Der designierte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gab dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Freitag-Ausgabe) und dem „RND Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Tobias Peter:
Frage: Herr Djir-Sarai, Wirtschaftsminister Robert Habeck hat die Gas-Frühwarnstufe ausgerufen. Was ist, wenn Putin Deutschland das Gas abdreht?
Djir-Sarai: Die Bundesregierung muss alles tun, damit wir auch auf drastische Veränderungen bei der Gasversorgung vorbereitet sind. Wladimir Putin ist unberechenbar. Deshalb war es falsch, sich von Russland energiepolitisch abhängig zu machen. Darauf haben wir immer hingewiesen.
Frage: Müssen wir – für eine verlässliche Energieversorgung – auch auf Atomstrom setzen, also Atomkraftwerke länger laufen lassen?
Djir-Sarai: Der deutsche Sonderweg bei der Energiewende ist außerordentlich anspruchsvoll. Das galt schon ohne die wirtschaftlichen Belastungen durch Corona und den Krieg in der Ukraine. Daher dürfen wir uns keine Denkverbote auferlegen.
Frage: Was bedeutet das?
Djir-Sarai: Im Koalitionsvertrag steht beispielsweise, dass der Ausstieg aus der Kohleverstromung idealerweise bis 2030 gelingen soll. Die Folgen des Krieges machen ideale Lösungen aber sehr schwierig. Wir sollten dringend prüfen, ob wir auf die Braunkohle länger angewiesen sein werden als bislang geplant. Wir Deutschen sollten nicht so tun, als hätten wir bei der Energiewende die Weisheit gepachtet.
Frage: Tut Deutschland genug, um die Ukraine im Kampf gegen Putin zu unterstützen? Kommen unsere Waffenlieferungen schnell genug an?
Djir-Sarai: Ich bin heilfroh, dass Deutschland aufgewacht ist und auf diese dramatische Veränderung der Weltlage reagiert hat. Anfangs wollten einige sich hinter dem Koalitionsvertrag verschanzen, der Waffenlieferungen in Krisengebiete ausgeschlossen hat – nach dem Motto: „Der Krieg in der Ukraine steht nun mal nicht im Koalitionsvertrag.“ So funktioniert gutes Regieren nicht – und deshalb hat es hier einen wichtigen Politikwechsel gegeben. Der muss konsequent umgesetzt werden.
Frage: Was ist Ihnen als Liberaler wichtiger: die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands, dass beispielsweise genug Gas für unsere Industrieproduktion da ist, oder eine stärkere Unterstützung für die Ukraine?
Djir-Sarai: Es ist unsere Pflicht, die Ukraine und die Menschen, die dort um ihre Freiheit kämpfen, zu unterstützen. Aber wir haben auch eine Verantwortung gegenüber unserem eigenen Land. Der Konflikt mit dem System Putin wird noch lange fortbestehen. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir unsere größte Stärke – unsere wirtschaftliche Stabilität – beschädigen.
Frage: Zerreißt Sie diese Abwägung manchmal?
Djir-Sarai: Ja. Die Bilder des Krieges sind fürchterlich. Es ist ein normaler Instinkt, dass man immer mehr tun möchte, um den Angegriffenen zu helfen. Dennoch gilt: Wenn wir mit unbedachter Politik die Menschen in unserem Land in hoher Zahl in Armut oder Arbeitslosigkeit stürzen, hätte Putin es geschafft, Deutschland und Europa zu destabilisieren. Das dürfen wir nicht zulassen.
Frage: Wissen wir gut genug, welche Menschen als Geflüchtete bei uns ins Land kommen – oder müssen wir mehr und schneller registrieren?
Djir-Sarai: Unser Land ist weltoffen und tolerant. Die Menschen wünschen sich, dass wir den Geflüchteten helfen. Aber sie wollen auch wissen, wer zu uns kommt. Sie legen Wert darauf, dass Zuwanderung nach rechtsstaatlichen Kriterien erfolgt. Wir können auch nur diejenigen, von denen wir wissen, dass sie hier sind, in die Schulen, den Arbeitsmarkt und das Gesundheitssystem integrieren. Es geht auch um das Wohl der Geflüchteten.
Frage: Was schlagen sie also vor?
Djir-Sarai: Ganz eindeutig: Wir müssen die Geflüchteten in Deutschland schneller und koordinierter registrieren. Hier besteht Handlungsbedarf.
Frage: Die FDP stellt die kleinste Fraktion in der Ampelkoalition. Sind Sie mit dem, was Sie in der Bundesregierung durchsetzen können, zufrieden?
Djir-Sarai: Die Regierung hat einen guten Koalitionsvertrag. Die FDP hat nicht auf diese Koalition hingearbeitet, aber angesichts des Zustands der Union nach der Wahl war es richtig für das Land, sie zu bilden. Jetzt zeigt sich, dass wir auch bei plötzlichen Krisen handlungsfähig sind. Allein, dass wir die Zeitenwende in der Sicherheitspolitik mit 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr eingeleitet haben, ist bemerkenswert. Ein großes Verdienst der FDP ist: Ohne uns wäre es in der Corona-Politik weitergegangen wie bisher. Jetzt haben wir mit der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes den Weg zu einer verantwortungsvollen Rückkehr in die Normalität geebnet.
Frage: Beim neuen Infektionsschutzgesetz hat die FDP sich mit dem Wunsch nach Lockerungen auf breiter Front gegen Gesundheitsminister Karl Lauterbach durchgesetzt. Übernehmen Sie auch die Verantwortung, wenn es schiefgeht?
Djir-Sarai: Die Länder sind mit dem neuen Infektionsschutzgesetz handlungsfähig. Wenn in bestimmten Städten oder Kommunen eine Überlastung der Kliniken droht, können die Landtage Gebietskörperschaften zu Hotspots erklären. Dann kann es dort zusätzliche Maßnahmen gegen Corona geben.
Frage: Lauterbach fordert die Länder offensiv auf, von der Hotspotregelung Gebrauch zu machen. Unterstützen Sie ihn darin?
Djir-Sarai: Die Länder sollen das Gesetz nutzen, wenn es kommunale oder regionale Hotspots gibt. Nicht akzeptabel ist es, wenn ganze Bundesländer pauschal zu Hotspots erklärt werden. Das gibt das Gesetz nicht her. Dann können Bürger gegen Maßnahmen klagen.
Frage: Auch die Maskenpflicht in den Schulen entfällt außerhalb von Hotspots – obwohl Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrkräfte viel Zeit sehr eng beieinander verbringen. Würden Sie Eltern raten, dass ihre Kinder weiter Masken in der Schule tragen?
Djir-Sarai: Ich bin ein Freund der Eigenverantwortung. Auch ich selbst werde an vielen Orten, wo keine Maskenpflicht mehr besteht, noch Maske tragen. Eltern können mit ihren Kindern sprechen und mit ihnen gemeinsam entscheiden, ob diese in der Schule noch eine Maske tragen.
Frage: Wird sich der Bundestag auf eine Impfpflicht verständigen?
Djir-Sarai: Ich kann für eine Impfpflicht ab 18 Jahren nach den bisherigen Debatten keine Mehrheit im Deutschen Bundestag erkennen. Vielleicht finden sich für einen weniger weitgehenden Antrag ausreichend viele Unterstützer. Es laufen noch viele Gespräche.
Frage: Wie werden Sie selbst abstimmen?
Djir-Sarai: Ich werde am Ende alle Argumente abwägen und mich entscheiden. Diese Entscheidung ist keine parteipolitische, sondern eine medizinisch-ethische.