Das FDP-Präsidiumsmitglied Moritz Körner schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Ursula von der Leyen ist Europa egal. Es geht ihr nur darum, sich selbst in Szene zu setzen und ihren Posten zu sichern. Dafür ist sie bereit, allen alles zu versprechen, ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt ihrer Ankündigungen, ohne Rücksicht auf die Zukunft Europas.
Von der Leyen will Macht, und ihr ist egal, was sie dafür tun muss. In ihrer Bewerbungsrede als Kommissionspräsidentin versprach sie vollmundig, keine Kompromisse eingehen zu wollen, wenn es um die Rechtsstaatlichkeit der EU geht. Nach fünf Jahren Schlingerkurs in Sachen Rechtsstaatlichkeit wird klar: ernst gemeint hat sie das nie. Die Absicherung ihrer Mehrheit war ihr stets wichtiger als der Schutz der Demokratie in Europa. Aktuell sitzt von der Leyen deshalb wieder auf der Anklagebank des Europäischen Gerichtshofs.
Diesmal, weil sie zehn Milliarden Euro an Viktor Orbán auszahlen ließ. Kritik an ihrem Vorgehen lächelt von der Leyen konsequent weg. Der Kuschelkurs mit korrupten Rechtsstaatsfeinden ist für sie eine machtpolitische Selbstverständlichkeit. Sie ist bereit, die EU zu schwächen, um ihre eigene Macht zu stärken, koste es, was es wolle.
Die zehn Milliarden an Orbán waren für von der Leyen sowieso nur Peanuts im Vergleich zu dem 750-Milliarden-Corona-Wiederaufbaufonds, den sie ins Leben gerufen hat. Mit dem Fonds legte sie den Grundstein für das linke Polit-Ziel der EU-Schuldenunion. Natürlich hat sie das nie gesagt. Um die Unterstützung der auf Sparsamkeit bedachten Mitgliedstaaten zu gewinnen, hat sie öffentlich immer wieder versichert, dass die Schuldenaufnahme eine historisch einmalige Angelegenheit und eine Ausnahme bleiben würde.
Doch während bis heute hunderte Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds nicht abgerufen wurden, hat von der Leyen vor wenigen Tagen bereits verkündet, für die Vergemeinschaftung neuer EU-Schulden offen zu sein. Für von der Leyen ist so eine Kehrtwende völlig normal. Sie kann ein Verbrennerverbot vorschlagen und dann Wahlkampf gegen das Verbrennerverbot führen. Zusagen haben für sie keine Bedeutung. Sie ist ein politisches Chamäleon, keine Werte-Politikerin. Sie sieht sich als die Erfüllungsgehilfin der ihr die Macht sichernden politischen Kräfte, egal, ob das linke Moral-Pädagogen oder rechte Total-Demagogen sind. Wenn die Grünen bei Wahlen zulegen, gibt es einen Green Deal, wenn die Ultrarechten zulegen, dann eben bald einen Brown Deal. Warum denn auch nicht, sie steht ja auf keinem Wahlzettel.
Mit dem Green Deal schwor von der Leyen die europäische Bevölkerung auf die klimagerechte Transformation ein und flog dann mit dem Privatjet 47 km von Wien nach Bratislava, um zu verkünden, dass die Slowakei ein Anrecht auf EU-Corona-Gelder für die grüne Transformation hat. Die Entrüstung darüber saß sie unbeirrt aus. Glaubwürdigkeit spielt für von der Leyen politisch eine untergeordnete Rolle. Sie war bisher stets bereits beim nächsten Karriereschritt, wenn es darum ging, Bilanz über ihre geleistete Arbeit zu ziehen. Ihr geht es um die Titelseiten, nicht um Detailarbeit. Um die Implementierung ihrer Mogelpackungen sollen sich die Nachfolger kümmern.
