LAMBSDORFF-Interview: Der Spielball liegt in Moskau

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab der „Augsburger Allgemeinen“ (Samstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Simon Kaminski:

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Frage: Herr Lambsdorff, Kanzler Scholz war in Moskau recht klar, was die Positionen Deutschlands, der Nato und der EU betrifft. Waren Sie zufrieden mit ihm?

Lambsdorff: Der Besuch des Bundeskanzlers war eine Demonstration der Geschlossenheit des Westens gegenüber Putin. Allein schon deshalb war dieser Besuch ein Erfolg. Diese Geschlossenheit hat sicher auch dazu beigetragen, dass Russlands Präsident Putin zumindest vorsichtige Signale der Entspannung gesendet hat. Denn eines ist deutlich geworden: Die Erwartung der russischen Führung, dass sich EU und Nato nicht auf gemeinsame Reaktionen im Falle weiterer russischer Eskalationen einigen könnten, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Die westliche Gemeinschaft ist heute geschlossener als zuvor.

Frage: Am Dienstag und Mittwoch wurde viel über Entspannungssignale in der Krise spekuliert. Jetzt ist diese Hoffnung verflogen. Ist das Auf und Ab ein Kalkül der Außenpolitik Moskaus, die auf eine bewusste Zermürbung ausgerichtet sein könnte?

Lambsdorff: Wir befinden uns unverändert in einer dramatischen Lage. Das Hin und Her zwischen Entspannung und weiteren Truppenverlegungen an die Grenze zur Ukraine gehören zur Taktik Moskaus. Die Ankündigungen angeblicher Rückverlagerungen vom Beginn der Woche haben sich als nicht belastbar erwiesen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir als westliche Staatengemeinschaft weiter klare Signale setzen: Jede weitere Eskalation Moskaus wird schwerwiegende Sanktionen nach sich ziehen. Gleichzeitig bleibt unsere Hand zu Gesprächen ausgestreckt.

Frage: Von verschiedener Seite wird gefordert, Putin etwas anzubieten, um die Krise zu beenden. Doch wo sehen Sie den diplomatischen Spielraum des Westens?

Lambsdorff: Erst einmal liegt der Ball im Spielfeld Moskaus. Wir kennen die Forderungen Russlands, dass es nicht zu einer Erweiterung der Nato im Osten kommen kann. Das ist eine Debatte, die gar nicht ansteht und zudem unvereinbar mit unseren Prinzipien wäre. Jeder Staat ist frei, seine Bündnisse selbst zu wählen. Allein die von Deutschland, der EU, den USA und der Nato deutlich signalisierte Bereitschaft, ausführlich über russische Sicherheitsinteressen zu sprechen, obwohl es Moskau ist, das derzeit so aggressiv auftritt, ist ein Entgegenkommen.

Frage: Die nächste Eskalationsumdrehung könnte sein, dass Russland die Ostukraine als eigenständigen Staat anerkennt. Falls das passiert, wie sollte der Westen reagieren?

Lambsdorff: Damit wäre nicht nur das Minsker Abkommen zerstört, sondern auch die Schlussakte von Helsinki in Gefahr, die den Rahmen der Sicherheitsarchitektur Europas bildet. Russland muss sich gut überlegen, ob es diesen Schritt wirklich gehen will. Die Regierung in Kiew hat Anfang der Woche angekündigt, ihren Teil zur Umsetzung des Minsker Abkommens nun anzugehen, also die Grundlage für eine größere politische Autonomie der ostukrainischen Gebiete zu schaffen. Auch das war ein Erfolg dieser Bundesregierung.

Frage: In Teilen der SPD und vor allem bei der Linken wird gefordert, zur Politik der Annäherung zurückzukehren, für die einst Willy Brandt stand. Ist das realistisch und wird das vor allem der Rolle des früheren Kanzlers gerecht?

Lambsdorff: Das wird weder Willy Brandt noch der Realität gerecht. Unsere Politik der ausgestreckten Hand wird von Moskau nicht erwidert. Dabei ist für die FDP vollkommen klar, dass es Sicherheit in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland geben wird. Darüber muss man sprechen. Moskau muss aber auch erkennen, dass es Sicherheit in Europa eben auch nur mit Nato und EU geben kann und dass sich derzeit viele europäische Nationen eher Sicherheit vor Russland als mit Russland wünschen.

Frage: Immerhin scheint die EU in Zusammenarbeit mit den USA relativ geschlossen. Glauben Sie, dass Putin davon überrascht ist? Sein offensichtliches Ziel ist ja, Spaltung und Verunsicherung zu erzeugen.

Lambsdorff: Zumindest war diese Form der deutlichen Geschlossenheit nicht Teil des Kalküls Moskaus. Hier hat man sicher erwartet, dass mindestens einige EU-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Position und damit eine klare transatlantische Botschaft verhindern würden. Dass dieses Kalkül nicht aufgegangen ist, zeigt, dass die EU außenpolitisch besser ist als ihr Ruf: Wir lassen uns nicht mit militärischen Drohungen auseinanderdividieren.

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