Welt, in der wir leben, verändert sich gerade dramatisch. Aber wir tun oft so, als lebten wir auf einer Insel. Nur ein Beispiel: Der Zustand der Bundeswehr ist das Spiegelbild dieser Illusion. Viele dachten, und manche denken es trotz Krieg in Europa leider immer noch, dass wir kein Militär brauchen und dass Sicherheits- und Verteidigungspolitik keine Rolle spielt. Wir müssen endlich Schluss machen damit, unsere Augen vor der Realität zu verschließen.
Frage: Der Finanzminister, ihr Parteivorsitzender, hat gerade eine Zeitenwende auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik gefordert. Ihm schweben Senkungen der Einkommen- und Körperschaftsteuer vor. Die wird es mit SPD und Grünen nicht geben. Ist das also reine Profilbildung für die anstehenden Wahlkämpfe?
Djir-Sarai: Nein, es ist unsere Überzeugung. Wir sind überzeugt davon, dass in Krisenzeiten die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft entlastet werden müssen. Daher haben wir milliardenschwere Entlastungspakete geschnürt. Das darf aber nicht zum Dauerzustand werden. Wir müssen jetzt die richtigen Schritte gehen, um das Land wieder aus der Krise herauszuführen. Dazu gehört die Stärkung unserer Wirtschaft durch schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren ebenso wie der Abbau von Bürokratie und Steuerlasten und die Bekämpfung der hohen Inflation durch solide Staatsfinanzen.
Frage: Mit wem lässt es sich eigentlich schwerer regieren: SPD oder Grüne?
Djir-Sarai: Das ist irrelevant. Wichtig ist, dass die koalitionsinternen Diskussionen sachlich geführt werden und dass die Ergebnisse stimmen. Alle müssen sich am Riemen reißen, der Leitsatz muss heißen: Erst das Land, dann die Partei. Auch wenn alle wissen, dass auf dem Wahlzettel der nächsten Bundestagswahl nicht die Ampelkoalition steht, sondern SPD, Grüne und FDP. Ich arbeite jedenfalls dafür, dass die Leute 2025 sagen: Ja, die FDP hat Verantwortung übernommen und das Bestmögliche getan für dieses Land. Das ist das, was für mich zählt.