Entsprechend hat von der Leyen in fünf Jahren die EU-Wirtschaft in die Wettbewerbsunfähigkeit reguliert. Egal, ob es um die Herkunft jeder Kaffeebohne, die Technologie jedes Autos oder die Isolierung jedes Hauses ging, von der Leyen hat sich angemaßt, alles regulieren zu können. Als die Kritik über ihre unternehmensfeindliche Regulierungswut zu laut wurde, reagierte sie so wie immer: mit einer pompösen neuen Gesetzesinitiative. Sie verkündete, die Berichtspflichten für Firmen um 25 % reduzieren zu wollen.
Heute, knapp 450 Tage später, ist die EU-Kommission noch immer damit beschäftigt, herauszufinden, wie viele Berichtpflichten es überhaupt gibt. Von der Leyens Versprechen war nie ernst gemeint. Es ging ihr immer nur um die Schlagzeile. Und weil der Mittelstand berechtigterweise weiter murrte, erfand sie einfach noch eine Initiative: die Berufung eines EU-Mittelstandsbeauftragten, der sich den Problemen der europäischen KMUs persönlich annehmen würde. Für die Besetzung des Postens entschied sie sich für den im Auswahlverfahren letztgereihten Bewerber. Seine Qualifikationen waren ihr offensichtlich egal, der Bewerber kam aus der CDU, und sie brauchte die Unterstützung der CDU für ihre erneute Nominierung als Kommissionspräsidentin. Der Mittelstand musste da das Nachsehen haben.
Die Liste falscher Versprechen ihres Selbstvermarktungsdrangs lässt sich ewig fortsetzen: In der Energiekrise versprach von der Leyen den verunsicherten Europäern 140 Milliarden Euro per Übergewinn-Abschöpfung. Doch auch diese Zahl war aus der Fantasie geboren. Die EU-Kommission musste mittlerweile eingestehen, dass nicht einmal ein Bruchteil der versprochenen Milliarden eingenommen werden wird. Von der Leyen nimmt solche Fehler schulterzuckend in Kauf. Hauptsache, der Slogan war gut. The show must go on.
Auch die von von der Leyen anfangs medienwirksam gefeierten Corona-Impfstoffdeals haben letztlich mit einem wirtschaftlichen Fiasko geendet. Hunderte Millionen zu viel bestellter Impfdosen mussten bis heute vernichtet werden. Die Kosten für die europäischen Steuerzahler belaufen sich auf mehrere Milliarden Euro. Dass ihre Impfstoff-Deals wegen Korruptionsverdachts nun von der Europäischen Staatsanwaltschaft untersucht werden, kommentiert von der Leyen allerdings nicht. Scheinwerferlicht soll es nur bei ihrer Selbstvermarktung geben.
Es wäre wichtig gewesen, all diese Kritikpunkte mit von der Leyen öffentlich zu diskutieren, aber sie versteckt sich. Obwohl sie die offizielle Spitzenkandidatin der CDU ist, kann sie in Deutschland weder debattiert noch gewählt werden. Kritischen Fragen der europäischen Journalisten geht sie aus dem Weg. Lieber inszeniert sie sich und ihrer Arbeit selbst. Mit dieser Arroganz schadet sie unserer Demokratie und dem Ansehen der EU.
Unter Von der Leyen ist die EU nicht besser geworden. Der Zukunftsfähigmachung der EU steht sie jetzt im Weg. Die Krisen und Herausforderungen, die Europa in den kommenden Jahren zu bewältigen hat, sind zu ernst, um sie von der Leyens Scheinpolitik zu überlassen. Es braucht jetzt eine EU, die nicht nur viel verspricht, sondern auch viel liefert. Eine EU mit weniger Vorschriften, aber entschlossenerem Handeln, die die Menschen in Ruhe lässt, aber nicht im Stich. Eine couragiertere EU, die sich traut, in der Welt für Frieden und die Verteidigung von Frieden einzustehen. Das schafft Ursula von der Leyen nicht. Europa aber kann mehr, Europa verdient mehr.
Die Bürger haben ein Anrecht auf eine EU-Politik, die die Wirtschaft stärkt und die Bürger entlastet. Sie verdienen eine streitbare EU-Führung, die mehr ermöglicht, als sie verhindert, und die bereit ist, die europäische Zukunft mutig und weltoffen zu gestalten. Darum geht es. Es ist nicht egal. Es ist Europa.